Mit jungen Wilden zurück zum Erfolg
Der Präsentationsort hatte durchaus symbolischen Charakter. Zur Vorstellung des neuen Trainers und sportlichen Leiters lud der RWE-Vorstand am Donnerstag (14 Uhr) in den sechsten Stock des futuristisch gestylten Bürohauses an der Rüttenscheider Straße 199. Dort, wo demnächst die Geschäftsleitung der Anwaltskanzlei Holthoff-Pförtner einziehen wird, wurde über den Dächern der Kulturhauptstadt 2010 ein neues Kapitel Rot-Weiss Essen aufgeschlagen. „Ich bin gebürtiger Rüttenscheider und selbst immer wieder überrascht, wie schön Essen gerade hier ist", schwärmte RWE-Chef Stefan Meutsch. RWE auf zu neuen Höhen ? Nun, dies war durchaus der Generaltenor einer 75minütigen PK, auf der der Club wie bereits am Mittwoch durchgesickert Peter Hyballa als neuen Cheftrainer und Hermann Andreev als neuen sportlichen Leiter vorstellte.
„Wir sind nun schon im zweiten Jahr infolge in einer Liga, die wir zunächst nur als eine Laune der Natur betrachtet hatten", begann Meutsch seine Eingangsrede. „Es zeigt sich, dass wir bislang unsere Hausaufgaben nicht so gemacht haben, dass es erkennbar wieder nach oben geht. Zwar hat sich die Mannschaft dank der Leistung unserer Trainer nach einem sehr schwachen Beginn stabilisiert, aber den Durchbruch zur Spitze haben wir nicht mehr geschafft."
„Zu den Heimspielen kommen nur noch die Treuesten der Treuen - das muss sich schnellstens ändern" (Stefan Meutsch)
Vor allem schmerze es den Vorstand, dass in den letzten Wochen deutlich weniger Zuschauer zur Hafenstraße gekommen seien als gewohnt, so Meutsch weiter. „Wir haben zwar eine hervorragende Auswärtsbilanz, aber ins Georg-Melches-Stadion pilgern nur noch die Treuesten der Treuen. Und das ist ein Zustand, der dringend abgestellt werden muss."
Um wieder mehr Begeisterung für den Club zu wecken, gäbe es zwei Möglichkeiten: Eine teure Mannschaft für sehr viel Geld zusammenbauen - „doch diese Versuche haben wir ja bekanntlich hinter uns." Oder Trainer und Spieler, „die trotz eines knappen, gleichwohl für die Regionalliga noch immer vernünftigen Budgets mit Leidenschaft und großer Einsatzbereitschaft mit uns zusammen im dritten Anlauf den Aufstieg erreichen wollen."
„Nach der Niederlage gegen Worms fuhr der Zug in eine andere Richtung" (Meutsch)
Zwar bescheinigte auch Meutsch ebenso wie schon am Vortag Vorstandsmitglied Dr. Thomas Hermes dem Duo Erkenbrecher/Aussem eine durchaus passable Leistung. Doch sei die Heimniederlage gegen Worms eine Art Knackpunkt gewesen. „Von da an war uns klar, dass der Zug in eine andere Richtung laufen müsse." Und dann übergab er das Mikro an den neuen Übungsleiter.
„Ich bin der Neue, sagte Peter Hyballa, der optisch durchaus als jüngerer Bruder von HSV-Coach Bruno Labbadia durchgehen könnte. Ähnlich glühende Augen, ähnlich glatte schwarze Haare, ähnliche Körpersprache, ähnlich ehrgeizig. „In der Tat hat sich letztens ein fünfjähriges Mädchen, dem ich ein Autogramm gegeben habe, mit ‚Danke, Herr Labbadia‘ bedankt", schmunzelte der 34jährige, der die letzten 42 Monate erfolgreich die U19 von Borussia Dortmund trainierte. „2009 sind wir in beide Endspiele gekommen: Im Pokal haben wir nach Elfmeterschießen gegen den SC Freiburg verloren, im deutschen Meisterschaftsfinale dann leider auch gegen die von meinem Freund Thomas Tuchel betreute Elf von Mainz 05."
Abgeschlossenes Studium an der Uni Münster - und danach der Trainerschein
Davor war Hyballa A-Jugendtrainer in Wolfsburg - auch hier verlor er mit seinen Jungs erst im Pokalfinale (gegen den TSV 1860 München) - noch weiter zurück liegen ein Auswärtsjahr in Namibia (Windhoek) sowie Stationen bei Preußen Münster und in seiner Heimatstadt Bocholt. Seine eigene Fußballerlaufbahn brach Hyballa schon mit 18 Jahren ab: „Teils wegen Verletzungen, teils aber auch wegen meines limitierten Talents." Statt dessen schloss er an der Uni Münster ein Studium in Sportwissenschaft, Pädagogik und Psychologie ab. Und sah fortan im Trainerberuf seine Berufung.
Seinen Fußballlehrerschein machte Hyballa, der dank seiner holländischen Mutter auch fließend niederländisch spricht, vor fünf Jahren. Und zwar in einem illustren Jahrgang mit Heiko Herrlich, Bernd Hollerbach oder Andreas Möller. Hyballa lässt gern offensiv spielen, bevorzugt ein 4-3-3-System mit zwei Außenstürmern. „Früh anpressen, schnell den Ball erobern - das wollen die Zuschauer sehen."
Die Mannschaft hat Hyballa nach eigener Auskunft bereits viermal beobachtet, zuletzt beim Pokal gegen Speldorf und beim Meisterschaftsspiel gegen Leverkusen II. Aber auch die Hinrunden-Partien gegen Verl und Gladbach II hat er verfolgt. „Die Truppe hat schon jetzt ein gutes Potenzial", erkennt er an.
„Wir brauchen Spieler, die durchs Feuer gehen und Bock haben, mit uns aufzusteigen" (Peter Hyballa)
Sein Konzept für Rot-Weiss baut der neue Mann auf „gute junge Wilde auf, die genauso wie ich zügig aus der Regionalliga nach oben kommen wollen. Die durchs Feuer gehen und Gas geben. Und nicht noch einmal für zwei Jahre abkassieren wollen." Seinen ersten Profi-Club lobt Hyballa als Kultverein, er zog ihm am Ende Preußen Münster und Mainz 05 II vor. Die Entscheidung für RWE sei ihm zusätzlich durch die Nominierung des zehn Jahre älteren Hermann Andreev erleichtert worden, bekennt er. „Ein sehr erfahrener Mann."
Bereits am Sonntag wird Hyballa beim Auswärtsspiel der BVB U19 in Köln seinen letzten Arbeitstag für die Schwarz-Gelben haben. „Am Montag abend werde ich mich noch von der Truppe verabschieden - ab dann konzentriere ich mich ganz auf RWE. Die Kaderplanung ist jetzt das A und O."
„Die geringe Schnittmenge zwischen Trainer und sportlichen Leitern ist mit ein Grund für den anhaltenden Misserfolg von RWE" (Stefan Meutsch)
Die für nicht alle Fans und Experten sofort verständliche Verpflichtung von Hermann Andreev, der ebenso wie Hyballa einen Zweijahres-Vertrag unterschrieb, begründete Stefan Meutsch so: „An der Schnittstelle zwischen Trainer und sportlichem Leiter hat es in den letzten Jahren bei uns immer wieder geknirscht. Sowohl bei den Paarungen Bonan/Janßen, Köstner/Janßen und Strunz/Kulm als auch bei der jetzigen Konstellation mit zwei Trainern ist die nötige Schnittmenge nicht vorhanden gewesen." Bei Hyballa/Andreev habe er dagegen das Gefühl, dass sie zusammenpassten und sich gut ergänzten. „Beide haben eine erstklassige theoretische und auch akademische Ausbildung. Die reden auch einmal über etwas anderes als den Freund aus Leder, sind etwas breiter im Hinterkopf aufgestellt", beschrieb Meutsch mit blumigen Metaphern. „Da wir bei den harten Faktoren - also beim Budget - limitiert sind - müssen wenigstens die weichen Faktoren stimmen", ergänzt er. Dass der bislang als Trainer nur in den neuen Bundesländern aktive Andreev profunde Kenntnisse über die Fußballszene in den neuen Ländern und darüber hinaus habe, könne auch kein Nachteil sein, so der erste Vorsitzende.
„Die U19 muss schnell wieder in die Bundesliga zurück" (Hermann Andreev)
Andreev, der 2001 schon einmal bei RWE als Trainer im Gespräch war (damals entschied man sich aber für Harry Pless), hatte sein Trainer-Highlight zweifellos ebenfalls 2001 in Babelsberg, als er den Berliner Vorortclub trotz eines Mini-Budgets in die zweite Bundesliga führte. Groß geworden ist er bei Spartak Moskau - einem Verein, der ebenso wie RWE Rot und Weiß als Vereinsfarben hat. Der zuletzt in Plauen (Regionalliga Nord) tätige Russe mit deutschem Pass will sich auch intensiv um die U23 sowie die Jugendteams kümmern. „Die U19 muss so schnell wie möglich in die Bundesliga zurück und die U23 wieder ein Talentbecken sein, aus dem Spieler in die erste Mannschaft aufsteigen können", skizziert er erste Zielvorgaben.
Einen Co-Trainer wird es zusätzlich auch noch geben - Markus Kurth, den sich viele im RWE-Umfeld wünschen, wird es jedoch nicht sein. „Es gibt durchaus Überlegungen, wie man Markus künftig an den Verein binden kann, sie sind aber noch nicht hinreichend konkret", sagte Meutsch. Offenbar schätzt man auch in Vorstandskreisen die unverändert hohen Qualitäten des Spielers Kurth. „Immer dann, wenn er spielt, ist er ein hoch stabilisierender Faktor innerhalb der Mannschaft", lobte ihn Meutsch. Er sei eine echte Integrationsfigur, dem die Trainer Aussem und Erkenbrecher im Gegensatz zum Vorgänger Strunz zurecht wieder öfters das Vertrauen gegeben hätten.
„Wir wollen, dass die Rufe nach einem neuen Stadion laut bleiben" (Meutsch)
Zur finanziellen Situation des Vereins entlockten die Journalisten Meutsch so viel: „Vor einem halben Jahr sah es verdammt düster aus. Heute sind wir zuversichtlich, dass wir die Lizenz bekommen." Zum noch immer nicht von der Stadt vorangetriebenen Stadionneubau äußerte er sich wie folgt: „Es gibt nach wie vor einen verbindlichen Beschluss, dass das Stadion gebaut werden soll. Wir von RWE wollen, dass die Rufe nach einer neuen Spielstätte laut bleiben. Je öfter wir auf dem Rasen gewinnen, desto leichter wird diese Frage zu lösen sein. Dazu müssen wir schnell wieder deutlich attraktiveren und erfolgreichen Fußball spielen. Denn wenn nur irgendwann nur noch 2.000 bis 3.000 Zuschauer kommen, wird sich Thema von selbst erledigen."
Das neue Trainer-Gespann will sich in den nächsten Wochen nun intensiv mit den einzelnen Spielern unterhalten und natürlich auch Neuverpflichtungen einstielen. „Das Telefon klingelt schon ständig", bekennt Hyballa. „Sie glauben gar nicht, wie viele Spieler mir angeboten werden." Laut Geschäftsführer Kai Stütz besitzen aus dem aktuellen Kader noch zwölf Spieler gültige Verträge, dazu komme als 13. der frisch verpflichtete Timo Brauer. Die Chancen, dass Leistungsträger wie Mike Wunderlich bei RWE bleiben, schätzt Stefan Meutsch nach der nun erfolgten Klärung der Trainerfrage als „höher als zuvor" ein.
Vor allem erhofft sich Meutsch künftig mehr Disziplin und Leidenschaft über 90 Minuten. Noch einmal erinnerte er an einige schmähliche Niederlagen der Saison 2007/08: Wie die 1:2-Schlappe in Braunschweig, als RWE nach einer gelb/roten Karte für Tim Erfen und durch zwei späte Tore noch einen scheinbar sicheren Sieg aus der Hand gab. Oder die Heimniederlage gegen die zuvor sieglose Truppe von Energie Cottbus II und das 0:1 gegen den SC Verl. „Aber das wird der Peter Hyballa jetzt alles verhindern," scherzt Meutsch - und schaut noch einmal aus dem Staffelgeschoss über die frühlingshafte Essener Stadtlandschaft. Und während in dem erst zum Teil bezogenen Neubau noch Handwerker letzte Feinarbeiten erledigen und die Aufzüge einfahren, fängt für die neue RWE-Trainercrew ab Montag die Arbeit erst an.
Thomas Imhof
Steckbriefe:
Peter Hyballa
Geburtstag: 05.12.1975
Nationalität: deutsch
Ausbildung: Magister der Sportwissenschaften, Lizenzierter Fußballlehrer
Trainerstationen:
Borussia Dortmund U19 (Junioren-Bundesliga, seit 01.07.2007), VfL Wolfsburg U19 (Junioren-Bundesliga), Ramblers Windhoek (Namibia, 1. Liga), Arminia Bielefeld U19, Preußen Münster U17 und Co-Trainer 1. Mannschaft, 1. FC Bocholt U19
Hermann Andreev
Geburtstag: 28.01.1966
Nationalität: russisch
Ausbildung: Diplom-Sportlehrer, Lizenzierter Fußballehrer
Stationen als Spieler:
Spartak Moskau, Al-Masri (Ägypten), Rotor Wolgograd, SKA Rostow, SV Babelsberg
Trainerstationen:
VfC Plauen (Regionalliga Nord), SV Yesilyurt (Oberliga Nordost), Hallescher FC (Oberliga Nordost), 1. FC Lokomotive Leipzig, SV Babelsberg Regionalliga Nord, 2. Bundesliga)