Ein Land, eine Liga - Die neue NRW-Liga
im Focus
Du, ich freu mich auf die neue Oberliga. NRW-Liga
wird sie heißen und eine Liga für ein Bundesland
wird sie sein. Nicht jeder ist begeistert. Die Ligalandschaft
wird sie durcheinander wirbeln und manche Vereine
werden sich in tieferen Regionen ansiedeln müssen.
Hohe Auflagen stellen teilnehmende Vereine vor große
Herausforderungen. Manche sind baulicher Art und können
sicher nicht auf Anhieb umgesetzt werden. Darauf konzentrieren
sich gerade die kritischen Stimmen.
Ich freue mich trotzdem auf die neue Liga. Warum?
Weil ich es gut finde, dass eine einzige Liga die
ganze Fläche unseres Bundeslandes abdeckt. Weil
ich dadurch eine Aufwertung der – für mich
einzigen – Herzschlagregion des deutschen Fußballs
erwarte, des Ruhrgebiets. Weil namhafte Vereine darin
spielen werden, auch wenn die größten unter
ihnen nur ihre Zweitvertretungen oder U 23 Teams entsenden.
Weil diese neue Liga ein Gesicht bekommt, das mich
stark an die wunderschönsten Zeiten des Westfußballs
erinnert – an die Oberliga West. Und nicht zuletzt,
weil RWE mitmischt mit unsrer Truppe, auf die wir
gerade so richtig stolz sind: Unsere U 23, souveräner
Tabellenführer der Verbandsliga Niederrhein.
Sportlich qualifizieren sich die Mannschaften auf
den Plätzen 5 bis 11 der beiden Oberligen Nordrhein
und Westfalen, sowie die Tabellenführer der vier
westdeutschen Verbandsligastaffeln. Momentan hat sie
folgendes Gesicht:
* Spvgg. Erkenschwick
* Westfalia Herne
* Delbrücker SC
* FC Gütersloh
* Hammer SpVg.
* SV Schermbeck
* Germania Gladbeck
* 1. FC Kleve
* SSVg. Velbert
* Germania Dattenfeld
* Bonner SC
* Alemannia Aachen
* Fortuna Düsseldorf
* Wuppertaler SV
* Rot-Weiss Essen
* SG Wattenscheid 09
* Viktoria Köln
* TuS Hiltrup
(Stand: 16. April 2008)
Teilweise bekannte Gesichter aus der alten Oberliga
West und zahlreiche Vereine aus dem Ruhrgebiet. Na,
wenn das von den Namen her keine attraktive Liga ist!
Selbst, wenn die vielen Zweitvertretungen nicht für
einen Zuschauerboom sorgen werden. In Lauerstellung
liegen TuRU Düsseldorf, MSV Duisburg, KFC Uerdingen
und Arminia Bielefeld. Auch Fortuna Köln und
VfB Hüls machen sich in ihren Verbandsligen noch
berechtigt Hoffnung auf die Meisterschaft. In den
Oberligen sind SF Lotte und ETB Schwarz-Weiß
noch nicht endgültig sicher für die neue
Regionalliga qualifiziert und könnten die NRW-Liga
bereichern.
Die gute alte Zeit – Wiederbelebung der
Oberliga West?
Eine Frage an ältere Leser: Sag mal! Wenn du
an früher denkst … sind deine Erinnerungen
„in Farbe“ oder „schwarzweiß“?
Schaust du dir alte Bilder oder dokumentarische Berichte
an, meinst du, das Leben sei damals schwarzweiß
gewesen. Das liegt daran, dass es Farbaufnahmen aus
jener Zeit kaum gibt. Dabei war das Leben genau so
bunt wie heute. Doch die Erinnerung rückt die
Farben nicht mehr raus. Obwohl … meine Farberinnerungen
sind auch nicht mehr so farbecht. Wie auf alten verblichenen
Fotos rotstichige und braune Töne überwiegen,
meine ich, genau das wären die Farben jener Zeit
gewesen. Schmutz und Staub auf den Straßen,
die schmuddeligen Hausfassaden, die längst mal
wieder einen Anstrich nötig hatten … so
war es doch, unser Leben.
Ich stelle diese Frage, weil sich viele unserer Erinnerungen
an vergangene Zeiten verklären; auch diejenigen,
die mit dem Fußball zu tun haben. War früher
wirklich alles besser, wie manche behaupten? Sicher
nicht. Es war anders und es war Teil unseres Lebens,
des Lebens in einer Phase, die uns sehr prägte.
Darum fanden wir die damalige Zeit so schön.
Deshalb eine weitere Frage. Sie geht an alle Leser,
nicht nur an die älteren. Welche der vielen Ligen,
in denen RWE schon spielte, ist für dich die
Kultliga schlechthin? Normalerweise verbindet man
mit der Liga die schönsten Erinnerungen, in der
die Begegnung mit dem Fußball eine prägende
Phase erlebt. Normalerweise! Bei mir war es anders.
Mein Fußballbewusstsein erwachte 1966 mit der
WM in England und mit der von RWE erfolgreich bestrittenen
Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Das nachfolgende ständige
Auf und Ab zwischen erster Liga und Regionalliga West
prägte mich. Was war das für eine tolle
Zeit! Vor allem die Aufstiegsrunden hatten es in sich.
Demzufolge müsste dort mein Herz schlagen. Tut
es aber nicht.
Meine Kultliga gehört zu einer Zeit, in der ich
sie noch nicht wahrnahm. Ich habe keinerlei Erinnerungen
daran und weiß alles nur aus Büchern und
Filmen. Es ist die Oberliga West. Diese Liga ist Kult,
weil sie für mich Ausdruck eines Lebensgefühls
ist, Heimat verortet. Die Oberliga West war eigentlich
eine Ruhrgebietsliga mit diffusem Rand im Rheinland
und im westfälischen Hinterland. In manchen Spielzeiten
kamen zehn von 16 Vereinen aus dem Ruhrgebiet. Nie
waren es weniger als acht Vereine, also 50%. So gab’s
pro Spieltag im Ruhrgebiet durchschnittlich drei Lokalduelle
plus zwei weitere Partien gegen einen Gegner vom Rhein
oder aus Westfalen. Fünf Spiele pro Wochenende
auf engstem Raum, voller Brisanz und voller Rivalität.
Das stelle man sich einmal vor! Und das alles auf
damals höchstmöglichem Niveau – die
Oberliga war höchste Spielklasse im Deutschen
Fußball.
Was macht den Charme dieser Zeit aus? Es ist wohl
die Tatsache, dass diese Liga am besten das Leben
der damaligen Zeit widerspiegelt. Um die Stadien herum
lebten die Menschen, wohnten sie, arbeiteten sie …
und verbrachten ihre Freizeit. Hans Dieter Baroth
beschreibt in seinem Buch „Jungens, euch gehört
der Himmel“, dass es niemand weiter als zweieinhalb
Kilometer von seiner Wohnung zum Arbeitsplatz und
auch nicht zum Stadion hatte. Die Spieler stammten
aus den Siedlungen. Man kannte sie. Man arbeitete
mit ihnen – auf dem Pütt oder am Hochofen.
In der Freizeit traf man sie auf den Straßen
oder in den Kneipen an der Ecke. So war das Leben
– klein, fein, räumlich begrenzt. Nein,
die heile Welt war es nicht. Aber hier hielt man zusammen,
stand füreinander ein, half sich durch.
Anekdoten aus jener Zeit sind das Sahnehäubchen.
Ist das etwa nicht Kult, wenn man in Duisburg zu Fuß
vom Duisburger FV zum Auswärtsspiel beim Duisburger
SV geht, weil das Wedau Stadion auf der anderen Seite
der Straßenbahnhaltestelle liegt? Ist es nicht
Kult, wenn die Züge am Katernberger Lindenbruch
einfach stehen blieben, weil Fahrgäste und Lokführer
Fußball kucken wollten? Ist es nicht Kult, wenn
bei Auswärtsspielen Brieftauben aufgelassen wurden,
um Zwischenstände und Endergebnis nach Hause
zu übermitteln? Was will man nicht noch alles
aufzählen vom Förderturm neben dem Spielfeld
in Sodingen, vom Leben am Schalker Markt und am Borsigplatz
in Dortmund? Und von Georg Melches, der einem Zuschauer
30 Mark schenkte, damit der sich ein anständiges
Hemd kaufen konnte.
Erkenschwick, Herne, Sodingen, Hamborn, ETB, Marl-Hüls
und die Emscher Husaren – wo sind sie alle hin?
Den schleichenden Abstieg dieser Klubs in die Bedeutungslosigkeit
erklärt man gemeinhin mit dem Niedergang von
Kohle und Stahl an Rhein und Ruhr. Ausbleibende Sponsorengelder
aus diesem Bereich der Industrie sind aber ursächlich
nur die halbe Wahrheit. Es hätten sich andere
Geldgeber in anderen Industriezweigen finden lassen.
Schalke und Dortmund haben das ja vorgemacht. Die
wahre Ursache des Niedergangs der Vereine ist in der
Tatsache zu suchen, dass mit dem Verschwinden von
Kohle und Stahl für die Menschen das Identifikationszentrum
verloren ging. Die Zeiten wurden moderner, schnelllebiger.
Die Menschen mussten flexibler werden. Man arbeitet
nun nicht mehr dort, wo man lebt. Unter Umständen
fährt man weit zum Arbeitsplatz. Man verbringt
auch seine Freizeit nicht mehr im unmittelbaren Umfeld.
Die Sportvereine sind nicht mehr der Mittelpunkt des
Lebens und die Spieler in den Vereinen sind nicht
mehr die Kumpel vom Pütt oder der Nachbar von
nebenan.
Flower of Scotland, eine von drei inoffiziellen schottischen
Nationalhymnen, besingt ein völlig anderes historisches
Ereignis. Aber die Worte der dritten Strophe sind
auch in unserem Zusammenhang nur zu wahr:
The times are past now.
And in the past they must remain.
But we can still rise now …
Die Zeiten sind vorbei.
Und in der Vergangenheit müssen sie bleiben.
Aber wir können nun aufstehen …
(… um was Neues auf die Beine zu stellen –
Anm. d. Verf.)
Strukturwandel und neue Chancen
Warum dieser Ausflug in längst vergangene
Tage? Weil sich durch die neue Liga die Frage stellt,
ob diese alten Zeiten wieder belebt werden? Die Antwort
gleich vorweg: Das werden sie sicher nicht! Die Oberliga
West war höchste Deutsche Spielklasse. Die NRW-Liga
ist nur 5. Liga. Sie wird niemals diesen Zuschauerzuspruch
haben, zumal zahlreiche Profivereine ihren Nachwuchs
hier parken werden.
Trotz der kritischen Stimmen, die sich überall
erheben, sehe ich der neuen Liga positiv entgegen.
Denn hier findet für den Unterbau des höherklassigen
Fußballs eine wichtige und notwendige Konzentration
im Amateurbereich statt. Andere Verbände schlagen
den umgekehrten Weg ein. Die Oberliga Nord z.B. wird
aufgelöst. Unter der Regionalliga spielen die
Verbandsligen in fünf Staffeln. Man darf gespannt
drauf sein, wann das wieder geändert wird, denn
der Norden ist bekannt dafür, dass er seine oberste
Liga ständig auflöst und wieder neu bildet.
Dem Fußballwesten wird die neue Liga gut tun.
Auch deshalb, weil die Herzschlagregion, das Ruhrgebiet,
Gelegenheit bekommt in einer gemeinsamen Liga gegeneinander
anzutreten, anstatt auf zwei Oberligen, Nordrhein
und Westfalen, aufgeteilt zu sein.
Die Trennung von Westfalen und Rheinland wird heute
eh als künstlich erlebt. Sollte wirklich die
ehemalige Grenze zwischen Franken und Sachsen dem
heutigen Verlauf der Stadtgrenzen von Essen einerseits
und Bochum oder Gelsenkirchen andererseits entsprechen?
Die Wirklichkeit hat das doch alles überholt.
Die wahren Lebenslinien des Ruhrpotts verlaufen nicht
in Nord-Süd-Richtung, sondern von West nach Ost:
Die Flüsse, die Straßen, die Eisenbahnlinien.
Hier gehört alles zusammen. Darum ist es sinnvoll,
die Vereine desselben Lebensraumes auch in einer Liga
gegeneinander spielen zu lassen.
Ginge es nach mir, würde ich die Organisationsstrukturen
des Fußballs im Westen noch anders gestalten
und verbessern. Ist es wirklich nötig, dass es
in Nordrhein-Westfalen drei eigenständige Fußballverbände
gibt? Würde eine Zusammenlegung nicht effektivere
Arbeit ermöglichen? In Baden-Württemberg
wird eine solche Zusammenlegung politisch gefordert,
aber auch dort leider von dickköpfigen Funktionären
des württembergischen, des badischen und des
südbadischen Verbandes nicht umgesetzt. Ein Land
– eine Liga. Das kriegt man auch im Westen (noch)
nicht hin.
Als sportlichen Unterbau unter die NRW-Liga stelle
ich mir drei Staffeln vor. Eine für das Ruhrgebiet,
eine fürs restliche Westfalen und eine im Rheinland.
Nebenbei: Meines Wissens ist auf landespolitischer
Ebene die Umstrukturierung der jetzigen fünf
Regierungsbezirke in zukünftig drei (Ruhrgebiet,
Rheinland, Westfalen – schau an!) schon einmal
angesprochen worden.
Da sich aber niemand nach meinen Vorstellungen richtet,
sollten wir auf die Chancen und Möglichkeiten
schauen, die sich für RWE ergeben. Die zweite
Mannschaft kommt endlich dort an, wo sie als solider
Unterbau der ersten Mannschaft hingehört und
wirklich Nutzen bringen wird. Wie viele Jahre, Jahrzehnte
hat man daran gearbeitet, das Team dorthin zu bringen?
Endlich ist das Ziel erreicht. Weitere Aufstiege,
z.B. in die neue Regionalliga, sind vorerst nicht
notwendig. Es fällt aber auf, dass andere Vereine,
die einen plötzlichen sportlichen Aufschwung
erleben – TSG Hoffenheim, SV Wehen – sehr
zeitnah mit ihrem Aufschwung auch ihre zweite Mannschaft
in der Oberliga spielen hatten und ihre A-Jugend in
der jeweiligen Bundesliga etablierten. Will RWE sich
stabilisieren, ist man auf eine gute Nachwuchsarbeit
und auf einen ligamäßig solide etablierten
Unterbau angewiesen.
Von alten Zeiten träumen dürfen wir anlässlich
der Einführung der neuen Liga gerne. Doch um
ihr einen eigenen Stellenwert zu verschaffen, gilt
es, nach vorne zu blicken und die Herausforderungen
anzupacken. Sie kann etwas werden, die neue Liga –
für den Fußball, für die Menschen
im Ruhrgebiet, für die Fans.
Bücherecke Interview Für Ratefüchse