Die Oberliga West war grundlegend…
Ein Interview mit Ralf Piorr
Die
Oberliga West fasziniert Fußballfreunde bis
heute, obwohl die letzte Spielzeit schon vor 45 Jahren
beendet wurde. Ralf Piorr arbeitet seit Jahren die
Geschichte dieser Kultliga auf. Der gebürtige
Niedersachse studierte an der Bochumer Universität
Geschichte und zog deswegen 1987 ins Ruhrgebiet. Er
selbst spielte in der Kreisliga Fußball und
ist Inhaber der Fußballtrainerlizenz. Im Zuge
seiner Mitarbeit an der Vereinschronik zum hundertjährigen
Bestehen seines Heimatvereins Westfalia Herne lernte
er die Oberliga West kennen. Dies war der Einstieg,
dem weitere Veröffentlichungen folgten. Sein
Bewusstsein für den Fußball geht zurück
ins Jahr 1973, als er das Pokalfinale zwischen Borussia
Mönchengladbach und dem 1. FC Köln gesehen
hat, in dem sich Günther Netzer selbst einwechselte.
„Das war stilbildend für meine Karriere!“
scherzt Piorr.
Jawattdenn.de:
Was veranlasst ein Nordlicht, freiwillig das Ruhrgebiet
zur Wahlheimat zu machen?
Ralf Piorr:
Ich habe in Bochum studiert und mich hier schnell
eingelebt. Probleme hatte ich zunächst mit den
Ascheplätzen. In meiner Heimat hat jeder noch
so kleine Dorfverein einen Rasenplatz. Da musste ich
mich umgewöhnen. Die Knie wurden dadurch sehr
stark in Mitleidenschaft gezogen.
Jawattdenn.de:
Warum bist Du so fasziniert vom Ruhrgebiet, den Menschen,
die hier leben, dem Sport?
Ralf Piorr:
Das kann man so nicht sagen. Die Menschen hier sind
offen und ehrlich. Wenn jemand anderer Meinung ist,
sagt er das auch geradeheraus. Das schätze ich.
Man müsste sich aber Klischees bedienen, wenn
man erklären wollte, was die Region hier ausmacht.
Lebenszusammenhänge spielen bei der Wahl des
Wohnortes eine sehr große Rolle. Hätte
ich irgendwann ein Angebot bekommen, Trainer in Johannisburg
zu werden, wäre ich dorthin gegangen. (lacht)
Man sollte das also nicht überbewerten.
Jawattdenn.de:
Du bist 1966 geboren, erlebtest also die Oberliga
West nicht persönlich. Dennoch kennst Du dich
bestens in dieser Zeit aus und wirst nicht müde,
diese herrliche Epoche des Fußballs zu dokumentieren.
Was begeistert Dich besonders an dieser Zeit?
Ralf Piorr:
Die Oberliga West war grundlegend für den ganzen
Ruhrgebietsfußball. Vorher war Fußball
im Revier Schalke 04. Es gab keinen Verein, der vor
dem Zweiten Weltkrieg annähernd so erfolgreich
und bekannt gewesen ist. Ab 1945 bildete sich eine
breite Vereinslandschaft heraus.
Die
damalige Zeit war im Ruhrgebiet eine andere, als es
sich die Menschen zu dieser Zeit wünschten. Man
gucke sich nur einmal den deutschen Film dieser Zeit
an. Da wurden Heimatfilme gedreht. Das war der genaue
Gegensatz zum Ruhrgebiet. So stolz heute die Menschen
auf diese Vergangenheit sind, damals wollte niemand
im Rest von Deutschland hier wohnen.
Die Zeit war zudem geprägt von großen Einwanderungswellen.
Eine kollektive Identifikation erfolgte über
den Fußball. Die Menschen gingen gemeinsam zu
ihrem lokalen Fußballverein. Der Arbeitsplatz,
die Zeche, stiftete nicht die notwendige gemeinsame
Identifikation. Das leisteten die Vereine. Die Zechenmannschaften
spielten darüber hinaus in der höchsten
Spielklasse. Der ehemalige Torwart der Emscher-Husaren,
Heinz Flotho, antwortete auf die Frage immer, in dem
er einen Bierdeckel auf den Tisch legte, auf die Mitte
zeigte und sagte: „Dort ist der Platz!“
Danach zog er den äußeren Ring des Bierdeckels
nach und führte weiter aus: „Das sind die
zehn Kilometer um den Platz herum. Innerhalb dieses
Kreises wohnen und arbeiten alle Spieler.“
Damals wurde Fußballromantik gelebt. Darauf
blicken viele heutzutage wehmütig zurück,
da die Bundesliga eine große Oper ist. Dort
wird der Sport inszeniert. Aber auch damals ärgerten
sich die Fans über die Spielergehälter.
Das war aber wichtig. Wäre Helmut Rahn nicht
bezahlt worden, hätte er solch gute Leistungen
nicht bringen können.
Was für Amerika Hollywood und insbesondere die
alten Western sind, das ist die Oberliga West für
das Ruhrgebiet. Sie stiftete Identität und war
Grundlage für die Erfolge der Ruhrgebietsvereine.
Kaum jemand kennt Städte wie Oer-Erkenschwick,
doch viele erinnern sich noch an den Verein SpVgg.
Erkenschwick.
Jawattdenn.de:
Wie entstand die Idee, Bücher über die Oberliga
West zu schreiben? Konnte man davon ausgehen, dass
sich so viele Menschen noch dafür interessieren?
Ralf Piorr:
Der RevierSport wird oft nachgesagt, sie sei nicht
gut. Das ist allerdings bei fast jeder Zeitung so.
Viele ärgern sich, wenn mal schlecht über
den eigenen Verein geschrieben wird. So entsteht so
ein Image. Man muss aber festhalten, dass die RevierSport
mit dem Lokalfußball hier sehr stark verbunden
ist. Hier habe ich auch erste Artikel über die
Oberliga West verfasst. Irgendwann entstand die Idee
die Geschichte der Vereine zu recherchieren. Das Problem
ist, dass gerade kleine Vereine schlecht archivieren,
so dass es eine große Herausforderung für
einen Historiker ist, die Geschehnisse zu rekonstruieren.
Die Buchprojekte begannen ab dem Jahr 2000. Zwischen
2000 und 2005 gab es einen regelrechten Boom für
Fußballbücher. Der Sport Fußball
wurde nun auch in der Wissenschaft, in Geschichte,
sowie auch in anderen Fachbereichen, ernst genommen.
Das Jahr 2006 war das Stalingrad in diesem Bereich.
Es erschienen so viele Bücher über Fußball,
davon auch viele wirklich schlechte, dass kaum noch
ein Händler diese in sein Regal legt.
Besonders stolz bin ich auf den zweiten Band „Der
Pott ist rund“. Hier habe ich die Geschichte
aller Ruhrgebietsvereine recherchiert. Das kürzlich
erschienene Buch „Fußballtage im Westen“
ist ein Meilenstein. So etwas hat es noch nie gegeben.
Die Oberliga West wurde zuvor meist nur sehr oberflächlich
behandelt. Ich bin aber als Historiker mit der Fragestellung
herangegangen, warum der Fußball eine kollektive
Identität stiften konnte. Wie entstanden die
Helden und Mythen dieser Zeit?
Jawattdenn.de:
Wie funktioniert eigentlich die Recherche für
so einen Bildband? Ist das nicht ungeheuer aufwändig?
Die Bilder sind schließlich größtenteils
unveröffentlicht gewesen.
Ralf
Piorr:
Die reine Recherche war in diesem Fall sehr einfach.
Alle Bilder entstammen dem Nachlass des Sportfotografen
Kurt Müller. Die haben jahrelang irgendwo herumgelegen
und sind vermodert. Hunderte von Bildern mussten weggeschmissen
werden, weil sie zerstört waren. Der Rest ging
größtenteils an das Institut für Stadtgeschichte.
Dieses Institut hat mir die Originalnegative für
meine Arbeit zur Verfügung gestellt. Ich habe
dann mit einer Lupe ein Jahr lang nach geeigneten
Bildern gesucht. Dazu habe ich Zeitzeugen befragt,
um das Buch dem Leser noch schmackhafter zu machen.
Ich verstehe das Buch als Bildgedächtnis für
Hans-Dieter Baroths „Jungens, euch gehört
der Himmel!“ Die Neuauflage habe ich betreut.
Die beiden Bücher ergänzen sich gegenseitig.
Bei der Auswahl der Bilder habe ich darauf geachtet,
dass man die Veränderung erfährt, die der
Fußball erlebt hat. In den fünfziger Jahren
kamen die ersten Flutlichtmasten. Rot-Weiss Essen
war damals in diesem Bereich der erste Verein mit
einer Flutlichtanlage in Deutschland. Es gibt Bilder
vom Rahn-Zaun in Katernberg. So nannte man die Umzäunung
des Sportplatzes der Sportfreunde Katernberg, der
angeblich aus der Entschädigungssumme finanziert
wurde, die Georg Melches für Helmut Rahn zahlte.
Das Publikum war viel näher am Spielfeld. Auf
den alten Fotos sieht man die Menschen direkt hinter
den Toren stehen.
Ich möchte Fußball in seinem sozialen und
kulturellen Kontext zeigen. Heutige Aufnahmen, bei
denen allein ein Zweikampf mit einem Teleobjektiv
festgehalten wird, interessierten mich nicht.
Jawattdenn.de:
Im Jubiläumsfilm von Rot-Weiss Essen hieß
es: „Wenn es dem Bergbau gut geht, geht es Rot-Weiss
Essen gut.“ Ist der Niedergang so vieler Traditionsvereine
im Ruhrgebiet allein mit dem Zechensterben zu erklären?
Ralf Piorr:
Das kann man so nicht stehen lassen. Köln wurde
die letzten vier Jahre Meister der Oberliga West.
Das lag daran, dass Franz Kremer, der auch maßgeblich
an der Einführung der Bundesliga beteiligt war,
den 1. FC Köln modernisiert hat. RWE hat beispielsweise
interne Fehler begangen. Der Stern von Melches sank,
die Meistermannschaft alterte und brach auseinander.
Anstatt in talentierte Fußballer, investierte
Rot-Weiss in eine neue Tribüne. Auch andere Vereine
weigerten sich moderne Strukturen einzuführen.
Selbst ein großer Club wie Schalke 04 war bis
vor wenigen Jahren immer noch für Skandale gut.
Auch zeitlich ist die Argumentation nicht stichhaltig.
Die erste Zechenkrise war zwischen 1959 und 1963.
In dieser Zeit wurden Borussia Dortmund und der FC
Schalke trotzdem Deutscher Meister. Das Zechensterben
war vielleicht ein Grund für den Niedergang vieler
Traditionsvereine. Dies musste deswegen aber nicht
zwangsläufig geschehen.
Jawattdenn.de:
Zeitgleich gab es noch andere Oberligen in Deutschland
- im Süden, im Norden, Südwest und Berlin.
Auch diese Ligen hatten sicher ihren Reiz und die
Fans haben deren Zeit in bestimmter Erinnerung. War
die Oberliga West dennoch etwas Besonderes? Oder ist
diese Frage zu sehr durch die subjektive Brille des
Ruhrpottfans gestellt, mit gleichzeitig verklärter
Vergangenheitswahrnehmung?
Ralf Piorr:
Die Oberliga West war etwas Besonderes! Sie war viel
ausgeglichener als die anderen Oberligen. Die Oberliga
Berlin war politisch gewollt. Die Vereine, die dort
spielten kassierten regelmäßig deftige
Klatschen in der Endrunde. In der Oberliga Süd-West
gab es nur den 1. FC Kaiserslautern, im Norden stritten
lediglich der Hamburger SV und Werder Bremen, selten
auch mal Hannover 96, um die Meisterschaft. Der Westen
hatte immer zehn gute Teams und war die spielstärkste
Liga. Das sieht man allein daran, dass die Westvereine
sehr oft im Finale um die deutsche Meisterschaft standen.
In der Nationalmannschaft wurden nicht so viele Spieler
aus dem Westen berücksichtigt. Das ist aber mit
der besonderen Affinität Herbergers zum 1. FC
Kaiserslautern zu erklären. Im WM-Finale 1954
standen aber dann drei Spieler aus dem Westen auf
dem Platz: Hans Schäfer (1. FC Köln), Toni
Turek (Fortuna Düsseldorf) und natürlich
Helmut Rahn (Rot-Weiss Essen).
Jawattdenn.de:
Im Vorwort zu "Der Pott ist rund" schreibst
Du: „Fans entwickeln fast eine Liebesbeziehung
zur Statistik. Für sie sind zum Beispiel Tabellen
vielmehr als die schlichte Aneinanderreihung von Vereinsnahmen
und Zahlenkolonnen. Sie schauen sie an, verschieben
im Kopf Tore und Punkte, rechnen aus, was noch nach
oben möglich wäre oder wie nah der Abstieg
ist. Es hat nichts statisches, Tabellen müssen
‚studiert’ werden und sind so letztlich
eine Form, die Welt wahrzunehmen.“ - Wieviel
Autobiographisches steckt in diesen Worten? Anders
gefragt: Deinen Büchern spürt man Detailgenauigkeit
ab, einen Hang zu Vollständigkeit. Bist Du Pedant?
Ein "Erbsenzähler"?
Ralf Piorr:
Als Historiker muss man ein Pedant sein. Ich bin allerdings
wahnsinnig, was den Wunsch nach Genauigkeit angeht.
Ich bin Perfektionist. Deswegen leide ich noch heute
unter den Fehlern, die im ersten Band von „Der
Pott ist rund“ abgedruckt sind. Aufgrund eines
Fehlers wurde der letzte Korrekturgang nicht durchgeführt
und das Buch ist mit ihnen erschienen. Ich kann das
Buch bis heute nicht lesen, weil mich das so aufregt.
Ich bin gut im Kopfrechnen und habe die Tabellen früher
selbstverständlich selbst jede Woche ausgerechnet.
Jawattdenn.de:
Nimmst Du die Fußballwelt in Zahlen wahr?
Ralf Piorr:
Ja das tue ich. Am Montagmorgen schlage ich in der
WAZ zuerst die Seite auf, auf der die Tabellen der
internationalen Ligen verzeichnet sind und studiere
sie. Alleine durch die Beschäftigung mit diesen
Tabellen entwickelt man eine eigene Geografie. Die
Zahlen sind ein Tor zur Welt. Wie viele Orte kennt
man nur aufgrund ihrer Fußballclubs.
Jawattdenn.de:
Gehört Deiner Meinung nach der Fußball
zur Kultur unserer Gesellschaft?
Ralf Piorr:
Der Sport hat heute eine sehr große Bedeutung.
Das erkennt man an den unglaublichen Beträgen,
die für Übertragungsrechte und Werbung gezahlt
wird. Wir sprechen dabei von Milliardenbeträgen.
Die Begeisterung für den Sport verbindet die
ganze Welt. Fußball ist die Weltsportart, auch
wenn es die Amerikaner nicht wahrhaben wollen. Als
ich in Costa Rica gewesen bin, hatte ich zunächst
Probleme, Leute kennen zu lernen. Nachdem ich mit
einigen Leuten Fußball gespielt habe, hatte
ich sofort Anschluss. Es reicht eine weiße Linie
auf grünem Grund, um auf der ganzen Welt die
Assoziation Fußball zu erzeugen. Fußball
ist deswegen auf jeden Fall Teil unserer Kultur. Fragt
man die Generation, die es noch erlebt hat, wo sie
beim Endspiel 1954 gewesen ist, wissen es die Leute
noch. Ich selbst verbinde Teile meiner eigenen Biografie
mit Ereignissen aus dem Fußballsport. Am treffendsten
hat es Ror Wolf beschrieben: „Fußball ist
nicht die Welt, aber ein Stück Welt liegt im
Fußball.“
Jawattdenn.de:
Was ist heute anders? Bedauerst Du, dass sich die
Zeiten im Ruhrpott (in jeder Hinsicht, nicht nur fußballerisch)
geändert haben?
Ralf Piorr:
Fußball ist ein Geschäft geworden. Die
bekanntesten Beispiele sind das Sponsoring von Gazprom
bei Schalke und der Aufbau des Vereins TSG Hoffenheim.
Viele regen sich gerade über diese beiden Entwicklungen
auf und das ist nicht gerechtfertigt. Das ist die
Realität des Fußballs. Die Fans wollen
Identifikation, aber auch die Fans haben sich geändert.
Früher hätte es im Ruhrgebiet keine Anhänger
des FC Bayern gegeben, heute ist das ganz normal.
Seit den Beatles werden Stars angehimmelt. Philipp
Lahm oder Lukas Podolski werden von Mädchen verehrt.
Dies geschieht, weil Fußball Teil der Popkultur
geworden ist.
Ich vergleiche Profifußball oft mit der Oper.
Dort wird etwas Künstliches erschaffen, werden
Gefühle stilisiert. Nichts anderes passiert beim
Fußball. Wie anders könnte man die ständigen
Fragen nach Siegen oder Niederlagen, wie die Sportler
sich fühlen, deuten. Man muss aber einwenden,
dass trotz dieser Entwicklungen, Fußball einfach
ein geiler Sport ist. Es gibt einen kleinen Kern Faszination,
den selbst diese Maschinerie nicht töten kann.
Ein Problem des Fußballs ist der Hofjournalismus,
den die Journaille pflegt. Wirklich für den Sport
existenzielle oder gesellschaftliche Themen werden
nahezu komplett unterdrückt. Ein Beispiel dafür
ist die Doping-Debatte, die vor nicht allzu langer
Zeit kurz aufflackerte und dann ebenso schnell wieder
verschwand. Man könnte auch über die Macht
der FIFA diskutieren und diese in Frage stellen. Stattdessen
wird im System diskutiert: Geht Slomka? Geht Doll?
Wen interessiert
so etwas?
Jawattdenn.de:
Auch in Deiner Brust schlägt das Herz eines Fans.
Für welchen Verein? Und warum für ihn?
Ralf Piorr:
Das ist bei mir ganz schnöde: Support your local
team. Ich halte zu Westfalia Herne. Darüber hinaus
habe ich noch eine leichte Beziehung zu allen Ruhrgebietsvereinen.
Ich habe da keine Hassgefühle gegen bestimmte
Teams. Das ist auch Blödsinn. Ich bin allerdings
nicht traurig, wenn Bayern München mal verliert.
Obwohl ich ihnen den Sieg gegen Dortmund gegönnt
habe. Die Borussia spielt in diesem Jahr einen so
seelenlosen Fußball, dass ich sogar den Bayern
die Daumen gedrückt habe. Das werde ich dem BVB
niemals verzeihen.
Jawattdenn.de:
Schlag auf Schlag! Was fällt Dir spontan ein
zum Stichwort …
… Dreieck „Pütt – Sportplatz –
Kneipe“
Ralf Piorr:
Sportfreunde Katernberg! Am extremsten gab es diese
Verbindung in Katernberg. Die Menschen arbeiteten
gemeinsam, trafen sich in der Kneipe und auf dem Sportplatz.
Der Erkenschwicker Julius (Jule) Ludorf forderte einmal
drei Punkte, statt der üblichen zwei, für
einen Sieg in Katernberg: "So hautnah wie am
Lindenbruch spielte man sonst nirgendwo am gegnerischen
Publikum. Wer in Katernberg gewann, hätte eigentlich
einen Zusatzpunkt verdient gehabt: für die Nerven."
Jawattdenn.de:
… Fankultur (Outfit, Stimmung)
Ralf Piorr:
Auch die Fans sind Teil der Popkultur. Auf alten Bildern
sieht man die Zuschauer nur in eleganten Anzügen.
Das liegt daran, dass die Menschen am Sonntagmorgen
in die Kirche gingen und anschließend zum Fußballplatz.
Heute geht der Trend dahin, sich zu uniformieren.
Ich empfinde auch Vereinstrikots als Uniformierung
und beteilige mich daran nicht. Wenn die Fans den
Fußball heute so leben wollen, sollen sie es
tun.
Jawattdenn.de:
Es gibt ja einen Bruch bei den Zuschauern. Vielfach
war zuletzt in der Presse zu lesen, dass die aus Italien
stammende Ultrabewegung nicht mehr den eigenen Verein
im Fokus hat, sondern dass die Fans sich selbst feiern.
Ralf Piorr:
Die Fans suchen nach Identifikation. Die bekommen
sie mittlerweile immer seltener durch die Mannschaft
auf dem Rasen. Irgendwann haben sie den Fan entdeckt,
der Identität stiftet. Als die Zweite Mannschaft
von Schalke in Herne spielte, kamen ungefähr
tausend Schalker mit, um ihr Team anzufeuern. Die
haben das ganze Spiel hindurch gefeiert, obwohl Schalke
in Herne eine Niederlage hinnehmen musste.
Jawattdenn.de:
… Sportplatz – Stadion – Arena
Ralf Piorr:
Das kann man schlecht beantworten. Es ist schön
auf die Toilette gehen zu können und nicht mehr
in der Pisse stehen zu müssen. Andererseits hat
man das Gefühl in den neuen Arenen, dass der
Fußball nur noch Randerscheinung ist. Insgesamt
ist der Bau der Stadien und Arenen aber angenehm.
Endlich verschwinden die Laufbahnen, die zwischen
Feld und Tribüne lagen. Im Parkstadion benötigte
man fast ein Fernglas, wenn man das Spiel verfolgen
wollte. Es gibt viele alte Haudegen, die von der Zeit
schwärmen, als ihnen noch der Regen ins Gesicht
peitschte. Hätte man denen damals ein Dach angeboten,
hätten sie es wahrscheinlich dankbar angenommen.
Jawattdenn.de:
… Rot-Weiss Essen
Ralf Piorr:
Da sind Freude und Leid dicht beieinander. Ich freue
mich, dass Westfalia Herne eventuell mal wieder gegen
RWE spielen kann. Ich bedaure aber, in welcher Liga
das passieren würde. Nick Hornby sagte mal: „Nicht
der Fan sucht sich seinen Verein aus, sondern der
Verein sucht sich seine Fans.“ Anders ist es
nicht zu erklären, warum weiterhin so viele Leute
an die Hafenstraße strömen. Dort wird ja
wirklich nur gelitten. Ich kann auch gar nicht sagen,
woran es bei RWE konkret liegt. Vielleicht gibt es
einfach Vereine auf denen ein Fluch liegt.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Hendrik
Stürznickel
Die Bilder wurden uns freundlicherweise von Ralf Piorr
zur Verfügung gestellt. Weitere folgen in Kürze.