„Die Affäre Pennerling – Geschichte einer Analrena-Familie“
Aufgrund der E-Bay-Affäre erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Gottfried Pennerling und S05 wegen Wucher und betrügerischem Geschäftsgebaren in einem schweren Fall. Gottfrieds Auftritt vor Gericht, der traditionell, wenn der S05 Meineide schwört, vor dem Essener Landgericht stattfindet, wird von einem Blitzlichtgewitter vor dem Eintritt in den Saal 07 der großen Strafkammer Essen eingeleitet.
„Ich kann mit bestem Gewissen sagen, dass weder ich, noch andere Repräsentanten des S05 mit dieser schmutzigen Geschichte, die auf dem Mist von einigen kriminellen Gehirnen entstanden ist, irgendetwas zu tun haben!“ Als Gottfried auf die heilige Schrift schwört, platscht ein dicker Schweißtropfen von seiner Stirn auf das Buch der Bücher, was für alle im Saal das Zeichen der Schuld bedeutet. Pennerling fühlt sich zwar sicher, weil die Tonbandaufnahmen illegal zu Stande kamen und deshalb nicht als Beweisstücke zu verwenden sind, doch bleibt ihm ein Unbehagen. Völlig zu Recht. Bei der Durchsuchung der Geschäftsstelle des S05 können die IP-Adressen der Scheiße-PC’s ermittelt werden. Ein Vergleich mit den E-Bay Daten zeigt eine eindeutige Übereinstimmung. Gottfried schließt auf Anraten seines Anwalts Rauball einen Kuhhandel mit der Staatsanwaltschaft. Er sagt als Kronzeuge gegen Stumpen-Rudi aus, was diesem eine fünfjährige Haftstrafe, Gottfried aber Straffreiheit beschert. S05 wird zu Strafzahlungen in zigfacher Millionenhöhe verdonnert, den Fehlbetrag will Gottfried durch Zwangspfändungen der Mitglieder einnehmen, nicht ohne vorher seinen Geschäftsfreunden den Vereinsaustritt nahe gelegt zu haben.
Doch die Rechnung geht diesmal nicht auf. Aufgrund der Bierpreise im „Scheißer Markt“ können die vielen tausend einfachen Mitglieder nur noch ihr letztes fleckiges Hemd vor die Geschäftsstelle legen. Eine große Versteigerung dieser Textilien bringt als Erlös 19 € und 5 Cent. Zudem verweigern die großen Klubs Schlakke die Benefizspiele - zu tief sitzt die Enttäuschung über diese neuerliche Entgleisung des Stadtteilvereins. Gottfrieds letzte Hoffnung heißt MV. Dieser plant, um von Schlakke abzulenken, einem Revierverein die Lizenz zu entziehen, damit die Region bestraft wird, der S05 aber ungeschoren bleibt. Die Wahl fällt auf Bundesliga-Aufsteiger Rot-Weiß Essen. MV war zwei Jahre zuvor bei der Beerdigung des Helden von Bern mit faulen Eiern beschossen worden. Doch kurz bevor alles in trockene Tücher gebracht wird, stolpert er über das Bekannt werden der Briefmarken-Affäre. Sein Nachfolger Uli Hoeness hat nicht vergessen, das Schlakke sich einst erdreistete, Bayern fast die Schale abzunehmen. Der DFB reagiert mit aller notwendigen Härte und als Ausgleich für alle Lizenzungerechtigkeiten der letzten Jahre wird Schlakke in die Verbandsliga Westfalen 3 verbannt, wo es allerdings vom lokalen Fußballverband die Spielgenehmigung verweigert bekommt. Grund: Das Insolvenz-Verfahren läuft bereits auf Hochtouren.
Der 23.05.2005 wird zum denkwürdigen Datum. In der Analrena war eigentlich an diesem Tag die große Jubiläumsveranstaltung zum hundertjährigen von S05 geplant. Doch es wird zum Abschied vom Klub Schlakke und der Analrena. Ein amerikanischer Multimillionär hat die Analrena zu einem Spottpreis erworben und lässt nun das Stadion Stück für Stück, Sitzschale für Sitzschale abmontieren und nach las Vegas ausfliegen, wo es für eine Elvis-Memorial-Veranstaltung wieder aufgebaut wird. Überliefert sind die letzten Worte: „Okay, take this f…. bullshit to the states, bye.“ Zuvor gewährte er noch einen letzten Abend im Stadion, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Allerdings nicht mit Schlakkern, die mittlerweile zu hunderttausenden in psychotherapeutischer Behandlung sind, sondern mit Fanclubs von Rot-Weiß Essen und Borussia Dortmund, die den Tod des Erzfeinds feiern. Carmen Thomas führt als Moderatorin durch ein buntes Rahmenprogramm. Juliane Werding singt auf dem Rasen noch einmal ihren größten Hit „Am Tag, als FC Scheiße starb“ unterstützt von 60.000 Kehlen. Der Traum ist Wirklichkeit geworden, ein Tag fast größer als der 4. Juli von Bern, denn S05 ist endlich von uns gegangen. In der Kreisliga C trat jüngst ein neuer Verein namens „Zwietracht Scheiße 2005“ an. Bislang blieb er tor- und sieglos, bringt es aber immerhin auf durchschnittlich 3.000 meist stark alkoholisierte (der Bierpreis wurde wieder normalisiert) Zuschauer.
Und was machen die Pennerlings???
Gottfried hat all sein Hab und Gut verloren. Zusammen mit Margot flüchtete er unmittelbar nach der Auflösung des Vereins vor aufgebrachten Fans und Sponsoren und versteckt sich in einem Essener Hotel. Der Wirt gewährt ihm aus Respekt vor dem Totengräber des S05 freie Kost und Logis. Dort meldet sich eines Morgens Jan Henning II. bei seinen Eltern. Der Portier übergibt Margot eine Nachricht ihres Sohnes. Von Tränen gerührt verabredet die Mutter ein Treffen mit dem verlorenen Sohn, der durch sein Radio-Interview zuvor mit seinem Vater gebrochen hatte. Gottfried weiß nichts davon, als sein Sohn, gekleidet im Essener Traditions-Trikot von 1955 und dem Jubelschal „Tod des S05“, das Hotelzimmer betritt. Der Fassungslosigkeit folgt eisiges Schweigen, dann bricht Jan Henning II. den Bann.
„Papa, dass du diese Drecksäcke ruiniert hast, wird dir hier in Essen niemals einer vergessen.“ Schluchzend fallen sich Vater und Sohn in die Arme. So langsam wird Gottfried bewusst, dass er doch etwas erreicht hat, dass er zigtausend Fußballfreunden im Revier mit der Zugrunderichtung des S05 die schönsten Stunden ihres Lebens bescherte. Auch Margot wirft sich in die Runde und in einem Meer aus Tränen werden die Diskrepanzen zwischen den Pennerlings davon gespült.
Was aber nun? In seinem Business ist Gottfried ruiniert, Margot hatte noch nie einen Beruf. Jan-Henning II. hat mittlerweile ein kleines Pizza-Imperium geschaffen und ist selbstständiger Unternehmer im Raum Borbeck. Um seiner Familie eine Zukunft zu bieten, pachtet er eine Pommesbude in der Nähe des Georg-Melches-Stadions. In dieser Frittenschmiede soll Gottfried einen Neuanfang starten. Gesagt getan. Auch Margot hat zum erstenmal in ihrem Leben das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles zu machen. Nachdem sie 20 Jahre lang Schnittchen für ihren Mann, den Sohn und die Geschäftsfreunde ihres Mannes zubereitet hatte, bekommt sie nun einen neuen Job. Auf dem Vorplatz des Georg-Melches-Stadions ist sie mittlerweile damit beschäftigt, die Bronzestatue des Bosses zu reinigen und die lästigen Tauben mit einem Schnellfeuergewehr daran zu hindern, den Fußballgott zu beschmutzen. Während der Meisterschaftsspiele verdient sich Gottfried ein kleines Zubrot, indem er mit der Polaroidkamera Sofortbilder von auswärtigen Fans mit dem Boss zum Preis von 5 € schießt. Und davon kommen eine ganze Menge, denn RWE ist inzwischen Bundesligist und klopft unter Neu-Trainer Frank Mill an die Tür zur Champions League.
Kürzlich veranstalteten die Pennerlings eine Nostalgiefahrt zurück in die verbotene Stadt. Mit dem Fahrrad, zu mehr reicht es noch nicht wieder, fuhren sie zunächst an ihrem alten Haus vorbei, was aber nur noch eine Ruine ist. Unverbesserliche S05er hatten den neuen Besitzer und seine Familie darin ausgeräuchert, weil sie immer noch die Pennerlings darin vermuteten. Mit einer großen Träne im Knopfloch ging es dann weiter. Nicht ohne Stolz wandert Gottfrieds Blick auf das große völlig freistehende Areal, von dem das Unkraut aus alter Tradition wieder Besitz ergriffen hat. Hier stand einst die Analrena, bevor sie in Kisten verpackt Richtung Las Vegas entschwand. Einer von Gottfrieds alten Geschäftsfreunden, der ihn eines Tages unvermittelt in seiner Pommes-Bude antraf, hat ihm erzählt, dass der neue Investor damit ebenso wenig Glück hatte, wie der alte. Kaum war die Elvis-Polis, so der neue Name, aufgebaut, flogen Kampfflieger der US-Air-Force auf ihrem Weg zu neuen Kriegszielen ein Spontan-Manöver über dem Objekt aus Good Old Europe und zerstörten das abscheuliche Ding endgültig. Nachdem ein Jahr zuvor auch das Volksgarten-Stadion abgerissen wurde und die Kneipe „Am Scheißer Markt“ ebenfalls Konkurs ging, waren nun auch die letzten Spuren dieses fürchterlichen Fehltritts deutscher Fußballgeschichte beseitigt.
Gottfried hatten die Affären um die Pennerlings zwar sein Haus, dafür aber die Ehrenbürgerschaft der Städte Dortmund und Essen eingebracht. Margot hat sich wie gesagt erstmals in ihrem Leben einer Aufgabe. Und Jan Henning II. erfreut sich seines Erfolgs-Klubs RWE. In Kürze wird er seine Kurvenbekanntschaft vor den Traualtar führen. So endet die Affäre Pennerling. Und endgültig auch die Affäre S05.
Am vierten Adventssonntag, dem 1. und 2. Weihnachtsfeiertag bei Ihren öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten.