09.09.2014

„Die Affäre Pennerling – Geschichte einer Analrena-Familie“

von Redaktion

Die Familie Pennerling bewohnt ein schönes Einfamilienhaus in der besten Wohnlage der verbotenen Stadt. Vater Gottfried Pennerling, Mutter Margot und Sohn Jan Henning Pennerling II. (benannt nach seinem Großvater) sind eingefleischte Tennis- und Golffans. Bei einem Essen mit Geschäftspartnern auf der Terrasse des Golfclubs erfährt Gottfried von dem neuen innovativen Freizeitvergnügen Fußball in der S05-Analrena. „Glauben Sie mir, Herr Pennerling, das muss man mal erlebt haben, und wenn’s regnet geht sogar das Dach zu.“

Trotz ihrer Bedenken gegen diese Subkultur des Proletariats beschließen die Pennerlings, auch mal hipp zu sein und ein Spiel zu besuchen. Zunächst wird der Fan-Shop des Klubs aufgesucht und unter fachkundiger Beratung Sympathisanten-Utensilien im Wert von 1.000 € erworben.

Natürlich gehört auch ein Gedenkstein mit dem Namen der Familie für die Sponsorenwand der Analrena dazu. Im Auto wird ein gutdurchdachtes Ensemble von Vereinsabzeichen platziert. Im großen Jubiläumsbuch „100 Jahre S 05 – Tore, Titel, falsche Schwüre“ informiert man sich über die Geschichte des Klubs, um jederzeit mitreden zu können. Jan Henning II. glänzt auf dem Pausenhof mit Fachwissen.

Vorbereitungen auf das Spiel:

Nun steht das Wichtigste an: Der Besuch des Spiels. In der ersten DFB-Pokalhauptrunde trifft S 05 auf den ambitionierten Zweitligisten Rot-Weiß Essen. In der Info-Broschüre „Land der tausend Derbys“ sammelt man Fachwissen über den Kontrahenten an. „Margot, da spielte einer, der hat das Wunder von Bern gemacht! Und deswegen durfte unser Bernie Klodt nicht mitspielen.“ „Gottfried, das ist ja toll. Was ist das denn? Spielt der denn heute auch mit?“ „Mama, Papa, die hatten mal eine Ente im Verein, ich will auch so eine!“ Eigentlich ist dieses „Revier-Derby“, ein Fachbegriff wie die Pennerlings erfahren, längst ausverkauft.

Aber die Geschäftsfreunde aus dem Golf-Klub können durch ihre Beziehungen zu Stumpen-Rudi noch drei Tickets auftreiben. Aufgeregt verbringen die Pennerlings die letzten Stunden vor dem großen Spiel. Fachmännisch werden die neuen S 05 Schals gebunden wie Krawatten und die goldene Jubiläumsnadel an den blau-weißen Armani-Anzug geheftet. Margot bevorzugt eine königsblaue Bluse, Jan Henning II. das neuste Trikot mit passender Hose und Stutzen. Auf ein typisches Fan-Ritual, das Hissen der Schals auf der Anfahrt zum Spiel, wird aus Sorge um den Auto-Lack verzichtet.

Das Match:

Endlich angekommen in der Analrena gibt es zunächst einen Disput mit dem Ordnungsdienst, der Margot nicht erlauben will, mit dem Picknickkorb das Stadion zu betreten. Erst Gottfrieds energisches Auftreten und die Versicherung, den Manager, einen gewissen Günther Eichberg, persönlich zu kennen, verschafft den begehrten Einlass. Margot fasst sofort Vertrauen zu ihren Sitznachbarn. „Ja, wir waren schon immer sehr interessiert an diesem Verein, nur hatten wir früher nie Zeit, in den Volksgarten zu gehen.“ Dann, die Ouvertüre zum Spiel, aus 50.000 Kehlen klingt „Scheiße, Scheiße“, 7.000 halten mit „RWE, RWE“ dagegen. „Ach, und das da oben sind die anderen? Die sehen ja ganz nett aus“ Margot winkt in den Block der Essener, die antworten mit dem Abschuss eines Bierbechers.

Das Spiel plätschert so dahin, im weiten Rund sind nur die Essener zu hören. Hardcore-Fans des verbotenen Klubs antworten mit „Rot-Weiß Essen, f…… und vergessen.“ Gottfried hält Jan Henning II. die Ohren zu, Margot erbleicht. Dann passiert doch etwas. Böhme dringt in den Strafraum ein, gerät an Baumann, Strafstoß für das Böse. „Was ist das denn jetzt“, will Margot wissen, „Mensch Mama, Elfer für uns!“ Altintop läuft an, 1:0 für Schlakke, auch die Pennerlings lassen sich mitreißen und erheben sich von den Sitzen. „Scheißegal“, klingt aus den oberen Rängen zurück. „Wer hat denn jetzt den Punkt gemacht?“ „Augenblick, ich schaue mal ins Programmheft. Ah, die Nummer 9, ein Spieler der mal aus Wattenscheid kam.“ „Ach, der hat mich gleich an den erinnert, der bei meiner Schwester in Wattenscheid im Garten gearbeitet hat.“

Halbzeit, Gottfried verwöhnt seine Lieben mit Getränken und Knabbereien, nachdem er zuvor mit seiner GOLDEN AMERICAN EXPRESS einige Knappentaler erworben hat.
Die zweite Hälfte beginnt. Wie üblich verliert Schlakke den Faden. Die Essener werden immer forscher. 56. Spielminute, Eckball von rechts. Goldbaek schlägt das Leder in den 16er, Wolf steigt hoch und nickt in den Giebel. 1:1. Der RWE-Block dreht durch. „Guck mal wie die sich freuen, ist doch schön.“ Gottfried brüllt: „Abseits, abseits, das war doch klares Abseits.“ Er blickt beifallsheischend in die Menge und erntet ein „Setz dich hin du Fatzke.“ Gottfried schwant, dass seine Vorbehalte nicht unbegründet waren. In der Analrena sind es mittlerweile 45 Grad im Schatten, die Mannschaften lassen es immer gemächlicher angehen. Aus der Essener Kurve dringen die Forderungen nach einem Lothar an das Gehör der Pennerlings. „Die meinen bestimmt diesen Matthäus“, weiß Jan Henning II. fachmännisch zu berichten. Mit einem mal brandet ohrenbetäubender Jubel auf, der Anblick eines in einem rot-weißen Trikot gewandeten Mannes, der gestützt von zwei anderen, das Gestänge vor ihm erklimmt, versetzt die Pennerlings in Erstaunen. „WWWEEEEEEERRRRR ist der Schreck vom Niieederrheeeeinnn???“ „Nur RWE“ – „Eine Stromwerbung? Komisch“, meint Gottfried, Jan Henning II. intoniert völlig mitgerissen bei der zweiten Frage, unterstützt von seiner emphatischen Mutter „Nur RWE“. Nun antworten die Schlakker mit dem Abschuss der Bierbecher. Bei der dritten Frage sind auch die restlichen 25.000 Schlakker-Modefans mitgerissen und brüllen, was des Spießers Organ hergibt „Nur RWE“. Ein Heimspiel für unsere Rot-Weißen. Das Spiel mag diese Wendung noch nicht vollziehen, mit 1:1 endet nach 90. Minuten die Ouvertüre.

„Was ist denn jetzt?“ „Laut Programmheft gibt es nun Verlängerung, dann Elfmeterschießen.“ Da das Spiel immer schlechter wird, vertreiben sich beide Fan-Gruppen die Zeit damit, die andere mit Nettigkeiten zu bedenken. Die Eltern Pennerling wirken brüskiert, Sohnemann Jan Henning II. wird immer faszinierter. Es kommt wie es kommen muss. Elfmeterschießen. Die ersten vier Schützen beider Teams geben sich keine Blöße. Gottfrieds Blick fällt auf die Uhr. „Oh, mein Gott, wir müssten schon längst zu Hause sein, meine Geschäftsfreunde erwarten meinen Anruf.“ Geschlossen erheben sich die Pennerlings von ihren Sitzen. Die aufkommenden Unmutsbekundungen und die erneut und diesmal bis aufs Feld fliegenden Bierbecher, stören die Konzentration des Schützen Waldoch und sein harmloses Schüsschen kullert in die Arme von Kirschstein. Das Jubelinferno aus der Essener Kurve animiert Margot erneut, nett zu winken.

Am Ausgang zusammen mit den restlich 25.000 Modefans angekommen, lässt der erneut orkanortige Jubel aus dem Essener Block die Pennerlings erahnen, was soeben geschah. „Also, das war ja ganz schön, aber beim nächsten mal gehen wir in eine dieser Vip-Logen, die sind hinter Glas, da ist es nicht so laut und wir sind geschützt vor diesem Pöbel.“ „Papa, Papa, ich möchte lieber nach Essen!!!“

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