Wir sind Essener! Und ihr auch!
Es gibt derzeit mal wieder Dinge rund um die Hafenstraße, die einfach nur nerven. Drei Niederlagen am Stück tun weh. Aber noch schwerer wiegt der Umgang einiger „Fans“ mit dieser Situation. Ein Kommentar.
Am Freitagabend war es dann mal wieder so weit, ein Herr auf der Haupttribüne war der Meinung, mit der Entrichtung seines Eintrittsgeldes habe er zusätzlich auch einen Freibrief sich zu benehmen wie die sprichwörtliche offene Buchse nach einem Heißwaschgang oder in diesem Falle innerem Stauder Waschgang. Kanonaden von Beleidigungen wurden in Richtung der RWE-Spieler abgefeuert, dann traf es Essens Rechtsverteidiger David Sauerland mit einer vollen Breitseite, als ihm der einmal in Fahrt gekommene Anhänger natürlich vulgärsprachlich empfahl, sich wieder nach Braunschweig aufzumachen. Sauerlands Reaktion verdient Respekt, denn der antwortete nur, dass man die Mannschaft nach Siegen feiere und nach Niederlagen beleidige. Damit hob er sich wohltuend ab vom Niveau des Tribünenkrakeelers. Ebenfalls positiv zu vermerken ist, dass andere Zuschauer auf der Haupttribüne den sich weiterhin echauffierenden Mann deutlich darauf hinwiesen, er solle sich bitte mäßigen. Gut so!
Schon in unserem großem RWE-Kommentar im Frühjahr hatten wir darauf hingewiesen, dass die Eintracht bei RWE stets ein fragiles Gebäude ist, wenn Rückschläge kommen. Dafür braucht man keine Glaskugel, sondern nur Erfahrung. In Traditionsvereinen gibt es eben auch diese selbstzerstörerischen destruktiven Kräfte, die eigentlich stetig am Werk sind und in Zeiten des Erfolges lediglich kurz eingedämmt werden, um dann mit voller Wucht wieder loszuschlagen. Genutzt hat das noch nie jemand anderem als der sportlichen Konkurrenz, die sich zurücklehnen und genießen kann, wie eine Gruppe von Menschen mit Vehemenz alles niedertrampelt, was zuvor mühsam aufgebaut worden ist. Das erste Anzeichen von Gefahr ist dabei die sattsam bekannte Sündenbocksuche. Es wird sich ein Spieler herausgepickt, der dann fortan in den Internetforen und anschließend im Stadion zur Wurzel allen Übels auserkoren wird. Mit der jeweils gezeigten Leistung hat das in der Regel nichts zu tun, die schlechte Bewertung steht schon vor Anpfiff fest. Einige wenige fangen damit an, danach wird daraus ein schleichendes Gift, das immer mehr Leuten die Sinne zu vernebeln scheint. Irgendwann spielt dann der Akteur nach dieser systematisch angelegten Verunsicherungskampagne genau das, was seine „Fans“ sich zu wünschen scheinen. Da fragt sich nicht nur der Althumanist „Cui bono“?
Vor gut einem Jahrzehnt war es Trainer Uwe Neuhaus, der von einer sich mehr und mehr eskalierenden „Fanwut" entlassen wurde. Derselbe Trainer hatte zuvor den Wiederaufstieg mit RWE in die Zweite Bundesliga gefeiert. Aber seine ruhige und sachliche Art war einigen Leuten rund um das GMS ein Dorn im Auge. Nach einem für einen Aufsteiger durchaus geglückten Saisonstart verloren die Essener am 7. Spieltag als Tabellenneunter mit 0:1 in Offenbach und spielten dabei erstmals in dieser Spielzeit wirklich nicht gut. Was sich dann abspielte, war mit normalen Maßstäben nicht mehr zu fassen. Eine nicht gerade kleine Gruppe im RWE-Block flippte förmlich aus, „Neuhaus raus“-Rufe erschallten und weitaus mehr als das. Diejenigen, die kopfschüttelnd über dieses Verhalten Mannschaft und Trainer den Rücken stärken wollten, sahen sich selbst verbalen Bedrohungen und z.T. auch körperlichen Angriffen gegenüber. Für mich persönlich war es einer der absoluten Tiefpunkte in vier Jahrzehnten Rot-Weiss Essen. Das Team stürzte danach derartig supported in ein echtes Leistungstief, Neuhaus wurde entlassen und RWE stieg dennoch ab und danach nie wieder auf in die zweite Bundesliga. Neben sportlichen Fehlern war es auch eine echte hausgemachte Krise, die dazu führte. Keine Gelegenheit wurde von vermeintlichen Anhängern ausgelassen, um die eigene Mannschaft in die Pfanne zu hauen und den Kopf des ungeliebten Trainers zu fordern. Und dieser Prozess begann lange bevor die Ergebnisse wahrhaft schlecht geworden waren.
So weit ist es derzeit natürlich noch lange nicht. Der weitaus größte Teil der RWE-Fans steht hinter Mannschaft und Trainer, so wie diese es unter dem Strich noch immer klar verdient haben. Aber wer solche Dinge mehr als einmal miterlebt hat, der sieht solche Verhaltensweisen wie die unseres eingangs erwähnten Bekannten als alarmierende Warnzeichen. Auch in den Internetforen geht es dann weiter. Die Mannschaft sei ein „Trümmerhaufen“, der Trainer mit seinem System gescheitert und der Zug bereits abgefahren wie jedes Jahr. Da möchte man nur hoffen, dass sich die RWE-Spieler hier nicht zu einer Lesereise einfinden. Sachliche Kritik hingegen ist erlaubt und sie ist auch notwendig, der gesamte Essener Kader steckt jedoch noch in einem Lern- und Entwicklungsprozess, was sich durch allein 10 U23-Spieler zeigt.
Und was für welche! Einem Spieler wie David Sauerland möchte ich zum Beispiel keineswegs bereits nach kurzer Zeit den Abgang aus Essen empfehlen, der Junge besitzt ebenso wie Amara Condé, Joshua Endres oder Ayodele Adetula, um nur einige zu nennen, so viel fußballerische Klasse wie RWE sie schon lange nicht mehr in seinen Reihen hatte. Sie verdienen unsere Unterstützung auch und gerade in den schlechteren Phasen, anders werden sie aus dem jetzigen Leistungstief noch schwieriger wieder herauskommen. Christian Titz sprach es auf der Pressekonferenz nach der Köln-Pleite an, seine Mannschaft habe sich selbst die Erwartung gesetzt, die vielen Fans nicht zu enttäuschen und einen Sieg zu feiern. Das kann auch zur Belastung werden. Zumal für das von Titz favorisierte Spielsystem mit hoher Dominanz, hoch stehendem Torwart und Außenverteidigern eine Menge Selbstvertrauen notwendig ist, um dieses unfallfrei zu praktizieren. Die letzten Misserfolge waren jedenfalls auch der Essener Risikobereitschaft geschuldet, die vom Umfeld in den Jahren zuvor stets vehement eingefordert worden ist. Drei Wochen ist es her, da sprachen schon einige Experten im Vorfeld des Verl-Spiels, RWE könne die Liga bei einem Sieg vorentscheiden. Jetzt ist man offenbar in den Köpfen derselben Kenner bereits gescheitert. Nach 11 absolvierten Spielen, denen 25 weitere im Ligabetrieb folgen werden, zumindest wenn nicht eine oder gleich mehrere Mannschaften vom Spielbetrieb zurückgezogen werden müssen.
Dieses mal wieder vorzeitige Brechen des Stabes über kurz zuvor noch frenetisch gefeierte Menschen ist schlichtweg lächerlich. Die derzeit erreichten 22 Zähler bilden noch immer einen glatten 2 Punkte-Schnitt ab und in den kommenden Wochen werden Verl und Rödinghausen jeweils einmal vom Ligabetrieb aussetzen und auch noch gegeneinander antreten müssen, sodass RWE alle Chancen hat, schon bald wieder erfreuliche Schlagzeilen schreiben zu können. Zumindest, wenn auch das Umfeld entsprechend mitzieht und die jetzige die Selbstzerstörung anheizende Minderheit auch eine solche bleibt. Die Essener Hafenstraße kann ohne Wenn und Aber ein entscheidender Faktor im Rennen um den Aufstieg sein. Im Positiven, wie im Negativen. Bei den beiden ostwestfälischen Konkurrenten hat man nämlich nicht nur mindestens eben soviel Geld und sportliche Klasse in den Kadern wie in Essen. Man hat auch himmlische Ruhe. Enttäuschen kann man hier kaum jemanden, auf die Palme bringen auch nicht. RWE hingegen kann jederzeit einen Tsunami in beide Richtungen entfachen, der entweder über dem Gegner oder über sich selbst hereinbrechen kann.
Natürlich kann in der Hauptsache nur die Mannschaft mittels des Wiedereinfahrens von guten Ergebnissen Ruhe oder auch wieder Euphorie erzeugen. Das Mindeste sollte jedoch sein, dass alle bei RWE gewissen Werten verpflichtet sind, gemeinsam in eine Richtung arbeiten und Formen des Anstands und Respekts voreinander wahren. Das sattsam bekannte „Wir sind Essener und ihr nicht!“, welches in akuten sportlichen Krisen häufig der Mannschaft von den Tribünen entgegen gerufen wird, enthüllt auch zumeist nur die halbe Wahrheit. Gegen Verl wurden beim Stande von 1:4 sich verfrüht auf den Weg machenden Zuschauern der Rahn-Tribüne selbiges von der West vorgehalten, weil man nicht bis zum Abpfiff ausharren wollte. Auch den blindwütigen Krakeelern im Stadion und den Internethooligans möchte man dieses zurufen. Viel besser wäre es jedoch, wenn uns allen klar ist, dass uns bei aller individueller Verschiedenheit nur eine einzige Sache auf dieser Welt eint, nämlich Essener Rot-Weisse zu sein. Und zwar solche, die ihrem Verein helfen und ihn nicht torpedieren sollten.
NUR DER RWE!
Sven Meyering