28.10.2017

„Wir müssen reden…“ – Eine Würdigung

von Hendrik Stürznickel

Überraschend traf die rot-weisse Fangemeinde die Nachricht, dass der Vorstandsvorsitzende Michael Welling den Verein in nächster Zeit verlassen wird. Ein Kommentar dazu.

Der Paukenschlag

„Du, wir müssen reden!“ – Für Millionen von Menschen leitete dieser Satz bereits eine bevorstehende Trennung ein. Für einige Menschen sind diese Worte absehbar, andere treffen sie völlig unvorbereitet. Völlig unvorbereitet dürfte den Aufsichtsrat vor einigen Woche getroffen haben, dass ausgerechnet der Vorstandsvorsitzende Michael Welling gesagt hat: „Du, wir müssen reden!“

Es passt ins Bild eines jeden RWE-Pessimisten. RWE, so geht die Mär, sei der Chaosverein, der nicht eine Woche ohne eine Hiobsbotschaft auskommt. RWE verliert Spiele gegen Abstiegskandidaten, feuert sportliche Leiter und Trainer, trifft sich vor Gericht mit ehemaligen Mitarbeitern und Fans. Nach den ersten beiden Spielen des neuen Trainers Argirios Giannikis war das Bild bis gestern ein anderes. Erst besiegte er den starken Oberligisten aus dem Essener Süden, dann gab die Mannschaft vor Fernsehkameras ein deutliches Zeichen ab und besiegte die Alemannia mit einer sehr guten Mannschaftsleistung. Alles gut könnte man meinen.

Könnte man, dann flatterte per Twitter die Neuigkeit in die Häuser, die wenige Eingeweihte bereits seit einigen Wochen kennen. Michael Welling hört als Vorstandsvorsitzender vorzeitig auf. Er begründet dies damit, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Dies ist so nachvollziehbar wie ehrenhaft, doch öffnet es vielen Spekulationen Tür und Tor. Dass der Rücktritt etwas mit dem Gegenwind von den Tribünen zu tun hat, wie es Reviersport andeutete, verneint Welling vehement.

Allerdings fragt man sich durchaus, warum Michael Welling die Kommandobrücke von RWE bereits vor Ablauf der Aktion „Hoch 3“ verlässt, die, auch wenn Michael Welling dies nicht gern hört, eng mit seiner Person verknüpft wird. Die Pessimisten befürchten, dass dies das Eingeständnis ist, dass der Aufstiegsversuch gescheitert sei. Dagegen spricht wieder der scheidende Vorstand, dass RWE in der nächsten Saison möglicherweise (auch finanziell) härter angreifen kann. Egal, ob es so kommt oder nicht, dies wird Michael Welling nur noch als Fan, so viel Herzblut kann man ihm problemlos unterstellen, weiterverfolgen.

„Ich liebe hohe Spannung und stehe meistens unter Strom“ – Die Würdigung

Spätestens an dieser Einordnung wird deutlich, wie sehr der Vorstandsvorsitzende ordnend eingreift und Transparenz vorlebt. Um die weitere Spaltung der Fanszene zu vermeiden, stellt er das Gerücht richtig, dass er wegen der Attacken aus dem Fanlager zurücktritt. Er wirft nicht hin, sondern bleibt noch einige Monate, um seinen Nachfolger einzuarbeiten. Was wir hier erleben, ist eine Professionalität, die hier vor sieben Jahren erstmals nach langer Zeit Einzug gefunden hat, und selbst über den Rücktritt hinweg andauert.

Die sportliche Einordnung der Ära Welling wurde erst kürzlich an dieser Stelle verfasst. Doch ist das Erbe Wellings so viel größer, als der sportliche Stillstand, der vor allen Dingen wahrgenommen wird. Dass RWE der Vereinsauflösung nur mit Glück in Form vom Özilwechsel entgangen ist, erfuhr die Öffentlichkeit Jahre nach dem erfolgreichen Insolvenzverfahren. Übernommen hat Welling einen Verein, der in der Öffentlichkeit belächelt wurde, dessen Sponsoren weggerannt waren und der das eigene Chaos kultivierte.

„In der Ökonomie gibt es die neue Institution Ökonomik. Dieser Ansatz orientiert sich näher an der Realität.“ – Das Vereinsvermögen

Das Tandem Christian Hülsmann und Michael Welling trat mit der Devise an, dass der Verein niemals wieder mehr ausgeben dürfe, als er einnehme. Das ist an sich noch kein Geniestreich, sondern sollte sinnvollerweise die Devise jedes Sportvereins sein. Doch konnte Welling die Gelder der ersten Mannschaft stetig steigern. Er stellte den Verein dabei auf ein Fundament vieler Kleinsponsoren, damit das Wegbrechen eines großen Sponsors niemals mehr zu unlösbaren Problemen führen könne.

Auch hier erfuhr die Öffentlichkeit nach und nach, dass sich die städtischen Firmen finanziell immer weiter zurückzogen und RWE diese Kürzungen nicht nur ausgleichen, sondern übertreffen konnte. Selbst der Rückzug vom Namensvetter aus der Strombranche brachte zwar enorme Einbußen, ließ den Gesamtverein jedoch nicht einmal wackeln. Das ist keine Kleinigkeit und dafür gebührt Respekt. Gleichzeitig war die Geschäftsstelle so aufgestellt, dass jede Saison aufs Neue die Lust auf RWE geweckt wurde. Dass sich der Erfolg selten einstellte, ist Geschichte, aber man stelle sich vor, wie diese Abteilung vor Sponsoren aufgetreten ist. Im gesunden Maße war das professionell.

Sein letztes Projekt sollte die Ausgliederung der Profiabteilung werden. Die Realisierung des Projekts steht mit dem Wechsel an der Spitze nun auf sehr wackligen Beinen. Auch wenn Michael Welling stets betonte, dass die Ausgliederung unabhängig von den handelnden Personen entschieden werden muss, muss der neue erste Vorsitzende erstmal ein solches Vertrauen rechtfertigen, dass sich die Mitglieder nicht fragen brauchen, ob man nicht Teile der Vereinsseele bei dem Beschluss verkaufen würde.

„Soll ich mal Sartre zitieren...?“ – Das Image

„Koks und Kutten“ – ist ein Spruch, der aktuell in der Stadt plakatiert wird. Michael Welling schaffte es, RWE als wichtigen Akteur der Stadt zu etablieren. Mit dem vielfach ausgezeichneten Projekt „Essener Chancen“ machte Welling sein Meisterstück. Mit dieser Idee nimmt der Verein aus Bergeborbeck seine gesellschaftliche Verantwortung wahr und unterstützt Kinder, die in schwierigen Verhältnissen groß werden. Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs.

Es sei an die Versteigerung von Wellings Frisur für die Essener Kinderkrebshilfe erinnert, die gutes Geld eingespielt hat oder die Gründung der Dritten Mannschaft, in der die Wiedereingliederung von Menschen in die Gesellschaft mit Hilfe des Fußballs gelingen soll. Die schönste Idee wird sich jedoch traditionell im Dezember wiederholen. Auch in diesem Jahr werden RWE-Fans Kindern „Herzenswünsche“ erfüllen, deren Eltern sich diese nicht erlauben können. Das alles sind Aktionen, deretwegen man stolz darauf sein kann, diesen Verein in der Stadt zu wissen.


„Die Aufstiegsregelungen ist aus sportmoralischer Sicht nicht hinnehmbar.“ – Das sportpolitische Engagement

Dabei war Welling nicht zwangsläufig der nette Onkel, der alles freundlich abnickte. Für die Stadt war Welling ein knallharter Verhandlungspartner, der für den Verein das bestmögliche herausholte. Über Jahre verhandelte er einen Pachtvertrag, der RWE genug Luft zum Atmen lässt. Öffentliche Aussagen gab es hierbei nur selten. Immer dann, wenn städtische Mitarbeiter den Verein öffentlichkeitswirksam angingen, keilte Welling zurück. Er stellte klar, dass RWE der Stadt viel zu verdanken habe, rechnete jedoch auch immer wieder vor, wie viel (auch finanzielle Mittel) der Verein der Stadt und ihren Gesellschaften zurückzahlt.

Besonders stark war seine Präsenz zuletzt bei der wohl größten Ungerechtigkeit des deutschen Fußballs. Der absurd-lächerlichen Aufstiegsregelung in die Dritte Liga. Immer wieder sprach Welling das ungerechte und unsportliche System an und wurde oftmals als Verhandlungsführer der Traditionsvereine wahrgenommen. Hier beschleicht den Sportfreund die Angst, dass diese starke Stimme zu einem Zeitpunkt verstummt, in dem der DFB nach und nach die Reform so weit zu verwässern droht, dass eigentlich dasselbe System herauskommt, was bislang besteht, also das weiterhin schlechtestmögliche. Hier sollte nicht nur RWE, sondern die Traditionsklubs der vierten Liga schnell einen Sprecher finden, bevor auf Jahre das nächste ungerechte System installiert wird.

Das Dankeschön

Lieber Herr Welling, viele haben das Gefühl, dass der Abschied einer Vielzahl der RWE-Anhänger schwerer fällt als Ihnen, wer Sie jedoch kennt, weiß, dass da mittlerweile ein Herz auch rot und weiss schlägt, und Sie sich den Schritt sicher gut überlegt haben. Ein großes Dankeschön für den grenzenlosen Einsatz, dessen Vielschichtigkeit hier deutlich geworden ist. Viele nicht sofort sichtbare Projekte wurden gar nicht angesprochen. Wir danken dafür, dass der Verein in einem ruhigeren Fahrwasser ist, wir danken für die positive Außendarstellung in der Stadt und darüber hinaus. Wir danken für ein bestelltes Feld.

Jawattdenn.de dankt darüber hinaus, dass Sie sich Jahr für Jahr zur Verfügung stellten und sich unfassbar viel Zeit nahmen, um unsere Fragen zu beantworten und dabei wirklich selbst kritisch-bohrende Fragen stets gelassen beantworteten. Im Gegenteil konnte man vor lauter Auskunftsfreude kaum die Hälfte seiner Fragen loswerden und Sie haben stets so gewirkt, als bereite Ihnen die Befragung einen großen Spaß.

Abschließend wünschen wir Ihnen viel Erfolg sowohl privat als auch auf dem weiteren Karriereweg, wobei wir ganz eigennützig die Hoffnung formulieren dürfen, dass Sie keinem Revierklub helfen, RWE daran zu hindern, die dritte Kraft im Pott zu werden.