28.07.2014

Vincent Wagner - ein Nachruf

von Sebastian Hattermann

Habt ihr noch ein Gesicht vor Augen, wenn man euch nach Lennart Lynge Larsen, Ryan Thomson oder Silvio Pätz fragt? Wahrscheinlich nicht. Bei anderen Spielern aus diesem Jahrgang, Francis Kioyo und Sebastian Schoof, sähe das vermutlich anders aus, wird dann allerdings eher mit Kopfstößen in der eigenen Kabine oder vergebenen Torchancen assoziiert.

Erfolgreicher Elfmeterschütze im Pokal gegen CottbusWas aber bleibt von Vincent Wagner, wenn man in zehn Jahren zurückdenkt und auf einer langen Auswärtsfahrt im Auto mal wieder die Namen alter Weggefährten aufruft?

In jedem Falle bleibt Vincent Wagner ein Spieler, zu dem es oft zwei Meinungen gab. Angefangen bei den Trainern, die sich anfangs nicht einig waren, ob er im Sturm oder in der Verteidigung zuhause ist, schließt sich der Kreis nun bei den Fans, die sich nicht darüber einig sind, ob sein Abgang nun sportlich vertretbar sei oder auch nicht. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie so oft, in der Mitte. So musste der Innenverteidiger als Brechstange immer wieder temporär auf seine alte Position in der Offensive zurückspringen, wenn die Zeit knapp wurde. Und genauso gibt es bei den Fans ein gemischtes Potpourri an Erinnerungen.

Auf der einen Seite stehen diverse Schockmomente, die manch einem den Atem stocken ließen. Langholz im Spielaufbau oder Ballverluste im eigenen 16er, z.B. gleich zweimal in kürzester Zeit gegen den SV Lippstadt im Oktober letzten Jahres, lassen uns noch heute ergrauen. Auf der anderen Seite aber stehen wertvolle Glanzmomente, wie der legendäre Sturmlauf von Höhenberg im Januar, als Wagner sich beim Stand von 2:0 für Viktoria Köln in der eigenen Hälfte ein Herz fasste und mit großen Schritten bis in den gegnerischen Strafraum vordringen konnte. Dort nur durch ein Foul zu stoppen, leitete der herausgeholte Elfmeter die Aufholjagd zum 2:2 ein. Ebenfalls unvergessen bleiben werden neben seiner Schnelligkeit die zahlreichen Blutgrätschen, die auf den letzten Metern oft entscheidend waren, brutal und gefährlich aussahen, aber den Gegner zumeist fair von den Beinen holten. So zum Beispiel auch beim ersten Sieg nach neun Spielen in der Saison 2011/12 gegen den Nachwuchs des FC Meineid, als Philipp Hofman frei vorm Tor stehend in die Waagerechte befördert wurde.

...und gegen Union BerlinÜber sein vorhandenes Kämpferherz und seine außerordentliche Einsatzbereitschaft sollte in der rot-weissen Anhängerschaft auf jeden Fall Einigkeit bestehen. Letzteres vor allem nicht nur auf dem Platz. In Erinnerung bleibt somit auch sein unerschöpfliches Engagement bei sämtlichen Aktionen aus Reihen der Fans. Kaum eine Fanparty fand statt, auf der Vincent nicht anzutreffen war. Und das nicht im Sinne einer lästigen vom Verein auferlegten Pflichtveranstaltung, sondern mit viel Freude und auf freiwilliger Basis. Genauso im Kopf bleiben die amateurhaft, aber mit viel Leidenschaft gedrehten Videos von den Uralt-Ultras, für die Dauerwohltäter Happo regelmäßig - und stets enthusiastisch von Vince begleitet - Gewinnspiele und Verlosungen ins Leben rief. Auch beim Dauerkartenverkauf packte er seinerzeit mit an, als sich die wahnsinnigen Essener mal wieder in Schlangen vor der Geschäftsstelle versammelten.

Die Fannähe war in den turbulenteren Zeiten der Saison allerdings nicht immer für jeden bekömmlich. So ließ sich Wagner nach vermeidbaren Punktverlusten selten kommentarlos von den Rängen über seine Leistung oder die der Mannschaft belehren, sondern stieg des Öfteren ins Wortgefecht mit ein. Dabei scheute er weder sachliche Zaundiskussionen noch wilde Pöbeleien aus der Ferne. Vor Ort trug das logischerweise genauso selten zur Entspannung der Situation bei und so wurde dem zweifachen Familienvater gelegentlich auch etwas mehr Kritikfähigkeit und Demut ans Herz gelegt, im Nachhinein machen ihn die Geschehnisse aber zumindest eines: authentisch.

"Blutgrätsche" im EinsatzIn sieben Jahren hat Vincent Wagner mit Rot-Weiss Essen mehr erlebt, als es Fans von anderen Vereinen in einem ganzen Leben tun könnten: Drei verschiedene Ligen hat er überlebt, von 2007 in der Regionalliga (damals noch dritthöchste Spielklasse) bis zur fünften Liga. Die Degradierung in die 2. Mannschaft, Insolvenz, Stadionneubau, Aufstieg, Niederrheinpokalsieg und - untrennbar mit seiner Person verbunden - die DFB-Pokalsiege gegen Energie Cottbus und Union Berlin, in denen er zweimal den entscheidenden Elfmeter vor der Essener Kurve versenkte. Die Bilder von den beiden Treffern lassen sich sinnbildlich auf seine Karriere an der Hafenstraße projizieren. In seinem ersten Jahr noch, gegen Cottbus, ging er sichtlich angespannt zum Punkt, bevor ein befreiter Torjubel folgte. Vier Jahre später dann, gegen Union, hielt er den Ball noch lässig dreimal hoch, schob die Kugel ins Netz und versuchte sich dann dem Torjubel zum Schutz seiner lädierten Schulter zu entziehen, was Kerim Avci allerdings im Freudentaumel herzlich wenig interessierte. Welcher Spieler mit einer solchen Amtszeit kann behaupten, sich selbst refinanziert zu haben? ;-)

Und welchem Spieler könnte man es nach einer solchen Geschichte verübeln einen gewissen Unmut darüber zu äußern, nicht die Chance erhalten zu haben, sich auch an vierter oder fünfter Stelle auf seiner Position zu versuchen. Vor allem angesichts der Fakten, dass noch ein Jahr Vertrag bestand, der unverständlicherweise in großen Teilen ausgezahlt wurde. Spätestens nach der bitteren Verletzung von Philipp Zeiger hätte ein IV mehr in der dünn besetzten Verteidigung nicht schaden können. Auch die Umstände lassen einen faden Beigeschmack an der sportlichen Führung haften.

Für Vincent Wagner bleibt, dass er als ein Spieler mit Gesicht in unseren Erinnerungen bleibt, als Verteidiger, ohne Kopfnüsse verteilt haben zu müssen – und das ist viel wert an der Hafenstraße, zumindest mehr als ein A5-Rahmen!