Vom Teuto in den Ruhrpott – Marcus Uhlig
Es war der Abend des 1. September 2017, als der derzeitige RWE-Vorstandsvorsitzende Marcus Uhlig die „Negativ“-Wucht der Essener Hafenstraße hautnah miterleben durfte. Rot-Weiss unterlag an diesem Abend dem SC Wiedenbrück mit 2:4 und der Zorn der Essener Anhänger kannte vor allem ein Ziel, den damaligen Vorsitzenden Dr. Michael Welling, der sichtlich gezeichnet noch im selben Monat den Aufsichtsrat um die Auflösung seines bis eigentlich 2020 datierten Vertrages bat.
Das war keine Ad-Hoc-Handlung. Welling hatte das schon länger im Sinn und seinen Nachfolger bereits an der RWE-Angel gehabt. Eben Marcus Uhlig. Der weilte an diesem Abend von Medienvertretern unerkannt im Stadion Essen und bekam wohl sogleich einen nachhaltigen Eindruck von der Größe und Schwere der Aufgaben bei RWE. Dennoch für den gebürtigen Kamp-Lintforter und nach eigener Aussage seit der Jugendzeit RWE-Anhänger Uhlig kein Grund, sich der Herkulesaufgabe nicht anzunehmen. Am 01.11.2017 trat er seinen Job an, zunächst noch begleitet von Welling, und blickt somit derzeit auf 17 Monate Rot-Weiss Essen zurück.
Was qualifizierte den studierten Juristen für diese Aufgabe? Nun, Uhlig bringt einiges mit, was hoffen lässt, dass RWE hier den richtigen Mann an seiner Spitze hat. Das zeigen vor allem seine Verdienste um einen anderen großen Traditionsverein im Westen, Arminia Bielefeld. Selten wurden daher einem anderen Klub als unseren Rot-Weissen auf Jawattdenn so viele Zeilen gewidmet wie die nachfolgenden, denn Uhligs Geschichte am Teuto illustriert gut die Hoffnungen, welche seine Person nun im Ruhrpott erweckt.
Etwa am Ende der ersten Dekade des Milleniums hatten sich die Ostwestfalen finanziell weitestgehend ins Abseits geschossen. Schuld daran war der Bau der neuen Haupttribüne, bei dem sich der Klub gewaltig verhoben hatte. Jedenfalls zierten nachher an die 30 Millionen € Verbindlichkeiten das Konto der Arminia, eine Last, welche den Klub erdrückte und die Handlungsfähigkeit enorm einschränkte. Nicht leichter wurde es durch den Erstliga-Abstieg 2009 und dem nachfolgenden finanziellen Kraftakt für den Wiederaufstieg. Die Arminen gaben deutlich mehr Geld aus, als die Vereinskassen hergaben, die DFL reagierte mit Punktabzug wegen Lizenzierungsverstößen, es folgte der Abstieg aus Liga Zwei und Existenzkampf im neuen Profi-Unterhaus Liga Drei. In dieser schwarzen Stunde nahm sich Uhlig, den keine Mitverantwortung am Finanzdesaster traf, im Jahre 2011 der Rolle des Geschäftsführers an. Zuvor war er in der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins tätig und das sehr erfolgreich und engagiert. Uhlig ist also kein Funktionär wie so viele andere, die niemals Basisarbeit in einem Profiverein kennen gelernt hatten. Als er nun in die oberen Etagen der Arminia aufstieg, hielten nicht wenige das mit Fug und Recht für ein Himmelfahrtskommando, dem sich nicht alle so gestellt hätten wie Uhlig es tat. Zu gewinnen gab es nämlich scheinbar nichts an den Lohmanns Wiesen. Finanziell tanzte Bielefeld am Rande eines aktiven Vulkans.
Sportlich strebte der DSC damals die Regionalliga an, ein junger Trainer namens Stefan Krämer rettete die Arminia vor dem Absturz und stieg im nächsten Jahr sogar in die zweite Liga auf. Bislang hatte die Ära Uhlig sportlich also nur Erfolge für die Arminia parat, nun folgte ein herber Rückschlag. Genau wie kürzlich beim KFC Uerdingen erhielt Fanliebling Krämer die Papiere ausgestellt und wurde durch den erfahrenen Nobbie Meier an der Seitenlinie ersetzt. Das rettete Bielefeld jedoch nicht vor dem Abstieg. In der Relegation unterlag man Darmstadt 98 in episch zu nennenden Spielen. Dem 3:1 Hinspielerfolg bei den Lilien folgte eine 2:4 Heimniederlage, die erst in der 120. Spielminute besiegelt wurde. Aufgrund der Auswärtstorregel ging es für die Arminia also wieder eine Liga runter. Finanziell förmlich ein Desaster.
Geschäftsführer Uhlig gelang es im Team mit Sportdirektor Arabi und Coach Meier jedoch eine schlagkräftige Truppe auf die Beine zu stellen, die nicht nur den sofortigen Wiederaufstieg in die zweite Liga erreichte, sondern ein ganz besonderes Bonbon für die Arminen-Fans bereit hielt. Der Drittligist schrieb in dieser Saison DFB-Pokalgeschichte und drang bis ins Halbfinale dieses Wettbewerbs vor. Dabei schalteten die Arminen nach dem Erstrundensieg gegen Sandhausen hintereinander die Bundesligisten Hertha BSC, Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach aus. Schluss war dann erst gegen den späteren Pokalgewinner Wolfsburg. Dank dieser sprudelnden Einnahmequelle, welche Millionen in die leeren Vereinskassen spülte, überstanden die Ostwestfalen das Drittliga-Intermezzo finanziell unbeschadet und konnte den Schuldenstand sogar signifikant drücken. Im Sommer 2015 trat Marcus Uhlig nach einer der erfolgreichsten Spielzeiten der Bielefelder Vereinsgeschichte von seinem Amt zurück. Nach eigenen Aussagen hatte ihn der vierjährige fast tägliche Existenzkampf zu viel Kraft gekostet. Sowohl sportlich als auch finanziell konnte seine Bilanz jedoch überzeugen. Aber auch in menschlicher Hinsicht bringt Uhlig die notwendige Bodenständigkeit mit.
Dass der rot-weisse Boss der RWE-DNA entspricht, darauf deutet auch seine Freundschaft zum Elf-Freunde Redakteur Jens Kirschneck hin, der einmal sein Handy bei einem Besuch an der Hafenstraße vergessen hatte und es vom fürsorglichen Verein zurück bekam. Darauf schrieb der dankbare Kirschneck den Artikel „Gott schütze Rot-Weiss Essen“. Nun, wer würde da nicht zustimmen? Alle diese positiven Dinge stimmten den Autor dieser Zeilen daher sehr zuversichtlich, als nach dem Ende der Welling-Ära, die die wichtige finanzielle Konsolidierung bei aber gleichzeitigem sportlichen Verharren in der Regionalliga West bedeutet hatte, Marcus Uhlig seine Zelte an der Hafenstraße 97 a aufbaute. Die Aufgabe des neuen Chefs wurde genau dadurch definiert, was Welling geschafft und nicht geschafft hatte. Die erstmals seit Jahrzehnten nicht desaströsen RWE-Finanzen weiter stabil zu halten, aber andererseits das Sehnen der nach wie vor großen Fangemeinde zu erfüllen und der Hafenstraße endlich wieder Fußball oberhalb der vierten Liga zu präsentieren. Eine Aufgabe, die keinen Deut leichter erschien und erscheint als die suboptimalen Startbedingungen unter denen Uhlig einst in Ostwestfalen startete. In Gesprächen mit RWE-Anhängern räumte er zudem offen ein, dass die Bedeutung des Vereins in der Stadt Essen noch viel größer sei als die der Arminia in Ostwestfalens heimlicher Hauptstadt. Das kann es sowohl einfacher als auch schwieriger machen, denn der Ruhrpottler ist schließlich der Tifosi unter den Fußball-Fans der Republik.
Was wurde bislang daraus? Die restliche Spielzeit 2017/18 riss RWE weiterhin keine Bäume aus, Platz 10 in der Endabrechnung war die übliche Backpfeife für alle, die sich nach mehr sehnten. Uhligs Amtsantritt im Herbst 2017 hielt zudem sofort eine unangenehme Begleiterscheinung parat. Die Kapriolen des noch von Welling verpflichteten Neu-Coaches Agirios Giannikis. Der schwache Saisonstart hatte Sven Demandt das Traineramt gekostet, unter Giannikis kam RWE zunächst sportlich in die Spur und stürmte bei seinem ersten Match sofort den Aachener Tivoli. Auch in den Folgewochen punktete das Team ordentlich, sodass die Vertragsverlängerung für Agi, wie man ihn bereits liebevoll nannte, nur Formsache schien. Dieser verhandelte jedoch hinter dem Rücken der RWE-Verantwortlichen mit dem Drittligisten Aalen und verkündete den verdutzten Essenern, Marcus Uhlig mittendrin, seinen Weggang zum Saisonende. Das zuvor geschlossene Arbeitspapier mit dem Rookie war nur bis zu diesem Zeitpunkt datiert worden. Ein sich jetzt als Bumerang erweisender Sicherungsanker, denn Agi hatte den Trainer-Lehrgang, aus welchem Gelsenkirchens Taktik-Kanone Tedesco als Jahrgangs-Bester hervor gegangen war, auf Anhieb nicht bestanden. Fortan ging es auch sportlich bergab, im März 2018 musste Uhlig die erste Trainerentlassung seiner RWE-Zeit vornehmen und zog die Notbremse.
Es folgte Karsten Neitzel, auch derzeit noch hauptverantwortlicher Übungsleiter. Unter ihm wurde die Saison mit einem verheißungsvollen Punkteschnitt von 1,875 in 8 Partien zu Ende gespielt, Zufriedenheit war also angesagt. Hätte es da nicht den Niederrhein-Pokalfinaltag Ende Mai in Oberhausen gegeben. Auf gegnerischem Platz spielten die Essener Rot-Weissen lange Zeit besser als die Oberhausener Rot-Weißen. Die durften aber am Ende jubeln, weil im Fußball halt die Tore und nicht die fahrlässig vergebenen Großchancen zählen. Die prestigeträchtige Niederlage hatte auch finanziell böse Folgen. Die Einnahmen aus der ersten DFB-Pokalhauptrunde der Folgesaison in sechsstelliger Höhe waren futsch und RWE bei der Kaderplanung eines wichtigen Bausteins beraubt.
Die derzeit laufende Saison 2018/19 ist die erste, für welche Marcus Uhlig sich auf seiner Position rundum verantwortlich zeigt. Wie sie bislang verlaufen ist, wissen wir alle. Überschäumende Euphorie zu Saisonbeginn ging in tiefe RWE-Depression über. Besonders bedenklich die gähnend leeren Ränge während der letzten Heimpartien. Den Kampf und vor allem Krampf um die goldene Ananas ist der Anhang leid. Bereits zum Heimspiel gegen Viktoria Köln im Oktober letzten Jahres präsentierten Fans auf der Rahn-Tribüne aufblasbare Tropenfrüchte, um ihrem Unmut symbolisch Ausdruck zu verleihen.
Die Spielzeit ist zudem die letzte der von Welling ausgerufenen Kampagne „Hoch Drei“, die mehr Gelder vor allem über höhere Preise bei den Dauerkarten akquirieren sollte, aber den dadurch offen erklärten Aufstiegskampf anhand der Ergebnisse förmlich persiflierte. Zudem war "Hoch Drei" von vornehrein unter einem unguten Stern stehend gestartet. Pünktlich zum Start der Aktion im Sommer 2016 zog sich mit Innogy ein Essener Großsponsor zurück. Unterm Strich stand also nicht mehr Geld für RWE und Welling kostete das letztlich kläglich verfehlte Ziel des Projektes sehr viel Renommee. Nicht gerade wenige Anhänger fühlten sich in der klaren Sprache des Reviers "verarscht". Den Lack für das endgültige Scheitern bekam auch der daran nicht im Kern beteiligte Uhlig ab. Von daher erklärte er auch, eine solche Aktion kein zweites Mal ins Leben zu rufen. Was aber dann, wenn andererseits klar ist, dass das Investitionskapital des Vereins nicht ausreicht, um oben, geschweige denn ganz oben anzugreifen?
Nach dem Bonn-Sieg in der Hinrunde ereignete sich mit der Niederlage gegen Lippstadt eine Negativ-Zäsur. Auch deswegen, weil wegen der Pokalschlappe der RWE-Kader vor Saisonbeginn kleiner blieb, als es das spätere Verletzungspech erlaubt hätte. Mindestens ein bis zwei gestandene Akteure hätte es wohl benötigt, um das tiefe Loch, in das RWE ab September fiel, prophylaktisch zuzuschütten. Vielleicht ist daher gerade jetzt die Zeit gekommen, vor der neuerlichen Auseinandersetzung mit den Rummenigge-Städtern den Spieß erneut umzudrehen, und zwar in eine positive Richtung.
Hat Marcus Uhlig daher den Zeitpunkt bewusst gewählt, als er am Faschingsdienstag, zum Glück nicht der 1. April, eine Erklärung heraus gab, die die RWE-Fans freudig stimmt? Ohne Moos nix los, das weiß man an der Hafenstraße. Schon in der Winterpause gab sich der RWE-Boss kämpferisch, als er offen von der Arbeit am Aufbau eines Spitzenteams für die Folgesaison sprach. Auf Facebook zogen ihn „Fans“ danach durch den Kakao, als man ein Sponsoring durch Aldi in satirischer Art in den Raum stellte. Die seriöseren Kommentatoren mahnten Transparenz an. Man wolle wissen, was der Verein plane. Nicht ganz zu Unrecht, hatte der Vorstandsvorsitzende doch auch die hohe Hausnummer von 80% Zustimmung der Mitglieder auf der Jahreshauptversammlung zur selbst gewählten Bedingung gemacht, da reichen keine Nebelkerzen. Nun aber wird es konkreter. Jetzt verkündete Uhlig, RWE habe einen lokalen strategischen Partner gefunden, mit dem man Aufstiegsträume realisieren wolle. Eine Ausgliederung soll es vorerst nicht geben und man werde die Seele des Vereins nicht verkaufen. In wenigen Wochen wolle man alle Pläne und Partner offenbaren, mit denen sich die Fangemeinde identifizieren könne. Das hört sich zunächst einmal großartig an. Und in typischer RWE-Manier riefen die ersten Anhänger daraufhin den sofortigen Aufstieg 2019/20 aus. Es geht bei uns halt nur in Extremen.
Es bleiben aber große Baustellen. Zum einen muss man die jetzige Saison seriös zu Ende spielen. Marcus Uhlig möchte und muss auch andere Sponsoren und vor allem die Fans zurückgewinnen. Letztere sollen auch in der Folgesaison wie gewohnt in großen Mengen Dauerkarten erstehen, auch weiterhin ein Firmament der Essener Etatplanungen. Mit Leistungen wie gegen Herkenrath und in Bonn wird das nicht gelingen. Auch das Pokalhalbfinale gegen die zum Glück ebenfalls kriselnden Krefelder in knapp vier Wochen kann man so nicht bestehen. Vielleicht spürt das Gros der derzeitigen RWE-Kicker, dass es für sie in einem ambitionierterem Team keinen Platz mehr geben könnte. Nicht unwahrscheinlich zudem, dass auch Jürgen Lucas hinter den Kulissen der Rückzug als sportlicher Leiter spätestens zum Saisonende nahegelegt worden ist. Die Besetzung seiner Nachfolge wird hoffentlich ein weiterer Fingerzeig auf neu definierte Ziele sein.
Jawattdenn meint, dass RWE mit Marcus Uhlig einen wirklich guten Mann an die Vereinsspitze bekommen hat. Seine unermüdliche Arbeit hinter den Kulissen scheint sich auszuzahlen. Es bleibt dabei, ohne mehr Geld, auch keine Aufstiegschancen. Zugleich wird der Druck seiner Anhänger auf den Verein noch weiter anwachsen. So enttäuscht, so wütend war die ohnehin niemals zur Ruhe kommende Fangemeinde schon lange nicht mehr, RWE kann und darf sich keine weitere Spielzeit leisten, in welchem es nichtmals in die Nähe des Spitzenplatzes gelangt. Ist Viktoria Köln erst einmal aufgestiegen und hätten die Rot-Weissen dann wirklich in der nächsten Saison einen vielversprechenden Kader, wird die Hafenstraße in jedem Fall so laut erbeben wie lange nicht mehr. So oder so. Jawattdenn hofft zusammen mit allen, die es mit unseren Roten halten, dass es kein zorniges, sondern ein freudiges Erdbeben, und zwar über den 6. Spieltag hinaus geben wird.
Hendrik Stürznickel & Sven Meyering