04.03.2019

RWE – Alles wie immer?

von Redaktion

Ein glanzloser Sieg gegen den Aufsteiger aus Herkenrath, eine deutliche Niederlage gegen den Abstiegskandidaten Bonner SC. Die Rückrunde beginnt für RWE mit einem Stotterstart. Zwei Jawattdenns haben einmal versucht, Ursachenforschung zu betreiben. Das Ganze ist etwas länger geworden, erscheint also in mehreren Teilen.

Eintrag im Reviersportforum am Freitag, den 22.02.2019 um 22:43:

„Wäre ich doch Opern-Fan geworden. Mit meinem Hang zum traditionalistischen hätte ich mir dann heute Abend in irgendeinem Kleinkunsttheater zu Gemüte geführt, wie ein musikalisch limitierter Eunuch in einem Schwanenkostüm an Hanfseilen durch schlecht gebaute Prospekte gezogen wird und dabei keinen Ton treffend in miserablen Italienisch sinnentleerte Zeilen blökt.

Was der Unterschied dazu ist, wenn man Fußballfan von RWE ist, ist folgender. Bei oben genanntem Beispiel kann man herzhaft lachen. Wenn jedoch fußballerisch limitierte Berufsspieler keinen Ball treffend über einen Kartoffelacker vor gähnend leeren Rängen stolpern, dann ist das zum Ausrasten. Wenn es reicht, dann reicht es. Das Wochenende hatte ich bereits generalstabsmäßig geplant. Freitagabend die Punkte aus Bonn mitnehmen und mir am Samstag quasi vor der Haustüre anschauen, wie Kamil Bednarski Viktoria Köln abschießt. Das hatte ich auch schon erfolgreich der Familie verklickert. Können sich diese Menschen, die dort Woche für Woche unser Trikot über den Rasen tragen eigentlich nur im Entferntesten vorstellen, welche Enttäuschungen sie einem immer und immer wieder bereiten? Erst spielen sie das Stadion leer, jetzt den Livestream von Sporttotal.

Wären Beethovens Gebeine heute ihrer Wiener Gruft entstiegen, damit der Virtuose seine Heimatstadt gegen die zuvor übermächtigen Ruhrpottkanaken unterstützen kann, so hätten die uns auch noch vor unlösbare Probleme gestellt. Niemand auf dem Platz bei RWE kann auch nur seine Kernaufgabe erfüllen. Die „Pässe“ landen nicht im Lauf des Mitspielers, sondern rollen in den Rücken desselbigen, wo dann der Gegner dankbar zum Konter ansetzen darf. Bonn hat gefühlt 90% der Zweikämpfe gewonnen. Das ist unverzeihlich. Das 1:3 glücklich. Wir hätten auch ein 1:4 oder 1:5 verdient gehabt. Das ist es, was man sich vorgenommen hat?“


Diese spontane Reaktion eines Jawattdenn-Autors auf die RWE-Leistung beim 1:3 in Bonn zeigt, dass es auch Galgenhumor sein kann, der einem über solch schwarze Stunden des Fandaseins hinweg helfen kann. Besonders pikant dabei, nach dem Hinrundensieg gegen den Bonner SC am 6. Spieltag der Regionalliga West am 31.08.18, RWE war nach fünf Siegen in Serie Spitzenreiter, zierten folgende Zeilen den Profilstatus desselbigen bei Whatsapp:

„Es ist der Wahnsinn! Du wirst morgens wach, denkst an RWE und bist gut gelaunt. Die Sitzkissen im Stadion fliegen nicht mehr als Wurfgeschosse gegen die eigene Mannschaft, sondern vor Begeisterung. Du musst dir die Tabelle endlich nicht umgekehrt aufhängen. Du zählst die Tage bis zum nächsten Spiel. OH, WIE IST DAS SCHÖN!“

„Spitzenreiter! Spitzenreiter!“ – So klang es damals im September 2018 an der Hafenstraße, als wir alle glaubten, dass die beinahe alchemistische Formel gefunden wurde, um den Erfolg nach Essen zurückzubringen. Im goldenen Februar 2019 trübt bei strahlendem Sonnenschein Rot-Weiss Essen die Laune aller, die es mit dem Verein halten. Woran es liegt, das zeigen die Diskussionen, weiß niemand mehr.

Was genau führte zu dieser Stimmungslage zwischen hellauf begeistert und zu Tode betrübt? Wir von Jawattdenn.de begeben uns auf Spurensuche. Wir haben das spielfreie Wochenende genutzt, um uns der Gegenwart und potenziellen Zukunft unseres Vereins zu widmen und wollen das Ergebnis unserer Diskussionen nun veröffentlichen. Wir sind Fans wie jeder andere auch, natürlich tragen wir bei unseren Betrachtungen die stets wohlmeinende Vereinsbrille. Hin und wieder werden wir auch Namen nennen müssen, hin und wieder ist es schwer, nett und zugleich ehrlich zu sein. Den notwendigen Respekt werden wir dabei aber nie vergessen, beleidigender Internethooliganismus mit Angriffshaltung gegen alle und jeden hat hier bei uns keinen Platz.


Die RWE-Baustellen:

Die Jugendarbeit und die (nicht vorhandene) U23

Fangen wir bei der Vereinsbasis an. Man hört und liest es oft, die Jungen sollen jetzt ran, schlimmer als die anderen auf dem Platz könnten die nicht kicken. Hier sei die Frage erlaubt, welche „Jungen“ dabei genau gemeint sind. In seinem derzeitigen Kader hat RWE mit Ismail Remmo, Boris Tomiak und Nicolas Hirschberger drei aus der letzten U19 in den Kader der ersten Mannschaft aufgerückte Spieler. Remmo bringt es derzeit immerhin zum Gelegenheitsarbeiter und erhält von Chefcoach Neitzel mehr Einsatzzeiten. Tomiak und Hirschberger sind jedoch offenbar nur dazu da, den Spielberichtsbogen mit den notwendigen U23-Kickern zu füllen.

Aus dem Vorjahr schaffte es Nico Lucas in den Kader, ist Stammspieler, wird aber vom Gros der RWE-Anhänger verteufelt, er bringe schlechte Leistungen und spiele nur, weil er der Sohn des noch sportlichen Leiters sei. Wie fair das ist, sei dahin gestellt, Nico Lucas hat einen schweren Stand. Die insgesamt überzeugendste Performance eines Spielers, der aus der U19 von RWE hervorging und direkt in den Kader der Senioren integriert worden ist, bietet Timo Becker. Zunächst wurde er recht glücklos als rechter Außenverteidiger aufgeboten, mit der Zeit fand er seinen Platz in der Innenverteidigung, wo er trotz größerer Leistungsschwankungen zumindest Ex-RWE Trainer Agirios Giannikis Begehrlichkeiten entlockte, ihn mit zum Drittligisten nach Aalen zu nehmen. RWE unterband dieses Unterfangen und zog die Vertragsverlängerung Beckers per Option für ein Jahr, was diesen wiederum wohl verstimmt hat. Zumindest seinen Berater, der sich offen verweigert, mit den RWE-Verantwortlichen zu sprechen.

Offenbar gelingt es den Essenern im Schwerpunkt also nicht, aus der eigenen Jugend Spieler hervorzubringen, die der Regionalligamannschaft auf Anhieb nützen können. Dabei ist RWE doch ein sogenannter „Ausbildungsverein“. Tatsächlich?

Schaut man sich die Karrieren der meisten vielversprechenden Nachwuchsspieler in Deutschland an, so wird es recht schnell deutlich, dass aufwärts der U13 schon keiner der später überdurchschnittlich guten Akteure noch in Vereinen wie Rot-Weiss Essen zu finden ist, sondern schon längst woanders. Schalkes Ahmed Kutucu, derzeit einer der königsblauen Hoffnungsträger, kam im zarten Alter von 6 Jahren zu RWE und wechselte im nichtmals jugendlichen Alter von 11 Jahren nach Gelsenkirchen. Das derzeitige Scoutingsystem der Profivereine lässt im Grunde keinen Rohdiamanten unentdeckt. RWE steht hier gemeinsam mit Wattenscheid 09 und RWO am unteren Ende der Nahrungskette der gefräßigen Ruhrgebietskonkurrenz. Duisburg, Bochum und erst Recht Schalke und der BVB füllen ihre Nachwuchsabteilungen mit talentierten Kickern der jeweils hierarchisch unter ihnen stehenden Nachwuchsleistungszentren.

Es mag hart klingen, aber wer noch in der U19 für RWE kickt, der ist von anderen Vereinen nicht für höhere Weihen auserkoren worden. Der eingangs bereits erwähnte Boris Tomiak begann seine Laufbahn in Gelsenkirchen und spielte dort bis zur U17, für die U19 hielt man seinen Abgang nach Essen für verkraftbar. Natürlich gibt es positive Beispiele, jedoch lief es selten reibungslos. Der bei RWE in der Jugend tätige und wieder nach Essen zurückgekehrte gebürtige Neusser Daniel Heber erlebte zu Beginn seiner Profikarriere zwei unangenehme Jahre in Bochum und wurde anschließend bei RWO förmlich aufgepäppelt. Trotz seines Leistungsabfalls in den letzten Wochen zählt Heber zu den RWE-Säulen. Auch Marcel Platzek würde wohl niemand die Regionalligatauglichkeit absprechen. Platzek spielte nur am Ende seiner Jugendzeit bei RWE und wagte dann den Sprung zu Borussia Mönchengladbach. Hier war er für die U23 ebenfalls in der Regio West aktiv. Nach drei maximal durchschnittlichen Jahren traf Platzek in seinem vierten Jahr für die Fohlenelf der Fohlen stolze 14 mal, da fragte RWE wegen einer Rückkehr an, zu der Platzo gerne bereit war. Seitdem traf er in jeder Saison zweistellig für Rot-Weiss, dieses Jahr stoppt ihn das Verletzungspech.

Cedric Harenbrock hingegen wurde 9 Jahre bei Bayer Leverkusen ausgebildet und zuvor als Zehnjähriger vom WSV geholt. Zwischenzeitlich wurde er von rheinischen Gazetten als europäisches Top-Talent gefeiert. Was ihn nicht davor bewahrte als erste Senioren-Station einen Viertligisten anlaufen zu müssen. Dennoch war der Seniorensprung, vor allem im Bereich der Körperlichkeit, kein Zuckerschlecken für den Ex-Leverkusener. Ein klarer Hinweis auf die Leistungsanforderungen der Regionalliga West. Harenbrock verfügt jedoch über das gewisse Etwas, biss sich hinein und war an der Hafenstraße bereits zu einer Art Publikumsliebling aufgestiegen. Zwei aufeinanderfolgende Kreuzbandrisse bremsen ihn nun jedoch seit fast einem Jahr. Bitter. Sehr bitter. Spieler seiner Qualität kommen jedoch in aller Regel eben nicht mehr aus der Jugend von RWE.

Rot-Weiss ist für wahrhafte Könner schon in der frühen Jugendzeit nur ein Sprungbrett zum nächsten größeren Verein, auf das man schon mit 10 Lenzen hüpft. Das war auch mal anders. Kaum mehr vorstellbar ist, dass RWE im Jahre 2004 Fortuna Düsseldorf einen Moritz Stoppelkamp entriss. Damals stellten sich die Verhältnisse noch anders dar. Aber die Leistungsfähigkeit der Jugendabteilung hängt letztlich mit den Perspektiven im Seniorenbereich unmittelbar zusammen. RWE wirbt quasi an, ausbilden tun dann die anderen. Manchmal kommt man auch an gute Regionalliga-Spieler aus anderen Vereinen wie z.B. Kai Naikowitsch. Aus der Jugend des MSV Duisburg geholt hielt man zunächst große Stücke auf ihn, ließ ihn aber als 21-Jährigen zu RWO ziehen. Dort ist er derzeit unumstrittener Stammspieler in der Innenverteidigung. Dumm gelaufen. Insgesamt ist aber feststellbar, dass alle Vereine, welche in den letzten Jahren aus der Regionalliga West aufgestiegen sind oder zumindest oben mitmischen, dieses vor allem mit „gestandenen“ Spielern und nahezu gar nicht mit Nachwuchstalenten erreichten. Die Hoffnung des RWE-Anhangs, durch Drehen an dieser Stellschraube zur Glückseligkeit zurückzukehren, ist daher trügerisch. Das verrät auch ein Blick auf die Tabellen der Bundesliga West bei den U19 sowie U17 Junioren. Zwar mischt RWE noch im Konzert der Großen in den höchsten Spielklassen irgendwie mit, jedoch fast nur im Tabellenkeller. Die U17 hat sich die rote Laterne dabei fast ins Vereinsheim gestellt.

Soll man die Jugendarbeit deswegen aufgeben? Natürlich nicht. Hier geht es schließlich um die Basissäule des Vereins. Und wie oben dargestellt kommen durchaus hin und wieder vielversprechende Karrieren dabei heraus. Aber wenn die Nachwuchskräfte, welche der RWE- Jugend entspringen, besser und nachhaltiger auf den harten Regionalliga-Alltag vorbereitet werden sollen, so müssen sie regelmäßige Spielpraxis sammeln. Hier beißt sich nun die Katze in den Schwanz, denn wo genau soll das gehen, wenn es im Seniorenbereich nur die „erste“ Mannschaft gibt?

Uwe Harttgen, paradoxerweise zuvor beim DFB Koordinator der Nachwuchszentren, hielt die U23 ab 2014 für verzichtbar und zudem für einen zu hohen Kostenfaktor. Mit etwa 100.000 € wurde dieser beziffert. Kein Pappenstiel, aber eine sinnvolle Sparmaßnahme? Keineswegs. Für Remmo, Tomiak oder Hirschberger wäre es essenziell wichtig, Spielpraxis in der Oberliga zu sammeln, während sie derzeit auf Tribünen und Ersatzbänken versauern. Übrigens ebenso wie der im Kader der Essener nahezu perspektivlose Tolga Cokkosan, der das grüne Rasenrechteck nur noch im Training betreten darf. Wer nicht zur Stammelf und deren erweitertem Kreis gehört, hat sehr düstere Perspektiven. Und….dieser Schritt war vor allem vor dem Hintergrund der jüngeren RWE-Geschichte ein ungeheurer Fehltritt. Wir erinnern uns, der Sommer 2010, RWE insolvent und nahezu mittellos. Als Konsequenz folgte der Zwangsabstieg sowohl für die „Erste“ als auch für die U23 in die damalige NRW- bzw. Landesliga. Was folgte war das Aufstiegswunder der „Wrobel“-Babes, als ein im Schwerpunkt aus Spielern der vorherigen U23 bestehender Kader auf einer Welle der Sympathie reitend die Konkurrenz in Grund und Boden spielte, den sofortigen Wiederaufstieg schaffte und sich sogar den Niederrheinpokal holte.

Der neue Vorstandsvorsitzende Marcus Uhlig hält diese von Harttgen initiierte und vom damaligen RWE-Chef Welling gebilligte „Auslöschung“ der U23 für einen sehr großen Fehler, den man alsbald zu korrigieren gedenkt. Möglich sei dabei auch, eine Spiel-Lizenz aus einer höheren Liga einzukaufen, um nicht in der Kreisliga C wiederbeginnen zu müssen.

Jawattdenn meint hierzu, nur mit einer guten U23 als Unterbau kann RWE zukünftig überhaupt noch Spieler aus dem eigenen Jugendbereich zu gestandenen Spielern entwickeln. Anderenfalls wird die Jugendabteilung nur Zulieferer für die Ersatzbank oder noch unterklassigere Vereine aus der Umgebung. Diese Truppe aus dem Nichts wieder aufzubauen geht jedoch nicht von heute auf morgen.

Hendrik Stürznickel & Sven Meyering

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