Stefan kann auf vier bewegte Jahre mit Rot-Weiss Essen zurückblicken.
Ein Auf- und zwei Abstiege, sechs (!) Trainer, unzählige Mit- und
Gegenspieler, anfangs viele positive und dann leider viele negative
Highlights. Während in den letzten Jahren der Kader jährlich genauso
verändert wurde wie die Ligenzugehörigkeit, waren die Lorenz-Brüder
eine der wenigen Konstanten.
Im Sommer 2005 wurde Stefan Lorenz von den Wolfsburger Amateuren als
Alternative für die Innenverteidigung verpflichtet. Doch bereits im
ersten Saisonspiel bei Kickers Emden erzielte „Atze“ zwei Tore, und
sollte in der folgenden Saison als absoluter Stammspieler keine einzige
Sekunde mehr verpassen. Am Ende stieg RWE als Meister der Regionalliga
Nord in die Zweite Bundesliga auf. Trotz der überragenden Saison von
Stefan verpflichteten die Verantwortlichen Martin Hysky und Thomas
Kläsener und setzten damit auf eine erfahrene Innenverteidigung. Doch
„Atze“ kämpfte um seinen Platz im Team. In der ersten Runde des
DFB-Pokals köpfte er zwei Minuten nach seiner Einwechslung das Tor des
Tages, Bundesligist Energie Cottbus schied durch das 0:1 an der
Hafenstraße aus. Unter Lorenz-Günther Köstner etablierte sich der
damals 25-jährige auf der für ihn ungewohnten Rechtsverteidigerposition.
Während fast der ganze Kader nach dem Abstieg das Weite suchte, blieben
die Brüder dem Verein treu. Stefan wurde zum Kapitän, erlebte aber die
wohl traurigste Spielzeit seiner Karriere. Nach anfänglichen
Verletzungsproblemen stand er erst am 8. Spieltag zum ersten Mal auf
dem Rasen, beim total vermurksten Saisonstart mit nur zwei Punkten aus
fünf Spielen konnte er nur von der Tribüne zu sehen. Mit ihm kam die
Stabilität zurück, in Babelsberg und gegen Wuppertal gewann sein Team,
aus Berlin entführte man immerhin einen Punkt. Auch beim Auswärtsspiel
in Bremen am 13. Spieltag sah es gut aus: RWE führte bereits 2:0, als
Stefan nach 52 Spielminuten auf dem Boden liegen blieb und wegen einer
Knieverletzung ausgewechselt werden musste. Nach einer gründlichen
Untersuchung steht die Verletzung fest: Kreuzbandriss! Die restliche
Saison fiel der Kapitän aus, und bis heute hat er nicht zu seiner alten
Verfassung zurückgefunden. Es lässt sich nach Belieben darüber
spekulieren, ob mit Stefan Lorenz der Klassenerhalt geschafft worden
wäre.
Ersatzkapitän und Bruder Michael übernahm die Binde. Seine Leistungen
passt er jedoch dem Niveau der Mannschaft an. Beim Absturz zu Beginn
der Rückrunde schafft er es nicht, entgegenzusteuern und die Mannschaft
mitzureißen. Seine teilweise übertriebene Gestik und Mimik wirkte etwas
hilflos, durch seine Leistung auf dem Platz kann er sich auch keinen
Respekt verschaffen. Bei den Fans kam das gar nicht an, bis heute ist
Michael deutlich weniger beliebt als sein Bruder. Im letzten
Saisonspiel gegen die schon abgestiegenen Lübecker hatte die führungs-
und kopflose Mannschaft die Möglichkeit eine verkorkste Saison doch
noch zu retten. Doch viele Spieler hatten schon bei anderen Vereinen
unterschrieben und sind nicht mehr bei der Sache, RWE unterlag 0:1 und
musste den Gang in die Viertklassigkeit antreten.
Groß war die Überraschung unter der Essener Anhängerschaft, als vor
Saisonbeginn bekannt wurde, dass sowohl Michael als auch Stefan bei
Rot-Weiss Essen bleiben. Um sie herum wurde eine Mannschaft aufgebaut,
die aus einigen anderen Routiniers, aber vor allem vielen jungen
Nachwuchskräften besteht. Der Start war verheißungsvoll, nach zwei
Siegen und 8:1 Toren ist man Tabellenführer. Doch die Ernüchterung
folgte. Schnell wurde klar, dass die Kaderbesetzung ein Fehler war, die
jungen Spieler konnten die durch Verletzungen und Sperren entstehenden
Lücken nicht füllen und selbst die erfahrenen Kräfte brachten immer
seltener ihre Leistung. Stefan fand nach seinem Kreuzbandriss nicht zu
alter Form. Als das Saisonziel Aufstieg schon so gut wie verfehlt war,
verbannte Michael Kulm Stefan und Michael beim Auswärtsspiel in
Wattenscheid auf die Tribüne. RWE verlor, Kulm musste gehen, Middendorp
kam. Der neue Trainer machte Michael zum Kapitän, doch selbst da saßen
teilweise beide Lorenze nur auf der Bank. Es zeichnete sich immer mehr
ab, dass Stefan, der im Gegensatz zu seinem Bruder kein gültiges
Arbeitspapier für die kommende Spielzeit besitzt, RWE den Rücken kehren
würde. Im Rahmen des letzten Heimspiels wurde der Abwehrspieler von den
Verantwortlichen verabschiedet.
Die Entscheidung von Thomas Strunz ist konsequent und absolut
nachvollziehbar. „Atze“ dürfte zu den Großverdienern im derzeitigen
Kader zählen, seine Leistung entspricht in diesem Jahr eindeutig nicht
der Vergütung. Er sollte Führungsspieler sein für eine junge
Mannschaft, wurde aber seiner Rolle größtenteils nicht gerecht und
zeigte nicht die gewünschte Leistung. Viele Zuschauer hatten das
Gefühl, dass sich beide Lorenzbrüder nach jedem Abstieg schnell dem
Durchschnittsniveau der Liga angepasst hatten. Trotzdem ist Stefan zu
einem kleinen Stück rot-weisser Geschichte geworden. Kein Spieler
erlebte in der jüngsten Vereinhistorie so viele Auf- und Abstiege. In
vier Jahren hat Atze in drei verschiedenen Ligen gespielt, und bisher
am Ende jeder Spielzeit die Ligenzugehörigkeit gewechselt.
Fußballerisch zählte Stefan nicht zu den Großen, aber er ist ein
Kämpfertyp und hatte nach den Abstiegen den Willen, „den Karren aus dem
Dreck zu ziehen“.
Lieber Stefan, manche sind glücklich, dass du bald nicht mehr dabei bist
und werden dir keine Träne nachweinen. Aber das, was Du von einigen
„Fans“ an den Kopf geknallt bekommst, hast du nicht verdient. Uns wird
der Spieler mit der Rückennummern 5 im nächsten Jahr fehlen.
Danke für
vier Jahre, in denen Du immer alles gegeben hast! Rinjehaun!