27.03.2014

Paradigmenwechsel an der Hafenstraße - Ein Kommentar

von Michael Jaskolla

„Und natürlich zahlen wir auch nicht schlecht!“ Mit diesen Worten beendet Uwe Harttgen im Reviersport-Interview vom 27.03.14 seine Antwort auf die Frage, wie man zur kommenden Saison gestandene Drittligaspieler an die Hafenstraße locken möchte.

Was Harttgen als Selbstverständlichkeit formuliert, wäre einem Doc Welling in den vergangenen Jahren wohl nicht einmal unter der Androhung, ihm ein Schalke- und HSV-Wappen auf die Wangen zu tätowieren, über die Lippen gekommen. Ein Satz, der beispielhaft für offensichtlich tiefgreifende Veränderungen im Verein steht, und zwar nicht nur auf einer Ebene.

Bierduschen für Doc Welling nach dem Oberliga-AufstiegEs ist noch nicht lange her, dass Dr. Welling in Wuppertal mehrere Bierduschen über sich ergehen ließ, während er mit der 2. Mannschaft den Wiederaufstieg in die Oberliga feierte und die Wichtigkeit dieses starken Unterbaus für die Erste Mannschaft und für das geplante Jugendleistungszentrum betonte. Das war gestern, heute droht der Zwoten das Aus, dabei wird wie selbstverständlich das Gegenteil von dem erzählt, was vier Jahre lang Gültigkeit besaß. Schade für die Mannschaft, die als einzige im Verein zur Zeit richtig Spaß macht. Aber für Sentimentalitäten ist im (ganz) neuen RWE auch kein Platz mehr, wie wir seit Wrobels Entlassung wissen.

Eine Selbstverständlichkeit war auch die immer wiederkehrende Aussage Wellings, dass – auch in Bezug auf die Trainerfrage - Stimmen aus dem Umfeld nicht handlungsleitend für den Verein seien und keinen Einfluss auf Planungen und Entscheidungen haben. Umso überraschender kam bezüglich der Kritik über die Art und Weise, wie Wrobel entlassen wurde, die Erklärung des Fanvertreters aus dem Aufsichtsrat: Im Verein hatte man Sorge, dass ein möglicher Übergangs- bzw. Interimstrainer so starke Ergebnisse einfährt, dass die Fans einen weiteren Trainerwechsel nicht verstehen würden. Abgesehen davon, dass dieser konstruierte Fall nach den letzten Leistungen der Mannschaft eher wie blanker Hohn und keineswegs wie ein realistisches Szenario rüberkommt, reicht offenbar inzwischen sogar eine befürchtete (aber keineswegs sicher eintreffende) Reaktion der Fans aus, um einem verdienten Trainer einen nicht ganz optimalen Abgang zu verpassen. Der Fan kann jetzt also doch (ohne es zu ahnen) handlungsleitend sein!

Man könnte noch weitere Punkte aufzählen, wie z.B. die im RS-Interview angedeutete Abkehr von der Verpflichtung junger Spieler. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um die getroffenen Entscheidungen, es geht um die plötzliche 180°-Drehung, um den Paradigmenwechsel, der hinter diesen Planungen und Aktionen steht.

Umbruch für eine bessere Zukunft? Welling, Fascher, Harttgen.Was ist also in den letzten Wochen geschehen? Hat Doc Harttgen aus dem Doc Welling den Doc Wendehals gemacht? Oder hat der ohne Stallgeruch und Betriebsblindheit an die Hafenstraße gewechselte Bremer ihm einfach die festgewachsene Rot-Weisse Brille abgenommen und klar vor Augen geführt, dass er mit seinen bisherigen Trainern und Grundsätzen in den kommenden Jahren nicht mehr als die goldene Ananas gewinnen wird?
Zumindest kann man sagen, dass mit Uwe Harttgen nach zwei Trainer- und einer drohenden Mannschaftsentlassung innerhalb weniger Tage eine professionelle Kälte Einzug in den Verein erhalten hat. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich zeigen.

Der neu eingeschlagene Weg muss ja kein falscher sein, es gibt auch gute Argumente für die Abschaffung der Zwoten, keine Frage. Aber wenn man gestern Hü und heute Hott sagt, dann deckt das Widersprüche und wirft Fragen auf, die erst geklärt werden müssen, um als Anhänger nachvollziehen zu können, was gerade im Verein geschieht und welche Grundsätze für den Verein in Zukunft handlungsleitend sind.

Über einen Punkt müssen sich die Verantwortlichen aber im Klaren sein: Sollte die Zweite Mannschaft tatsächlich abgeschafft werden, um den Etat der Ersten aufstocken zu können, dann wird man sehr wahrscheinlich niemandem mehr mit einem weiteren Welling´schen Grundsatz kommen dürfen: Geduld haben. Die Geduld gehört eh nicht zu den stärksten Eigenschaften der RWE-Anhängerschaft, und diese wird auch unter denjenigen, die das bisherige (alte) Konzept mitgetragen haben, mit einer solchen Maßnahme mächtig schwinden. Das einzig vermittelbare Saisonziel kann unter diesen Bedingungen nur „Platz 1“ lauten! Platz 5 hatten wir auch schon mit zweiter Mannschaft und unter Wrobel.

Es bleibt zu hoffen, dass Welling zumindest einen alten Grundsatz mit in das "neue RWE" herübergerettet hat – nämlich maximal das auszugeben, was sicher eingenommen wird.

RWE 2.0 oder Strunz-RWE reloaded? Man wird sehen…