Nächste Ausfahrt: Uhlenkrug - Ein Kommentar
Der März ist wirklich kein guter Monat in der jüngsten Rot-Weissen Vereinsgeschichte: Im März 2014 wurde Waldemar Wrobel entlassen, genau ein Jahr später wurde der Verein durch „Harttgengate“ erschüttert, aber verbunden mit der Hoffnung, dass mit dem Eingeständnis der Fehlbesetzungen Harttgen und Fascher wieder Ruhe im Verein einkehren würde.
Die Hoffnung zerschlug sich, wir haben im März 2016 ein Déjà-vu: Erneut stehen der Sportliche Leiter und der Trainer massiv in der Kritik, und angesichts der desaströsen sportlichen Situation mit dem Absturz auf Platz 16 gehen inzwischen sowohl den Optimisten als auch den Freunden der kontinuierlichen Arbeit ohne großem Personalwechsel die Argumente langsam aus. Der lange anhaltende Glaube an eine Wende zum Positiven wird durch die nackte Angst vor einem Lübeck reloaded mehr und mehr unterdrückt. Das schlechte Vorbild sitzt in Uerdingen, wo die Verantwortlichen in der vergangenen Saison in ihrer unnachahmlich unsympathischen Art ebenfalls sehr lange meinten, dass ihre Mannschaft zu Höherem berufen und das Abrutschen in den Tabellenkeller mit (Verletzungs-)Pech und Schiedsrichter-Entscheidungen zu erklären sei. Atmosphärische Störungen zwischen Trainer und Spielern gab es dort in der Rückrunde auch dort, das Ende ist bekannt. Und wie schwierig es ist, trotz eines hohen finanziellen Aufwands der Oberliga direkt wieder nach oben zu entfliehen, bekommt man in Krefeld zurzeit genau zu spüren.
Das soll uns erspart bleiben. Allerdings hat sich die feste Überzeugung, mit dem Klassenerhalt zumindest das bescheidenste aller eh nur noch bescheidenen Saisonziele zu erreichen, schon einem Downgrade unterziehen müssen und ist zur puren Hoffnung auf den Klassenerhalt mutiert – und selbst diese schwindet mit jedem weiteren sieglosen Spiel. Seit dem 4. Tabellenplatz in der Abschlusstabelle der Saison 2012/13 unter Wrobel entwickelten sich die finanziellen Möglichkeiten des Vereins antiproportional zur sportlichen Leistung, die nun mit dem 16. Tabellenplatz und der Suspendierung zweier Spieler einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Sicher ist: Wenn man nach 25 Spielen als vermeintlicher Spitzenclub auf einem Abstiegsplatz steht, dann sind die Gründe dafür nicht mehr nur beim Verletzungspech, bei den Schiedsrichtern und beim Fußballgott zu suchen. Die Kernprobleme sind hausgemacht und betreffen (entgegen sämtlicher Beteuerungen) auch das Verhältnis zwischen einzelnen Spielern und Siewert. Dr. Welling hat zu Beginn des Jahres im RWE-Forum Fehler eingestanden, die im sportlichen Bereich gemacht wurden, allerdings ohne diese konkret zu benennen. Winkler und Siewert haben öffentlich bislang noch keine Fehler eingeräumt oder gar benannt, so dass ich im Folgenden versuchen werde, eine Reihe von unglücklichen oder zumindest diskussionswürdigen Entscheidungen im personellen und sportlichen Bereich zusammenzustellen, die zur aktuellen Situation beigetragen haben können.
Die Besetzung der Sportlichen Führung
Nach den schlechten Erfahrungen mit Harttgen war die Entscheidung, mit Winkler einen Mann mit Stallgeruch zu befördern, hinreichend begründet und nachvollziehbar. Unstrittig sind auch Winklers jahrelange erfolgreiche Arbeit im Jugendbereich und seine Loyalität zum Arbeitgeber. Diskussionswürdig war allerdings schon vor der Saison die Frage, warum man neben Winkler, der zuvor noch nicht in leitender Funktion im Seniorenfußball tätig war, einen jenseits der Jugend ebenso unerfahrenen Trainer verpflichtet und diesen auch noch mit einem Dreijahres-Vertrag ausgestattet hat. Diese Vorgehensweise hatte und hat einen Hauch von Russisch Roulette.
Die Doppel-Neuling-Lösung war vom Ansatz her zwar sympathisch, führte aber schon früh zu Problemen. Erschwerend kam hinzu, dass die von Winkler neu definierte Spielphilosophie („aggressiv, leidenschaftlich, mutig, offensiv“; kurz: Hafenstraßenfußball) meist überhaupt nicht mit dem tatsächlich dargebotenen Fußball in Einklang zu bringen war, auch wenn Dr. Welling das Interpretationsfenster zu den obigen Attributen so weit es nur geht zu öffnen versuchte. Aber wenn der Fußball unserer Mannschaft aus vereinsinterner Sicht zum Anforderungsprofil passt, dann haben wir Fans nicht viel Spaß mit dem Hafenstraßenfußball. Das, was sich die Anhänger unter Hafenstraßenfußball vorstellen, bekamen sie genau zweimal zu sehen: in der Hinrunde gegen Fortuna Düsseldorf und in der Rückrunde gegen Mönchengladbach. Auch auf dem Platz ähnelt die gebotene Offensivleistung immer mehr dem torchancenarmen Fascher-Fußball, nur dass die Gegner unsere jetzigen spielerischen Defizite am Boden und nicht in der Luft entlarven.
Nun gut, dass nicht alles sofort glatt laufen würde – geschenkt. Damit musste man rechnen, wenn man sich entschließt, die entscheidenden Positionen mit zwei Neulingen zu besetzen. Dass die Problemfelder und Fehlentscheidungen das derzeitige Ausmaß erhalten würden, damit haben allerdings vermutlich nur Wenige gerechnet.
Die Mannschaftshierarchie
Es war klar, dass die Mannschaft im Sommer verjüngt werden musste. Allerdings wurde das Team nicht einfach nur verjüngt, sondern man ist von dem einen Extrem unter Fascher, der junge Spieler im Grunde völlig ignorierte, in das andere Extrem, nämlich einen wahren „Jugendwahn“, gewechselt. Unter den zwölf Neuzugängen im Sommer waren mit Behrens und Windmüller gerade einmal zwei Spieler dabei, die nicht in die U23-Kategorie gehören. Musste die Verjüngung direkt im ersten Jahr so radikal ausfallen? Warum hat man sich nicht zumindest zwei Jahre lang Zeit gegeben, gerade mit dem Wissen, dass die eigene starke A-Jugend im Sommer 2016 sehr viele Spieler aus dem Altjahrgang auf den Markt wirft?
Gut, man hat sich für den radikalen Umbruch-Weg entschieden, das allein musste aber noch nicht zum großen Problem werden, denn die Grundidee für diese Saison war ja keine schlechte: Der Stamm der Mannschaft mit ihrer gewachsenen Hierarchie rund um die recht erfahrenen Leistungsträger wie Zeiger, Weber, Binder, Baier, Grebe, Platzek und Studtrucker wurde zusammengehalten und diesen galt es sinnvoll zu verstärken, gerne mit jungen Spielern. Aber Jan Siewert hatte seine eigene Vorstellungen: er riss die hierarchischen Strukturen auseinander und ernannte den jungen Fritz zum neuen Kapitän. Fritz gehört zwar sicherlich zu den (wenigen) starken Neuzugängen, aber welche Not gab es, einen neuen jungen Spieler, der verletzungsbedingt fast die gesamte Vorbereitung fehlte und zudem nur einen Einjahresvertrag unterschrieben hatte, direkt zum Kapitän zu ernennen?
Das hat mannschaftsintern zumindest zu Irritationen geführt und die Teambuildungsmaßnahmen erschwert. Das erste Saisonspiel gegen Wiedenbrück bestritt Siewert schließlich mit sechs Neuzugängen – also mit ebenso vielen wie Fascher im Jahr zuvor zum Saisonauftakt gegen Lotte. Spieler wie Baier oder Platzek saßen auf der Bank. Das wäre sicherlich in Ordnung gewesen, wenn die neuen Spieler sich wirklich als stärker entpuppt hätten. Aber die neuen Hierarchien griffen nicht und die Mannschaft spielte wie das, was sie auch war: neu zusammengewürfelt. Inzwischen hat Siewert einige Korrekturen vorgenommen, Zeiger und Baier gehören zum Beispiel wieder zu den absoluten Leistungsträgern im Team. Zeiger ist der Kopf der in der Rückrunde weitgehend sicher stehenden Defensive, während Baier mit seinen Fernschüssen schon so etwas wie eine Lebensversicherung für die ansonsten im doppeldeutigen Sinne sehr flügellahme Offensive ist. Zudem hat sich Baier (im Gegensatz zu Kapitän Fritz) bereits zu einer rot-weissen Zukunft bekannt und seinen Vertrag verlängert und gehört zu den Spielern, die in Fankreisen voll akzeptiert sind. Das sind leider nicht viele.
„Wir sind Essener – und ihr nicht!“
Schon im Vorjahr hatte die von Fascher und Harttgen initiierte hohe Fluktuation im Kader zur Folge, dass die Anhängerschaft keine richtige Bindung zur neuen Mannschaft aufbauen konnte. In diesem Jahr sollte das anders werden, und dieses Vorhaben begann vielversprechend mit diversen (unter Harttgen noch gestrichenen) Kennenlerntreffen und einer Vorfreude weckenden Vorbereitung. Nach dem unglücklichen Pokal-Aus gegen Düsseldorf prasselte gar ein wahrer „Candystorm“ auf die Mannschaft nieder, aber das im Pokalspiel gezeigte Engagement wurde leider viel zu selten auf die Meisterschaftsspiele übertragen. Trotzdem zeigte sich die Anhängerschaft geduldig mit der Mannschaft, Pfiffe waren im Stadion auch bei schwachen Auftritten wie beim 1:0-Zittersieg gegen Wegberg seltene Ausnahmen, die zu Saisonbeginn getroffenen Maßnahmen griffen. Aber viele schmerzhafte Pleiten später war der Kredit schließlich aufgebraucht. Haben die (nur noch wenigen) mitgereisten RWE-Fans die 1:1-Schmach beim Rückspiel in Wegberg nach Spielschluss noch mit erschrockenem Schweigen zu verdauen versucht, so platzte den Anhängern in Düsseldorf erstmals der Kragen. „Siewert raus“ und das obige Zitat waren noch die harmloseren Äußerungen. Das Band zwischen Fans und Mannschaft ist (vorerst) zerschnitten. Aber hat es überhaupt schon ein nennenswertes Band gegeben?
Sagenhafte 20 (!) Spieler haben Winkler und Siewert in den wenigen Monaten seit der Entlassung Faschers verpflichtet, 22 Spieler mussten oder durften gehen. Damit haben sie das kaum für möglich gehaltene Kunststück fertig gebracht, die Transferorgie der beiden Nordlichter (16 Neue, 17 Abgänge innerhalb von neun Monaten) noch deutlich zu übertreffen. Inzwischen ist es in diesem Verein völlig normal, dass Spieler wieder verschwunden sind, bevor man ihre Namen überhaupt zu buchstabieren gelernt hat (Al-Kalaf?) Wie soll man sich bei einer solchen Fluktuation überhaupt mit einer Mannschaft identifizieren können? 36 neue Spieler innerhalb von knapp zwei Jahren, ohne dass ein Abstieg größere Kaderveränderungen aus finanziellen Gründen zwingend erforderlich machte. Das dürfte ein neuer Vereinsrekord sein, und zwar ein trauriger, wenn man berücksichtigt, wohin uns diese Transferpolitik in der Tabelle geführt hat.
Wir stehen stimmungsmäßig inzwischen wieder dort, wo wir vor einem Jahr auch standen: Man klammert sich an die wenigen Spieler, mit denen man sich irgendwie im RWE-Trikot anfreunden kann. Im vergangenen Jahr war es Grund, weil er nicht nach Fascher roch. In diesem Jahr ist es wie erwähnt Baier, weil er kämpferisch vorangeht und für die wenigen Offensiv-Highlights sorgt. Den anderen, Studtrucker, werden wir in der kommenden Saison sicher nicht mehr wiedersehen, sollte Siewert Trainer bleiben.
Die bisherige Erfahrung als RWE-Fan lässt die Prophezeiung zu, dass die Mannschaft in den kommenden Spielen bedingungslose Unterstützung von der Westkurve nicht mehr voraussetzen kann, sondern sie wird sie sich durch Leistung erarbeiten müssen. Es ist zu befürchten, dass es gegen Verl nach den ersten Fehlpässen oder gar einem Gegentor direkt ungemütlich im Stadion werden wird, die Erinnerungen an Faschers letztes Spiel gegen Rödinghausen kommen wieder hoch.
Die Sommertransfers
Von Freundschaftsspielen kann man nicht auf Meisterschaftsspiele schließen - um diese Erfahrung sind die Sportliche Führung (und auch wir Fans) reicher. Was waren wir während der Vorbereitungsphase begeistert, als Cekic und Rabihic die gegnerischen Abwehrspieler wie Slalomstangen stehen ließen und am Ende toll herausgespielte Tore zum Zungenschnalzen beklatscht werden konnten! Gerade Rabihic galt als später „Königstransfer“, bei dem man sich fragte, weshalb 1860 den überhaupt hat ziehen lassen und weshalb keine andere Mannschaft längst zugegriffen hatte. Heute haben wir ein paar Ideen, warum. Die im Vergleich zu Freundschaftsspielen ganz anders motivierten und kämpfenden Gegner haben keine großen Probleme, Rabihic aus dem Spiel zu nehmen, wenn sie sich ihm als Wadenbeißer entgegenstellen. Rabihics im Abstiegskampf kaum brauchbare Hacke-Spitze-Einszweidrei-Spielweise und seine uneffektive Ballverliebtheit führen im Fanblock inzwischen eher zu anschwellenden Halsschlagadern als zum Zungenschnalzen.
Keine Frage: Wir Fans haben uns auch blenden lassen. Aber im Gegensatz zu uns muss man von einem professionellen Trainerteam erwarten können, dass es zwischen Trainings-, Test- und Meisterschaftsspiel unterschieden und das tatsächliche Leistungsvermögen richtig einschätzen kann. Und Rabihic ist nicht der einzige, von dem sich die Verantwortlichen viel versprochen, aber bisher bestenfalls „Durchschnitt“ erhalten haben. Dazu zählt auch Jesic, wobei "Durchschnitt" bei ihm schon geschönt wäre. Der mit der Empfehlung von 11 Treffern vom FC Köln II gekommene Mittelfeldspieler hat in Essen aber sowohl vor als auch nach seiner Verletzungspause seine Torgefährlichkeit nicht einmal andeuten können und seine Zweikampfbilanz weist erschreckende Werte auf. Alle seine bisherigen Auftritte bewegten sich im Rahmen von "gerade noch akzeptabel" bis "Totalausfall", nach der Winterpause mit eindeutiger Tendenz zu letzterem. Im Gegensatz zu Rabihic, der der auch brauchbare Auftritte vorzuweisen hat, ist Jesic ganz weit weg von einem Stammplatz. Trotzdem traf der Suspendierungs-Bannstrahl des Trainers Rabihic, obwohl Jesic schon viel mehr Argumente für eine solche Aktion lieferte.
Jeffrey Obst war laut Winkler der Wunschspieler für die rechte Verteidigung, für den man sogar bereit war eine Ablöse zu zahlen. Das erste Jahr in Essen kann man jedoch schon jetzt als äußerst durchwachsen bezeichnen, nachdem er sich beim Saisonauftakt direkt mit einer absolut unnötigen Roten Karte im Mittelfeld einführte und die Mannschaft somit auf die Verliererstraße brachte. Bisher war nicht zu erkennen, dass wir uns mit ihm gegenüber Dombrowka verbessert haben. Bleibt die Hoffnung, dass er als 22-jähriger noch einen ordentlichen Entwicklungssprung vor sich hat.
Die Personalie Behrens endete im totalen Fiasko, ohne dass man als Außenstehender beurteilen kann, wer welchen Anteil daran hatte.
Fritz muss man dagegen zu den echten Verstärkungen zählen, mit Abstrichen auch Cokkosan und Windmüller. Alle anderen Sommertransfers haben die Mannschaft in der Spitze (noch) nicht weitergebracht und die Abgänge (wenn überhaupt) nur gleichwertig ersetzt. Einige Verpflichtungen wie die von Olwa-Luta bleiben dabei völlig unverständlich, auch wenn sie von Beginn an nur als Perspektivverpflichtungen bezeichnet worden sind. Es stellte sich aber heraus, dass Olwa-Luta selbst für Kurzeinsätze nicht zu gebrauchen war und seine Perspektive in Essen endete folglich schon im Winter. Es blieb ein Kopfschütteln bezüglich der Sinnhaftigkeit der Verpflichtung, denn in den Jahren zuvor wurden in Essen schon junge Stürmer weggeschickt, die wesentlich weiter in ihrer Entwicklung waren als Olwa-Luta.
Es gibt noch einige weitere diskussionswürdige Entscheidungen, die man hier anführen könnte, z.B. ob es richtig war, mit Freiberger einen Regionalliga-Torjäger ziehen zu lassen mit dem Wissen, dass sich der noch vertraglich gebundene Kreyer bei RWE nicht richtig wohl fühlt oder ob man junge Spieler mit wenig Perspektive auf Spielpraxis aus Bayern und Sachsen verpflichten muss? Unabhängig von möglichen Antworten zu diesen Fragen bleibt als Fazit der Sommertransferperiode der Eindruck, dass uns unter den vielen Neuzugängen zu wenige in der Spitze verstärkt haben, um das ausgegebene Saisonziel zumindest annähernd zu erreichen.
Die Wintertransfers
Aus dem Transferverhalten im Januar kann man indirekt auf Fehlereingeständnisse schließen, allein schon durch die ebenfalls rekordverdächtige Zahl von acht Winterneuzugängen.
Der Mangel an Erfahrung sollte mit Löning geschlossen werden, und die Verträge mit den selbst für die Kaderplätze 21 und 22 zu schwachen jungen Spielern wurden aufgelöst. Diverse neue Spieler sollten nach den geräuschvollen Abgängen von Soukou und Behrens das große qualitative Vakuum in der Offensive schließen. Geräuschlos ging dabei aber auch der Wechsel von Yesilova aus Kray an die Hafenstraße nicht über die Bühne, bezüglich seiner Verletzung gab es widersprüchliche Aussagen aus beiden Lagern.
Interessant ist die Verpflichtung des Bochumer Gulden: Ein Transfer, der unter Wrobel nicht getätigt worden wäre, weil man damals grundsätzlich keine Spieler für ein halbes Jahr verpflichten wollte (oder wie Dr. Welling es uns gegenüber ausdrückte: „Wir holen im Winter keinen Spieler für ein halbes Jahr, um statt Zehnter Achter zu werden.“) Nun stecken wir aber im Abstiegskampf und da ist es entscheidend, ob man 16. oder 14. wird. Und dabei klammert man sich wohl an jeden Strohhalm, also wurde Gulden trotz seiner Drüsenfieber-Erkrankung und der damit verbundenen hohen Ausfallwahrscheinlichkeit für sechs Monate verpflichtet. Im besten Fall hilft er in ein paar Spielen, im schlechtesten (wahrscheinlichen) Fall hilft er nicht. Ist Gulden also noch eine plausible Verpflichtung oder schon ein Panikkauf? Das kann man sicher von beiden Seiten sehen, der Grat zwischen beiden Formen ist hier sehr schmal.
Als Fakt bleibt aber völlig ohne Schuldzuweisungen: Von allen Winterneuzugängen helfen uns vier verletzungsbedingt überhaupt nicht weiter. Von den einsatzbereiten Spielern ist Ivan nach den ersten Eindrücken eine Verstärkung, Lönings Leistungen sind für einen Spieler seiner Klasse eher durchwachsen. Bleibt noch Osvold, der nach seinem erschreckend schwachen Startelf-Debüt in Wegberg zuletzt nur noch auf der Tribüne Platz nehmen durfte. Nach Winkler handelt es sich bei Osvold um einen „qualitativ hochwertigen“ Stürmer, den man „zwei Trainingswochen genau beobachten“ konnte. Bisher konnte er unserer qualitativ weniger hochwertigen Offensive nicht weiterhelfen. Vielleicht entwickelt er sich noch, aber mein Gefühl will mir einreden, dass er trotz eines Vertrages bis 2017 nach der Sommerpause nicht mehr nach Essen zurückkehren wird. Hält jemand dagegen?
Es bleibt die Frage nach der Strategie, die hinter der gesamten Transferpolitik steckt. Vielleicht Trial and Error? Wir verpflichten mal einen Haufen Spieler, da werden schon ein oder zwei Kicker dabei sein, die uns weiterhelfen? Welche Ideen und Vorstellungen Winkler und Siewert auch immer hatten, sie haben weder in der Hinrunde, noch in der bisherigen Rückrunde zum gewünschten Erfolg geführt.
Eine Frage der Psyche?
Die Mannschaft brauche ein Erfolgserlebnis, das bekommen wir quasi seit dem ersten Spieltag mantraartig zu hören. Aber weder der 9:1-Erfolg gegen Erndtebrück konnte Selbstvertrauen schaffen (es hielt gerade einmal 15 Spielminuten, bis das erste Gegentor in Wattenscheid die Mannschaft wieder in sich zusammenfallen ließ), noch die beiden 1:0-Siege gegen Wegberg und Velbert (das einzige Mal, dass zwei Siege in Folge gelungen waren), worauf die beiden leistungsschwachen Auswärtspleiten in Köln und Mönchengladbach folgten. Zuletzt lobte Siewert (zurecht) den Auftritt gegen Mönchengladbach und sprach davon, dass der Sieg über Kray der Mannschaft Selbstvertrauen gebracht habe – aber auch dieses Selbstvertrauen muss wohl auf der A52 Richtung Düsseldorf direkt wieder aus dem Mannschaftsbus gefallen sein. Ohne Mumm, ohne Pressing, ohne Spielwitz, ängstlich wie das Kaninchen vor der Schlange begegnete man der Fortuna. Man igelte sich ein, „die Null muss stehen“ schien entgegen anderer Ankündigungen die Marschroute für diese Partie gewesen zu sein. Nach dem Gegentreffer wartete man vergeblich auf irgendeine Form der Schlussoffensive. Offenbar braucht die Mannschaft erst das Selbstvertrauen aus einer ganzen Siegesserie, bevor sie eine Siegesserie starten kann - da beißt sich die Katze in den Schwanz. Deshalb stellt sich so langsam die Frage, inwiefern die zahlreichen (häufig in der Schlussphase) vergeigten Spiele nicht viel mehr qualitative statt psychologische Ursachen haben?
Muss der Trainer gewechselt werden?
Es wird von Woche zu Woche schwieriger, hier überzeugende Argumente pro Siewert zu liefern. Die Saison verläuft desaströs, und zwar auf allen sportlichen Ebenen: bei der Transferpolitik, dem Teambuilding, dem Verhältnis zwischen einigen Spielern zu Siewert, bei der Umsetzung von Hafenstraßenfußball und natürlich in Bezug auf die nackten absoluten Zahlen der Regionalligatabelle. Im Winter wurden keine Kosten gescheut, um der sportlichen Führung optimale Arbeitsbedingungen für die sportliche Wende zu bieten. Das Trainingslager im sonnigen Antalya bot hervorragende Möglichkeiten für Training und Teambuildingsmaßnahmen, und Winkler und Siewert durften mit dem Einkaufswagen über den Transfermarkt fahren. Weitergebracht haben und diese Maßnahmen bisher nicht, im Gegenteil.
Man könnte an dieser Stelle natürlich auch die vielen nicht nachvollziehbaren oder unglücklichen öffentlichen Äußerungen von Siewert auseinandernehmen, aber das wäre zu banal. Bisher wurden jedem in der Kritik stehenden Trainer die Worte im Mund umgedreht, um vermeintliche Inkompetenz oder Ratlosigkeit "nachzuweisen".
Im Grunde bleiben inzwischen nur noch pragmatische Gründe pro Siewert: Wollen wir wirklich wieder einen neuen Trainer, der eigene Vorstellungen hat, der wieder x neue Spieler verpflichtet und diverse Verträge (falls finanziell überhaupt machbar) auflösen lässt, der wieder Zeit braucht, um eine Mannschaft zu formen? Dazu kämen – sicher auch kein unwesentlicher Faktor – noch zwei Jahre fortlaufende Gehaltszahlungen ohne Gegenleistung. Zudem ein statistisches Argument: Wann hat uns ein Trainerwechsel im laufenden Abstiegskampf zuletzt den Klassenerhalt beschert? Aber selbst wenn der Klassenerhalt mit Siewert erreicht würde – sowohl er als auch Winkler würden „angezählt“ in die kommende Saison gehen und ein Fehlstart würde dann die Stimmung im Gegensatz zu dieser Saison sicher sehr schnell kippen lassen, so wie wir es in Wrobels letzter Saison erlebt hatten.
Muss man den Trainer also wechseln? Keine Ahnung. Aber im Falle einer weiteren Niederlage gegen Verl würden dem Aufsichtsrat inzwischen vermutlich keine Optionen mehr bleiben.
Fazit
Es ist sportlich fast alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. Vor der Saison hat man in Fankreisen als Worst-Case-Szenario ein Aufbaujahr im gesicherten Mittelfeld angesehen, aber ganz sicher keine intensiven Abstiegsgefahr in Kombination mit weitgehend schwachen Offensivleistungen. Immer dann, wenn es zarten Grund zum Optimismus gab, folgte alsbald ein herber Rückschlag. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison und das Trainerteam hat es trotz zahlreicher Kaderkorrekturen und viel Zeit und Geduld nicht geschafft, die seit Saisonbeginn existierenden Kernprobleme (Teambuilding, Offensive, Tabellenplatz) zumindest so weit in den Griff zu bekommen, dass wir uns aus dem gröbsten Abstiegskampf heraushalten können. Es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen kann, bisher hat man die richtigen offenbar nicht gefunden. Die zuletzt bediente Schraube ist die Suspendierung von Studtrucker und Rabihic, was insbesondere im Falle Studtrucker den eh schon schwachen Sturm noch weiter schwächt.
Bevor sich die Oberliga-Schlinge aber ganz zuzieht, muss irgendetwas geschehen. Ob die Probleme mehr auf der Trainerbank oder im Kader zu suchen sind, gilt es dabei intern zu klären. Nach dem erneuten schlimmen Auftritt in Düsseldorf in unserer präkeren Situation kann man aber nicht mehr einfach nur zum Tagesgeschäft übergehen und Trainer und Mannschaft Weiterwursteln lassen wie bisher. Die Glück/Pech/Schiedsrichter-Alibikarten sind von allen Beteiligten zur Genüge ausgespielt worden, der Ton muss schärfer und fordernder werden, gebauchpinselt wurde genug. Hülsmann hat heute diesbezüglich einen Anfang gemacht und die Mannschaft verbal in die Pflicht genommen. Gerne darf aber auch mal Andreas Winkler, der eigentlich Verantwortliche für Trainer und Mannschaft, Dr. Welling als Blitzableiter entlasten, sich deutlich positionieren und dabei mal mehr als die üblichen, nichtssagenden "Wir werden die Niederlage analysieren und bereiten uns auf das nächste Spiel vor"-Standardworthülsen von sich geben. Die Monate des Trial and Errors sind für Winkler, Siewert und den Aufsichtsrat vorbei, die in den diesen Tagen getroffenen und noch zu treffenden Entscheidungen auf und neben dem Platz müssen sitzen, um die vielen Jahre der sportlichen und finanziellen Aufbauarbeit nach dem Insolvenzverfahren nicht mit einem Schlag zunichte zu machen. Und wir können nur hoffen, dass die Verantwortlichen zumindest diesmal ein glückliches Entscheidungshändchen beweisen.
Michael Jaskolla