Zweitligajährlich grüßt das Murmeltier...
oder RWE und das Unterhaus
Der geneigte Essener Anhänger fragt sich
in diesen Tagen, „Was habe ich nur verbrochen?“
Wurde die Uhr vor wenigen Wochen erst von Sommer-
auf Winterzeit zurück gestellt, so wird im Moment
analog dazu die Essener Zweitligauhr scheinbar wieder
auf die Spielzeit 2004/05 zurück gefahren. Ähnlich
prekär zeigt sich die Tabellensituation, ähnlich
schlecht bis katastrophal ist die Stimmungslage an
und rund um die Hafenstraße. Gerade ist das
0:1 gegen Mitaufsteiger TuS Koblenz in die Annalen
eingegangen, da wandert der Blick unwillkürlich
zurück in vergessen gehoffte Zeiten.
Wir erinnern uns, kein Spieler, der vor zwei Jahren
den direkten Wiederabstieg erlebte, befindet sich
noch im Kader. Sieht man vom ausgemusterten, aber
noch im Verein befindlichen Hilko Ristau ab. Das Trainergespann
Uwe Neuhaus und Peter Kunkel erlebten nur die Endphase
einer zu diesem Zeitpunkt bereits restlos verkorksten
Saison mit. Der glücklose sportliche Leiter Frank
Kontny wurde ersetzt durch Olaf Janßen. Und
trotz dieser signifikanten personellen Veränderungen
tritt RWE im Herbst 2006 leider scheinbar genauso
sang- und klanglos den Weg zurück in die Drittklassigkeit
an. Die Parallelen sind frappierend.
Vor zwei Jahren führte eine nicht konsequent
durchdachte Kaderplanung zu einer schnellen Ernüchterung.
Die Abwehr erwies sich als Schießbude und die
Mannschaft wurde entweder schon früh oder meist
in der Schlussphase ihrer Siegträume beraubt.
Gegen Köln und Frankfurt gingen die Punkte in
buchstäblicher letzter Sekunde flöten, anderswo
erntete man Packungen wie z. B. beim 1:5 gegen Aue
oder dem 1:4 gegen den KSC.
Gewarnt vor diesem Szenario setzte Essens neue sportliche
Leitung diesmal darauf, den wunden Punkt der Defensive
frühzeitig zu kurieren. Mit Thomas Kläsener
und Martin Hysky kamen zwei erfahrene neue Innenverteidiger,
auf links sollte der Youngster Pascal Bieler für
Konstanz nach hinten und Schwung nach vorne sorgen.
Nach den Erfahrungen mit der damaligen „Nummer
1“ Robert Wulnikowski griff man jetzt beherzt,
wohl zu beherzt auf dem Torhüter-Basar zu. Andre
Maczkowiak und Dirk Langerbein, den etatmäßigen
Regio-Keepern, wurden Daniel Masuch von RW Oberhausen
und als öffentlich verkündetes Schmankerln
Karim Zaza von Bröndby IF zugesellt. Bedingt
dadurch, dass in Tor und Verteidigung auch kaum Abgänge
im Vergleich zur Vorsaison zu verzeichnen waren, herrschte
von nun ab ein Überangebot und ein gesunder Konkurrenzkampf
auf dieser zuvor so schwierigen Ebene. Sollte man
meinen. Nun, die Defensive und die Keeperposition
sind diesmal nicht die neuralgischen RWE-Punkte. Zwar
mehren sich auch dort die Fehlleistungen, doch echte
Kopfschmerzen bereitet nun die Offensive.
Essen und das Toreschießen in Liga zwei, das
sind in dieser Saison zwei Punkte, die sich wohl ausschließen.
In sage und schreibe 5 Auswärtspartien trafen
die Essener sage und schreibe 0 Mal in des Gegners
Tor. Diese Bilanz war für einen Away-Zähler
gut. Im heimischen GMS netzten die Rot-Weissen hingegen
immerhin 11 Mal in sechs Partien. Viermal allein aber
gegen Jena, wo man bezeichnenderweise auch selbst
vier Gegentore schlucken musste. So kamen 8 Zähler
hinzu. Der Angriff mit Arie van Lent, Alex Löbe
und Danko Boskovic im Sturmzentrum ist aufgrund der
Gleichartigkeit dieser Spielertypen zu berechenbar
besetzt. Der Verlust des torgefährlichen Mittelfeldstrategen
Ali Bilgin konnte ebenfalls nicht kompensiert werden.
Der Portugiese Paulo Sergio hat zwar einen glanzvollen
Namen, bevölkert aber leider mehr die Reha-Zentren
der Sportrepublik als das grüne Rasenrechteck.
Die Marke schneller Konterstürmer findet sich
am ehesten in Serkan Calik, der sich zwar aufopferungsvoll
bemüht, aber eben noch keine Zweitligareife besitzt.
Fazit, was man sich in der Defensive aufbaute, haute
man sich in der „Offensive“ wieder über
den Haufen. Genau genommen wiederholte RWE die Planungsfehler
von 2004, nur jetzt in der Abteilung „Attacke“,
deren Hornsignale bislang in den Weiten der Zweitligaarenen
ungehört verhallen. Dieser Umstand ist umso erstaunlicher,
als dass dieses Szenario bereits in der Frühphase
der Saisonvorbereitung in den Köpfen mehrfach
durchgespielt wurde. Unglückseligerweise allerdings
nicht in denen der sportlich Verantwortlichen, sondern
in denen der Fans, die fortwährend im Internetforum
mahnten, dass der Angriff so nicht gut genug besetzt
sei. Immerhin hatte Arie van Lent gerade erst eine
Bandscheiben-Operation hinter sich, war Alex Löbe
in der Vorsaison ebenfalls lange verletzt und genau
wie der Niederländer nicht mehr der Jüngste.
Hobbytrainer haben sehr häufig Unrecht, leider
nicht in diesem speziellen Fall.
So findet sich letztlich ein Kader wieder, der durch
vier Torhüter (sic!), einem Überangebot
an defensiv ausgerichteten Spielern und einem defizitär
ausgestatteten Angriff gekennzeichnet ist. Dass man
„Kaderleichen“ wie Ristau und Langerbein
nicht an den Mann bringen konnte und ihre Gehälter
ohne sportlichen Gegenwert weiter übernehmen
darf, sind das I-Tüpfelchen auf die Gesamtsituation.
Wohl auch diese Personalien verhinderten eine erforderliche
Verstärkung des Sturms. Das Näschen, was
Uwe Neuhaus und Olaf Janssen bei der Zusammenstellung
des Regio-Kaders so vortrefflich unter Beweis stellten,
war in Planungsphase der Saison wohl durch eine Sommergrippe
verschnupft und konnte keine heißen Spuren aufnehmen.
Doch trotz dieser Misslagen standen die Essener nach
dem 6. Spieltag der Saison im gesicherten Mittelfeld.
Nach einem schweren Auftaktprogramm schien man seine
Kritiker Lügen strafen zu wollen. Den zu erwartenden
Niederlagen in Kaiserslautern und Köln, beide
fielen unglücklich und sehr knapp aus, setzten
die Hafenstraßen-Kicker Siege gegen Freiburg
und Braunschweig entgegen, in Augsburg und gegen Jena
gab es zwei Remis. Die Mission Klassenerhalt schien
erfolgreich anzulaufen. Zudem putzte man im Pokal
Erstligist Cottbus.
Und dann begann er, der unerklärliche oder eben
doch folgerichtige (siehe oben) Niedergang der Rot-Weissen.
Trotz komfortabler Lage spielte man beim Letzten Kickers
Offenbach sein erstes wirklich schwaches Spiel und
unterlag mit 0:1. In der Folgewoche führten die
Essener mit 2:0 gegen Paderborn. Bis zur 90. Minute
und der Nachspielzeit, dann hieß es 2:2. Das
Spektakuläre daran, auf den Tag genau zwei Jahre
war es her, dass RWE zuhause gegen Köln ebenfalls
kurz vor Ablauf des Matches ein 2:0 hergeschenkt hatte.
Schiedsrichter in beiden Fällen war der Berliner
Manuel Graefe. Liegt ein Fluch über der Hafenstraße?
Dass der Fußballgott Essen mittlerweile wohl
verlassen hatte, glaubten wir dann eine Woche später
zu wissen. Gegen die Spitzenmannschaft aus Karlsruhe
bot Essen sein eigentlich bestes Spiel der letzten
Wochen unterlag aber durch einen wahrhaften Sonntagsschuss
in der, richtig 90. Minute mit 1:2. Fazit bis dato,
erst macht man Fehler, dann hat man kein Glück,
dann kommt auch noch Pech hinzu.
Und jüngst das 0:1 gegen Koblenz. Und spätestens
jetzt stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt des
Handelns. Denn – und das ist signifikant anders
als 2004 – den Rückhalt in der rot-weissen
Fanschar genießt die Mannschaft nicht mehr.
Und vor allem ein Mann nicht: Trainer Uwe Neuhaus.
Vom ersten Tag seines Wirkens an war der ehemalige
Kicker der Rot-Weissen vielen an der Hafenstraße
ein Dorn im Auge. Zu ruhig und emotionslos sei er,
könne die Mannschaft nicht mitreißen und
eigentlich sei auch er aus der zweiten Liga abgestiegen
und nicht Jürgen Gelsdorf. All das ist unwahr
und vor allem auch unfair. Im letzten Jahr gelang
Neuhaus mit einem komplett neu formierten Kader der
direkte Wiederaufstieg. Geliebt wurde er trotzdem
nicht.
Zwischendurch gab es eine ähnlich schwierige
Situation wie jetzt. Ebenfalls Anfang November schienen
nach dem 0:3 bei St. Pauli die Essener Aufstiegsaktien
tief, tief im Keller und Uwe Neuhaus quasi beurlaubt.
Was folgte war eine Siegesserie, die Job und Aufstieg
retteten. Also, heißt die Devise erneut Ruhe
bewahren? Nun, etwas ist anders, in der Regionalliga
konnte sich der rot-weisse Kader aufgrund seiner überzeugenden
Qualität durchsetzen. Nun in der zweiten Liga
muss er in jedem Match an die Leistungsgrenze gehen,
um die Kehrtwende einleiten zu können. Und bislang
kann er es nicht. Und zunehmend hilfloser wird der
hauptverantwortliche Übungsleiter. Letztjährig
zeichnete ihn Ruhe und Überlegung aus. Jetzt
versucht er durch Aktionismus wie Aufstellungsroulettes
in Tor, Abwehr und Angriff die Situation zu meistern.
Ohne Erfolg.
Vor zwei Jahren handelte man nicht, als es notwendig
war. Aktuell muss der Vorstand sich die Frage stellen,
ob es so weiter gehen kann. Die Antwort glaubt zumindest
die Fanszene mittlerweile zu kennen.
Uwe Neuhaus hat es nicht verdient, sich schlimmen
Pöbeleien und Anfeindungen auszusetzen. Wie üblich
können einige nicht trennen zwischen dem Menschen
und dem Trainer Uwe Neuhaus. Aber packen Uwe Neuhaus
UND Olaf Janßen es noch einmal? Die Hoffnung
stirbt bekanntlich zuletzt, aber Verantwortung für
diese Situation müssen sie wohl oder übel
übernehmen, solange es nicht zu spät ist.
Im Moment darf oder muss man wohl ernüchtert
konstatieren, schlimmer, geht’s eigentlich nimmer.
Wer auch immer am Sonntag in Unterhaching auf der
Bank sitzt hat hoffentlich dann ähnliches Fortune
wie in der Zeitligasaison 1990/91, denn damals leite
RWE in vergleichbar schlechter Position genau an diesem
Ort mit einem 2:0 Auswärtserfolg die Trendwende
zu einer am Ende geglückten Saison ein.
Sven
Meyering