11.02.2017

Mir reichts! - Ein Kommentar zur aktuellen RB-Diskusssion

von Redaktion

In der letzten Woche war das beherrschende Thema zum Thema Fußball in den Gazetten die "Schande von Dortmund" rund um das Geschehen im Vorfeld des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig. Mittlerweile schwebt dem Kontrollauschuss des DFB sogar vor, die Südtribüne für ein Spiel zu sperren. Ein Kommentar dazu.

Der Promi-Blogger Sascha Lobo bemerkte letztlich, dass es zwar immer mehr Medien gebe, das aber seltsamerweise auch dazu führe, dass nahezu jegliches Ereignis binnen kurzer Zeit nur noch auf eine ganz bestimmte Art und Weise beleuchtet würde und alternative Meinungen ausgeschaltet seien. Ziemlich Ähnliches passiert nun in Sachen bundesweite Berichterstattung bezüglich der Ausschreitungen im Vorfeld des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig, mittlerweile schwebt dem Kontrollauschuss des DFB sogar vor, eine Kollektivstrafe für die 25.000 Zuschauer fassende Südtribüne der Heimspielstätte des BVB zu erlassen und diese für ein Heimspiel ganz zu sperren. Die 100.000 € Geldstrafe können der BVB und insbesondere Herr Watzke bestimmt gut verkraften, womit aber genau die überwältigende Mehrheit der Dortmunder Fans diese Aussperrung verdient hat, bleibt rätselhaft.

Die Dinge, die vor dem Stadion passiert sind, müssen scharf verurteilt werden, dieses steht außer Frage. Und genau das tut ja auch jeder, landauf und landab, fast möchte man meinen, der designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werde bei seiner ersten Rede als neues Staatsoberhaupt als Erstes die Vorfälle von Dortmund geißeln. Schon hat die BILD-Zeitung eine Leipziger Augenzeugin aufgetrieben und der nächste Vertreter einer höheren Moral, BILD-Briefeschreiber Franz-Josef Wagner weiß, dass es mindestens 5 Spiele Zuschauerausschluss für BVB-Fans geben müsse. Nun, die einen werfen vor Wut über gewisse Dinge mit Steinen, das ist kein guter Weg. Andere versuchen Wut in Worte zu kleiden und genau das ist der Versuch, den ich nun unternehmen möchte.

Wer bereits jetzt laut aufschreit, im Folgenden werde Gewalt legitimiert oder relativiert, dem sei prophylaktisch mitgeteilt, wer lesen kann und will, ist klar im Vorteil. Es ist leider so, dass das Phänomen RB Leipzig außerhalb deutscher Fankurven kaum diskutiert wird. Von daher möchte ich die Frage aufwerfen, warum insbesondere die Medien nun lauthals aufheulen, wo sie doch zuvor beim fragwürdigen Aufstieg eines Brauseimperiums in die höchste deutsche Spielklasse nahezu keine unangenehmen aber im Grunde notwendigen Fragen gestellt haben. Um Gewalt zu verurteilen, im Grunde doch eine absolute Selbstverständlichkeit, bräuchte es keiner Schelte durch Medien, die Aufgabe der Berichterstattung liegt meines Erachtens doch eher darin, gewisse Dinge ans Tageslicht zu bringen und kritisch zu beleuchten. Genau das passiert im Fall RB Leipzig aber nicht. Das Verhalten des Vereins sei absolut legitim, die Kritik der Fans reine Fußballromantik. Nun, so legitim ist es keinesfalls, was die Red Bull GmbH da so ungehindert von der DFL betreibt und bei genauerem Hinsehen ist schnell ersichtlich, dass hier Sonderrechte noch und nöcher den Aufstieg des Retortenklubs ermöglichten. Beispiele gefällig?

• Während alle anderen in Deutschland tätigen Fußballclubs ihren Aufstieg durch die Ligen sportlich zu bewerkstelligen hatten, stieg RB gleichmal in der Oberliga-Nordost ein. Im Jahre 2009 erkaufte sich die Red Bull GmbH das Startrecht des fünftklassigen SSV Makranstädt und ließ sogleich mal diverse Ligen einfach hinter sich. Das war selbst Didi Hopp und seinen Hoffenheimern nicht vergönnt bzw. zu billig.

• Im Jahre 1967 wollte Günther Mast den Traditionsverein Eintracht Braunschweig in Jägermeister Braunschweig umtaufen, also pikanterweise nach einem Getränk. Zum Glück für die Eintracht wurde ihm dieses untersagt. Allerdings gibt es Vereine wie Bayer Leverkusen oder Wacker Burghausen, die beide nach den hinter ihnen stehenden Werken benannt wurden und das bis heute dürfen. RB aber machte den Schachzug schlechthin und nannte sich Rasen Ball Sport Leipzig. Nur besonders findige Zeitgenossen schlagen hier eine Brücke zu Red Bull.

• Während man bei der Namensgebung durch diese ungeheure Kreativität noch echte Verschleierungskünste aufweist, so wird dieses beim Wappen zum Superlativ gesteigert. Zwei gehörnte rote Bullen, die einen Ball in ihrer Mitte haben, das holt den Quizmaster auf den Plan. Um welchen Rasenball mit Bullen geht es hier? Eine Mischung aus Stierkampf und Hunde- pardon Bullenfußball? Was soll diese, sorry, Verarschung? Man nenne doch dieses Konstrukt bitte gleich Red Bull Leipzig und ersetze den Ball durch die sattsam bekannte Getränkedose. Dann würden wir uns vielleicht weniger verklappst fühlen. Die DFL stört es nicht. Ebenso wie die grundsätzlich fehlende Vereinsstruktur von RBL mit entsprechenden Gremien und Mitgliederzahlen. Selbiges wird keinem zweiten deutschen Verein so gestattet.

• Die RB-Filiale in Salzburg dient als lustiges Farmteam und Spielerlieferant, fernab von Transfermodalitäten oder ähnlich hinderlicher Bürokratie.

• Dann widmen wir uns dem Königstotschlagargument, mit dem seit jeher alle RB-Kritiker mundtot gemacht werden sollen. Schließlich brauche jeder Fußballklub Investoren. Dieses ist ebenso richtig wie es andererseits ein Vergleich von Äpfeln und Birnen ist. Denn RB Leipzig ist kein Fußball-Klub, der sich Investoren sucht, sondern hier hat sich ein Investor einen Fußballklub geschaffen, mit dessen Hilfe er sein Produkt vermarktet. Und dieses ist ein Energydrink. Überall anderswo wird das Produkt Fußball in den Vordergrund gerückt.

• Und wie steht es um die 50+1 Regel? Auch hier muss man findig sein um abzustreiten, dass es reinsten Wassers sei, was in Leipzig passiert. Dieses gilt natürlich grundsätzlich auch für Leverkusen oder Wolfsburg. Frei nach George Orwells Farm der Tiere, alle Vereine sind gleich, aber einige Vereine sind gleicher als andere.

Gewidmet wird sich in den deutschen Medien diesen Umständen und Regelbrüchen jedoch nahezu nicht, unkritischer Jubel und Hype um den tollen Fußball, den RB spiele, sind an der Tagesordnung. Nur ist die Qualität dieses Fußballs nicht die Antwort darauf, warum RB Leipzig so vieles ungestraft darf, was andere nicht dürfen. Wie Philipp Köster es von den Elf Freunden sehr treffend bemerkte, die Diskussion über RBL werde zunehmend Kenntnis befreiter geführt, und zwar von den Befürwortern dieses Projekts. Möglicherweise sind diese kritischen Gedanken natürlich pure Hetze, die unmittelbar zu den nächsten Steinewürfen führen wird, wie es der Dachverbandsvorsitzende der RB-Fanclubs BVB-Geschäftsführer Joachim Watzke vorwarf. Mein Vorschlag hier, ein neuer Radikalenerlass, der jeden RB-Kritiker mit sofortiger Wirkung zum Straftäter macht!

Es sind diese vielen Dinge, die mich persönlich so unendlich wütend machen. Denn sie alle sind Belege dafür, dass der deutsche Fußball generell auf dem Weg dazu ist, immer mehr Kommerz und immer mehr Eventbesucher den Gefühlen der genuinen Fans vorzuziehen. Nur, die Verantwortlichen der deutschen Traditionsvereine sind im Grunde nur wenig oder gar nicht besser als RBL. Im Grunde haben sie dieses Monster mit erschaffen. Seit Jahren betreiben die deutschen Profiligen eine förmliche Abschottung nach unten, die nur den Etablierten nutzt, aber das Vorankommen kleinerer Klubs verhindert. Bis zum Jahre 2007 gab es noch vier direkte Aufsteiger in die zweite Liga, ab 2008 waren es mit Einführung der eingleisigen Dritten Liga nur noch drei, mit der Einführung der Relegationsspiele wurde dann sogar noch dafür gesorgt, dass ein Tabellensechzehnter der ersten und zweiten Liga sogar noch die Chance erhält, mittels zwei Spielen eine ganze Spielzeit noch zu retten und eine erfolgreich agierende Mannschaft aus der Liga darunter um den Lohn einer ganzen Saison zu bringen.

Besonders gut beherrscht dieses die Geldvernichtungsmaschinerie des Hamburger SV, der sich gleich zweimal mit mehr Glück als Verstand in der Relegation vor dem wohl verdienten Abstieg retten durfte. Dessen neuer Vorstandschef Heribert Bruchhagen mahnte die deutschen Amateurvertreter kürzlich zu mehr Bescheidenheit. Es könne nicht sein, dass in der fünften Liga Spielerverträge unterzeichnet werden würden und dort mehr Geld hinfließen müsse. Warum eigentlich nicht? Die Antwort darauf erscheint einfach, in den sich elitär abschottenden deutschen Profi-Fußballigen ist im Grunde kein Platz für neue Vereine. Dass selbst ein Oberliga-Aufstieg Geld kostet, dürfte Herrn Bruchhagen sehr bekannt sein. Interessieren tut es ihn freilich nicht. Deshalb ist es ja auch legitim, dass ein Meister der Regionalliga nichtmals direkt aufsteigen darf, sondern sich in einer Relegation mit einem Meister einer anderen Gruppe messen muss. Damit die darüber schön sicher sind. Durch dieses Nadelöhr gelangt alle Jubeljahre einmal ein finanziell nicht auf Rosen gebetteter Verein wie Darmstadt 98. Um kurz darauf wieder unterzugehen. Aber wirklich eindringen in die Sphären des Fußballadels kann am Ende nur noch der wahre Geldadel vom Schlage RB.

Dieses Prinzip, die Reichen zu schützen und immer reicher zu machen, ist im Übrigen auch die Grundlage der europäischen Champions League. Seit der Abschaffung des K.O.-Systems in den ersten Runden vor gut 20 Jahren scheffeln die Spitzenklubs der Liga Millionen um Millionen und das Jahr für Jahr. Folge davon, Meisterschaftsentscheidungen am 34. Spieltag wirken so weit entfernt wie Schwarz-Weiß-Fernsehen, heute geht es nur noch darum, ob der Branchenführer noch vor dem 30. Spieltag seine herzerfrischenden und kaum gestellten Weißbierduschen verabreichen darf. So kann es kaum überraschen, dass als nächstes eine „Reform“ des DFB-Pokals anstehen soll. Am Wochenende vor dem Ligastart Duelle mit unterklassigen Klubs austragen zu müssen, gefällt den Vertretern der Eliteliga nicht mehr. Wichtiger ist da die PR-Tour nach China, schließlich überstrahlen die finanziellen Möglichkeiten des asiatischen Marktes wahrhaft alles, besonders aber Auseinandersetzungen mit den Vertretern der Niederungen des Fußballs. Daher schwebt den DFL-Bossen ein späterer Einstieg der Profiklubs in den Pokalwettbewerb vor, ungeachtet der amüsanten Tatsache, dass ihre Vereine häufig genug den Amateurvertretern sportlich unterlegen gewesen sind.

Wohl den Fans, die solche Vereine hinter sich wissen. Ja, ja, ich Fußballromantiker. Von den Vertretern des Neoliberalismus, der ungebremsten Kapitalströme bei paradoxerweise zeitgleich ausgeschaltetem Wettbewerb im deutschen Fußball, wird dieses Wort häufig für ewig gestrige Träumer verwendet. Würden sie sich mit der deutschen Sprache besser auskennen, so wüssten sie, dass Romantiker keine fantastischen Träumer gewesen sind, sondern beinharte Realisten, die sich maßlos enttäuscht von den Folgen der europäischen Restauration immer mehr von der sie umgebenden Welt abgewendet haben. Genau dieses droht auch dem Fußball. Denn wenn die Interessen der Fans weiterhin so derartig mit Füßen getreten werden, man ihnen mit purer Ignoranz immer mehr von der Fußballwelt nimmt, die sie einst geliebt haben, so wird irgendwann die Fußballblase genauso platzen wie die Weltwirtschaft in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Denn das Produkt Fußball hat schon jetzt nicht mehr den Wert, das ihm viele angesichts der Geld-und Finanzentwicklung in der Branche zuschreiben. Diese wird immer mehr aufgeblasen und hat immer weniger Substanz. Mir reichts….

Sven Meyering