Lorenz-Günter Köstner – Messias oder Selbstdarsteller?

Einen „harten Hund“ hatte man unter RWE-Anhängern in erster Linie nach „Onkel Uwe“ gefordert, und diesen sollte man auch erhalten. Allerdings in einem Extrem, von dem sich auch Ernst Happel noch etwas hätte abschauen können.
Ein harter Hund gegenüber den Spielern, ein Profi gegenüber der Medien, ein Bombenleger gegenüber dem Vorstand und ein „Fahne mit dem Wind-Dreher“ gegenüber den Fans - so präsentierte sich Lorenz-Günter Köstner in der Öffentlichkeit.

Er weiß, wie er sich in den Medien für seine Zwecke und zu seinem Wohle zu inszenieren hat. Lorenz-Günter KöstnerOder setzt er sie doch völlig uneigennützig zum Wohle der Mannschaft und des Vereins ein? An dieser Frage scheiden sich die RWE-Geister. Für die einen ist er der Messias, der das in Seenot geratene RWE-Boot wieder auf Kurs gebracht hat, für die anderen ist er der größte kritikresistente Selbstdarsteller nach Christoph Daum.

Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Als unstrittiges und gewichtiges Argument kann Köstner seine hervorragende Rückrundenbilanz anführen. Eine solche Bilanz von Saisonbeginn an, und wir hätten gemäß der Prophezeiung von Olaf Janßen tatsächlich nichts mit dem Abstieg zu tun gehabt – und das mit Spielern, die zu Saisonbeginn kaum Berücksichtigung fanden. Hätte man uns vor der Saison erläutert, welche Spieler in der Rückrunde zur Stammelf gehörten, wir hätten wohl alle direkt wieder den Stadtplan von Wuppertal herausgekramt und den Wochenendausflug nach Emden geplant.

Einige Zeit hat Köstner gebraucht, bis sich seine Methoden in Form von Punkten auszahlten, erst das Heimspiel gegen Köln sollte die Wende einleiten. Dabei wäre es bei einer Niederlage wohl sein letztes Spiel als RWE-Trainer gewesen. Schon damals wurde viel Porzellan zerbrochen. Seitdem steht aber eine feste Stammelf, wobei die letztjährigen Landesligastammkräfte Özbek und Calik unter Köstner einen enormen Entwicklungssprung nach vorne machten, sie avancierten sogar zu U21-Nationalspielern. Mit zahlreichen „jungen Wilden“ im Team wurde Spitzenteams regelmäßig ein Kampfspiel aufgezwungen, das sie nur widerwillig oder überhaupt nicht annahmen. Die Folge waren überraschende Auswärtssiege in Lorenz-Günter KöstnerFürth und Karlsruhe oder starke Vorstellungen gegen Köln und Rostock. Problematisch wurde es immer dann, wenn der Gegner selbst als größte Trumpfkarte den Kampf ausspielte, dieses waren in der Regel die unmittelbaren Konkurrenten um den Klassenverbleib.

Hier wurde überdeutlich, wie limitiert die offensiven Möglichkeiten sind. Besonders bitter wurde es, wenn sich kämpferisch mithaltende Gegner wie Unterhaching oder Burghausen als technisch und spielerisch überlegen entpuppten. So blieb das Heimspiel gegen Köln der einzige Rückrundenheimsieg. Mit der ihm zur Verfügung stehenden Mannschaft seien nun mal keine offensiven Glanzleistungen zu erwarten, in der Rückrunde habe Köstner das Optimale aus dem Team herausgeholt, so lautet der Tenor der Köstner-Fans. Wenn man die 14 bis 15 Spieler betrachtet, die Köstners Vertrauen genießen, muss man dieser These zustimmen. Aber war ist mit der langen Liste von Spielern, die der Bannstrahl des Trainers traf? Aufgrund schwacher Trainingsleistungen wurden nach und nach immer mehr Spieler, die allesamt ihre Stärken im spielerischen Bereich haben, nicht mehr berücksichtigt. Younga-Mouhani, Löbe, Paulo Sergio, Haeldermans, Wehlage, Bemben, Epstein und der wiedergenesene Grammozis – eine Liste von Namen, die so manchen Zweitligatrainer mit der Zunge schnalzen lassen; Kreativität, die Häppchenweise (!) in so manchem Heimspiel gegen tief stehende Gegner neue Impulse hätte setzen können. Ein Potenzial, das voll bezahlt auf der Tribüne schlummerte.

Sicher wird die eine oder andere Suspendierung zu Recht ausgesprochen worden sein, aber Lorenz-Günter Köstnerdie extreme Anzahl weckt die Vermutung, dass mehr als nur Trainingsfaulheit dahinter steckt. Mal abgesehen davon, dass es völlig normal ist, wenn die Ü30-Fraktion im Training im Gegensatz zu den Jungspunden nicht mehr jedem Ball hinterhergrätscht, stellt sich die Frage, ob wirklich jede einzelne Nichtberücksichtigung gut begründet und unbedingt notwendig war. Hätte es nicht ausgereicht, so manchen Spieler zwar aus der Stammelf zu streichen, aber als Alternativen auf der Bank sitzen zu haben? Hätte die Mannschaft etwa aufgehört zu kämpfen, wenn mit Younga-Mouhani (der kämpferisch in dieser Saison nie enttäuscht hat) ein Kreativspieler eingewechselt worden wäre? Was hätte schlimmes passieren können, wenn ein schwacher Kiskanc gegen Epstein ausgewechselt worden wäre? Richtig, im schlimmsten Fall hätte Epstein auch schwach gespielt, im günstigen Fall aber neue Impulse gesetzt. So aber schöpfte Köstner sein Wechselkontingent lieber nicht aus, als einen der genannten Spieler zu bringen, schwache Spieler mussten durchgeschleppt werden.

So komme ich zu dem Schluss, dass Köstner sehr wohl das Potenzial dieser Mannschaft aufgedeckt, aber bei weitem nicht optimal ausgeschöpft hat. Seine Persönlichkeit lässt scheinbar keine Gespräche unter Männern zu, in denen Missverständnisse oder Probleme ausgeräumt werden. Seine Interviews diffamieren zwar regelmäßig Spieler und Vereinsspitze, konkret wurde er dabei bislang nie. „Schwaches Training“ ist ein wenig dünn als Begründung für zehn nicht mehr berücksichtigte Spieler. „Fehlende Unterstützung“ als Kernaussage, was in der Vereinsspitze schief läuft, ist alles andere als eine konstruktive Fehleranalyse. Aber vielleicht wollte er das ja auch nie? Vielleicht ist er im Herzen doch nicht so ein großer Rot-Weißer, der die amateurhaften Vereinstrukturen aufbrechen und professionalisieren möchte, sondern einfach ein Selbstdarsteller, der sich möglichst positiv dastehend aus dieser Sache Lorenz-Günter Köstnerwieder herauswinden möchte?

Man könnte noch darüber diskutieren, inwieweit Köstners extreme Methoden länger als eine Halbserie erfolgreich sein können. Dies erscheint jedoch überfflüssig, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Köstner auch in der kommenden Saison Trainer von Rot-Weiss Essen sein wird, sinkt mit jedem seiner Interviews; spätestens nach seinem letzten Auftritt im WDR tendiert sie sogar gegen Null. „So etwas wie mit diesem Vorstand habe ich noch nirgendwo mitgemacht“, so wird Köstner sinngemäß zitiert. Umgekehrt dürfte der Vorstand nicht anders denken. Das Verhältnis zwischen Trainer und Vorstand ist stark belastet, so viel ist sicher.

Gespannt darf man sein, ob Köstner nach dem finalen Spiel in Duisburg seine bislang sehr oberflächlichen Aussagen konkretisiert und die Missstände im Verein nicht nur andeutet, sondern Ross und Reiter nennt. Das ist er der Öffentlichkeit auch schuldig, wenn er sich schon regelmäßig in den Medien ausweint. Aus Vorstandreihen hielt man sich in der Öffentlichkeit bislang bedeckt, auch hier darf man auf Stellungnahmen gespannt sein, was von der anderen Seite womöglich noch ans Tageslicht kommt. Aus Fansicht wächst die Befürchtung, dass Köstner in wenigen Wochen kein Trainer mehr bei Rot-Weiss Essen ist und nichts als verbrannte Erde zurücklässt.


Michael Jaskolla