Etwa alle 45 Minuten erhält in unserem Land
jemand die Diagnose Leukämie. Fast 12.000 Menschen
sind es jährlich. Doch was genau ist Leukämie
und was kann dagegen getan werden?
Aus aktuellem Anlass, ausgelöst durch eine Knochenmarkspende
eines RWE-Fans für einen 13jährigen Leukämie-Patienten,
möchten wir dieses Thema aufgreifen und abseits
von RWE und Fußball auf einzelne Schicksale
hinweisen. Schicksale, von denen wir zwar alle wissen,
dass es sie gibt, uns aber oftmals nicht die Zeit
nehmen, über sie nachzudenken. Es sei denn, sie
betreffen uns persönlich. Wie eben jenen RWE-Fan.
Teil III - Erlebnisbericht
An jenem Freitag, den 13. Oktober 2006 ging bei Stefan
erst einmal alles schief. Ein typischer Freitag, der
13. eben. Morgens verschlafen und eine Stunde zu spät
im Büro, viele Kleinigkeiten den ganzen Tag und
zur Krönung ein platter Reifen beim Feierabend.
Doch diese 13 sollte ihn von diesem Tage an weiter
verfolgen. Zu Hause angekommen ging der Blick erstmal
zum Briefkasten. Darin lag ein Brief der DKMS. Die
DKMS ist eine 1991 gegründete gemeinnützige
Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, mögliche
Stammzellenspender für Leukämie-Patienten
in einer Datei zu speichern und zu verwalten. So steht
das Kürzel DKMS für „Deutsche Knochenmarkspenderdatei“.
Anfang 1999 erkrankte ein Mitarbeiter des Unternehmens,
in dem Stefan arbeitet, an Leukämie und nach
erfolgter Chemotherapie stand fest, dass nur eine
Knochenmarktransplantation helfen könnte.
Bevor wir auf die Praktik dieser Transplantation selbst
näher eingehen gilt es zuerst einmal mit einem
weit verbreiteten Falschwissen aufzuräumen: Knochenmark
hat rein gar nichts mit Rückenmark zu tun! Während
Rückenmark sich in der Wirbelsäule befindet
und aufgrund der dort durchlaufenden Nerven ein Eingriff
dort immer mit dem Risiko einer Querschnittslähmung
behaftet ist, findet sich Knochenmark in jedem Knochen.
Bei einer Knochenmarkspende wird daher kein Rückenmark
verwendet, sondern es wird aus dem Beckenkammknochen
entnommen. Dazu aber später mehr.
Bei einer Knochenmarktransplantation werden dem Patienten
die „Mutter-Zellen“ aller Blutzellen übertragen.
Diese Zellen werden Stammzellen genannt. Gewonnen
werden können sie entweder direkt aus dem Knochenmark
oder nach Vorbehandlung aus dem zirkulierenden (=peripheren)
Blut.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten:
Im ersten Fall kann dem Patienten selber Knochenmark
entnommen werden. Dieses wird per Chemotherapie, Strahlentherapie,
etc. behandelt mit dem Ziel die bösartigen Zellen
zu zerstören und kann dann dem Patienten zurückgegeben
werden. Da bei diesem Verfahren aber nie ganz sichergestellt
werden kann, dass alle bösartigen Zellen zerstört
wurden, muss in den meisten Fällen mit der Suche
nach einem Fremdspender begonnen werden.
Damit eine Fremdspende Erfolg haben kann müssen
die Gewebemerkmale bei Spender und Patient weitgehend
identisch sein. Dies entwickelt sich aufgrund der
Vielzahl dieser Merkmale und deren Kombinationen als
die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Die Wahrscheinlichkeit, einen Fremdspender zu finden
liegt je nach Häufigkeit der Gewebemerkmale bei
Eins zu Zwanzigtausend bis hin zu Eins zu einer Million.
Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, einen Sechser
im Lotto zu haben liegt etwa bei Eins zu acht Millionen.
Zuerst wird im Umfeld des Patienten gesucht, da Familienmitglieder,
z.B. Geschwister, oftmals identische Gewebemerkmale
vorweisen und damit als Spender in Frage kommen. Etwa
30 % aller Spenden können in der Familie des
Patienten gefunden werden.
Gibt es keinen oder keinen passenden Spender in der
eigenen Familie muss ein Fremdspender gesucht werden.
Drei Viertel aller Patienten, für die eine Knochenmarktransplantation
die letzte Chance auf ein Weiterleben ist, finden
so einen Spender. Für jeden Fünften wird
leider kein Spender gefunden.
Damit es überhaupt eine Möglichkeit gibt,
einen passenden Fremdspender zu finden, wurden in
bislang etwa 30 Ländern der Welt Dateien installiert,
in denen Menschen mit ihren Gewebemerkmalen gelistet
sind. In Deutschland verwaltet die DKMS seit 1991
eine solche Liste. Aktuell sind dort 1,46 Mio. Menschen
erfasst, alle natürlich freiwillig und auf eigenem
Wunsch. Erfassen lassen können sich alle Menschen
zwischen 18 und 55 Jahren und die nicht aufgrund von
Erkrankungen selber als „Risikopatienten“
eingestuft werden. Nimmt man die dafür in Frage
kommenden 43,5 Mio. Einwohner in Deutschland als Maßstab
ist die Liste ansatzweise klein, bei weltweit aber
insgesamt nur etwa neun Millionen erfassten Menschen
dennoch die größte Datei.
Wie kann man sich nun in diese Datei aufnehmen lassen?
Stefans Unternehmen handelte damals bei der Erkrankung
des Mitarbeiters vorbildlich und schnell und startete
gemeinsam mit der DKMS eine Typisierungsaktion. Dabei
wird den Mitarbeitern, die sich typisieren lassen
wollen, eine kleine Menge Blut abgenommen, welches
nun auf bestimmte Merkmale überprüft wird.
Diese Merkmale werden in der Datei gespeichert. Patienten,
bei denen Familienangehörige nicht passen, werden
mit den weltweit existierenden Dateien verglichen.
Finden sich mögliche Spender mit nahezu identischen
Merkmalen, werden diese angeschrieben und um eine
Feintypisierung (eine erneute Blutabnahme) gebeten,
um die Werte noch einmal direkt und vor allem genauer
vergleichen zu können.
Stefan dachte 1999 nicht lange nach und ließ
sich ebenfalls typisieren. Die Kosten dafür,
heute sind es € 50,00, übernahm das Unternehmen.
Damals hieß es, und das gilt auch heute noch,
dass man in zehn Jahren durchschnittlich ein Mal für
eine Feintypisierung angeschrieben wird und dann meist
doch ein anderer besser geeignet ist.
Bei Stefan geschah dies bereits zweimal in den Jahren
2000 und 2003. Er ließ sich bei seinem Hausarzt
jeweils wieder eine geringe Menge Blut abnehmen, es
gab aber wie erwartet mindestens einen besser passenden
Spender.
So machte sich Stefan auch keine großen Gedanken,
als Mitte September 2006 zum dritten Mal ein Brief
von der DKMS im Briefkasten lag. Er komme wieder als
möglicher Spender in Frage, hieß es dort,
ob er denn immer noch bereit dazu wäre. Klar
war Stefan das, also wieder Blut abgeben. Nach bereits
8 Tagen lag das Ergebnis im Briefkasten. Diesmal war
Stefan ein passender Spender, stand in dem Brief,
die Klinik des Patienten wisse aber noch nicht, ob
und wann der Patient eine Stammzellentransplantation
benötigen würde. Nun war er also einen Schritt
weiter als bei den beiden Malen davor. Trotzdem legte
sich die Aufregung bei Stefan schnell wieder.
Bis eben zum besagten 13. Oktober. An diesem bis dahin
rabenschwarzen Tag bekam er wieder einen Brief der
DKMS. Die Klinik wolle den Patienten demnächst
transplantieren, wenn Stefan immer noch zu einer Spende
bereit wäre, möchte er sich bitte schnell
melden. Nach einem aufgewühltem Wochenende erfuhr
Stefan dann am Montag in einem Telefonat mit der DKMS,
dass die Transplantation Mitte November erfolgen soll.
Grundsätzlich gibt es neben der bereits erwähnten
Knochenmarkspende, also der Entnahme von Knochenmark
aus dem Beckenkammknochen, noch eine weitere Möglichkeit
der Stammzellengewinnung: Die Entnahme aus dem zirkulierendem
(peripheren) Blut. Fünf Tage lang spritzt der
Spender sich dabei selber ein Medikament, welches
bewirkt, dass die im Knochenmark befindlichen Stammzellen
überproduziert werden und der überschüssige
Teil ins Blut abwandert. Wenn der Spender sich das
selber nicht zutraut, kann er auch seinen Arzt oder
z.B. eine Krankenschwester bitten, die Spritzen zu
setzen. Am fünften Tag bekommt der Spender dann
ambulant in beide Arme einen venösen Zugang.
Das Blut wird ähnlich wie bei Dialyse-Patienten
(Nierenschädigungen) aus einem Arm entnommen,
läuft durch eine Maschine welche die Stammzellen
herausfiltert, und wird über den anderen Arm
wieder zurückgegeben. In der Regel kommen so
in gut vier Stunden ausreichend Stammzellen zusammen.
In einigen Fällen geht es auch ein wenig schneller,
in anderen Fällen muss am folgenden Tag eine
zweite „Sitzung“ erfolgen. Diesen Vorgang
nennt man dann nicht Knochenmarkspende sondern Stammzellspende.
Risiken bei einer peripheren Stammzellspende gibt
es keine. Jedoch bringen die Inhaltsstoffe in den
Spritzen Nebenwirkungen mit sich, die man am ehesten
mit Grippesymptomen vergleichen kann.
Die Knochenmarkspende dagegen ist die klassische Entnahme
per OP. Hier wird unter Vollnarkose Flüssigkeit
aus den beiden Beckenkammknochen entnommen. Zwei kleine
Einschnitte oberhalb des Po sind dafür erforderlich.
Durch diese wird der Knochen punktiert und die im
Knochen vorhandene Flüssigkeit, welche zu zwei
Dritteln aus Blut und einem Drittel aus Stammzellen
besteht, mit Hilfe einer Kanüle entnommen. Je
nachdem, ob der Patient ein kleines Kind oder ein
Erwachsener ist, wird davon 0,7-1,5 Liter benötigt.
Um den Körper durch den hohen Flüssigkeitsverlust
nicht überzustrapazieren, ist zur Sicherheit
ca. zwei bis drei Wochen vorher in fast allen Fällen
eine Eigenblutspende nötig. Diese wird dem Körper
während der Entnahme zurückgeführt.
Ca. 80 % aller Spenden werden heute allerdings über
die periphere Entnahme abgewickelt, da hier das übliche,
jedoch sehr geringe Narkoserisiko wegfällt.
Bei
Stefan bevorzugte die Klinik des Patienten die klassische
Entnahme per OP, der er natürlich zustimmte.
Vorher jedoch wird jeder Spender noch gesundheitlich
komplett auf den Kopf gestellt. Dies erfolgt in dem
Ort, an dem auch die Entnahme stattfindet. Da das
Uniklinikum Essen mangels freier Termine nicht zur
Auswahl stand, hatte Stefan die Wahl zwischen Hameln,
Wiesbaden und Dresden. Seine Wahl fiel auf Dresden,
da am dort ansässigen Universitätsklinikum
die Entnahme bereits seit den Anfangsjahren der Knochenmarkspende
durchgeführt wird und den besten Ruf besitzt.
Der dort zuständige Prof. Ehninger ist übrigens
einer der Mitbegründer der DKMS.
Genau 13 Jahre und 13 Tage nach Stefans bisher einzigem
Besuch Dresdens ging es für ihn am 27. Oktober
mit dem Flieger zum dortigen Universitätsklinikum
zur Voruntersuchung. Nach einem kurzen Einführungsgespräch
und einer erneuten Blutabnahme für ein großes
Blutbild musste Stefan nacheinander zum Ultraschall,
EKG, Röntgenbild, Gespräch mit dem Narkosearzt,
Eigenblutspende und zum Abschlussgespräch mit
einem der beiden Ärzte, die den Eingriff vornehmen
würden.
Leider klappte an diesem Tag die Eigenblutspende nicht,
da Stefan aufgrund einer sich bereits ankündigenden
Mandelentzündung zu viele weiße Blutkörperchen
besaß. Alles andere war allerdings soweit in
Ordnung.
Die Eigenblutspende sollte Stefan dann am 02.11.2006
in Ratingen nachholen. Leider brach zu diesem Termin
die Mandelentzündung völlig durch, so dass
es wieder nichts wurde. Für einen späteren
Zeitpunkt wurde es zu knapp, muss der Körper
doch auch die Eigenblutspende erst wieder regenerieren.
Wenn er das aber nicht kann bis zur Entnahme, macht
eine Eigenblutspende keinen Sinn. Genauso ist es bei
einer Eigenblutspende mit Krankheitserregern, da diese
bei der Rückgabe dann ebenfalls wieder in den
Körper gelangen. Die Entnahme musste also ohne
Eigenblutrückgabe gehen.
Etwa zehn Tage vor der Transplantation muss der Patient
vorbereitet werden. Er bekommt eine sehr aggressive
Chemotherapie, die oft durch eine Ganzkörperbestrahlung
unterstützt wird. Möglichst alle kaputten
Zellen sollen so abgetötet werden. Zudem muss
das Immunsystem des Patienten so weit wie möglich
heruntergefahren werden, damit die noch gesunden weißen
Blutkörperchen nicht die Stammzellen des Spenders
als Fremdkörper identifizieren und diese angreifen.
Ein heikles Unterfangen mit vielen starken Nebenwirkungen
und der großen Gefahr, dass schon die kleinste
Infektion zum Tod führen kann. So liegt der Patient
während dieser Phase in einem Isolierzimmer,
zu dem nur der Arzt und das Pflegepersonal Zugang
bekommt. Zu Familienmitgliedern hat der Patient in
dieser Phase keinen Kontakt.
Nach
der insgesamt positiven Voruntersuchung flog Stefan
zusammen mit seiner Freundin am Montag, den 13. November
2006 erneut nach Dresden. Zuerst stand wieder eine
Blutabnahme an um sich zu vergewissern, dass alles
in Ordnung war und die Werte sich in den zwei Wochen
seit der Voruntersuchung nicht wesentlich verändert
hatten. Nach einem kurzen Gespräch über
den weiteren Ablauf bekam Stefan dann „Ausgang“
bis zum Abend, welchen seine Freundin und er für
eine ausgiebige Stadtbesichtigung Dresdens nutzten.
Nach einer sehr unruhigen Nacht im Klinikum war es
dann soweit. Das Universitätsklinikum in Dresden
ist ein sehr großer Komplex, deutlich größer
als das in Essen, und das Operationsgebäude nicht
das, in dem Stefan untergebracht war. Somit wurde
er morgens um 6:00 Uhr geweckt und 45 Minuten später
mit einem Krankenwagen (VW-Bully) zum OP-Gebäude
gebracht. Für den Eingriff war, wie sollte es
anders sein, OP-Saal 13 vorgesehen. Stefan bekam den
bei einer OP üblichen Zugang in die linke Hand
und anschließend spritzte die Anästhesie-Assistentin
ihm ein starkes Schmerzmittel. Kurz darauf wurde auch
die Narkose eingeleitet, aus der Stefan bereits um
Viertel vor Neun wieder erwachte. Nach einer halben
Stunde im Aufwachzimmer wurde er abgeholt und um 09:30
Uhr befand er sich wieder auf seinem Zimmer. Hier
erfuhr Stefan, dass ihm 1,4 Liter Flüssigkeit
entnommen wurde. Ohne Eigenblutrückgabe doch
eine ganze Menge, wie er beim ersten Sitzversuch auch
gleich merkte. Da Stefan aber ansonsten keinerlei
Probleme mit der Narkose hatte konnte er um 13 Uhr
bereits ein vollständiges Mittagessen genießen.
Und auch die ersten Aufsteh- und Laufversuche kurz
danach klappten trotz der Probleme beim ersten Hinsetzen
zuvor erstaunlicherweise ganz ohne Kreislaufprobleme.
Den Abend verbrachte er dann wie schon am Montagabend
im „Wohnzimmer“, einem Raum für die
Patienten, in dem neben vielen Sitzgelegenheiten ein
Radio, ein Fernseher und viele Bücher waren.
Hier wird auch zusammen gegessen. By the way, Stefan
hatte sich ganz unbewusst das Buch „Dreizehn“
von Wolfgang Hohlbein mitgenommen. Wie schon eingangs
erwähnt, zog sich diese Zahl wie ein roter Faden
durch diese Zeit. An beiden Abenden kam Stefan mit
einigen Patienten ins Gespräch und die vielen
Leidensgeschichten waren wirklich erschütternd
für ihn. Erst in diesen Momenten registriert
man, wie gut es einem wirklich geht. Stefan hätte
gerne allen irgendwie geholfen, aber mehr als Mut
zusprechen konnte er nicht.
Ganz besonders erschütterte die Geschichte seines
58jähigem Zimmernachbarn, der im Sommerurlaub
2005 an akuter Leukämie erkrankte und im November
darauf eine Knochenmarktransplantation bekam.
Wir haben ja bereits erwähnt, dass das Immunsystem
des Empfängers dabei so weit wie möglich
„abgeschaltet“ werden muss, damit die neuen
Stammzellen nicht als Fremdkörper angesehen und
angegriffen werden. Die Folge bei Stefans Zimmernachbarn
davon waren einige Lungenentzündungen, die für
Leukämie-Patienten oft zum Tod führen, er
aber alle überstand.
Andererseits ist es aber auch so, dass die neuen Stammzellen
im Körper den dominanten Part einnehmen. So bilden
sie beim Empfänger nach dem Anwachsen im Knochenmark
dasselbe Blut, wie es auch der Spender hat. Auch die
Blutgruppe ändert sich durch die neuen Stammzellen
und ist nun identisch mit der des Spenders. Dies hat
aber auch negative Folgen: Die neuen Stammzellen erkennen
den neuen Körper des Patienten oftmals ebenfalls
als Fremdkörper und greifen nun ihrerseits vor
allem Haut, Leber und Darm des Patienten an. Wird
diese Reaktion, die sich „Transplantat-gegen-Wirt-Erkrankung“
(graft versus host disease, GvHD) nennt, nicht rechtzeitig
entdeckt und durch Medikamente gehemmt ist der Patient
kaum mehr zu retten.
Bei
Stefans Zimmernachbarn passierte dies natürlich
auch, allerdings ziemlich heftig. Zwischenzeitlich
gaben die Ärzte ihm nur 10 % Überlebenschance,
doch sein Wille war stark genug, um auch das zu überstehen.
Danach ging es immer wieder ein paar Schritte vor,
aber auch immer mal einen wieder zurück. Zuletzt
hatten sich Bakterien an seinem Gehirn gebildet, die
eine zusätzliche Kopf-Operation nötig machten.
Aus diesem Grund lag er ein Jahr nach der Transplantation
erneut im Uniklinikum. Durch das lange Liegen, dem
damit verbundenen Muskelabbau und die Medikamente
(er bekam Unmengen Tabletten jeden Tag) geschwächt,
muss er nun zum dritten Mal seit der Leukämie-Diagnose
das eigenständige Laufen ohne fremde Hilfe wieder
trainieren. Stefan bekam einen tiefen Einblick in
das Seelenleben dieses Mannes. 16 Monate lang ist
er nun schon angewiesen auf Hilfe. 16 Monate, in denen
er zum größten Teil nicht alleine zur Toilette
gehen geschweige denn sich selber waschen konnte.
In der Zeit kommen oft Gedanken nach dem Sinn des
Weiterlebens. Doch er hat auch das überstanden
und wird hoffentlich von weiteren Rückschlägen
nun verschont bleiben.
Mit Nachlassen der Schmerzmittelwirkung kamen bei
Stefan abends auch die Folgen des Eingriffs zum Vorschein,
allerdings war es bei ihm nicht sonderlich erwähnenswert.
Die beiden Einschnitte links und rechts zogen ein
wenig, wie es bei Wunden üblich ist. Von den
punktierten Beckenknochen
spürte er nur so etwas wie Muskelkater, welches
aber am nächsten Morgen schon fast wieder abgeklungen
war. Alles in allem also ein absolut harmloser Eingriff.
Die Nacht danach blieb Stefan noch im Klinikum (wie
bei jeder Vollnarkose üblich), am Mittwochmorgen
konnte er aber dann bereits um 9 Uhr entlassen werden.
Da sein Rückflug erst um 18 Uhr startete nutzten
seine Freundin und er die Zeit bis dahin, noch einige
Orte in Dresden anzusehen.
Am späten Mittwochabend war Stefan wieder zu
Hause. Ein wenig geplättet, aber mit dem guten
Gefühl, dass bei ihm alles gut gegangen ist.
Einen Tag später erkundigte sich die DKMS über
Stefans Empfinden und er erfuhr auch erstmals etwas
über den Empfänger seiner Stammzellen. Es
ist ein 13jähriger Junge, der an akuter myeloischer
Leukämie (AML) erkrankt ist. Stammzellenspender
werden für Patienten weltweit gesucht.
Das Heimatland des Jungen ist Stefan ebenfalls bekannt,
da aber in einem Zeitraum von zwei Jahren keine Kontaktaufnahme
zwischen Spender und Patienten erlaubt ist und auch
nach den zwei Jahren nur, wenn beide dem zustimmen,
wollen wir hier nur sagen, dass der Patient nicht
aus Deutschland kommt, das Land aber aus den eben
erwähnten Anonymitätsgründen nicht
erwähnen.
Stefan hat die 13 also sehr viel Glück gebracht
in den letzten zweieinhalb Monaten. Dieses Glück
braucht nun auch der Junge, damit die Stammzellen
bei ihm anwachsen und er damit eine zweite Chance
zu leben erhält. In vier bis fünf Monaten
wird Stefan erstmals Nachricht über den Gesundheitszustand
des Jungen erhalten. Auch wenn es wider Erwarten nicht
klappen sollte bekommt er darüber eine Nachricht.
Wenn alles funktioniert hat besteht die Möglichkeit,
dass Stefan den Jungen nach zwei Jahren persönlich
kennen lernen kann, sofern neben Stefan und dem Jungen
auch dessen Familie damit einverstanden ist.
Bis dahin dürfen beide sich anonyme Briefe schicken,
die von der DKMS gelesen, bei Bedarf zensiert und
dann weitergeleitet werden. Vielleicht wird Stefan
ihm zu Weihnachten einen ersten Brief schicken, das
wusste er aber noch nicht genau, als er uns seine
Erfahrungen schilderte. Etwa genau zu Weihnachten
ist erst erkennbar ist, ob seine Stammzellen bei dem
Jungen angewachsen sind, ob dann ein Brief zum richtigen
Zeitpunkt kommt ist daher fraglich.
(tj)