"Glücksfall" Lizenzentzug
Weshalb die Stadt beim Stadionbau in die Verlängerung geht
Dass Rot-Weiss Essen seit Monaten und Jahren ein Spielball der politischen Klasse in der Stadt Essen ist, ist ja bekannt. Doch inzwischen wird immer deutlicher, dass der mit viel Pomp gefeierte "Anstoß" zum Stadionneubau nur billiges Wahlkampftheater war.Als "Philharmonie des Nordens" bezeichnete der damalige Oberbürgermeister Reiniger (CDU) bei der Gelegenheit das neue Stadion, als Beitrag zur "sozialen Symmetrie in der Stadt" wollte er den Neubau verstanden wissen. Und sein Nachfolger Reinhard Paß (SPD) klatschte, mit RWE-Schal bekränzt, fleißig Beifall. Schöne Fotos gab das, mitten im Kommunalwahlkampf. Da waren die RWE-Fans noch potenzielle Wähler, da waren sie noch was wert.
Ein paar Wochen später war die Party vorbei. Der Stadtrat setzte die für November vorgesehene Beratung und Beschlussfassung über die Finanzierung des Stadionbaus von der Tagesordnung ab und verschob sie auf Januar. "Das RWE-Stadion ist erst sicher, wenn es steht", donnerte der neue Stadtkämmerer Klieve, und OB Paß forderte, Rot-Weiss müsse "seine Hausaufgaben machen".
Nun ist es Januar und erneut ist die Stadionfrage vertagt worden. Neuer Termin: März. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass auch dann keine Entscheidung getroffen wird. Denn der danach folgende Ratstermin, der 26. Mai, liegt günstigerweise schon nach der NRW-Landtagswahl.
Die Taktik ist klar: Man will eine Entscheidung so lange herauszögern, bis die Wahl vorbei und das Lizenzierungsverfahren des DFB abgeschlossen ist. Senken die Frankfurter den Daumen nach unten, haben die Stadt-Oberen ihr makabres Ziel erreicht: Sie müssen das Stadion nicht bauen. Noch besser: Sie sind nicht einmal Schuld daran. Schließlich war die Lizenz ja eine Sache des Vereins, seine "Hausaufgabe". Dass dabei für Tausende Rot-Weisse eine Welt zusammenbricht: egal. Das Stimmvieh wird erst in einigen Jahren wieder gebraucht.
Ich behaupte: Die Politik hat ganz offenbar kein Interesse daran, dass RWE die Lizenz für die vierte Liga bekommt. Es wird schon seinen Grund gehabt haben, dass es die Stadttochter GVE nicht schaffte, von ihrem Vorschlagsrecht für einen neuen RWE-Geschäftsführer Gebrauch zu machen. Und das, obwohl die Fristenuhr des DFB unaufhörlich tickte.
Inzwischen hat der Düsseldorfer Regierungspräsident die klamme Kommune an die Kette gelegt. Jede neue Investitionsentscheidung, so ist der Presse zu entnehmen, muss der Bezirksregierung zur Genehmigung vorgelegt werden. Damit ist das Stadionprojekt faktisch tot. Denn wer glaubt tatsächlich daran, der Regierungspräsident würde einer Stadt mit drei Milliarden (!) Miesen den Bau eines neuen Stadions erlauben? Aber diese Wahrheit möchte man den RWE-Fans wohl, wenn überhaupt, erst nach der Landtagswahl auf die Nase binden. Am besten aber gar nicht. Womit wir wieder beim "Glücksfall" Lizenzentzug wären...
Schön, wenn sich die Politik so um einen kümmert.
Thomas Mollen
Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels hatte ich geschrieben, der Stadtrat habe im März 2009 nicht den Neubau des Stadions beschlossen, sondern nur den Teilabriss der Nordtribüne sowie die weiteren vorbereitenden Arbeiten am Stadiongelände. Dies ist nicht korrekt. Wörtlich beschlossen hatte der Stadtrat die "Umsetzung der Phase 1 des Stadionneubaus". Damit war aber nicht, wovon ich zunächst ausging, das gemeint, was auf der Homepage www.stadion-essen.de als Phase 1 bezeichnet wird. Vielmehr bezieht sich dieser Begriff auf eine Ratsvorlage, in der als Phase 1 der Neubau des Stadions ohne geschlossene Ecken und ohne den Oberrang benannt wird. Ich bitte dieses Missverständnis zu entschuldigen.