Endstation Vierte Liga?
Wie in jedem Jahr steht RWE auch diesmal am sportlichen und finanziellen Scheideweg und wie in jedem Jahr steht man vor einer besonders wichtigen Saison. Wie in jedem Jahr soll auch diesmal wieder alles anders werden - und diesmal „anders" im Sinne von „besser".
Außer, dass das Ligenniveau immer tiefer liegt und Stadt sowie Hauptsponsor diesmal mit Argusaugen auf die Vereinsausgaben blicken, hat sich - so sind die Eindrücke nach den ersten sieben Spielen - allerdings kaum etwas verändert. Auf dem Platz wechseln sich großartige Auftritte und solche, bei denen nicht nur spielerisch, sondern auch kämpferisch Vieles zu wünschen übrig lässt, munter ab. Die Mannschaft hat einmal mehr große Probleme, gegen tief stehende Gegner das Spiel zu machen. Für Platz 10 hätte es im vergangenen Jahr trotzdem reichen können, Platz 1 wird in der aktuellen Saison mit diesem Problem aber eine Wunschvorstellung bleiben.
Erneut versucht man zudem, auf für die vierte Liga große Namen (Mölders, Kurth, Lorenz, Kühne, Mainka) zu setzen, gleichzeitig aber auf der Trainerbank zu sparen. Eine beliebte Methode, wenn sich kurzfristig Erfolg einstellen muss, aber mit fatalen Folgen, wenn sie nicht greift. Das Experiment mit einem jungen, unverbrauchten, dem Verein aufgrund seiner Spielertätigkeit auch nahe stehenden Trainer und einer prominent besetzten Mannschaft ist im Vorjahr missglückt. Trotz des Scheiterns mit Bonan wurde wieder ein (bis dahin Teilzeit-)Trainer befördert, der Erfolge bislang nur auf Jugend- und Verbandsligaebene vorzuweisen hat. Ob er den Anforderungen gewachsen ist, die die Regionalliga und die kurzfristige Zielvorgabe Aufstieg vorgeben, wird sich erst noch zeigen müssen.
Freilich hat der Verein auch mit großen Altlasten zu kämpfen, die kaum eine Alternative zur hausinternen Trainerlösung zuließen. Der zur Verfügung stehende Etat reichte gerade einmal für genau elf gestandene Akteure. Eine Mannschaft zusammenzustellen, die die Liga dominiert, ist damit unrealistisch. Selbst dann, wenn Michael Kulm und Thomas Strunz hervorragende Arbeit leisten, bleibt immer noch das "Nadelöhr Aufstiegsplatz", das es nur einer von vielen starken Mannschaften erlaubt, die Liga nach oben hin zu verlassen. Viel schief gehen darf im Laufe der Saison daher nicht.
Die finanziellen und ligastrukturellen Probleme lassen den Weg zurück in die Dritt- oder sogar Zweitklassigkeit extrem steinig werden. Weitere Gründe sind sowohl in der unglücklich verlaufenen jüngeren Vergangenheit zu suchen, aber auch ohne Not aktuell entstanden.
These 1: Kulm und die Mannschaft brauchen Zeit!
Ein Aufstieg mit einer neuen und in der Breite unerfahrenen Mannschaft in einer neuen Liga und einem drastisch reduzierten Etat ist eine Herkulesaufgabe, für die ein unerfahrener Trainer Zeit braucht. Wenn der Aufstieg in dieser Saison ermöglicht werden soll, dann muss sofort alles passen, weder Michael Kulm noch das Team dürften viele Fehler machen. Eine unrealistische Forderung. Sowohl Kulm, der zur Zeit keine taktischen Alternativen zum emotionslosen und kaum erfolgreichen Breitbandfußball anzubieten hat, als auch die Mannschaft, die zuletzt nicht in Bestbesetzung und -form antreten konnte, müssen noch reifen und an ihren Aufgaben wachsen.
Ob es unter dieser Voraussetzung also clever war, den Aufstieg als Saisonziel auszugeben und damit auch den Druck auf Mannschaft und Trainer und die Erwartungshaltung des Umfeldes zu steigern, ist fragwürdig. Wenn man oben mitspielt, aber letztlich am Aufstieg scheitert, würde nach Aussagen von Nico Schäfer auch die Sparkasse weiterhin engagiert bleiben. Warum hat also war man bei der Formulierung der Zielsetzung nicht ein wenig vorsichtiger? Wenn man mit vielen unerfahrenen Spielern arbeitet, muss man mit Rückschlägen - auch mit solchen, die den Aufstieg kosten - rechnen. Nicht ohne Grund haben die herausragend besetzten Amateurteams von Kaiserslautern und Dortmund nur vorsichtig einen „einstelligen Tabellenplatz" als Ziel vorgegeben. Wenn das Saisonziel im ersten Jahr "oben mitspielen" lauten würde, bräuchte jetzt das RWE-Volk noch keine Trainer-Diskussion vom Zaun brechen.
Wenn man mit vielen unerfahrenen Personen arbeitet und den direkten Wiederaufstieg als Ziel ausgibt, dann ist die augenblickliche schlechte Stimmung nach zu erwartenden Rückschlägen hausgemacht! Kulm und der Mannschaft muss man ein Aufbaujahr geben, wenn die finanziellen Mittel keinen teureren und in der Breite hochwertigeren Kader erlauben.
These 2: Der Verein hat es verpasst, Änderungen in Zeiten des Erfolges vorzunehmen.
Nach keinem Zweitligaaufstieg der letzten 15 Jahre zog in der Führungsetage mehr Professionalität ein, gerade im sportlichen Bereich war diese notwendig. Sportlicher Leiter und Trainer genossen in den wichtigen Zweitligajahren volles Vertrauen. Doch die Fehler, die z. B. Frank Kontny und Jürgen Gelsdorf vor vier Jahren auf sportlicher Ebene machten, waren kein Warnschuss für Rolf Hempelmann und Nico Schäfer. Im Gegenteil, zwei Jahre später hatten mit Olaf Janßen und Uwe Neuhaus wieder nur zwei Personen dieselben Kompetenzen inne. Das Vertrauen war so groß, dass dem Vorstand sogar die Verpflichtung eines vierten Torhüters schmackhaft gemacht werden konnte. Und wieder ging die Einkaufspolitik schief.
In der vierten Liga wird man dieses Problem aus finanziellen Gründen nicht mehr ändern können. Man kann höchstens hoffen, dass Kulm und Strunz hinreichend Qualität besitzen, um den Verein auch mit geringen finanziellen Mitteln zumindest wieder in die Drittklassigkeit zu hieven.
Ändern will (und muss) man zumindest die Strukturen. Mit Hilfe der Stadt soll Hauptgläubiger Dr. Kölmel abgefunden und eine GmbH zur Abwicklung des Profifußballgeschäfts gegründet werden. Aber auch die beste GmbH taugt nichts, wenn sie nicht von geeigneten Personen geführt wird. Auch eine GmbH kann finanziell an die Wand gefahren werden. Um das zu verhindern, wird die Stadt wohl eine eigene Person in der GmbH installieren.
These 3: Aus Vereinssympathie folgt nicht zwingend Einsatzwillen.
Spieler, die sich mit dem Club verbunden fühlen, sind zwar wünschenswert, lassen aber kaum Rückschlüsse auf Einsatz und Leistung zu. Gerade vor dieser Saison wurde besonders betont, dass nur Spieler an Bord seien, die sich mit dem Verein und seinem Konzept voll identifizieren. Das möchte ich auch nicht anzweifeln. Die Folgerung, die Strunz und Kulm daraus gezogen haben, nämlich dass sich alle Spieler für den Verein zerreißen würden, muss aber nach den ersten Eindrücken in Frage gestellt werden. So lobenswert und erfreulich es ist, dass sich erfahrene Spieler dem Verein angeschlossen haben und das Konzept mittragen, so erschreckend sind Leistung und Einstellung einiger potenzieller Führungsspieler in den letzten Wochen gewesen. Grundlegende Fähigkeiten wie Laufbereitschaft und Siegeswillen vermissten Fans und Trainer zuletzt, was Michael Kulm in der Pressekonferenz nach dem Trier-Spiel auch deutlich anprangerte.
Folglich ist eine Unterteilung von Spielern in die beiden Gruppen „dem Verein verbunden" und „dem Verein nicht verbunden" zwar möglich, aber in Bezug auf Einsatzfreude sinnlos. Unterscheiden kann man Spieler schon eher in „Spieler mit professioneller Einstellung" und „Spieler ohne professionellen Einstellung".
Zur Erklärung sei das Beispiel Barbaros Barut aufgeführt: Nach seiner starken Rückrunde vor anderthalb Jahren wurde er im Stadion sofort überschwänglich als „echter Rot-Weißer" gefeiert. Völlig falsch. Er ist einfach ein Profi bzw. ein Söldner im nichtnegativen Sinne, der sich für seinen Arbeitgeber tatsächlich zerrissen hat, der sich in der Presse gut verkaufen konnte und dazu noch zur rechten Zeit mal vor den Augen des entzückten Essener Publikums das RWE-Wappen auf dem Trikot küsste. Von Vereinstreue oder gar -liebe war er jedoch weiter entfernt als die Türken von einer Lösung in der Kurdenfrage. Auch Barut war nach dem Abstieg ruckzuck aus Essen verschwunden. Aber: Nichts gegen Barut, denn mehr als er hier gezeigt hatte, kann man heutzutage von einem Spieler nicht erwarten. Der Begriff „Söldner" ist negativ behaftet, aber aus welchem Grund? Jeder Söldner mit einer professionellen Einstellung ist für den Verein mehr Wert als ein „echter Rot-Weißer", der sein Trikot spazieren trägt. Jeder professionelle Söldner ist aus sportlicher Sicht auch mehr wert als ein vereinseigener Jugendspieler, der in der Seniorenliga noch überfordert ist.
Ob man nun einer Kader voller RWE-Sympathisanten wie in diesem Jahr oder ein aus Skandinavien, Belgien und den neuen Bundesländern zusammengekauften Kader wie im Vorjahr hat, macht auf dem Platz viel zu oft leider keinen Unterschied. Die sportlichen Probleme in diesem Jahr unterscheiden sich kaum von denen des Vorjahrs. Und wer glaubt, dass Mölders als bekennender RWE-Fan mehr als ein bis maximal zwei Jahre seine Knochen für RWE in der vierten Liga hinhalten wird, der wird sicherlich eines Besseren belehrt werden. Auch er ist Berufsfußballer, der mittelfristig seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt und bezahlt werden will.
These 4: Die Fans überzeugen in ihrer Quantität, aber nicht mehr in ihrer Qualität.
Quantität ist an der Hafenstraße nach wie vor vorhanden, 3000 verkaufte Dauerkarten sind nahezu unglaublich. So viele waren es in manchen Zweitligajahren nicht. Die Qualität auf den Rängen nimmt allerdings in den letzten Jahren exponentiell ab.
Die stimmungsfreudigen Fans und Fanclubs können sich untereinander nicht einigen, von welcher Tribüne aus supportet werden soll. Sie spalten sich dadurch in zwei Lager, die während der Heimspiele eher gegen- als miteinander arbeiten und sich anschließend im RWE-Forum gegenseitig den Schwarzen Peter für die schlechte Stimmung zuschieben. Eine „Stimmungswand", wie es sie noch vor wenigen Jahren auf der Nordtribüne gab, ist heute undenkbar. Selbst ausverkaufte Spitzenspiele wie zuletzt gegen den BVB sorgen nicht mehr für das Hafenstraßenfeeling von früher.
Zudem gibt es immer mehr Fans, die nicht mehr zwischen konstruktiver Kritik und billigen Schmährufen und übereilter Opferfindung unterscheiden können. Kaum ein Spieler darf zwei Mal in Folge schwach spielen, bis seine Aktionen nicht mit Pfiffen und Beleidigungen aus dem eigenen Fanblock begleitet werden. Zuletzt war Kiskanc das Opfer, der heute für RWO in der Zweiten Liga trifft. Natürlich hat die Geduld nach drei Abstiegen in vier Jahren auch Grenzen, aber genauso muss man sich fragen, wie ein solches Fanverhalten dem Verein helfen soll. Jeder Gegner braucht nur 20 Minuten die 0 zu halten, um das RWE-Publikum gegen die eigene Mannschaft auf- oder wenigstens zum Schweigen zu bringen. Mit Unterstützung des 12. Mannes werden keine Spiele an der Hafenstraße mehr gedreht.
These 5: RWE spielt dort, wo der Verein zur Zeit auch hingehört!
Seit dem Zwangsabstieg 1991 wurde mehrfach unter hohem finanziellem Aufwand und Risiko die Rückkehr in die zweite Liga geschafft, aber egal, ob die Präsidenten Schenk, Himmelreich oder Hempelmann, die Geschäftsführer Schäfer oder Karkuth, die Sportlichen Leiter Janßen oder Kontny, die Trainer Gelsdorf, Neuhaus oder Gores hießen, unter jeder Führung folgte der direkte Wiederabstieg in die Drittklassigkeit. Das lässt Zweifel aufkommen, ob die Misserfolge wirklich nur an einzelnen Personen festzumachen sind, oder ob man nicht eine Erkenntnis gewinnen muss, die Vielen nur mühevoll über die Lippen kommen wird:
RWE spielt in einer aus sportlicher Sicht viertklassigen Metropole und ist vielleicht dort angekommen, wo der Verein mit seiner zur Zeit viertklassig aufspielenden Mannschaft, seinem seit Jahren viertklassigen Vorstand, und mit seinen qualitativ auch in Richtung Viertklassigkeit abrutschenden Fans hingehört: in der vierten Liga!
Nur der Saisonetat könnte auch drittklassigen Ansprüchen genügen, aber das hat in Essen bekanntermaßen wenig Aussagekraft.
Fazit:
Hervorragende Arbeit wurde in den vergangenen Jahren lediglich im Jugendbereich geleistet, von der der Verein jetzt lebt. Die A-Jugend etablierte sich in der Junioren-Bundesliga und die jahrelang in der Landesliga vor sich hinspielenden Zweitvertretung schaffte nach zwei Aufstiegen den Sprung in die Oberliga West. Nur aufgrund dieser Tatsache war es überhaupt möglich, vor der Saison vom Wiederaufstieg zu träumen. Der eingeschlagene Weg mit jungen Leuten ist sicherlich der richtige (und aus finanzieller Sicht auch der einzig mögliche), aber dann müssen Fans, Vorstand und vor allem die Sponsoren dem Trainer und der Mannschaft auch die zum Aufbau einer jungen Mannschaft notwendige Zeit gewähren und nicht durch ein großes Saisonziel den Druck unnötig zu erhöhen. Die vielen Fehler der Vergangenheit erlauben nur mit viel Glück den sofortigen Wiederaufstieg. Da aber auch ein Sascha Mölders nicht alles in Grund und Boden schießt, der kurzfristig eingeforderte Erfolg schon wieder die Stimmung kippen lässt und Jahr für Jahr nur ein Aufstiegsplatz für viele stark besetzte Mannschaften zur Verfügung steht, sollte man sich als eingefleischter RWE-Fan darauf einstellen, dass auch der worst case eintreten und die Fahrstuhlmannschaft RWE aufgrund der alten und neuen Probleme die Regionalliga auf unbestimmte Zeit bereichern könnte.
Nur, wenn die Sponsoren Geduld haben, die Hafenstraße auch in schwierigen Zeiten wieder zur (Stimmungs-)Festung wird, einige Spieler ihre Einstellung überdenken, Kulm mit seinen Aufgaben wächst, die Vereinsstrukturen erfolgreich professionalisiert werden, die Stadt Dr. Kölmel abfinden und den Stadionneubau realisieren kann und der Ball zur Abwechslung mal in der 90. Minute nicht ins eigene, sondern ins gegnerische Tor kullert, ist mittelfristig ein Entkommen aus der vierten Liga möglich. Die Probleme erscheinen aber zu zahlreich und groß, als dass schon kurzfristig, also am Ende dieser Saison, der anvisierte Aufstieg gelingen wird.