Ein „Wettskandal“ erschüttert den Essener Fußball – Eine Chronologie der Ereignisse
Auch ca. 36 Stunden nach dieser Meldung sitzt der Schock tief. Gegen halb elf am Freitagabend wurde nicht nur bekannt, dass Kapitän Timo Brauer den Verein Richtung Aachen verlässt, sondern auch dass der Deutsche Fußballbund gegen drei Spieler aus dem Kader der ersten Mannschaft wegen eines „Wettverdachts“ ermittelt. Ein anonymer Hinweis habe auf die Taten aufmerksam gemacht. Diese Spieler sollen am 05.05.2012 im Spiel gegen Dortmund II Wetten gegen ihr eigenes Team platziert haben.
Besonders pikant ist der Umstand, dass mit der
deutlichen 0:4-Niederlage die Dortmunder Amateure an dem bisherigen
Spitzenreiter aus Lotte vorbeigezogen waren. Bei den spekulierten
Summen, welche auf das Spiel gesetzt worden, soll es sich um Beträge im
unteren dreistelligen Bereich handeln.
Die ersten Stellungnahmen der Verantwortlichen trudeln zeitnah zu dieser
Meldung herein. Trainer Wrobel zeigte sich fassungslos und äußerte
Rücktrittsgedanken, die er aber in einer Pressekonferenz nach dem Spiel
gegen Fortuna Köln von sich wies. Der erste Vorsitzende Michael Welling
bezeichnete die Nachricht als „Schlag in die Fresse“ und kündigte eine
lückenlose Aufklärung der Vorgänge an. Zudem gab er bekannt, dass die
drei Spieler angeblich unabhängig voneinander gehandelt hätten und der
DFB nicht gegen den Verein Rot-Weiss Essen ermittelt. Alle drei Spieler
wurden von dem Verein für den Trainings- und Spielbetrieb vorerst
suspendiert.
Spekulationen bei den Fans und in der Presse machten sich breit, denn
die Namen der drei Spieler wurden zunächst nicht genannt. Eine sehr
konkrete Meldung aus dem journalistischen Bereich wies aus, dass ein
Spieler beim Stande von 0:3 eingewechselt wurde. Schnell fiel der
Verdacht auf Stürmer Güngor Kaya, da diese Information nur auf ihn
zutreffen konnte. Ein weiterer Beschuldigter soll gar nicht erst auf dem
Platz gestanden haben, während der Dritte im Bunde das Spiel gegen
Dortmund II über die gesamte Distanz bestritten haben soll.
Erst zwei Stunden vor Beginn des Spiels gegen Fortuna Köln werden die Vermutungen weiter
genährt. Im VIP-Zelt wurden neben Kaya die beiden Verteidiger Dirk
Jasmund (der allerdings während des Spiels ausgewechselt wurde) und
Kevin Lehmann als weitere Verdächtigte benannt. Relativ schnell werden
aus diesen Spekulationen bittere Gewissheit: Alle drei Spieler
erscheinen bei der letzten Begrüßung vor den Rängen im alten
Georg-Melches-Stadion nicht. Kurz vor dem Spielbeginn wurden neben der
Verabschiedung der scheidenden Spieler die drei Namen von Michael
Welling unter Pfiffen der Fans offiziell bestätigt. In einer
Presseerklärung der drei Spieler heißt es unter anderem, dass
Insiderinformationen über die Aufstellung gegen Dortmund II an Freunde
und Bekannte weitergegeben wurden (RWE trat aufgrund der Pokalbelastung
nicht mit seiner besten Mannschaft auf) und so die Wetten auf das Spiel
platziert werden konnten. Der Umstand einer Spielmanipulation ist daher
nicht gegeben. Trotz einer Entschuldigung dieser drei Spieler am
Abschluss dieser Presserklärung ist der erste größere Skandal im Verein
nach dem Neustart infolge der Insolvenz 2010 perfekt.
Jedem RWE-Fan wird bei dem Gedanken, gegen seinen eigenen Verein zu
wetten, schlecht, auch wenn es nur 50 Cent wären. Genau das haben aber
drei Spieler der Mannschaft getan, darunter mit Jasmund und Lehmann zwei
Akteure, die ihren Status als „Aufstiegshelden 2010/11“ eigentlich gar
nicht verlieren konnten. Mit Kaya ist ein weiterer Spieler betroffen,
der jeweils in Nürnberg und Bochum als Profi gescheitert war und
Rot-Weiss Essen als letztes Sprungbrett nutzen wollte. Auch wenn der
Verein möglicherweise mit der Presseerklärung den Spielern ein
Hintertürchen offen gelassen hat, die Reaktion der Zuschauer auf diese
Tat ist eindeutig: Niemand auf den Rängen duldet das Verhalten der drei
und akzeptiert diese Entschuldigung. Eine Zukunft im rot-weißen Dress
scheint von daher hoffentlich ausgeschlossen zu sein.
Dieser Umstand stellt Trainer Wrobel vor personellen Problemen, denn
alle drei Akteure waren nicht als Abgänge eingeplant. Kayas Formkurve
zeigte während der gesamten Saison deutliche Schwankungen an, allerdings
mit einer Steigerung in der Rückrunde. Nach dem Abgang von Timo Brauer
sollte Kevin Lehmann wieder auf der rechten Außenposition dauerhaft
gesetzt sein, Dirk Jasmund hatte sich als echte Alternative in der
Innenverteidigung erwiesen. Neben den weiteren Abgängen müssen erst
einmal Spieler gefunden werden, die den Kader wieder auffüllen sollen.
Weitaus größer ist allerdings der Imageschaden für den Verein. Nach zwei
Jahren harte Arbeit der Vereinsverantwortlichen und der sportlichen
Führung, dass sehr stark angekratzte Bild des Traditionsvereins wieder
herzurichten ist dieses Verhalten mit den Worten Michael Wellings besser
auszudrücken: „Ein Schlag in die Fresse“. In einer Presselandschaft, wo
kaum ein Leser mehr als die Überschriften liest, wird immer wieder
dieses Verhalten Einzelner mit dem Verein Rot-Weiss Essen in Verbindung
gezogen. Diese Spieler haben dem Verein mit ihrem nicht zu tolerierenden
Verhalten einen Bärendienst erwiesen.
Trotz aller Wut über die Geschehnisse ist der Umgang des Vereins mit
diesem Skandal positiv zu bewerten. Michael Welling und andere
Verantwortliche halten sich nicht bedeckt und handeln sehr umsichtig.
Der Weg mit der Bekanntgabe der drei Namen und die Stellungnahme des
Vereins war vor dem Spiel gegen Fortuna Köln genau richtig gewählt und
soll allen zeigen, dass Rot-Weiss Essen mit solchen Ereignissen entgegen
der eigenen Vergangenheit mittlerweile offen und konsequent umgeht.
Auch wenn die heftige Kritik aus Lotte aufgrund des Nichtaufstiegs
verständlich ist muss man auch hier die Kirche im Dorf lassen. Erstens
handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Manipulation des Spiels.
Zweitens hatte Lotte in der Mitte der Rückrunde acht!!! Punkte Vorsprung
auf seine Verfolger, während RWE das wichtige Ziel des Pokalgewinns
verfolgen wollte und daher nicht die beste Elf gegen Dortmund II auf das
Feld schickte. Beide Vereine würden in der Situation des jeweils
anderen genauso handeln bzw. reagieren.
Es bleibt ein mehr als bitterer Nachgeschmack bei dieser Sache. Kaum
jemand hat das Gefühl, sich an diesem Wochenende ordentlich von seiner
alten Heimat „Georg-Melches-Stadion“ verabschieden zu können. Als Fan
kann man nur hoffen, dass nichts mehr in dieser Sache nachgeschoben wird
und mit der Suspendierung der betroffenen Spieler die Sache erledigt
ist. Das allerdings alle drei Spieler unabhängig voneinander gehandelt
haben sollen bleibt mehr als fragwürdig. Zudem kann es sein, dass alle
drei Spieler schnell wieder einen Job bei einem anderen Verein finden.
Die „lückenlose Aufklärung“, welche von den Vereinsverantwortlichen
selbst eingefordert wurden, muss schnell erfolgen, damit RWE in eine
sorgenfreie Zukunft mit neuem Stadion starten kann.
Pascal Druschke