20.05.2012

Ein „Wettskandal“ erschüttert den Essener Fußball – Eine Chronologie der Ereignisse

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Auch ca. 36 Stunden nach dieser Meldung sitzt der Schock tief. Gegen halb elf am Freitagabend wurde nicht nur bekannt, dass Kapitän Timo Brauer den Verein Richtung Aachen verlässt, sondern auch dass der Deutsche Fußballbund gegen drei Spieler aus dem Kader der ersten Mannschaft wegen eines „Wettverdachts“ ermittelt. Ein anonymer Hinweis habe auf die Taten aufmerksam gemacht. Diese Spieler sollen am 05.05.2012 im Spiel gegen Dortmund II Wetten gegen ihr eigenes Team platziert haben.

 Besonders pikant ist der Umstand, dass mit der deutlichen 0:4-Niederlage die Dortmunder Amateure an dem bisherigen Spitzenreiter aus Lotte vorbeigezogen waren. Bei den spekulierten Summen, welche auf das Spiel gesetzt worden, soll es sich um Beträge im unteren dreistelligen Bereich handeln.

Die ersten Stellungnahmen der Verantwortlichen trudeln zeitnah zu dieser Meldung herein. Trainer Wrobel zeigte sich fassungslos und äußerte Rücktrittsgedanken, die er aber in einer Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Fortuna Köln von sich wies. Der erste Vorsitzende Michael Welling bezeichnete die Nachricht als „Schlag in die Fresse“ und kündigte eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge an. Zudem gab er bekannt, dass die drei Spieler angeblich unabhängig voneinander gehandelt hätten und der DFB nicht gegen den Verein Rot-Weiss Essen ermittelt. Alle drei Spieler wurden von dem Verein für den Trainings- und Spielbetrieb vorerst suspendiert.

Spekulationen bei den Fans und in der Presse machten sich breit, denn die Namen der drei Spieler wurden zunächst nicht genannt. Eine sehr konkrete Meldung aus dem journalistischen Bereich wies aus, dass ein Spieler beim Stande von 0:3 eingewechselt wurde. Schnell fiel der Verdacht auf Stürmer Güngor Kaya, da diese Information nur auf ihn zutreffen konnte. Ein weiterer Beschuldigter soll gar nicht erst auf dem Platz gestanden haben, während der Dritte im Bunde das Spiel gegen Dortmund II über die gesamte Distanz bestritten haben soll.

Erst zwei Stunden vor Beginn des Spiels gegen Fortuna Köln werden die Vermutungen weiter genährt. Im VIP-Zelt wurden neben Kaya die beiden Verteidiger Dirk Jasmund (der allerdings während des Spiels ausgewechselt wurde) und Kevin Lehmann als weitere Verdächtigte benannt. Relativ schnell werden aus diesen Spekulationen bittere Gewissheit: Alle drei Spieler erscheinen bei der letzten Begrüßung vor den Rängen im alten Georg-Melches-Stadion nicht. Kurz vor dem Spielbeginn wurden neben der Verabschiedung der scheidenden Spieler die drei Namen von Michael Welling unter Pfiffen der Fans offiziell bestätigt. In einer Presseerklärung der drei Spieler heißt es unter anderem, dass Insiderinformationen über die Aufstellung gegen Dortmund II an Freunde und Bekannte weitergegeben wurden (RWE trat aufgrund der Pokalbelastung nicht mit seiner besten Mannschaft auf) und so die Wetten auf das Spiel platziert werden konnten. Der Umstand einer Spielmanipulation ist daher nicht gegeben. Trotz einer Entschuldigung dieser drei Spieler am Abschluss dieser Presserklärung ist der erste größere Skandal im Verein nach dem Neustart infolge der Insolvenz 2010 perfekt.

Jedem RWE-Fan wird bei dem Gedanken, gegen seinen eigenen Verein zu wetten, schlecht, auch wenn es nur 50 Cent wären. Genau das haben aber drei Spieler der Mannschaft getan, darunter mit Jasmund und Lehmann zwei Akteure, die ihren Status als „Aufstiegshelden 2010/11“ eigentlich gar nicht verlieren konnten. Mit Kaya ist ein weiterer Spieler betroffen, der jeweils in Nürnberg und Bochum als Profi gescheitert war und Rot-Weiss Essen als letztes Sprungbrett nutzen wollte. Auch wenn der Verein möglicherweise mit der Presseerklärung den Spielern ein Hintertürchen offen gelassen hat, die Reaktion der Zuschauer auf diese Tat ist eindeutig: Niemand auf den Rängen duldet das Verhalten der drei und akzeptiert diese Entschuldigung. Eine Zukunft im rot-weißen Dress scheint von daher hoffentlich ausgeschlossen zu sein.

Dieser Umstand stellt Trainer Wrobel vor personellen Problemen, denn alle drei Akteure waren nicht als Abgänge eingeplant. Kayas Formkurve zeigte während der gesamten Saison deutliche Schwankungen an, allerdings mit einer Steigerung in der Rückrunde. Nach dem Abgang von Timo Brauer sollte Kevin Lehmann wieder auf der rechten Außenposition dauerhaft gesetzt sein, Dirk Jasmund hatte sich als echte Alternative in der Innenverteidigung erwiesen. Neben den weiteren Abgängen müssen erst einmal Spieler gefunden werden, die den Kader wieder auffüllen sollen. Weitaus größer ist allerdings der Imageschaden für den Verein. Nach zwei Jahren harte Arbeit der Vereinsverantwortlichen und der sportlichen Führung, dass sehr stark angekratzte Bild des Traditionsvereins wieder herzurichten ist dieses Verhalten mit den Worten Michael Wellings besser auszudrücken: „Ein Schlag in die Fresse“. In einer Presselandschaft, wo kaum ein Leser mehr als die Überschriften liest, wird immer wieder dieses Verhalten Einzelner mit dem Verein Rot-Weiss Essen in Verbindung gezogen. Diese Spieler haben dem Verein mit ihrem nicht zu tolerierenden Verhalten einen Bärendienst erwiesen.

Trotz aller Wut über die Geschehnisse ist der Umgang des Vereins mit diesem Skandal positiv zu bewerten. Michael Welling und andere Verantwortliche halten sich nicht bedeckt und handeln sehr umsichtig. Der Weg mit der Bekanntgabe der drei Namen und die Stellungnahme des Vereins war vor dem Spiel gegen Fortuna Köln genau richtig gewählt und soll allen zeigen, dass Rot-Weiss Essen mit solchen Ereignissen entgegen der eigenen Vergangenheit mittlerweile offen und konsequent umgeht. Auch wenn die heftige Kritik aus Lotte aufgrund des Nichtaufstiegs verständlich ist muss man auch hier die Kirche im Dorf lassen. Erstens handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Manipulation des Spiels. Zweitens hatte Lotte in der Mitte der Rückrunde acht!!! Punkte Vorsprung auf seine Verfolger, während RWE das wichtige Ziel des Pokalgewinns verfolgen wollte und daher nicht die beste Elf gegen Dortmund II auf das Feld schickte. Beide Vereine würden in der Situation des jeweils anderen genauso handeln bzw. reagieren.

Es bleibt ein mehr als bitterer Nachgeschmack bei dieser Sache. Kaum jemand hat das Gefühl, sich an diesem Wochenende ordentlich von seiner alten Heimat „Georg-Melches-Stadion“ verabschieden zu können. Als Fan kann man nur hoffen, dass nichts mehr in dieser Sache nachgeschoben wird und mit der Suspendierung der betroffenen Spieler die Sache erledigt ist. Das allerdings alle drei Spieler unabhängig voneinander gehandelt haben sollen bleibt mehr als fragwürdig. Zudem kann es sein, dass alle drei Spieler schnell wieder einen Job bei einem anderen Verein finden. Die „lückenlose Aufklärung“, welche von den Vereinsverantwortlichen selbst eingefordert wurden, muss schnell erfolgen, damit RWE in eine sorgenfreie Zukunft mit neuem Stadion starten kann.

 

Pascal Druschke