Dass die Stadt Essen an einem Verbleib Rot-Weiss Essens in der Regionalliga nicht interessiert sein würde, hatte Jawattdenn.de bereits im Januar prognostiziert. Einige Monate später gibt es nun traurige Gewissheit. Dass der Oberbürgermeister allerdings höchstselbst den Stöpsel ziehen würde, damit hatten wir zum damaligen Zeitpunkt nicht gerechnet.

Dabei hätte man es wissen müssen. Zu offensichtlich hatte der OB in den vergangenen Monaten von seinem Hochsitz im Essener Rathaus auf den waidwunden Verein angelegt. Höhepunkt des Possenspiels: Die Vorstellung des Haushaltsplans im Stadtrat, die Paß dazu nutzte, den Verein und seine Vertreter medienwirksam bloßzustellen.

Nicht, dass wir uns missverstehen: Die Krise bei Rot-Weiss Essen ist hausgemacht und währt länger als die Amtszeit des OB. An der derzeitigen Zuspitzung der Lage sind die Vereinsvertreter in hohem Maße mitschuldig: Ein Vorstand, der seine Hilflosigkeit angesichts der OB-Tiraden mit Macho-Rhetorik zu kaschieren versuchte. Und ein nicht wahrnehmbarer Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender nach der vom Vorstand erzwungenen Demission seines Busenkumpels Thomas Strunz durch Monate lange Abwesenheit glänzte. Beide Gremien werden auf der Mitgliederversammlung am kommenden Wochenende ihre verdiente Quittung bekommen.

Aber zurück zu Paß: Auf den ersten Blick hat die von ihm mitverursachte Insolvenz des Vereins der Stadt einen enormen Schaden verursacht: Mit über zwölf Millionen Euro soll die GVE vor zwei Jahren dem Kinowelt-Boss Dr. Michael Kölmel seine Forderungen gegenüber RWE abgekauft haben. Geld, dass jetzt ebenso verbrannt sein dürfte, wie die 2,5 Millionen Euro, die bereits in die erste Bauphase des neuen Stadions geflossen sind. Rechnet man zusammen, sitzt die Stadt jetzt auf geschätzt 15 Millionen Euro an Forderungen gegenüber einem insolventen Verein. Und das vor dem Hintergrund einer Stadtverwaltung, der in puncto Sparen ein ähnlich vernichtendes Urteil ausgestellt werden darf wie den RWE-Verantwortlichen.

Frage: Kann ein Oberbürgermeister so dermaßen doof sein?

Natürlich nicht. Für Reinhard Paß war das von ihm forcierte Ende von RWE in der Regionalliga keine Katastrophe. Im Gegenteil: Er ist fein raus, denn durch den Zwangsabstieg hat er selbst überwiegend Vorteile. Und auf die hatte er schließlich schon lange spekuliert:

1.) Sein erstes Ziel hat er bereits erreicht: Der ungeliebte Vorstand des Vereins hat seinen Rücktritt angekündigt. Damit ist der Weg frei für dem OB genehme Jasager in der RWE-Spitze. Man darf gespannt sein, wen der plötzlich von den Toten auferstandene Aufsichtsratschef Bückemeyer für diese Posten aus dem Hut zaubern wird.

2.) Der Stadionbau an der Hafenstraße ist endgültig beerdigt. Klar, es gibt einen gültigen Baubeschluss des Rates. Sicher, im Bebauungsplan ist an dieser Stelle eine Sportanlage vorgesehen. Aber Pläne sind aus Papier, Papier ist geduldig und Ratsbeschlüsse können geändert werden, wenn eine neue Situation eintritt.

Nun, die neue Situation ist da: Rot-Weiss Essen wird in der kommenden Saison, sofern alles glatt läuft, eine Liga tiefer antreten müssen.
Und Reinhard Paß freut sich darüber. Er freut sich. In diesen Tagen, in denen den Fans der Arsch auf Grundeis geht, in denen bittere Tränen vergossen wurden, jubiliert unser Stadtoberhaupt über "den Charme eines wirklichen Neuanfangs für die Profifußballszene in Essen". Von welchem Profifußball hier die Rede ist, weiß nur er selbst.

Und so sieht er aus, der angekündigte "Neuanfang": Nur noch EIN Stadion soll es geben in der Stadt, eines für RWE, ETB und die Schönebecker Damen zusammen. Und zwar woanders, nicht an der Hafenstraße. Paß sagt Letzteres nicht wörtlich, aber es ist herauszulesen, schließlich bedeutet der RWE-Abstieg in der Konsequenz für ihn die "historische Situation, über dieses Stadion mal richtig frei nachdenken zu können". Dieses "freie Nachdenken" hat für den Oberbürgermeister einen besonderen Anreiz: Wenn man nur lange genug nachdenkt und plant und nachdenkt und wieder plant, dann gehen der Jahre viel ins Land. Paß will nichts anderes als den Neubau auf die lange Bank schieben. So lange, bis es um die städtischen Finanzen wieder besser bestellt ist. Oder er einem Nachfolger das Problem vor die Schuhe schmeißen kann.

Zwei Dinge lernen wir aus dem Desaster der vergangenen Tage. Erstens: Wenn es darum geht, sich lästiger Probleme zu entledigen, geht der Mann, der sich lieber als "Bürger" denn als "Meister" verstanden wissen will, über Leichen. Motto: Eliminiere einen Fußballverein, dann löst du das Problem mit dem doofen neuen Stadion. Kollateralschäden: scheißegal.
Zweitens: In einem einzigen Punkt hat Paß Recht: Rot-Weiss Essen muss lernen, ohne die Stadt zu überleben. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Rot-Weiss Essen muss sich aus der Umklammerung von Politik und Verwaltung lösen, die schon viel zu lange das Sagen in diesem Verein haben! Seit zig Jahren ist RWE den politischen Machtspielchen der beiden großen Parteien und ihrer Protagonisten ausgeliefert. Hätten Hempelmann, Hülsmann und Reiniger vor Jahren ernsthaft zusammengearbeitet anstatt genau dies immer nur nach außen vorzutäuschen, stünde das Stadion schon seit drei Jahren. Das Schicksal RWEs ist seit Jahren hochgradig damit verknüpft, wer auf der politischen Bühne gerade mit wem kann oder nicht. Dieser Polit-Filz muss aufhören!

Einen "wirklichen Neuanfang" können dabei wir Fans von Rot-Weiss Essen machen. Auf der jährlichen Mitgliederversammlung am kommenden Sonntag ist Gelegenheit, Farbe zu bekennen: Wir bestimmen und wählen den Aufsichtrat, nicht das Rathaus! Wir sind der Verein! Wir sind RWE!