Hoppingbericht CS MARÍTIMO vs. Paços de Ferreira
Urlaubszeit ist Fußballzeit. So oder so ähnlich ist es, wenn man den Erholungsurlaub auf Madeira mit der Leidenschaft Fußball kombiniert und nicht nur die traumhaften, schroffen Landschaften der Insel, das herrlich blaue Wasser und die Lebewesen des Atlantik genießen, sondern auch die Kultur des portugiesischen Fußballs erleben möchte.
Während der Fussball auf dem portugisischen Festland zu kämpfen hat, leistet sich Madeira eine Vielzahl an Vereinen, von denen zwei, Marítimo und Nacional, in der ersten portugisischen Liga spielen. Bilder vom Spiel Marítimo Funchal gegen Paços de Ferreira findet ihr nun hier.
Club Sport Marítimo Funchal spielt als einer von zwei Vereinen von der zu Portugal gehörenden Insel Madeira in der höchsten Liga, der Primeira Liga. Zweimal pro Saison machen sich also Vereine wie der FC Porto, Benfica oder Sporting Lissabon auf, um Ligaspiele auf der Insel zu bestreiten. Vor allem für die kleinen Vereine spielen in der Bilanz die Position Flugkosten eine große Rolle. Gegründet wurde Marítimo am 20. September 1910, feierte also kürzlich seinen 103. Geburtstag. In den Anfangszeiten spielten vor allem Hafenarbeiter für den Verein, woraus sich der Vereinsname „Marítimo“ ergab. Dies, und die Entfernung zum portugisischen Festland, sind die Gründe, warum in den ersten Jahren oftmals gegen britische Seefahrer gespielt wurde, wann immer ein Schiff im Hafen vor Anker lag. Das heimische Stadion liegt entsprechend nah an der Küste. Im Jahr 1921 wurde die portugisische Meisterschaft eingeführt und Marítimo nimmt seither als einer der Gründungsmitglieder daran teil. Nach zwei dritten Plätzen konnte 1926 die Meisterschaft nach Madeira geholt werden. Dies blieb bislang jedoch der einzige große Titel. 1995 und 2001 stand Marítimo jeweils im Pokalfinale, verlor jedoch beide Spiele (0:2 gegen Sporting Lissabon und 0:1 gegen den FC Porto). Es folgten weitere dritte Plätze in der Meisterschaft, aber auch einige Saisons unterhalb der Primeira Liga. Seit den 1970er Jahren spielt Marítimo allerdings wieder durchgehend erstklassig. In den Jahren 1993, 1994, 1998, 2001, 2003, 2008, 2010 und 2012 erreichte der Verein jeweils den UEFA-Cup bzw. die Europa-League, ohne hier jedoch groß überraschen zu können. 1994 scheiterten sie nur knapp (0:1 und 1:2) in der zweiten Runde gegen den späteren Finalisten Juventus Turin. 2012 zog Marítimo durch zwei Play-Off-Siege gegen den georgischen Vertreter FC Dila Gori (1:0, 2:0) in die Gruppenphase ein, hatte dort jedoch gegen Girondins Bordeaux und Newcastle United das Nachsehen. Immerhin blieben sie im eigenen Stadion ohne Niederlage und wurden dadurch vor dem FC Brügge Gruppendritter.
Gegner Paços de Ferreira ist die Überraschungsmannschaft der letzten Saison. Gegründet im Jahre 1950 stieg das Team erstmals 1991 in die erste portugisische Liga auf, übernahm in den Jahren danach aber die Funktion einer Fahrstuhlmannschaft. Seit 2005 spielen sie nun aber ununterbrochen in der Primeira Liga, erreichten dabei immer Mittelfeldplätze. Umso überraschender landeten sie in der letzten Saison auf Platz drei und feierten damit den Qualifikationsplatz zur diesjährigen Champions League. In der Play-Off-Runde traf Paços de Ferreira auf Zenit St. Petersburg und verlor beide Spiele relativ klar mit 1:4 und 2:4. Allerdings bedeutete diese Niederlage das Erreichen der Europa-League, in der sich Paços de Ferreira mit dem AC Florenz, Dnipro Dnipropetrowsk (Ukraine) und Pandurii Targu Jiu (Rumänien) messen muss. Nicht unerwartet ging das erste Spiel in Florenz mit 0:3 verloren.
So viel zur Theorie, nun zur Praxis. Der Flieger brachte uns um kurz nach sechs Uhr morgens von Düsseldorf nach Madeira. Obwohl der dortige Flughafen in Funchal zu den weltweit zehn anspruchsvollsten (manche schreiben auch „gefährlichsten“) Flughäfen gehört, war die Landung um 10:10 Uhr Ortszeit butterweich. Nur Piloten mit Spezialausbildung dürfen Funchal anfliegen. Grund dafür ist der Anflug auf die sich direkt zwischen dem Wasser auf der einen und der Steilküste auf der anderen Seite befindlichen Landebahn. Im 90-Grad-Winkel erfolgt dieser, bevor der Pilot im letzten Moment eine Rechtskurve einleitet und sofort absinkt. Kurzzeitig sieht es so aus, als berühre die Tragfläche fast das Wasser. Hier hat Applaus nach der Landung noch eine Berechtigung, auch wenn es längst nicht mehr so heikel ist wie noch vor 10 Jahren, als die Landebahn nur knapp 1,7 km lang war. Mittlerweile wurde sie auf 2,7 km ausgebaut, was nur möglich war, indem eine Art Brücke konstruiert wurde, da hier ein Tal sich durch die Steilküste schlängelt.
Anstoß der Begegnung war um 16:15 Uhr Ortszeit, es blieb also gerade noch Zeit, den Mietwagen abzuholen, fürs Wochenende einzukaufen und im Hotel einzuchecken. Fotoausrüstung geschnappt und los ging es voller Spannung zum Estádio dos Barreiros. Leider spielte das Wetter nicht so ganz mit. Pünktlich zur Abfahrt zum Stadion setzte Nieselregen ein, der den ganzen Tag über mit nur kleinen Pausen anhalten sollte. Es war der einzige Regentag des gesamten Urlaubs. Aber anders als hier ist der Regen auf Madeira von warmer Natur, so dass man zwar ziemlich nass wurde, aber keine Erkältung davonträgt. Die Pressekarte lag wie angekündigt an der Shop-Kasse im Vereinsmuseum direkt am Stadion. Und dieses lud – auch angesichts des Regens - direkt zum Verweilen ein. Das Museum besteht aus einigen Abbildungen aller bisheriger Präsidenten, Trainer und Funktionäre. Auch ältere Dokumente hängen liebevoll eingerahmt an den Wänden. Das Beeindruckenste ist jedoch die Ausstellung der Pokale. Neben einigen wichtigen und daher einzeln ausgestellten Pokalen werden im hinteren Teil des Raumes eine dreistellige Anzahl dieser präsentiert. Die pure Anzahl erdrückt den erstmaligen Betrachter zunächst, jedoch erklärt sie sich schnell durch eine regionale Meisterschaft auf Madeira, die Marítimo alleine bereits 35 mal gewonnen hat. Dazu kommen 25 regionale Pokalsiege.
Während es in Deutschland üblich ist, die Innenraumleibchen im jeweiligen Stadion zu bekommen werden diese zumindest in Funchal bereits zu Saisonbeginn an die Sportjournalisten ausgegeben und müssen zum Spiel von diesen mitgebracht werden. Entsprechend galt es vor dem Spiel in Deutschland bereits ein Leibchen zu organisieren, ohne dessen ein Zugang zum Innenraum verwehrt bleibt. In Zeiten von Online-Ersteigerungsportalen heutzutage kein allzu großes Problem mehr. Angesichts des Regens wurde das Leibchen noch im Museum angezogen und dann ging es hinaus ins Stadion. Die Rivalität zwischen den beiden Erstligisten Marítimo und Nacional ist vergleichbar mit der zwischen Dortmund und Gelsenkirchen (bei Niederlagen des einen tragen Fans des anderen Vereins gerne einmal Särge in den Farben des Erzfeindes durch die Stadt). Aber obwohl Marítimo die allermeiste Zeit deutlich vor Nacional stand, wurde dessen Stadion, das auf einer Anhöhe 800 Meter über der Stadt liegt (beide Stadien sind vom jeweils anderen aus sichtbar), in den letzten Jahren modern ausgebaut und mit professionellen Trainingsplätzen ausgestattet. Um dem nicht nachzustehen wird auch das Estádio dos Barreiros gerade zu einer modernen Fussball-Arena umgebaut. Die frühere Laufbahn ist bereits verschwunden, die Tribünen nehmen langsam Gestalt an. Allerdings geht der Bau längst nicht so schnell wie bei uns über die Bühne, so dass noch einige Zeit vergehen wird, bis es fertiggestellt sein wird. Nachdem zunächst die Sicht von der Tribüne genossen wurde ging es hinunter zum Innenraum. An den Toren zum Spielfeld dann die nächste Kuriosität. Die Akkreditierungen weisen jedem Inhaber einen bestimmten Platz im Innenraum vor. Und obwohl es im Innenraum keine Zäune gibt, darf man nur durch das Tor den Innenraum betreten, in dessen Nähe man sich dann auch aufzuhalten hat. Also hieß es zunächst das richtige Tor zu finden um dann dort eingelassen zu werden.
Zum Umfeld: Offiziell kamen 2.727 Zuschauer ins Stadion, was zum einen dem Wetter aber auch dem Gegner geschuldet war. Normalerweise spielt Marítimo vor durchschnittlich 4.000 - 5.000 Zuschauern, was aus deutscher Sicht zunächst wenig erscheint. Allerdings hat die Insel Madeira in Gänze nur knapp 230.000 Einwohner, was das Ganze wieder etwas relativiert. Zudem befindet sich das Stadion aktuell im Umbau, so dass nur die Haupttribüne und ein Teil der Kurve rechts daneben zugänglich ist. Voll wird das Stadion dennoch meist nur, wenn der FC Porto oder die beiden Vereine aus Lissabon zu Besuch sind. Und auch Gästefans sind angesichts der Anreise per Flugzeug eher spärlich anzutrefen. Marítimo scheint drei aktive Fangruppen zu haben. Auf der Haupttribüne rechts saßen die "Amigos do Marítimo", eine Gruppe älterer Fans, die eifrig auf mitgebrachte Trommeln schlugen. Leicht links von der Mitte aus stand eine zweite Gruppe Fans, die durch drei große Fahnen und ständigen Gesang auffiel. Drei weitere Trommeln waren auch dabei. Eine dritte Gruppe, bestehend aus etwa 15 jungen Männern, wurde ab und an eingebunden in einen Wechselgesang. Ansonsten gab sie aber auch eigenes Liedgut zum Besten. Diese Gruppe hielt sich abseits oben am Rand der Kurve auf und schienen die eigentlichen Ultras zu sein. Zaunfahnen, Schmähgesänge und –rufe sowie die hier als „Pöbeleien“ bezeichneten Verhaltensmuster in Richtung Gegner ließen diesen Schluss zu. Und auch die Ordner hatten zu dieser Gruppe, die „oft Schwierigkeiten macht“, ihre eigene Meinung. Ein einheitlicher, organisierter Support schien jedoch nicht vorzukommen. Der Einsatz der Trommeln und der Fangesänge war durchaus laut, vor allem bei den Führungen wurden auch die „normalen“ Fans dadurch zum Mitmachen angeregt. Im Vergleich kommt es stimmungsmäßig jedoch nicht an RWE heran.
Zum Spiel: Bereits in der vierten Minute flog ein strammer, flacher Schuss des Brasilianers Derley von der rechten Seite vorbei am Torwart von Paços de Ferreira und landete im Tor, die frühe Führung für Marítimo. In der Folge spielten beide Vereine munter nach vorne und es entwickelte sich ein ansehnliches und spannendes Spiel, Tore fielen jedoch keine mehr. Erwähnenswert ist, dass Schiedsrichter Hugo Rodrigues Pacheco die Partie zur Pause pfiff, als auf der Stadionuhr erst etwas mehr als 44 Minuten angezeigt wurde. Es gab kleinere Proteste, die aber keinen Erfolg hatten. Nach einem kleinen Wettbewerb ausgewählter Fans in der Halbzeitpause ging es dann mit der zweiten Halbzeit weiter. Und die hatte es in sich. In der 49. Minute waren sich zwei Marítimo-Verteidiger uneins, der Ball landete vor den Füssen von Caetano und dieser hatte keine Mühe, den Ball unter dem Torwart durch trocken ins Netz zum Ausgleich zu schiessen. Nur eine Minute später (50.) die erneute Führung für Marítimo. Wieder war es Derley, der den Ball nach schöner Hereingabe eines Gegenspielers und eigener kurzen Körpertäuschung aufs Tor schoss. Ein Verteidiger fälschte den Ball ab, der entgegen der Laufrichtung des Torwarts im Netz einschlug.
Wieder nur zwei Minuten später das 2:2 (52.). Bebé nahm halbrechts von der Strafraumkante Maß und hämmerte den Ball flach am Torwart vorbei ins rechte Eck. Jetzt ging es hin und her. In Minute 62 führte Marítimo einen Freistoss aus. Der Ball wurde in den Strafraum gebracht, Innenverteidiger Igor Rossi stieg im Gegensatz zur kompletten Hintermannschaft von Paços de Ferreira als einziger hoch und köpfte den Ball per Aufsetzer ins Tor. Zum dritten Mal die Führung für den Heimverein, die Tribüne tobte. Igor Rossi feierte das Tor frenetisch, nicht ahnend, dass er sich noch zum tragischen Held entwickeln sollte. Sieben Minuten nach dem 3:2 bekam auch Paços de Ferreira einen Freistoss aus gut 25 Metern. Der eingewechselte Manuel José zirkelte den Ball gefühlvoll über die Mauer ins linke obere Dreieck. Ein Traumtor und der Ausgleich zum 3:3. In der Folge war vor allem Marítimo bemüht, das vierte Tor zu machen. Als jedoch alle sich mit dem Unentschieden abzufinden schienen kam der Gast noch einmal gefährlich vors Tor. Die Hereingabe in die Mitte versuchte ausgerechnet der Torschütze des 3:2, Igor Rossi, zu klären und beförderte den Ball dabei ins eigene Tor. Das 3:4 in der 89. Minute. Marítimo drückte noch einmal, doch der Gästekeeper konnte drei gute Möglichkeiten zum 4:4 verhindern. So blieb es beim für Marítimo unglücklichen 3:4. Traurig und meckernd gingen die Anhänger nach Hause, während ich noch mit in die Pressekonferenz durfte. Die wurde anders als bei uns nacheinander abgehalten. Ob das immer so ist oder dem sich noch im Rohbau befindlichen Stadion geschuldet ist entzieht sich meiner Kenntnis. In jedem Fall ging ein unglaubliches Fussball-Erlebnis zu Ende und die weiteren Tage dienten der Erholung, auch wenn ich es nicht sein lassen konnte, auch noch drei andere Stadien näher zu begutachten, darunter das des ungeliebten Konkurrenten CD Nacional. Dieses wird irgendwann noch einmal ein Livespiel wert sein, denn es thront in 800 Metern Höhe über Funchal und das Wetter kann dort minütlich umschlagen. Auf Sonne folgen Wolken, auf Wolken dann Regen und wieder zurück zur Sonne. Und alles innerhalb weniger Minuten.
Mein Fazit: Madeira ist eine Reise wert, auch für das runde Leder!