Groundhopping Griechenland: Athen-Derby und mehr! - Tag 3
Nach dem für uns so bitteren Rückzug der SG Wattenscheid 09, sollte das frei gewordene Wochenende im Februar wenigstens bestmöglich genutzt werden. Fünf Essener Fußballjunkies zog es daher in die Hauptstadt Griechenlands, wo uns mit sechs Spielen ein hoch dosiertes Methadonprogramm erwartete.
Am Sonntag hatten wir erneut ein äußerst sportliches Programm. Gar vier Spiele wären bei den Ansetzungen des Tages möglich gewesen. Das morgendliche U19-Spiel fiel allerdings dem Pflichtbesuch bei der Akropolis, dem Wahrzeichen der Stadt, zum Opfer. Bereut hatten wir die 10 Euro Eintritt nicht, so richtig vom Hocker hauen konnten uns der alte Trümmerhaufen aber auch nicht. Das bekannteste Bauwerk ist der berühmte Parthenon mit seinen vielen Säulen. Etwas anziehender wirkten das Odeon des Herodes Atticus – ein antikes Theater, in dem heute noch Konzerte gespielt werden – und die Ruine des Dionysostheater, benannt nach dem Gott des Weins, der Ekstase und des Wahnsinns. Da konnten wir schon mehr mit anfangen.
Nachdem die Pflicht erfüllt war, steuerten wir per pedes den am Fuß des Berges gelegenen Stadtteil Plaka an, der mit seinen vielen kleinen Gassen als einer der ursprünglichsten Stadtteile Athens gilt. Weiter ging es mit der Metro zum ersten Spiel des Tages: Apollon Smyrni empfing den Platanias FC in der Superleague 2. Trotz einem souveränen 4:0-Heimsieg war der Star des Spiels das Georgios-Kamaras-Stadion. Klingt schon nach der griechischen Version des Georg-Melches-Stadions und hat auch nur drei Tribünen. Die Katakomben waren noch ähnlich rustikal, ansonsten hält es sich mit den Parallelen aber in Grenzen. Trotzdem machte der All-Seater mit zwei geschlossenen Ecken und einer abgewetzten Haupttribüne mit Dach, die sich optisch vom Rest des Stadions abhebt, was her. Schade, dass auf den Tribünen nahezu gar nichts los war.
Das sollte sich bei der Partie zwischen Atromitos FC und Olympiakos Piräus ändern. Unser Taxifahrer fuhr geradewegs auf die Gegengerade zu, wo sich schon die örtliche Ultraszene sammelte. So ließen wir uns lieber nochmal ums Stadion kutschieren, wenn auch da einige Wegelagerer rumlungerten. Glücklicherweise waren wir allesamt dunkelhaarig und unrasiert, so dass wir zumindest auf den ersten Blick nicht direkt auffielen. Mit den butterblumenblonden Haaren von René Pascal hätte man hier bestimmt den ein oder anderen Gesprächspartner mehr gehabt. Bei uns dauerte es bis zum Ticketschalter, wo wir dann von der Seite angequatscht wurden. Ob wir zwei Tickets mitbringen könnten. Seltsam, war die Schlange hinter uns doch sehr überschaubar. Wir versuchten es im Sinne der Völkerverständigung trotzdem, bekamen aber auch nur ein Ticket pro Person mit gültigem Personalausweis. Noch skeptischer wurden wir, als uns kurz darauf VIP-Karten im Tausch gegen unsere Tickets angeboten wurden. Wir trauten dem Braten nicht und lehnten dankend ab. Der Groschen fiel dann mit dem Betreten der Haupttribüne, auf der sich im äußeren Bereich rund 150 überwiegend finstere Gestalten zusammengerottet hatten, die das Gästefanverbot umgehen konnten. Da der gegenüberliegende Fanblock in weiten Teilen nur vor sich hinmurmelte, waren wir für die schallenden Schlachtrufe und diverse Trompetensolos sehr dankbar. Nachteil war, dass wir genau im Fegefeuer saßen. Exakt zwischen den Gästen aus der Hafenstadt und dem nicht gerade gastfreundlichen Sitzplatzvolk von Atromitos. Während wir schon flachsten, auf – beziehungsweise für – welche Seite wir uns denn schlagen würden, wenn es eskaliert, nahmen uns die in Kampfmontur herbeigeeilten Cops die Entscheidung bereits ab und zogen eine Kette, gleich links von uns, durch den Block.
Leider zog es uns aus zeitlichen Gründen schon eine Weile vor Abpfiff zum nächsten Spiel, dem Highlight des Wochenendes. Das Athener Derby zwischen AEK und Panathinaikos. Wie seit vielen Jahren üblich, ohne Gästefans. Kaum vorstellbar, dass sich das nochmal ändert. Griechenland hat eine der gewalttätigsten Fanszenen Europas, wovon unter anderem mehrere Todesopfer in der Vergangenheit zeugen. Ohne derlei Ausbrüche rechtfertigen zu wollen, dürften diese sicherlich auch irgendwo auf die korrupten Verflechtungen von Politik, Wirtschaft und Fußball zurückzuführen sein, durch die es zur aktuellen gesellschaftlichen Situation gekommen ist. Doch zurück zum Spiel…
Rund 45 Minuten vor Anpfiff waren bereits die ersten Schlachtrufe in guter Lautstärke aus dem Stadioninneren zu vernehmen. Der Großteil der AEK-Fans dürfte da noch draußen gestanden haben. So sah es jedenfalls aus, als wir auf dem Weg zu unserem Block schnellen Schrittes die Heimkurve passierten. Im Stadion gab es dann zum Warmmachen eine Klatscheinlage, bei der das restliche Stadion nicht höflich aufgefordert wurde mitzumachen, sondern ausgepfiffen wurde, bis wirklich alle Arme oben waren. Ein feiner Vorgeschmack! Die Kurve hinterm Tor, wo kurioserweise an selber Stelle auch die Panathinaikos-Fans bei Heimspielen stehen, war proppevoll und sehr geil beflaggt. „These colours don’t run“ stand auf einer über 90 Minuten zentral hängenden Zaunfahne. Im vermeintlichen Gästeblock schien sich ebenfalls ein Teil der AEK-Szene eingefunden zu haben. Womöglich Fans, die keine Lust auf die extreme Politikschiene haben. Aber das ist nur Spekulation. AEK wurde 1924 von griechischen Flüchtlingen aus der Türkei gegründet und bedeutet übersetzt „Sportverein Konstantinopel“. Sicherlich auch aufgrund des historischen Hintergrunds hat AEK die alternativste Fanszene im Großraum Athen, wobei man vom Zuspruch her als Nummer 3 hinter Piräus und Panathinaikos gilt.
Der Anpfiff der Partie wurde von einer fetten Pyroshow begleitet. Als dann nach 8 Minuten schon das Tor des Tages fiel, leuchtete es bereits zum zweiten Mal lichterloh in der Kurve. Der Torjubel war brutal. Die 20.374 Zuschauer machten in den folgenden Minuten aus dem überdimensionierten Olympiastadion einen wahrlichen Hexenkessel. In der puren Ekstase stieg die komplette Gegengerade ein und gab in voller Inbrunst ihre Freudengesänge zum Besten. Brachial! Genauso muss nach 90 Minuten aber auch festgehalten werden, dass es immer wieder längere Phasen gab, in denen die Stimmung weit unter den Erwartungen zurückblieb. Zwar ist es ohne Kontrahent auf den Rängen immer schwierig – wir kennen das zu gut – dennoch hätte da in einem Spiel gegen den großen Rivalen etwas mehr kommen dürfen. Erst wenn die Gegengerade einstieg, wurde es richtig fetzig, was aber auch immer wieder geschah, wenn auch selten wirklich lange. Zur zweiten Halbzeit durfte in der AEK-Kurve noch ein zweites Intro mit schwarzem und gelben Rauch bewundert werden. Auch während des Spiel gingen immer wieder vereinzelt Fackeln an, so dass über das gesamte Spiel hinweg wirklich hunderte Bengalen abgebrannt sein worden müssen. Zweitlieblingsbeschäftigung der Zuschauer war der Wasserflaschenweitwurf. Weit über 100 volle PET-Flaschen flogen im hohen Bogen in den Innenraum. Aus allen Ecken und Enden des Stadions, immer wieder auch aus dem Oberrang.
AEK brachte das 1:0 über die Zeit und wir freuten uns noch auf eine lautstarke Siegesfeier. Anders als erwartet jedoch, wurden mit dem Schlusspfiff sehr schnell die Fahnen eingepackt. Großartige Jubelarien gab es nicht und auch die Mannschaft verschwand in der Kabine, ohne sich auch nur einen Meter in Richtung der Fankurve zu bewegen. Sehr befremdlich! Um den Bericht nicht ähnlich abrupt zu beenden, bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Athen wirklich keine schöne Stadt ist, aber das fanatische Publikum alleine schon eine Reise wert ist. Nicht nur für die großen Derbys, sondern insbesondere auch für die kleineren Vereine unterhalb der Superleague, wo einige kleinere Fanszenen mit viel Herzblut Leben in die Stadien bringen.
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