01.03.2020

Groundhopping Griechenland: Athen-Derby und mehr! - Tag 2

von Sebastian Hattermann

Nach dem für uns so bitteren Rückzug der SG Wattenscheid 09, sollte das frei gewordene Wochenende im Februar wenigstens bestmöglich genutzt werden. Fünf Essener Fußballjunkies zog es daher in die Hauptstadt Griechenlands, wo uns mit sechs Spielen ein hoch dosiertes Methadonprogramm erwartete.

Die Markthalle VarvakiosAm nächsten Tag bescherte der Spieltag uns dann glücklicherweise gleich drei Partien. Den Anfang machte ein Spiel der U19-Superleague zwischen Panionios GSS und AO Xanthi, deren Herrenmannschaften noch am Abend aufeinandertreffen sollten. Frühzeitig aus dem Ei gepellt, ging es zunächst zur Markthalle Varvakios. Die war allerdings eher Anlaufpunkt der lokalen Einzelhändler, Gastronomen und Supermärkte, als für den kulinarisch interessierten Touristen. Die Ursprünglichkeit erhalten sich die Händler selber, indem sie regelmäßig gegen die Pläne, die Halle in eine edle Delikatessenmeile zu verwandeln, Widerstand leisten. So war es dann selbst für die Carnivoren unter uns gewöhnungsbedürftig, Schweineköpfe oder gehäutete Lämmer am Stück an den Ständen baumeln zu sehen. Der Kreis schloss sich dann, als ein solches Tier, nur spärlich mit einer Tüte bedeckt, aus dem Kofferraum eines Opel Corsas in einen anliegenden Supermarkt geliefert wurde. Das Wort „Kühlkette“ scheint im Griechischen gar nicht zu existieren.
Weiter ging es zu Fuß durch das Flohmarktviertel Monastiraki, wo allerlei Ramsch angeboten wurde, bevor wir uns ein Taxi zum ersten Spiel des Tages orderten. Die Wartezeit wurde von einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen zwei Locals, mitten auf einer relativ belebten Straße, begleitet. Nur eine Vielzahl an Händlern und Passanten konnten letztlich verhindern, dass sich die Diskussion nicht zu einem Faustkampf entfalten konnte.

Am Ground „Gipedo Trachones“ angekommen, machten wir es uns direkt in der komplett verglasten Gastwirtschaft der Anlage gemütlich und konnten so windgeschützt und trocken die Partie verfolgen. Außerhalb dessen gaben eine Stahlrohrtribüne, ein markanter Zaun und ein Scheißhaus, das den Namen Toilette bei Weitem nicht verdiente, wunderbare Fotomotive ab. So entspannt, wie die Heimmannschaft den Stiefel zum 2:0-Sieg herunterspielte, machten wir uns auch mit ausreichend Puffer auf den Weg nach Nikea, einen Vorort Athens, wo das Drittligaspiel zwischen Ionikos Nikea und Niki Volos steigen sollte. Unser Taxifahrer auf dem Weg dorthin war gut drauf, gab ein paar Tipps, wo wir am Abend zu guten Kursen einkehren könnten und erzählte zu jedem Stadion, an dem wir vorbeifuhren, eine Geschichte. Da der Grieche für jeden Anlass – und je Sportart – eine neue Arena errichtet, waren das eine ganze Menge.

Fans von Ionikos NikeaAm Zielort angekommen, enterten wir als erstes eine Taverne, von wo wir wunderbar das Treiben vor dem Stadion beobachten konnten. Nach einer ausgiebigen Mahlzeit trennten wir uns sicherheitshalber und machten uns in kleineren Gruppen für die letzten Meter zum Stadion auf. Allem voran, weil 1944 an diesem Ort ein als „Blocco von Kokkinia“ bekannt gewordenes Kriegsverbrechen von den Deutschen begangen wurde und die Fanszenen in Griechenland oftmals politisch sehr extrem sind, wollten wir es zwingend meiden aufzufallen. 
Während die ersten zwei von uns einfach durchgewunken wurden, war mir die Eintrittskarte als Souvenir dann doch fünf Euro wert. Im 5000 Zuschauer fassenden Stadion Neapolis Nikaias bekamen wir dann das komplette Programm des griechischen Fußballs geboten. Hinterm Tor versammelte sich ein ordentlicher Haufen hinter einem genauso ordentlich beflaggten Zaun. Es wurden gerade ganz ungeniert die Fackeln im Block verteilt, ehe der ganze Mob wieder hektisch nach draußen stürmte. Ohne es genau beobachtet haben zu können, wurde da wohl der rund 50 Mann starke Gästehaufen begrüßt. Pünktlich zum Anpfiff wurden die Bengalos dann angerissen. Die hier und dort getragenen Sturmhauben waren eher obligatorisch, denn wirklich echauffieren tut sich in Griechenland über Pyrotechnik niemand. Im Gegenteil: Es gehört dazu und ist z.B. auch bei Journalisten ein weitläufig akzeptiertes Stilmittel der Fankurven.

Die von den geschätzt 2000 Zuschauern erzeugte Lautstärke war wirklich überraschend gut in dem deckellosen Schuhkarton. Dass die Griechen nicht unbedingt die gelassensten Leute beim Fußball sind und sich insbesondere hier bei Ionikos ein übelstes Asivolk zusammengefunden hat, vermittelte dabei nicht nur die überdurchschnittlich hohe „Malaka“-Schlagzahl, die den Spielern auf dem Feld entgegengeworfen wurde. Nein, hier wurden Schubladen geöffnet, die selbst einem Dauergast an der Essener Hafenstraße zu tief sind. Bei jeder, wirklich bei jeder Gelegenheit, wurden die gegnerischen Spieler von der Tribüne angespuckt. Vom zahnlosen Landstreicher bis zum adrett gekleideten Familienvater, scheißegal. Anrotzen ist hier gesellschaftsfähig! Und die Spieler ließen es sich unbekümmert über sich ergehen.

In der Halbzeit gab es dann plötzlich Bewegung auf den Tribünen. Eine Hand voll Gästefans machte sich auf den Weg zur Gegengeraden, was die Heimseite nicht nur sprichwörtlich aufs Dach stiegen ließ. Während sich die halbe Ultraszene von Ionikos zum Ort des Geschehens bewegte, waren einige erlebnisorientierte Fans schon auf das Flachdach des Spielertunnels gestiegen, der die beiden Seiten voneinander trennte. Nachdem die Staatsmacht sich in Position gebracht hat, blieb es dann letztlich dabei sich gegenseitig zum Sirtaki aufzufordern. Leidtragender war vor allem die Mannschaft von Niki Volos, die durch den umlagerten Tunnel zurück aufs Spielfeld musste und mit einem warmen Speichelregen empfangen wurde. In der zweiten Halbzeit konnte Ionikos zweimal einnetzen, was natürlich für die Atmosphäre sehr zuträglich war. Zu den Toren und nach Abpfiff wurden nochmal einige Lichter entzündet, vereinzelt hüpften die freudigen Fans mit den Fackeln gar in den Innenraum und feierten inmitten der Spieler den Sieg.

Nea-Smyrni-StadionFür unsere Reisegesellschaft ging es zügig raus aus dem Trubel, um den ersten Kick der höchsten Spielklasse des Landes anzusteuern. Eine verwaiste Stadionperipherie, unbesetzte Ticketschalter und eine leere Taverne direkt am Stadion ließen Sorgen in uns aufkommen, ob denn das Spiel nicht verlegt wurde. Plötzlich schossen uns die Bilder vom letzten Heimspiel in den Kopf, wo sich Fans von Panionios und Atromitos eine feurige Schlacht auf den Tribünen lieferten und einige Sitzschalen in Brand steckten. Der Verein hatte daraufhin eine Verbandsstrafe aufgebrummt bekommen und musste das Spiel nun ohne Zuschauer austragen. Naja, fast. Mit Trick 17 und viel Überzeugungsarbeit bei diversen Wichtigtuern konnten sich immerhin drei von fünf Leuten Zutritt verschaffen und den Ground kreuzen, wenn uns schon das Spektakel auf den Rängen verwehrt bleibt. Mein erstes Spiel, bei dem die offizielle Zuschauerzahl 0 lautete. Handgezählte 63 Kiebitze verliefen sich aber dennoch in der fetten Schüssel. Einer davon berichtete, dass 60 Personen zugelassen worden seien, um zumindest Familienangehörigen, Presse usw. Eintritt gewähren zu können. Kurios dabei, dass in der zweiten Halbzeit der torlosen Partie einige der Anwesenden mehr als nur familiäre Unterstützung leisteten. So standen bei strittigen Szenen teilweise bis zu zehn Leute auf der Brüstung hinter der gegnerischen Trainerbank und krakeelten wild auf diese ein. Rotzattacken waren diesmal aber nicht zu beobachten.

Am Abend fand sich unsere Truppe im Irish Pub „The Lazy Bulldog“ wieder und zelebrierte den frisch gemachten Länderpunkt mit gutem Essen und einigen Bieren, die hier auch bezahlbar waren.  Ein Teil der Besatzung landete später noch auf einer 80er/90er-Party in einem Nachtclub, wo lokale Schlagergrößen ein Live-Konzert gaben. Während die bekannten Melodien einfach auf Deutsch mitgesungen wurden, wurden aus den unbekannten Melodien kurzerhand RWE-Songs gedichtet und sogleich auf Kurventauglichkeit geprüft. Alles für RWE, immer und überall!

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