Groundhopping Griechenland: Athen-Derby und mehr! - Tag 1
Nach dem für uns so bitteren Rückzug der SG Wattenscheid 09, sollte das frei gewordene Wochenende im Februar wenigstens bestmöglich genutzt werden. Fünf Essener Fußballjunkies zog es daher in die Hauptstadt Griechenlands, wo uns mit sechs Spielen ein hoch dosiertes Methadonprogramm erwartete.
Da der Flug nach Athen bereits um 6.00 Uhr von Frankfurt startete, ging es schon um 1.30 Uhr in Essen los. An Schlaf war also in dieser Nacht nicht zu denken. Die frische Brise und die knackigen Temperaturen in Athina, wie es im Griechischen heißt, ließen die Müdigkeit schnell schwinden. Für 6 € pro Nase ging es dann mit dem Bus zum Syntagma-Platz, der quasi das Drehkreuz der Stadt ist. Unsere Unterkunft war von dort fußläufig erreichbar und lag mitten in Exarchia. Ein Studenten- und Szeneviertel, allem voran aber Zentrum des autonomen Widerstands. So wird der Stadtteil nicht ohne Grund auch Anarchia genannt. Wirklich nahezu jeder Millimeter der heruntergekommenen Fassaden ist hier mit mehr oder weniger künstlerisch wertvollen Graffitis übersät. Der erste Eindruck unserer temporären Heimat ist faszinierend und abstoßend zugleich.
Anziehend hingegen war der Geruch von Gyros und Zaziki, dem wir uns – untypisch für diesen Ort – widerstandslos hingaben. Das Restaurant unserer Wahl, in dem wir landestypisch speisten, lag nämlich direkt am Treffpunkt der alternativen Szene, dem Exarchia-Platz, der eigentlich gar keinen Namen hat und bis zum 7. März 2009 eine einfache Parkfläche war. Eine Bürgerinitiative besetzte den Platz damals, riss den Asphalt raus und gestaltete in Eigenregie eine Grünanlage. Das romantisches Flair dieser Vorstellung wurde zunichtegemacht, als wir am Abend nochmal auf ein Bierchen an denselben Ort zurückkehrten.
Zunächst stand jedoch Sightseeing auf dem Programm. Erster Anlaufpunkt war der 277m hohe Lykabettus. Ein Berg, der mitten in Athen wie ein Fremdkörper aus dem Boden schießt. Der Mythos, dass die griechische Göttin Athene ihn hier einst fallen lassen hat, klingt bei dem Anblick gar nicht mehr so unrealistisch. Wir gönnen uns ebenso einen göttlichen Luxus und lassen uns von der Standseilbahn hinaufziehen. Das Panorama wäre aber auch jeden Höhenmeter zu Fuß wert gewesen. Eine wahnsinnige Aussicht tat sich auf. Weiße Häuser soweit das Auge reicht. Im Südwesten sticht die Akropolis hervor und gleich nebenan buhlt das wuchtige Panathinaiko-Stadion um unsere Aufmerksamkeit, das sogleich auch unser nächstes Ziel sein sollte.
Leider war uns nicht bewusst, dass es nur an der geöffneten Seite des antiken Stadions, das 330 v. Chr. erbaut und 1896 für die ersten olympischen Spiele der Neuzeit rekonstruiert wurde, einen Eingang gab. Wir wählten daher ein Schlupfloch durch den massiven Zaun, dessen Metallstreben Herkules persönlich an einer Stelle auseinandergebogen haben muss. In der gigantischen Marmorschüssel stehend, spulte mein Hirn wie üblich die Filme ab, die sich andere nicht mal nachts zu träumen wagten. Und so sah ich vor meinem imaginären Auge plötzlich tausende Rot-Weisse im Stadion stehen, die sich an diesem historischen Ort für das anstehende Europapokal-Halbfinale bei Panathinaikos Athen einsangen. Ihr kennt das…
Anschließend ging es dann erstmals wirklich um Fußball. Im entfernteren Sinne. Für das Derby zwischen AEK Athen und jenem zukünftigen Halbfinalgegner unseres RWE wollten wir unbedingt im Voraus Tickets beschaffen. Dazu fuhren wir rund 40 Minuten mit dem Bus gen Norden und steuerten den olympischen Sportkomplex (kurz: OAKA) an, der nach dem Sieger des ersten olympischen Marathonlaufs der Moderne, Spyros Louis, benannt ist. Die Tickets bekamen wir allerdings nicht in der Geschäftsstelle von AEK, sondern in einem Warenhaus namens „Public“, das mit Karstadt vergleichbar ist und mitten im Einkaufszentrum „Golden Hall“ zu finden war. Das überforderte Kassenpersonal wollte zunächst unsere Ausweise. Dann irgendeine griechische Versicherungsnummer. Erst als wir uns lange genug doof gestellt hatten und die Schlange hinter uns schon bis in die Küchengeräteabteilung reichte, bekamen wir unsere Tickets für je 15 €. Zuvor waren noch 11 € für eine sinnbefreite Mitgliedschaft zu berappen.
Fußballspiele waren an diesem Freitagabend leider nicht auszumachen, sodass wir mal über den Tellerrand hinausschauten und ein Basktelball-Spiel der Champions League zwischen Panathinaikos und Zenit St. Petersburg ins Visier genommen hatten. Der Sport an sich ist natürlich eine Katastrophe und bei mir persönlich ganz weit unten auf der Interessenliste angesiedelt. Die von YouTube bekannten Auftritte von Gate 13, die sich gerne auch mal hier in der Halle oder nebenan beim Wasserball blicken lassen, hatten aber Hoffnung auf eine bombastische Atmosphäre unterm Hallendach in uns keimen lassen. Da abermals eine Fankarte vonnöten war, um Tickets zu ordern, verschaffte wir uns zu zweit erstmal anderweitig Zutritt zu der Veranstaltung. Leider mussten wir daraufhin feststellen, dass Gate 13 sich hier heute nicht auf das Derby am Sonntag einstimmen würde und nur 150-200 Leute um gute Stimmung bemühten. Nach dem ersten Viertel, in dem sich die Griechen schon einen immensen Vorsprung erarbeiteten, hatte wir auch schon genug gesehen und machten uns wieder auf den Weg nach Exarchia.
Falls wer noch Nachrichtenbilder von den zahlreichen Straßenschlachten auf den Straßen Athens vor Augen hat, weil das Renteneintrittsalter auf 42 erhöht wurde oder so: Die haben in der Regel hier ihren Ausgangspunkt. Davon zeugten auch diverse abgefackelte Mülltonnen, die aber auch halbgeschmolzen noch ihren Zweck erfüllten. Genauso wie die Hundertschaften, die in voller Kampfmontur an einem normalen Freitagabend an den Straßenrändern auf den nächsten Gewaltausbruch warteten. Es standen wirklich so viele Mannschaftswagen in den Straßen, dass wir zwischenzeitlich die Sorge hatten ein brisantes Lokalderby verpasst zu haben. Nur aus dem besagten Zentrum des Viertel hielt sich die Schmiere komplett fern. Dafür war der Platz nun mit allerlei zwielichtigen Gestalten gesäumt. Hippies, Hausbesetzer und andere Alternative versammelten sich wie in einem schlechten Kinofilm um ein loderndes Lagerfeuer, mitten im Wohnviertel. Aufgehängte Banner riefen zum Klassenkampf auf. Alte Graffitis zeugten noch von Aufrufen, den Weg zum G20-Gipfel nach Hamburg auf sich zu nehmen. Die Freundschaft zwischen St. Pauli und AEK Athen war hier allgegenwärtig. Es ließen sich kaum fünf Meter machen, ohne ein paar bewusstseinserweiternde Substanzen angeboten zu bekommen. „Skuff“ schien hier das bevorzugte Mittel zum Zweck zu sein. Gesiebtes Gras, also größtenteils Harzkristalle, die deutlich heftiger wirken, ließ ich mir von meinen sachkundigen Kollegen erklären. Rund 200 Meter weiter waren dann tatsächlich nur noch schnieke Studenten unterwegs, die nur die vielen Bars auf der Flaniermeile besetzten. Das Bier kostete dann plötzlich auch mehr als das doppelte und lag bei 6 € für den halben Liter. Aber die Griechen haben es ja.