01.04.2014

England Hopping: Derby County - Nottingham / Aston Villa - Stoke City

von Sebastian Hattermann

Einer der ganzen wenigen Vorteile der aktuellen Situation in unserem Verein: Die Gewissensbisse ein Spiel sausen zu lassen, um mal über den Tellerrand hinauszuschauen, sind verkraftbar. So verzichteten wir ausnahmsweise auf das Auswärtsspiel unserer Roten in Wattenscheid und machten uns am frühen Freitagmorgen mit einer Delegation von drei Hafensängern auf den Weg Richtung England. Genauer gesagt bewegte sich der Flieger gen zweitgrößte Stadt des Landes, Birmingham, von wo aus wir noch rund 45 Minuten mit dem Zug nach Derby fuhren.

Dort erwarteten uns bereits ein paar einheimische Fans, die wir zufällig beim Länderspiel im letzten Jahr in einem Londoner Pub kennenlernten und dort gleich von RWE begeistern konnten. So ließen die Jungs von Derby County FC auch nicht lange auf sich warten und besuchten uns bereits beim Heimspiel gegen Oberhausen an der Hafenstraße. Selbstverständlich nicht ohne sich vorher und nachher von den Künsten der Brauerei Stauder überzeugen zu lassen. Das in Kombination mit den vergleichsweise günstigen Bierpreisen und der Tatsache, dass auch auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln konsumiert werden durfte, ließ die Herzen der DCFC-Fans in Essen höher schlagen.

Gegenbesuch bei Derby County FCIn Derby angekommen, wurde schnell klar, dass die Uhren besonders an diesem Wochenende in der 250.000-Einwohner-Stadt anders ticken würden. Anlässlich des anstehenden „East Midlands Derby“ gegen den Erzrivalen Nottingham Forest hatten sich unsere Freunde ebenfalls in Hotels eingebucht. Begründung: Ruhe von der Frau und kürzere Wege. Das machte für unseren Geschmack auch erst annähernd Sinn, als uns der Treffpunkt für den Spieltag vermittelt wurde. 6 Uhr (!) morgens im Pub „The Neptune“. Der Freitagabend war ob dieser Ankündigung und der Anreise verhältnismäßig kurz, gewährte aber dennoch einen ersten Einblick auf den morgigen Tag und in die traumhafte Publandschaft. In der ganzen Stadt war „The Big One“, das Spiel aller Spiele für beide Gemeinden, das beherrschende Thema!

Da wir schließlich nicht nur das Spiel, sondern auch das gesamte Drumherum miterleben wollten, wehrten wir uns nicht als die Tommies uns mitten in der Nacht hochmotiviert aus den Betten klopften und zum Pub trieben. Der war dann tatsächlich ab 7:30 Uhr als gerammelt voll zu bezeichnen und weckte die Nachbarschaft kollektiv mit typisch englischen Gesangseinlagen, wenn sich diese auch ausschließlich auf Hassgesänge für den 15 Meilen entfernten Nachbarort beschränkten. Selbstverständlich nahmen wir noch das Angebot wahr, im Pub offizielle Wetten über Ladbrokes abzuschließen, bevor die Bewegungsfreiheit im „Neptune“ gegen 10 Uhr auf ein Minimum gesunken war und sich deshalb auch immer mehr Leute vor der Pinte versammelten. Dort hatte sich mittlerweile auch ein Mannschaftswagen der Polizei positioniert. Die Cops schauten sich zwischendurch immer wieder im Pub um und stellten sich später sogar in den Eingang, damit keiner mehr mit Glas die Straße betreten konnte. Uns zog es dann mit rund 20 Leuten zu Fuß und unter den wachsamen Augen von CCTV in einen näher am Stadion gelegenen Pub, dem „Waterfall“, der in der Vergangenheit schon Ziel von Angriffen der Forest-Fans war. An diesem Wochenende blieb es allerdings durchweg friedlich in Derby, auch wenn zahlreiche Umstände etwas anderes erwarten lassen haben.

Gegenbesuch bei Derby County FCSo führte der Weg zum Stadion unumgänglich quer durch den von Pubs umlagerten Bahnhof, an dem auch die Nottinghamer ankamen und wieder abfuhren. Das Polizeiaufgebot und die Ausrüstung der Polizisten wirkten im Vergleich zu bekannten Risikospielen in Deutschland nahezu jämmerlich für ein solches Derby. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass der auch in Deutschland geläufige Begriff Derby tatsächlich auf die Grafschaft Derbyshire zurückzuführen ist, in der alljährlich das legendäre Shrovetide stattfindet.

Im Stadion auf den letzten Drücker, was in England selbst bei solchen Spielen nicht ungewöhnlich ist, angekommen, folgten für uns weitere Ungewöhnlichkeiten. Ohne jede Kontrolle konnten wir den mittlerweile offiziell in iPro-Stadium umbenannten Pride Park entern. Bier mit Umdrehungen gab es im Stadion zu kaufen, durfte aber nicht auf den Tribünen getrunken werden. Die zu kaufenden 0,5l-PET-Flaschen stellten dagegen kein Problem für den Sicherheitsdienst dar. Nachdem es im hallenähnlichen Stadionring durch ein Rolltor getrennt zu Sichtkontakt und Pöbeleien mit den Gästen gekommen war, wurden wir über die neue Situation im Stadion aufgeklärt. Während schon immer Gästefans und Stimmungskurve von Derby County unmittelbar nebeneinander lagen, wurden die 2000 Gäste heute erstmals in die Kurve gestellt und die heimischen Anhänger hinterm Tor untergebracht. Dazwischen nur ein paar Meter Netz über die Sitze gespannt und einige wenige Staatsdiener.

Historisches Ergebnis - für immer festgehaltenAuch im Außenbereich des Stadions kam es so in der Halbzeit aufgrund der Nähe zum Austausch von Liebesbekundungen und Flüssigkeiten. Im Nachhinein galt die neue Aufteilung als voller Erfolg, da erstmals über volle 90 Minuten gestanden und auch wahnsinnig lautstark supportet wurde, selbstverständlich nicht ohne einen ordentlichen Anteil an süffisanten Pöbeleien gegen Nottingham und den gegnerischen Trainer Billy Davies, der selbst mal bei den „Rams“, so der an das Logo mit dem Widder angelehnte Rufname des Clubs, an der Linie stand. In umgekehrter Reihenfolge galt übrigens selbiges für DCFC-Coach Steve McClaren. Der bei den Schwarz-Weißen beliebte Chant „You‘re getting sacked in the morning“ entpuppte sich nachträglich nicht nur als Pöbelei. So stellte der historische 5:0-Sieg mit einem Hattrick von Craig Bryson, zuletzt geschehen im Jahr 1898, als der im Vereinslied besungene Steve Bloomer ebenfalls mit drei Treffern zum Endstand beitrug, das letzte Spiel für Billy Davies bei Nottingham Forest dar.

Der Hass zwischen den Fanlagern und die sportliche Bedeutung der Partie, beide Verein spielen um die Play-Off-Plätze in der Championship mit, übertrug sich auch in einem Maße auf den Rasen, in dem wir in Deutschland nur träumen können. Auch der Schiedsrichter trug seinen Teil zu einer wahnsinnigen Partie bei, in dem er trotz durchgängig harter Tacklings viel durchgehen ließ und nur eine gelbe Karte zeigte. Der englische Support, spielorientiert und originell, bereitete große Freude und war eine angenehme Abwechslung zu den Gegebenheiten in Deutschland. Es sei dem ganzen Land zu wünschen, dass das „Safe Standing“ mit den sogenannten Rail Seats zeitnah durchgesetzt werden kann. Die Bewegung ist auf jeden Fall auf dem Vormarsch.

Nach dem Spiel ging es über diverse Pubs, wie kann es anders sein, nochmal zurück ins Hotel, bevor wir ins Nachtleben der mit Kirchen übersäten Stadt eintauchten. Zwischenzeitlich waren wir aufgrund mangelnder Effektivität des laschen Bieres auf Cider und Snakebite umgestiegen, was allerdings nicht der Grund für unser Staunen am späten Abend war. Tagsüber noch völlig unbeeindruckt von der Frauenwelt Englands, entwickelte sich die Stadt mit Eintritt der Dunkelheit in eine Partyhochburg mit zahlreichen Clubs und Diskotheken, neben den unzähligen Pubs, versteht sich. Die einstellige Gradzahl und der eisige Wind beeinflussten die Kleiderwahl vieler Damen nicht, sei nur beiläufig erwähnt.

Besuch bei Aston Villa - Stoke CityAm Sonntag gab es bei der Verabschiedung noch gleich die Zusage, dass man schon bald wieder nach Essen kommen möchte und man die überreichten RWE-Schals in Ehren halten wird. Für uns stand vor dem Rückflug am Abend noch ein neuer Ground in Birmingham zur Besichtigung an. So wurde die Wartezeit sinnvoll mit dem Spiel Aston Villa - Stoke City totgeschlagen und mit dem Villa Park ein nettes Stadion, das durchaus als „oldschool“ zu bezeichnen ist, besucht. Die nicht vorhandenen Einlasskontrollen verwunderten uns auch in der Premier League und so kamen wir anders als befürchtet mit unserem gesamten Reisegepäck ins Stadion. Das war ebenfalls 45 Minuten vor Anpfiff wie leergefegt und füllte sich erst kurz vor Spielbeginn mit rund 30.000 Menschen, darunter ca. 1500 Fans aus Stoke-on-trent. Ebenfalls gestaunt hatten wir über die Möglichkeit, selbst im Stadion noch Wetten abschließen zu können.

Bis zum Anpfiff wurde die Mannschaftsaufstellung von AVFC unnötigerweise dreimal vorgetragen und ums Spielfeld herum turnten ganze vier (!) Maskottchen. Um die Zahlenreihe fortzuführen und unseren Schnitt nicht kaputt zu machen fielen natürlich fünf Treffer. Stoke City, auf deren Seite wir uns diesmal auch aus farblichen Gründen schlagen durften, erzielte erstmals 4 Auswärtstore in der höchsten englischen Spielklasse und drehte das Spiel mit einer überzeugenden Leistung nach 1:0-Rückstand noch um. Die mitgereisten Stoke-Fans standen über 90 Minuten im Oberrang und feierten eine nette Party im Gästeblock während das restliche Stadion alle Pöbeleien kommentarlos auf sich einprasseln ließ. Vor und nach dem Spiel gab es keinerlei Fantrennung, im Gegenteil – selbst im Zug und an der zentralen Station mussten die Weinroten noch die Feierlichkeiten und Schmähgesänge über sich ergehen lassen. Passiert ist nichts.