Hopping Belgien/Frankreich - FC Brügge & RC Lens
Ein verlängertes Wochenende an der belgischen Nordseeküste wurde natürlich auch genutzt um ein wenig 'Fremdfußball' zu konsumieren. Glücklicherweise kann sich meine eigentlich wenig fußballbegeisterte bessere Hälfte doch immer wieder an Spielen im Ausland erfreuen, so dass diesem Vorhaben eigentlich nie etwas im Wege steht. Den Anfang sollte am Donnerstag der FC Brügge - oder einheimisch korrekt: Club Brugge KV - machen, dessen Euro-League Quali-Rückspiel gegen unsere östlichen Nachbarn vom KKS Lech Poznan einer Beobachtung unterzogen wurde. Das Hinspiel in Polen endete 1:0 für die Gastgeber, so dass für eine spannende Ausgangslage gesorgt war. Nach der Ankunft in Brügge durfte ich erst einmal feststellen, dass ich schlauerweise meine Digi-Cam in unserem Nachtquartier vergessen hatte. Daher kann ich zu diesem Kick überwiegend leider nur unbefriedigende Handy-Fotos bieten. Nicht die Qualität, die ich normalerweise zu liefern versuche. Dafür muss ich um Nachsicht bitten.
Zunächst stand mal wieder das Problem der Kartenbeschaffung an, bei interessanten und brisanten Spielen in Belgien oder den Niederlanden immer mal wieder eine gern genommene Hürde. Ein vorsichtige Annäherung per Email wenige Tage vor dem Kick, mit der Bitte um Hinterlegung zweier Tickets, wurde freundlich aber bestimmt mit dem Hinweis auf ein ausverkauftes Spiel und die Tatsache, dass über den FC Brügge für dieses Spiel sowieso nur Karten an belgische Staatsbürger abgegeben wurden, unterbunden. Als überzeugter Vertreter der 'Wenn-man-rein-will-kommt-man-auch-rein'-Fraktion, konnte mich diese Aussage aber nicht aufhalten. So fuhren wir von unserer Unterkunft am Spieltag am Nachmittag die kurze Strecke nach Brügge. Zuerst ging es mal am Stadion vorbei, wo gut viereinhalb Stunden vor dem Spiel schon reges Treiben des Ordnungsdienstes und erste Polizei-Posten zu beobachten waren. Ein offenes Kassenhäuschen war aber nicht zu entdecken und auch ein - geschätzt - 120-jähriger Ordner machte mir wenig Hoffnung auf regulären Kartenerwerb. Also ging es erstmal in die Stadt. Wer die wirklich sehenswerte 120.000-Einwohner-Stadt kennt, weiß, dass der historische Stadtkern einen großen Marktplatz zu bieten hat. Diesen steuerten wir an und erwartungsgemäß war dieser fest in polnischer Hand. Die Lech-Fans waren aber allesamt friedlich gestimmt und gaben sich dem Gerstensafte hin. Auffällig war, dass kaum ein weiblicher Gäste-Fan zu sehen war und dass offenbar alle Polen beim selben Friseur waren und sich den Einheits-2mm-Stoppelschnitt hatten verpassen lassen. Belgische Anhänger waren nicht zu sehen, also ging es nach kurzem Rundgang wieder in Richtung Stadion.
Dort wurde zunächst das Auto in einer Nebenstraße abgestellt. Die Polizei hatte ein Aufgebot gestellt, was jedem G8-Gipfel-Teilnehmer den Neid ins Gesicht getrieben hätte. Von Kampfeinheiten in Turtle-Anzügen über die Reiterstaffel bis zum Wasserwerfer war alles angerückt. Auf dem Fußweg zum Ground sprach ich den einen oder anderen kreuzenden heimischen Supporter an, aber der einheitliche Tenor war: Schwarzmarkt nicht existent, keine Hoffnung auf Karten. Am Stadion selbst war dann auch tatsächlich kein Anbieter zu entdecken. Also visierte ich den Ticket-Point mit den hinterlegten Karten an und gab vor, per Email Tickets bestellt zu haben. Nach verzweifelter Suche des nicht vorhandenen Umschlags nahm mich ein äußerst freundlicher und hilfsbereiter Offizieller mit zur Geschäftsstelle, wo mir gegen eine Kopie meines Ausweises zwei Tickets zu je EUR 25,-- verkauft wurden. Geht doch! Da noch über eine Stunde Zeit bis zum Spiel war, enterten wir erstmal den noch fast leeren Ground, der mir allerdings durch einen früheren Besuch vor zwei Jahren schon bekannt war. Das 'Jan-Breydel-Stadion' (benannt nach einem mittelalterlichen lokalen Volkshelden) ist ein All-Seater, der die besten Jahre allerdings schon hinter sich hat. In den Siebzigern erbaut, wurde es anlässlich der EM 2000 noch einmal renoviert und ausgebaut. Allerdings ist das Alter an vielen Stellen nicht zu übersehen. Es bietet 30.000 Besuchern Platz. Genutzt wird das Stadion auch noch vom deutlich weniger Anhänger zählenden Lokalrivalen und Ligagefährten Cercle Brügge. Daher ist eine Hintertorseite für den Club in blau-weissen Schalen und eine für Cercle in grün-weissen Schalen gehalten. Allerdings sind die Vereinsfarben eigentlich blau-schwarz und grün-schwarz.
Der Gästeblock war als einziger Sektor schon fast komplett gefüllt. Die Polen gaben ein beeindruckend einheitliches Bild ab. 99% trugen identische blaue T-Shirts. Die heimische Hintertortribüne und die übrigen Bereiche füllten sich erst einige Minuten vor dem Kick-off. Optisch gab es zum Einlauf der Teams von Brügge ein paar Schwenker und von den Polen gar nichts. Der belgische Support ist, ähnlich dem holländischen, recht arm an Variationen und leicht englisch angehaucht. Begeistern konnte da lediglich die Lautstärke einigermaßen, die aber auch nur bei brisanten Situationen richtig anstieg, ansonsten war der heimische Support eher durchschnittlich. Die Gäste aus Posen hatten da deutlich mehr zu bieten. Ich hatte im Vorfeld schon mitbekommen, dass der Lech-Anhang auswärts einen guten Ruf genießt. Letztlich werden ca. 1.500 Polen im Stadion gewesen sein. Neben dem bereits angesprochenen einheitlichen Auftritt, wurde das eigene Team die komplette Spielzeit fast ohne Pause abwechslungsreich angefeuert. Einige Minuten nach dem Anstoss gab es eine Choreo, dessen Bild (möglicherwiese sollte es ein Lotto-Ziehungsgerät darstellen) ich leider nicht verstanden habe. Die dazu gehörigen drei Spruchbänder, die nacheinander hochgehalten wurden lauteten: "Let's play the game" - "And the result is:" - "Jackpot Lech!". Im Verlaufe der Partie wurde dann noch ein überdimensionales Lech-Trikot hochgezogen, das fast den ganzen Block bedeckte.
Das Spiel selbst war nicht der totale Kracher und lebte hauptsächlich von der Spannung. Brügge drückte aufs Tempo und dominierte die Begegnung klar, vergab aber die wenigen guten Chancen, von denen Lech nur eine einzige hatte. Als die Zeit langsam knapp wurde und die Belgier weiter auf das Tor der Polen drängten, erzielte der ehemalige Gladbacher Wesley Sonck mit einem Abstauber nach einem durch den polnischen Schnapper schlecht abgewehrten Freistoß etwa zehn Minuten vor dem Ende das 1:0 und egalisierte das Hinspiel-Resultat. Die Verlängerung bot auf den Rängen und dem Feld das gleiche Bild. Das Highlight gab es kurz vor Ende der Extratime, als im polnischen Block etwa 20 Bengalos entzündet wurden und den Anhang in rotes Licht und weissen Rauch hüllten. In der Dunkelheit ein wirklich geiles Pyro-Bild. Letztlich musste die Elfer-Lotterie entscheiden. So bekam die polnische Choreo noch einen späten tieferen Sinn. Den Gästen versagten zweimal die Nerven, während die Flamen alles verwandelten und ihren Club in die Hauptrunde schossen. Während es vor dem Kick angeblich zu einigen kleineren Scharmützeln zwischen Belgiern und Polen gekommen sein soll, blieb nach dem Spiel alles ruhig. Die belgische Staatsmacht riegelte den Gästeanhang hermetisch ab und stopfte alle sofort in die Busse, die dann im Konvoi zur Autobahn geleitet wurden.
Der folgende Tag wurde einzig und allein dem Zwecke der Erholung gewidmet. Na, nicht ganz. Auf der Fahrt durch Oostende nahm ich zumindest die Chance wahr, das Stadion des heimischen Zweitligisten KVO unter die Lupe zu nehmen. Dankenswerterweise stand das Tor zu der kleinen Spielstätte offen. Es handelt sich um ein typisches Stadion eines belgischen Kleinstadt-Vereins. Offenbar handelt man nach der Devise: Immer wenn etwas Geld über ist, wird ein weiteres Puzzlestück hinzugefügt. So verfügt auch dieser Ground über mehrere verschiedene Tribünen, die fast jedem belgischen Stadion der unteren Ligen einen individuellen Charakter verpassen.
Am Samstag stand das französische Erstligaspiel zwischen dem gerade erst wieder aufgestiegenen RC Lens und Stade Rennes auf dem Programm. Da ich die französische Autobahnmaut umgehen und daher ein langes Stück Landstraße fahren wollte, verschätzte ich mich leider mit den etwas über 100 km Anreise von der flämische Küste und wir trafen erst kurz vor dem Anpfiff in der Kleinstadt nahe Lille im nord-französischen Kohlerevier ein. Das überwiegende Nichtvorhandensein von Parkplätzen trieb uns wieder in die Nebenstraßen. Den Anhang des heimischen Racing Clubs durfte ich bereits Mitte der Neunziger einmal daheim erleben und hatte ihn deshalb bestens in Erinnerung, vor allem was die Show vor und während des Einlaufen der Teams angeht, die wir nun leider verpassten. Das 'Stade Felix Bollaert' ist anlässlich der 1998 in Frankreich abgehaltenen WM renoviert und ausgebaut worden und präsentiert sich zwar minimal angestaubt, aber doch ansehnlich. Jede Seite verfügt über eine hohe überdachte Tribünen mit Ober- und Unterrang. Das reine Fußballstadion fasst 41.300 Personen und verfügt ausschließlich über Sitzplätze. Ein besonderes Merkmal bekommt der Ground durch die Tatsache, daß er sich in der Südwestecke derart eng an die Bahnlinie schmiegt, daß die Haupt- und die westliche Hintertortribüne leicht schräg 'abgeschnitten' werden mussten.
Erstmal sahen wir uns dem Problem der Verständigung ausgesetzt. Der Franzose an sich ist der englischen Sprache ja nicht sehr aufgeschlossen, aber mit Händen und Füssen erklärte uns jemand den Weg zu den Ticketschaltern. Der Mitarbeiter am Schalter war der englischen Sprache glücklicherweise mächtig und derart begeistert, dass wir aus Deutschland zu diesem Spiel kamen, dass ich kurzzeitig dachte, er gibt uns noch Geld für die Karten, statt wir ihm. Letztlich blätterten wir 10 Euro pro Billett hin, was ein sehr fairer Kurs für einen guten Platz im Oberrang der Hintertortribüne ist. Der gastgebende Club war äußerst stark und ohne Niederlage in die Saison gestartet und auch die Gäste befanden sich in der oberen Tabellenhälfte. Das Spiel lief bereits und das erste Tor zur Gäste-Führung hatten wir auch schon verpasst, aber nach der Hektik ließen wir uns erstmal nieder und genossen die gute Atmosphäre bei bestem Fußballwetter. Der Gästeblock, der sich verzweifelt Gehör zu verschaffen versuchte, befand sich unterhalb unserer Plätze, so dass ich die Zahl der anwesenden Stade Rennes-Sups nur schätzen kann. Ich denke es werden ca. 80 bis 100 Leute die 550 Kilometer aus dem Westen Frankreichs auf sich genommen haben. Hierzu sei gesagt, dass der Besuch von Away-Spielen in Frankreich generell nicht so angesagt ist. Neben den Grössen OM und PSG finden sich nur selten größere Gruppen in den Gästeblöcken Frankreichs ein. Insgesamt besuchten knapp 34.000 Zuschauer das Spiel. Vor dem Hintergrund, dass Lens gerade mal 36.000 Einwohner hat, eine beachtliche Zahl, wobei die Anhänger natürlich nicht ausschließlich aus Lens stammen.
Der Stimmungskern der rot-gelben Fangemeinde des Gastgebers findet sich im Unterrang der Gegentribüne. Die Stimmung war ganz ordentlich, gelegentlich fällt das ganze Stadion in die Gesänge ein. Optisch werden immer wieder Fahnen jeder Größe geschwungen. Dem RC Lens gelang nach 20 Minuten durch einen Foulelfmeter der verdiente Ausgleich. Mit diesem Ergebnis ging es in die Pause. Danach wurde es bunt. Zunächst wurde ein RCL-Spieler mit der Ampelkarte versehen. Die Furcht der Nordfranzosen, das Spiel nun abgeben zu müssen, schwand um die 70. Minute herum, als zunächst ein Gästespieler mit der dunkelroten Karte zum Duschen geschickt wurde und nur zwei Minuten später die Heimmannschaft die Führung erzielte. Lens schien das Spiel nun im Griff zu haben, aber in der Schlussminute gelang den Gästen aus der Bretagne der gerechte Ausgleich. Danach gab es das 'englische' Phänomen zu beobachten, dass sich das Stadion unter Mithilfe des penetranten Ordnungspersonals binnen fünf Minuten vollständig lehrte. Aus dem Stadion raus kamen wir noch an der Gedenktafel für Marc-Vivien Foe vorbei, der Ender Neunziger vier Saisons in Lens gespielt hatte. Der Kameruner war bekanntermaßen im Alter von 28 Jahren bei einem Länderspiel 2003 kollabiert und kurz danach im Krankenhaus verstorben. Alles in allem ein gelungener Abend, der spiel- und stimmungsmäßig Alles zu bieten hatte. Nebenbei der Hinweis, dass ein Spiel in Lens immer eine Reise wert ist. Aus dem Ruhrgebiet ist man in gerade einmal dreieinhalb Stunden dort.
Am Sonntag stoppten wir abends auf dem Rückweg in die Heimat noch in Brüssel, wo das Topspiel zwischen dem RSC Anderlecht und Standard Lüttich stattfand. Obwohl completely sold-out, wollten wir den Versuch wagen, an Tickets zu kommen, trotzdem mir von anderer Seite zugetragen wurde, dass ein Schwarzmarkt bei derartigen Spielen in Belgien nicht existiert. Tatsächlich waren aber einige wenige Tickets in Umlauf. Bei Preisen ab 60 Euro aufwärts für nicht einmal nebeneinander liegende Plätze nahmen wir dann aber doch Abstand, da ich es meiner Herzensdame nicht zumuten wollte, irgendwo in diesem Hexenkessel allein zwischen den ganzen Verrückten sitzen zu müssen. Vor dem Hintergrund welche Emotionen das Spiel letztlich bot, wäre es das Geld wohl wert gewesen, aber das kann man ja vorher nicht wissen. Immerhin nahmen wir am Imbiss-Stand abschließend noch die größte Bratwurst der Welt zu uns.
Michael vorm Walde