Stadion Hercules AlicanteDieser ehemalige Traditionsverein wirkt geradezu magisch anziehend auf einen RWE-Fan: Die letzten großen sportlichen Erfolge lagen schon etwas zurück, sogar ein Ferenc Puskas war hier mal Trainer. Und gegen wen der im WM-Finale 1954 gespielt hat, wissen alle RWE-Fans ganz genau. Ein weiterer bekannter Spieler von Hercules war Luis Aragonés, der bekannterweise erst vor kurzem die spanische Nationalmannschaft zum EM-Titel geführt hat. Auch der aktuelle Gegner hatte es in sich: Mit Real Sociedad San Sebastian kam der spanische Meister von 1981 und 82 in die Mittelmeerstadt. Alles in allem waren das genug Gründe, um die 45 Kilometer in Richtung Alicante auf sich zu nehmen.

Unsere Sorge, dass Stadion ohne Navigationsgerät und mit mangelnden Spanischkenntnissen vergeblich zu suchen, bewahrheitete sich nicht. Ein kurzer Blick in Google Earth verriet uns, dass das Stadion unweit der Ausfahrt „Universidad Alacant“ auf der spanischen A7 zu finden sei. Tatsächlich sahen wir etwa anderthalb Kilometer nach Verlassen der Autobahn in Richtung „Alacant Centro“ die Flutlichter des „Estadio José Rico Pérez“. Eine solche Anbindung hätte auch in Deutschland kaum besser sein können. Die nächste Aufgabe für uns bestand darin, einen kostengünstigen Parkplatz in der Nähe des Stadions zu finden. Kurz vor einem offiziell aussehenden Parkplatz fiel uns ein Schotterplatz auf, der uns zum Parken geradezu aufforderte. Allerdings schlichen um die parkenden Autos zwei nicht gerade offiziell aussehende Ordner, die die Fahrzeuge in die nicht vorhandenen Parkboxen dirigierten. Selbst auf unsere Frage, wieviel sie denn für ihre Dienste haben möchten, bekamen wir nur eine unverständliche Antwort. Ein Euro genügte allerdings, um das Geschäft abzuschließen und die beiden Gestalten glücklich von diesem „Parkplatz“ verschwinden zu lassen.

Dieser merkwürdige Start in unseren Fußballsonntag sollte aber nicht der einzige sonderbare Unterschied zwischen einem deutschen und einem spanischen Spieltag sein. Hatten wir uns extra vorgenommen, zwei Stunden vor Spielbeginn anzureisen, um etwas von der Athmosphäre mitzubekommen, wurden wir in dieser Hinsicht enttäuscht. Statt Bratwurst, Bier und Fachgespräche liefen nur wenige Fans um das Stadion herum. Dabei bemerkten wir, dass unter den wenigen Fans häufig Englisch gesprochen wurde, was darauf hindeutete, dass wir nicht die einzigen „Groundhopper“ vor Ort waren.

Zunächst wollten wir uns die Karten besorgen und wurden schnell fündig. An einer Kasse, die mehr an einen Wettschalter für Pferderennen erinnerte, erstanden wir zwei Tickets für jeweils 15 Euro hinter dem Tor in der südlichen Fankurve von Hercules. Bei einem reinen Fußballstadion kann man wirklich vom Preis-Leistungs-Verhältnis her nicht meckern. Da wir mit etwas mehr Geld zum Ausgeben gerechnet haben, reichte unsere Urlaubskasse noch für einen Fanschal von Hercules, der für 12 Euro auch noch im finanziellen Rahmen lag. Statt der erhofften Würstchen- und Bierbuden stand hinter jeder Tribüne ein Fanartikelstand, an denen kräftig die Kasse klingeln sollte.

Eine weitere Besonderheit, die Stadiontore erst ca. eine Stunde vor Spielbeginn zu öffnen, zwang uns zu einer nicht eingeplanten Wartepause. Zeit, um sich mal das Stadion von außen näher anzuschauen. Dort war allerdings das einzig beeindruckende die für südländische Stadien typischen hohen Tribünen, der Rest wirkte eher erschreckend. Das Stadion, welches 1974 erbaut wurde und sogar Austragungsort der WM 1982 war, ist seit längerem nicht mehr in dem Besitz des Vereins und verfault vor sich hin. Die Tore hätten vermutlich nicht einmal die Mauren, die im Mittelalter die iberische Halbinsel beherrschten, oder einem ausgewachsenen Stier von einem Sturm ins Innere abgehalten. Gut, dass der deutsche TÜV rund zweitausend Kilometer Luftlinie weit weg war, sonst wäre wohl dieses Stadion längst dicht gemacht wurden. Hier sehnte man sich langsam sogar nach der Haupttribüne des Georg-Melches-Stadion.

Stadion Hercules Alicante Dieser Eindruck bestätigte sich auch beim Betreten des Stadions. Die moderne elektronische Eingangskontrolle täuschte nicht darüber hinweg, in welchen Zustand sich das Stadion befindet. Die Toiletten waren verdreckt und mit französischen Plumpsklos ausgestattet, die wohl nicht zum FIFA-Standard gehören. Ein lustiger Gedanke, sich Sepp Blatter hier bei seinem Geschäft vorzustellen. Auch im Bereich des Innenraums erinnerte vieles an das altehrwürdige Georg-Melches-Stadion, aber immerhin besaß man eine elektronische Anzeigentafel. Das Catering bot eine weitere Enttäuschung für uns. Statt einer ordentlichen Wurst oder einem Kotlett gab es nur Chips und Nüsse zu kaufen. Einzig ein „Bocadillo“, also ein Art belegtes Baguette, konnte für 3 Euro erstanden werden.

Da wir aber darauf keinen Hunger hatten, wollten wir die Athmosphäre auf uns wirken lassen. Vor uns begannen die Ultras von Hercules ihre Choreo aufzubauen. Wir setzten uns in ihre Nähe, um in der Nähe des Supports zu sein. Allerdings wurde unser gerade besetzter Platz für die Choreo benutzt, um blaue und weiße Bahnen auf den gesamten unteren Teil der Tribüne auszurollen. Wir entschieden uns daher, einige Reihen höher einen neuen Platz zu suchen. Viele Zuschauer blieben aber neben der Choreo sitzen oder stellten sich in unmittelbarer Nähe zu ihren Plätzen, ohne das einer der Aktiven sie daran hinderte. Eine seltsame wie ungewohnte Szene für Essener Augen. Bei Spielbeginn räumten die Ultras zusammen mit den ganz normalen Fans ihre Choreo weg, so dass sich die Leute auf ihren Plätzen setzen konnten und auch wieder freie Sicht auf das Spielfeld hatten. So viel gegenseitigen Respekt und Verständnis füreinander zwischen Ultras und „normalen“ Anhänger würde man sich auch in Essen wünschen.

Bis zum Anpfiff blieb dies eher eine maue Veranstaltung. Kaum Support vor den Rängen, keine Anfeuerungen, kaum Fängesänge, nur aktuelle Popmusik und Werbung drang von den Lautsprächern auf die Ränge. Auffällig war allerdings, dass nicht nur unter uns bei den Ultras eine Stimmungsblock entstand, sondern auch links neben uns in der Nähe der Haupttribüne und auf der gegenüberliegenden Nordtribüne. Gemeinsamkeiten zum gespaltetenen Essener Fanlager taten sich auf. Doch mit dem näher kommenden Spielbeginn füllten sich die Tribünen allmählich und auch die Stimmung wurde besser. Jeder erwartete mit Spannung den Anpfiff.

Was sich beim Spielbeginn tat, hätten wir nach unseren ersten Eindrücken kaum erwartet. Es entwickelte sich nicht nur ein packendes Duell auf dem Rasen, sondern auch auf den Tribünen wurde geschimpft, geflucht, wild gestekuliert, geklatscht und immer wieder angefeuert. Das war das südländische Temperament, welches wir hautnah erleben wollten. Selbst der einsetzende leichte Regen, der bei einem offenen Stadion sehr unangenehm sein kann, konnte diese Begeisterung nicht stoppen. Auf dem Rasen übernahm der Gastgeber das Kommando. Tolle Flankenläufe, traumhafte Pässe und schnelle Kombinationen zeigten uns eine andere Welt des Fußballs. Hier gab es kein langes Abtasten, es wurde der schnelle Weg zum Tor gesucht. Doch Hercules, angetrieben vom starken Mittelfeldspieler Javier Farinós, vergab schon in der Anfangsphase beste Gelegenheiten. Real Sociedad konzentrierte sich ganz auf das Abwehrspiel und die wenigen Standards. Und dann war es auch schon passiert: Ein Eckball von der halblinken Seite konnte von Real Sociedads Labaka freistehend verwertet werden, weder Abwehr noch Torwart Calatayud sahen dabei gut aus.

Stadion Hercules Alicante Doch die Ränge feuerten weiter Hercules an, die wenigen Fans von Real Sociedad waren im Stadion kaum zu hören. Eine Reise am Sonntag von der Atlantikküste zum Mittelmeer, nur um 90 Minuten Fußball zu sehen, ist wahrscheinlich für viele Spanier kaum machbar. Nach dem Gegentor begann ein regelrechter Sturmlauf von Hercules auf das Tor von San Sebastian. Allerdings wackelte die Abwehr von Hercules nach Standards gewaltig. Während in der Offensive geklotzt wurde, wurde in der Defensive gekleckert. Auf der anderen Seite entwickelte sich zwischen Hercules Stürmer Tuni und Real Sociedads Torwart Bravo nicht nur ein namentlich klangvolles, sondern ein fußballerisch packendes Duell. Nach schon zwei vergebenen Großchancen des Stürmers lenkte Bravo einen wuchtigen Kopfball von Tuni über die Querlatte und bereitete somit dem Schiedsrichter seinen ersten großen Auftritt. Zum Entsetzen der Fans von Hercules entschied dieser nicht auf einen Eckball, sondern auf Abstoß. Das Stadion kochte, selbst die Fans auf den hinteren Plätzen der steilen Tribünen hatten das gesehen, was der Schiedsrichter übersehen hatte. Ein lautes Pfeiffkonzert begleitete das Gespann vom Feld und sollte es wieder auf das Feld geleiten. Von den Emotionen, die Fußball ausmachen, war dies bis dato ein ganz großes Erlebnis.

Die zweite Halbzeit begann so, wie die Erste aufgehört hat. Hercules hatte eine Torchance nach der anderen, die teilweise im Minutentakt dilletantisch vergeben wurden. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann der Ausgleich fallen sollte. Von Real Sociedad war nichts mehr zu sehen, keine nennenswerten Offensivaktionen waren zu verzeichnen. Doch die Zeit lief Hercules davon, der Gast schien völlig zufrieden mit dem einen Punkt zu sein. Aber 15 Minuten vor Schluss gab es dann die große Gelegenheit zum Ausgleich für Hercules. Nach einem Foul im Strafraum entschied der Schiedsrichter auf einen Strafstoß. Der bis dahin überragende Farinós tritt an, doch der extrem schwache Schuss kann ohne Probleme von Bravo gehalten werden. Während wir uns wieder hinsetzen und auf die nächsten Chancen warten wollten, fing das Stadion laut an zu jubeln. Jetzt folgte der zweite große Auftritt des Schiedsrichters, allerdings bildete sich diesmal eine Traube von den Gästen um ihn. Er ließ den Elfmeter wiederholen, da der Strafraum zu früh von einem Spieler der Gäste betreten wurde. Es war noch einmal Farinós, der für Hercules antrat. Und diesmal machte er es besser, nun stand es 1:1 in dieser aufregenden Partie.

Stadion Hercules Alicante Das Stadion jubelte, doch es sollte noch ein dritter großer Auftritt des Schiedsrichters folgen. Nach einem Foul von Hercules Verteidiger Sergio Fernández entschied der Schiedsrichter auf eine Notbremse und verwies ihn des Platzes. Leider war der Mann in Schwarz das schwächste Element auf dem Platz, denn der Platzverweis war überhart, da noch zwei weitere Verteidiger auf derselben Höhe und in unmittelbarer Nähe zum Angreifer standen. Der Freistoß aus gefährlicher Position brachte aber nichts ein, und durch die rote Karte war das Spiel entschieden. Hercules konnte nicht mehr, San Sebastian wollte nicht mehr. Beide Mannschaften teilten sich die Punkte.

Das Stadion leerte sich so schnell wie es sich füllte. Dennoch zeigten sich die Zuschauer angesichts eines so tollen Duells zufrieden. Und auch wir waren zufrieden, ein toller Fußballabend ging zu Ende. Dieses Spiel war eine Demonstration, wie attraktiv spanischer Offensivfußball ist und ließ uns ein wenig traurig auf den derzeitigen Essener Fußball blicken. Taktik ist gut, aber nicht alles im Fußball. Einzig der Rückweg war noch ein kleines Abenteuer, da der ausgewählte Parkplatz nicht nur die Stoßdämpfer, sondern auch unsere Nerven beanspruchte. Trotz einer durch die Polizei geregelte Verkehrsführung mussten wir eine halbe Stunde warten, bis wir auf der Autobahn in Richtung Benidorm gelangten. Drei Tage später sollte es zurück nach Essen gehen. Und dass bedeute auch, von der aufregenden spanischen Secunda Division in die triste deutsche Regionalliga.