Interview mit dem Vorsänger der Ultras

veröffentlicht am 23.10.2008 um 20:00 Uhr

Vorsänger, Megafon, Stimmung in der 4. Liga. Aus aktuellem Anlass sprach Jawattdenn.de mit Markus, Vorsänger der aktiven Szene, sowie Stephan, einem Vorstandsmitglied der Ultras.

Jawattdenn.de:
Wie wird man eigentlich Zaunkoordinator oder Vorsänger? Bist Du gewählt oder bestimmt worden?

Vorsänger Ultras EssenZaunkoordinator:
Vor zwei Jahren beim Auswärtsspiel in Fürth bin ich einfach kurz entschlossen auf den Zaun gestiegen. Von da an hat sich das eingebürgert und schon war ich Vorsänger!

Ultras Essen:
Grundlegend wichtig war natürlich, dass er zu allen Spielen fährt, in der Szene ziemlich bekannt ist, und auch bei uns in der Gruppe ein sehr gutes Standing besitzt, was sich durch seine Rolle als Vorsänger jetzt natürlich noch verfestigt hat.


Jawattdenn.de:
Die Gruppe UE hört also auf Dich?

Ultras Essen:
Er gehört zum harten Kern der Gruppe. Es ist schließlich ein großer Einsatz, den er über die ganze Saison hinweg bringt.

Zaunkoordinator:
Ja, ich habe da schon ein Mitspracherecht.Mittlerweile sehen mich auch viele jüngere Fans als eine Art Ansprechpartner. Ich stehe eben sehr in der Öffentlichkeit und im Focus der Leute da vorne.


Jawattdenn.de:
Wie hoch ist denn Dein Wiedererkennungswert? Erkennen Dich Leute auch außerhalb des Stadions?

Zaunkoordinator:
Der Wiedererkennungswert ist definitiv da. Mittlerweile kann ich nicht mehr durch die Essener Innenstadt laufen, ohne dass mich Menschen ansprechen.


Jawattdenn.de:
Aber überwiegend aus der Essener Fanszene, oder?

Vorsänger Ultras EssenZaunkoordinator:
Ja, überwiegend. Aber dadurch, dass ich in Dortmund wohne, habe ich auch dort schon die einen oder anderen Blicke bemerken können. Gerade hier im Umkreis, also NRW, erkennen mich andere Fanszenen. Aber negative Erfahrungen habe ich damit bisher nicht gemacht


Jawattdenn.de:
Erzähl unseren Lesern doch einfach mal etwas konkreter von Deinem „Job“. Wie fühlt man sich dort auf dem Zaun vor mehreren tausend Menschen?

Zaunkoordinator:
Also das Gefühl ist einfach euphorisch. Wenn ich so an die ersten Male zurückdenke, da war man schon ganz schön nervös. Das Gefühl ist einfach nur geil. Nach jetzt mittlerweile fast zwei Jahren gewöhnt man sich auch immer mehr daran. Ich kann mich noch ganz besonders gut an das Pokalspiel gegen Cottbus mit dem Elfmeterschießen erinnern. Das waren 120 Minuten, die einfach phantastisch waren, besser als alles andere. Wenn du siehst, wie die Leute abgehen, das ganze Stadion und vor allem die Osttribüne tobt, das ist schon geil.


Jawattdenn.de:
Hast Du Angst vor einem möglichen Stadionverbot? Es trifft ja in den letzten Monaten vermehrt auch Vorsänger, aktuell zum Beispiel Lehmann von Dresden.

Zaunkoordinator:
Davor habe ich definitiv Angst.


Jawattdenn.de:
Wie würdet Ihr mit so einer Situation denn umgehen?

Ultras Essen:
Das ist schwer. Aber wie wir damit umgehen, hat man ja beim vorletzten Heimspiel gesehen, als ein Vertreter auf dem Zaun stand da unser Vorsänger aus gesundheitlichen Gründen nicht auf den Zaun gehen konnte. Ein Vorsänger wird also auf jeden Fall beibehalten. Aber ein Ausfall von unserem Stammcapo, zum Beispiel durch Stadionverbot, wäre schon ein herber Verlust.


Jawattdenn.de:
Hältst du Dich bei Ärger oder Aktivitäten außerhalb des Stadions also bewußt zurück?

Vorsänger Ultras EssenZaunkoordinator:
Natürlich, ich versuche mich schon soweit wie es geht davon fern zu halten. Es ist aber manchmal auch nicht einfach. In Kaiserslautern zum Beispiel war das wirklich nervig. Da hieß es von der Polizei immer nur, "der Typ mit dem Megafon". Die sprechen dich dann ständig an, da du für die Polizei der Rädelsführer bist. Aber ich bin mir schon im Klaren darüber, dass ich zum Beispiel bei Märschen wie in Wuppertal schon der Verantwortliche oder Ansprechpartner bin, wenn ich vorne weglaufe.


Jawattdenn.de:
Was waren denn deine bisherigen Highlights auf dem Zaun? Und was sind Flops?

Zaunkoordinator:
Cottbus im Pokal hab ich ja schon genannt, auswärts in Magdeburg letzte Saison war sicherlich auch mit das Beste, was ich bisher erlebt habe. Flops sind in dieser Saison sicherlich Spiele wie zum Beispiel gegen Bochum II, wo der Gästeblock zu ist. Wenn die Mannschaft dann auch noch schlecht spielt und vom Gegner im Gästeblock nichts kommt, wie willst du dich und andere da motivieren, Gas zu geben?


Jawattdenn.de:
Wie stehst Du persönlich denn zum Thema Rassismus im Stadion? Und siehst Du es als deine Aufgabe an, vom Zaun auf Leute einzuwirken, die da zum Beispiel rechts gröhlen?

Zaunkoordinator:
Ich kann das nur für mich persönlich beantworten und nicht für die Gruppe Ultras Essen. Ich persönlich bin Antirassist, ich vertrete die Meinung, dass alle Menschen gleich sind. Bis jetzt hatten wir aber glücklicherweise auch noch nie solche Situationen. Wenn es aber mal so eine Situation gäbe, würde ich die Person sicherlich nicht vom Zaun mit dem Megafon ansprechen. Aber ich würde schon schauen, dass sie darauf hingewiesen wird, so was zu unterlassen. Vorranging beschränke ich mich aber auf die Stimmung. Ich kann ja zum Beispiel wie in Wuppertal bei Aufeinandertreffen mit Gegnern nur sagen, lasst euch nicht provozieren. Zur Gewalt aufrufen würde ich definitiv niemals.

UVorsänger Ultras Essenltras Essen:
Wir als Ultras Essen sehen uns als unpolitisch und versuchen natürlich auch, unsere Kurve so zu gestalten. Wir sind einfach der Meinung, das Politik im Stadion nichts zu suchen hat.


Jawattdenn.de:
Seit einigen Spielen nutzt Ihr nun ein Megafon, was sicherlich innerhalb der Essener Fanszene nicht ganz unumstritten ist. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Zaunkoordinator:
Zum einen erhoffen wir uns dadurch noch mehr Leute zu erreichen und mit einzubinden. Außerdem ist die Koordination dadurch wesentlich besser. Man hat ein einheitlicheres Bild bei Klatsch- und Hüpfeinlagen. Und der dritte und für mich persönlich natürlich sehr positive Grund ist, dass ich nun nach den Spielen auch noch Stimme habe. Ohne Megafon 90 Minuten schreien, 34 Spiele in der Saison, das macht die Stimme irgendwann einfach nicht mehr mit. Das war auch ein, wenn auch nicht der ausschlaggebende, Grund. Der Hauptgrund war eben die bessere Koordinierung der Kurve.


Jawattdenn.de:
Wie war denn das Echo im Stadion während der ersten Spiele mit Megafon? Wurdet Ihr offen angefeindet, wurde das Megafon begrüßt?

Zaunkoordinator:
Also negatives Feedback oder offene Anfeindungen hatten wir im Stadion bisher noch gar nicht. Wir sehen zwar das normale Internetgepöbel, aber im Stadion kam bisher noch nichts.

Es hat uns auch etwas überrascht, dass bisher nichts negatives kam. Für uns überwiegt bisher eindeutig das positive Feedback. Leute kommen auf uns zu und sagen „Gut dass ihr diesen Schritt endlich gegangen seid!".


Jawattdenn.de:
Wurde der Megafoneinsatz vorher diskutiert?

Zaunkoordinator:
Ja, klar!


Jawattdenn.de:
Aber nur Ultra-intern?

Ultras Essen:
Gruppenintern wird das Thema eigentlich schon lange diskutiert.

Vorsänger Ultras EssenZaunkoordinator:
Wir diskutieren intern bereits seit über zwei Jahren darüber. Und jetzt haben wir uns einfach entschieden, dass man es diese Saison umsetzen kann. Du hast nicht so viele „Otto-Normal-Zuschauer“ oder Erfolgsfans im Stadion, jetzt kann man es mal ausprobieren.


Jawattdenn.de:
Soll das Megafon nun immer genutzt werden oder nur, wenn der Block entsprechend groß genug ist?

Zaunkoordinator:
Nein, wir wollen das Megafon natürlich nur bei Heimspielen und größeren Auswärtsfahrten nutzen, wenn der Einsatz aufgrund der Größe des Blocks auch Sinn macht. Die Einrichtung Megafon bleibt aber erstmal bestehen jetzt.

Ultras Essen:
Es hängt eben gerade auswärts davon ab, wie der Block aufgebaut ist. Für 80 Fans auswärts bei CottbusII an einem Freitagabend braucht man sicherlich kein Megafon.


Jawattdenn.de:
Wie seht Ihr, siehst Du als Vorsänger, die Entwicklung der Stimmung? Zum einen seit dem Du auf dem Zaun stehst und zum anderen seit dem Einsatz des Megafons - hat sich die Stimmung dadurch verbessert?

Zaunkoordinator:
Das ist sicherlich schwer zu sagen. Generell finde ich, dass sich die Stimmung schon verbessert hat, auch noch unabhängig vom Megafon-Einsatz. Es ist koordinierter geworden, aber es ist nun mal bei Rot-Weiss so, dass du verschiedene Phasen hast. Du hast Zeiten, da hast du die ersten 15 Minuten Stimmung wie im Maracanã-Stadion in Rio. Dann hast du aber auch wieder 30 Minuten, wo der absolute Wurm drin ist. Von daher lässt sich das schwer beurteilen. Aber im Endeffekt ist es schon besser geworden. Wir sehen das Ganze also generell als positiv an, sowohl Vorsänger als auch Megafon.


Jawattdenn.de:
Wie gehst Du mit Kritik im Stadion um?

Vorsänger Ultras EssenZaunkoordinator:
Ich bin immer offen für Kritik. Das ist ja schließlich keine One-Man-Show, ich versuche schon, auch auf die Leute einzugehen, um das Gesamtprodukt zu fördern.


Jawattdenn.de:
Hast Du dann eine Liste auf dem Zaun, was Du wann anstimmen willst?

Zaunkoordinator:
Eine Liste habe ich nicht, aber ich setzte mich vor dem Spiel schon zu Hause hin und bereite mich vor oder mache mir Gedanken über konstruktive Kritik und versuche mir diese dann auch im Stadion ins Gedächtnis zu rufen. Die Gesänge kommen übrigens zu 80% aus der Kurve selbst, ich nehme das dann nur auf und trage es weiter.


Jawattdenn.de:
Kommt denn Kritik oder Feedback überwiegend nur aus der Ultraszene?

Zaunkoordinator:
Nein, die kommt auch zum Teil von älteren Semestern, die schon seit 40 oder 50 Jahren zu Rot-Weiss gehen.

Jawattdenn.de:
Zum Abschluss noch eine Frage. Was bewegt die Fanszene aktuell? Ist ein Block- oder Tribünenwechsel noch Thema?

Ultras Essen/Zaunkoordinator: 
Also die Tribüne wechseln wir auf keinen Fall mehr. Die Leute sollten sich mal Gedanken darüber machen, wieso wir auf der Ost stehen. Alleine das wir die gegnerischen Fans sehen können ist für mich schon ausschlaggebend. Reaktionen auf Gästefans sind schließlich ein ganz Vorsänger Ultras Essenwesentlicher Punkt, um Stimmung in die Kurve zu kriegen. Das weiß wohl jeder, der schon mal in Saarbrücken war. Außerdem sollten sich die Leute auch mal hinterfragen, wie es denn auf der Nord aussehen würde, wenn wir plötzlich mit 300 Leuten dort stehen Wo soll dort noch Platz sein? Da sagen wir, der kleine Stimmungskern der Nord soll doch zu uns auf die Ost kommen, sie sind Herzlich Willkommen. Jeder, der seine Stimme für RWE erhebt, ist immer willkommen. Wir sind nicht die bösen Leute in schwarz, mit denen man nicht reden kann.

Aktuell beschäftigt uns das Thema Podest. Wir haben letztes Jahr bereits ein Podest für die Ost und ein Podest für den Gästeblock beantragt. Gästefans sollen ja die gleichen Möglichkeiten haben wie wir auch. Wir genießen sowas auswärts in Gästeblöcken auch. Ein Megafon ist jetzt für Gästefans auch erlaubt, da hat man sich dann doch durchringen können als „fanfreundlichstes Stadion Deutschlands“. Leider gab es bisher für das Podest noch keine Baugenehmigung und der Platzwart stellt sich leider auch quer, so dass wir keine eigene Konstruktion für die Spieltage aufbauen können. Aus sicherheitstechnischen Gründen geht das wohl nicht, obwohl der Sicherheitsbeauftrage von RWE meinte, es müsste eigentlich funktionieren. Nur die Stadt Essen stellt sich quer. Man bräuchte einen Bauantrag, der wohl auch gestellt, aber noch nicht endgültig durch ist. Das ist bedauerlich. Körperlich ist das sehr anstrengend, auf dem Zaun zu stehen.

Wir würden auch gerne alle RWE-Fans mal einladen, die zweite Mannschaft zu besuchen. Die Jungs freuen sich total über Stimmung. Und die haben es sich definitiv verdient. Wir begleiten die Zweite Mannschaft nun regelmässig seit fast zwei Jahren, da waren einige Höhepunkte dabei. Für die zweite Mannschaft ist das sicherlich ein Highlight, wenn wir dort trommeln und singen. Außerdem sind in der NRW-Liga dieses Jahr einige Mannschaften dabei, die interessanter sind als so mancher Gegner der Ersten. Bei der Zweiten kann man übrigens auch neue Lieder kennen lernen.


Jawattdenn.de:

Vielen Dank für das Interview!


Das Interview führte Martin Noll