Interview mit Stadionsprecher Walter Ruege
Vor dem Spiel gegen Kleve empfing unser langjähriger Stadionsprecher Walter Ruege die Jawattdenn-Mitarbeiter Hendrik Stürznickel und Michael Jaskolla zu einem Interview im Essener Rathaus. Dabei plauderte der sympathische Kommunalbeamte aus dem Nähkästchen eines Stadionsprechers...
Jawattdenn.de:
Hallo Herr Ruege. Ihre Stimme kennt jeder Rot-Weiss Anhänger, Sie sind im Grunde die einzige Konstante im Verein. Über den Privatmann Walter Ruege ist allerdings nur wenig bekannt. Wir sitzen hier im Rathaus im Amt für Repräsentationsangelegenheiten, was sind ihre Aufgabenbereiche als Abteilungsleiter in diesem Amt?
Walter Ruege:
Genau heißt das Amt für Ratsangelegenheiten und Repräsentation, das sind zwei Abteilungen und ich bin für die Ratsangelegenheiten zuständig. Das heißt, ich beschäftige mich mit der Verwaltung der Kommunalpolitik. Ich bin kein Politiker, sondern Verwaltungsmensch, und dafür zuständig, dass bei Ratssitzungen, Ausschüssen, Bezirksvertretungen usw. alles mit rechten Dingen zugeht und gut organisiert ist. Die vielen ehrenamtlichen Politiker und auch der Oberbürgermeister bei seiner Arbeit als Ratsvorsitzender werden von meiner Abteilung verwaltet und in rechtlichen Fragen unterstützt.
Das sind im groben die Aufgaben unserer Abteilung.
Jawattdenn.de:
Sie haben also eine Ausbildung zum Kommunalbeamten bei der Stadt Essen gemacht und sind dann nach und nach aufgestiegen?
Walter Ruege:
Genau. 1972 habe ich begonnen. Rot-Weiss Fan bin ich allerdings schon länger.
Jawattdenn.de:
Wie sind Sie RWE-Fan geworden? War es der klassische Weg über den Vater, der seinen Sohnemann mit ins Stadion genommen hat?
Walter Ruege:
Nein, das war ganz anders. Ich bin über meinen Schwager zum Fußball gekommen, damals über den MSV Duisburg. Wir sind in den 60ern hin und wieder zu den Duisburger Heimspielen gegangen, dadurch war das Fußballinteresse bei mir geweckt.
Mein Vater war Arbeiter in einem Oberhausener Stahlwerk und wir wohnten in Essen Frintrop in einer werkseigenen Arbeitersiedlung. Dadurch waren fast alle Freunde, die sich für Fußball interessierten, RWO-Fans. Da habe ich mir – gar nicht Opportunist – gedacht: Du wohnst hier in Essen, also gehst du zu Rot-Weiss Essen. So begann es, dass ich meist alleine die RWE-Heimspiele besuchte. Und ich war natürlich sofort begeistert, es war ja damals noch die Essener Bundesligazeit.
Jawattdenn.de:
Sie haben bestimmt schon x-mal die Geschichte wiederholt, wie Sie durch Zufall Stadionsprecher in Essen geworden sind. Würden Sie diese für unsere jüngeren Leser noch mal erzählen?
Walter Ruege:
Es war ja wirklich eine interessante Geschichte, denn ich bin wie die Jungfrau zum Kinde zum Job des Stadionsprechers gekommen. Ich war schon seit Jahren Mitglied im Verein und habe irgendwann den Entschluss gefasst, dass ich irgendeine Tätigkeit im Verein auch aktiv übernehmen möchte. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung, was ich im Verein machen könnte. Ich habe mich einfach in einer Sommerpause auf der Geschäftsstelle Paul Nikelski vorgestellt und gefragt, ob man nicht irgendeine Aufgabe für mich habe. Nikelski hatte überlegt und sagte, dass der Verein einen neuen Stadionsprecher suche. Das sollte aber nicht ich machen, sondern ich sollte dem neuen Mann in der Sprecherkabine helfen, also Platten auflegen, die Technik bedienen. Das war die Idee, und das war für mich schon ein Traum!
Ich durfte also in die Kabine und bin am ersten Spieltag zur Geschäftsstelle gegangen. Die Organisation war allerdings völlig chaotisch. Es gab keinen richtigen Ansprechpartner für mich und alles was man mir sagte war: „Geh mal in die Kabine!“ Das habe ich gemacht, aber in der Kabine war nur ein Techniker von Siemens, der an der Verkabelung gearbeitet hatte. „Gut“, dachte ich mir, „irgendwann wird ja wohl der neue Sprecher kommen.“ Dann wurde es später und später, zwischendurch wurden die Mannschaftsaufstellungen hereingereicht, die Musik lief schon. Das hatte der Techniker noch veranlasst, aber vom Sprecher keine Spur.
Eine Viertelstunde vor dem Spiel habe ich mir dann einfach die Werbetexte genommen, die dort lagen. Ich kannte sie ja vom Hören und ich kannte auch die Abläufe vor dem Spiel, also habe ich das Mikrophon eingeschaltet und das Publikum begrüßt und die Mannschaftsaufstellungen vorgelesen. Tore gab es nicht, das Spiel ging 0:0 aus und so kam ich mit wenig Sprechen durch das Spiel.
Jawattdenn.de:
Waren Sie frei von jeglicher Nervosität?
Walter Ruege:
Nein, ich war schwer nervös. Das hatte man bestimmt auch an meiner Stimme gemerkt.
Jawattdenn.de:
Haben Sie denn im Nachhinein herausgefunden, warum der neue Stadionsprecher nicht kam?
Walter Ruege:
Ich habe in Erinnerung, dass ein Stadionsprecher kommissarisch vorgesehen war. Und zwar Rolf Neuhaus, der in den 80ern auch Präsident von RWE war. Damals war er für die Organisation des Ordnungsdienstes zuständig und dafür ausgeguckt worden, bei diesem Spiel als Stadionsprecher zu arbeiten, weil noch kein neuer gefunden worden war. Aufgrund irgendwelcher Umstände kam er aber einfach nicht. Anschließend hat mir niemand vom Verein eine Rückmeldung zu meinem Einsatz in der Kabine gegeben. Beim nächsten Spiel bin ich dann einfach wieder hingegangen – und es war wieder niemand in der Kabine! So hat es sich stillschweigend entwickelt, ohne dass mir irgendwer mitgeteilt hat „Du machst das jetzt, du bist unser neuer Sprecher!“.
Jawattdenn.de:
Führen Sie die Aufgabe als Stadionsprecher rein ehrenamtlich aus, oder erhalten Sie eine Aufwandsentschädigung?
Walter Ruege:
Nein, es ist eine rein ehrenamtliche Tätigkeit, die - bis auf Spesen - nicht vergütet wird. Im Allgemeinen ist es schon lange außergewöhnlich, dass ein Stadionsprecher ehrenamtlich arbeitet. Das habe ich bei einigen Tagungen beim DFB erfahren. Der DFB lädt regelmäßig die Sprecher der ersten und zweiten Liga ein. Es waren interessante Veranstaltungen. Geld ist für mich bei dieser Tätigkeit aber nie ein Thema gewesen, die Aufgabe macht mir einfach Spaß und ist für mich ein Hobby.
Jawattdenn.de:
Hat Ihnen mal eine Ansage im Nachhinein Ärger eingebracht?
Walter Ruege:
Meine schwärzeste Stunde war in Münster 2002, als ich als Stadionsprecher mit auf dem Rasen stand und wir in letzter Minute nicht aufgestiegen sind. Parallel lief noch das Spiel in Braunschweig, das mitentscheidend war. Bis kurz vor Schluss stand es dort 1:1 während wir führten und damit noch aufgestiegen waren. Die Polizei hatte Angst, dass Essener Horden euphorisiert durch Münster zögen und es dort Ärger geben könnte. Deshalb trat man an mich heran mit der Bitte, ich solle doch Druck machen, dass alle Essener schnellstens nach Hause fahren zum Feiern. Dem bin ich gefolgt und habe sinngemäß gesagt, dass wir uns freuen und gleich an der Hafenstraße groß gefeiert wird und alle doch schnell nach Spielschluss zur Hafenstraße kommen mögen. Ich habe also die Stimmung noch hochgepuscht.
Ich war schon wieder in der Kabine als die Nachricht des Braunschweiger Siegtreffers die Runde machte. Dadurch waren wir nicht aufgestiegen. Rolf Hempelmann kam zu mir in die Kabine und war sehr ärgerlich auf mich, weil ich die Stimmung noch angeheizt hatte. Ich musste dann durchs Mikrophon ansagen, dass wir doch nicht aufgestiegen sind. Entsprechend waren auch die Reaktionen, die natürlich auch nicht zu entschuldigen sind. Das war hart, was anschließend noch auf dem Platz geschah. Das war eine schwere Stunde für mich.
Jawattdenn.de:
Lesen Sie auch im RWE-Forum?
Walter Ruege:
Nein.
Jawattdenn.de:
Dort hat es nach dem letzten Sprecherwechsel ein großes Thema zum Stadionsprecher gegeben. Es hat sich innerhalb kurzer Zeit eine Namensliste gebildet mit mehreren 100 Befürwortern, dass Sie den Stadionspecherjob alleine, also ohne Unterstützung auf dem Rasen, weitermachen sollen. Das ist ja eine Würdigung Ihrer Arbeit. Bekommen Sie auch persönlich eine Rückmeldung von Fans für die Arbeit, die Sie seit über 30 Jahren für den Verein leisten?
Walter Ruege:
Also das freut mich natürlich erst mal. Ich weiß, dass damals plötzlich eine positive Stimmung für mich als Sprecher war. Das hat mich damals schon gefreut, freut mich natürlich auch heute noch. Vor allem, weil die Stimmung wenige Jahre zuvor noch eine ganz andere war. Da hatte ich auch mal Zugang zum RWE-Forum und habe dort in Bezug auf meine Person Schlagworte wie „langweilig“ und „Nachrichtensprecher-Typ“ gelesen. Das ging auch zum Teil unter die Gürtellinie. Nur wenige Stimmen haben das relativiert. Das hat mich damals sehr getroffen, da ich damals zum ersten Mal etwas Negatives hörte – und dann gleich so geballt. Heute könnte ich damit besser umgehen.
Jawattdenn.de:
Wurden in dieser Phase ihre Kinder in der Öffentlichkeit auch von der Seite angemacht, was für einen „langweiligen“ Stadionsprecher Sie als Vater haben?
Walter Ruege:
In dieser schwierigen Zeit war meine älteste 15, 16 Jahre alt. Sie ist mal unangenehm angesprochen worden in Richtung „langweiliger Sprecher“. Das war ihr auch sehr unangenehm. Aber das war eine Ausnahme, meine Kinder mussten darunter nicht leiden.
Jawattdenn.de:
Haben Sie sich damals degradiert gefühlt, als ein Entertainer für den Rasenpart engagiert wurde und Sie quasi nur noch die Werbung vorgelesen und Gegentore verkündet hatten?
Walter Ruege:
Nur am Anfang. Zumal ich erst sehr kurzfristig davon erfahren habe. Ich wurde einen Tag vor dem Spiel im Urlaub angerufen und man teilte mir mit, dass es einen zweiten Sprecher auf dem Rasen geben wird. Das hat mir im ersten Moment schon wehgetan. Einerseits weiß ich zwar, dass ich kein Entertainer bin, andererseits bin ich aber seit langem der Stadionsprecher. Als dann aber der erste zusätzliche Sprecher mit dem Alex kam, fand ich das richtig toll. Denn ich bin nun mal wirklich nicht der Typ für das Entertainment, der Alex konnte das. Er stand natürlich im Vordergrund, aber ich bin nicht so eitel, dass mich das störte. Diese Kombination fand ich richtig gut, auch später mit dem Daniel Rott. Das würde ich mir heute noch wünschen und damit kann man auch allen gerecht werden. Die jüngeren Fans in der Kurve wollen lieber unterhalten werden und wollen auch einen etwas lauteren Sprecher. Trotzdem ist es auch erforderlich, dass jemand auch von der ruhigeren, seriöseren Seite aus Ansagen macht.
Jawattdenn.de:
Was halten Sie vom „Entertainer Stadionsprecher“, den man ja inzwischen in nahezu allen Profistadien findet?
Walter Ruege:
Aus meiner Sicht muss man aufpassen, dass nicht übertrieben wird. Wenn es unsportlich gegenüber dem Gegner wird, dann ist es ein Schritt zu weit. Es gibt in manchen Stadien richtige „Schreier“, die sich selbst präsentieren wollen und den Gegner nicht mehr respektieren – das würde ich in Essen nicht mitmachen. Solche hatten wir aber zum Glück auch nicht.
Jawattdenn.de:
Nach Daniel Rott hatten wir noch den Daniel Marianczyk, der den Part auf dem Rasen für kurze Zeit übernommen hatte. Er kam bei den RWE-Anhängern aber nicht gut an, obwohl das Publikum ja offen war für diesen Typ Stadionsprecher. Können Sie sich vorstellen, woran das gelegen hat?
Walter Ruege:
Ich glaube er kam als Typ nicht an. Die Ansagen, die er gemacht hat, waren nicht immer das Richtige. Wenn er die Fans auffordert, „mal etwas Stimmung“ zu machen, dann wird das praktisch als Vorwurf aufgefasst. In diese Richtung waren noch ein paar Sachen, und dadurch ist er vermutlich beim Publikum durchgefallen.
Jawattdenn.de:
Gibt es ein Highlight als Stadionsprecher, an das Sie sich besonders gerne zurückerinnern? Das wäre dann vermutlich auch ein Highlight als RWE-Fan…
Walter Ruege:
Als Fan war es das Pokalendspiel 1994 in Berlin – ein Traum! Dort war ich natürlich kein Sprecher, aber trotzdem mit der Mannschaft und dem Verein in Berlin, also nicht nur als Fan, sondern als Offizieller. Ich habe auch im Mannschaftshotel gewohnt und vieles mitbekommen. Im Stadion war es meine Aufgabe, unsere Pokalhelden von 1953, die ebenfalls vom Verein eingeladen wurden, zu begleiten und betreuen. Über diesen Tag könnte ich Stunden erzählen! Das geht, glaube ich, allen Rot-Weiss Fans so, die an diesem Tag in Berlin waren. Dieses Ereignis ist trotz Niederlage kaum zu toppen.
Jawattdenn.de:
Man kann sich als Sprecher ja leicht Ärger einhandeln. Zum Beispiel würde ihre Standardansage bei einem durch zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen aufgebrachten Publikum „Bei allem Unmut – bitte keine Gegenstände aufs Feld werfen!“ eine andere Bedeutung erhalten, wenn Sie „Bei allem berechtigten Unmut…“ sagen würden. Müssen Sie sich bei besonders emotionalen Spielen hin und wieder mal auf die Lippen beißen?
Walter Ruege:
Ich glaube nicht, ich behaupte einfach mal, das wird mir nicht passieren. Soweit habe ich mich im Griff. Ich kenne Beispiele, bei denen sich Sprecher nicht im Griff hatten. Einmal hat zum Beispiel der Hannoveraner Sprecher ein Gegentor verkündet mit der Aussage „Das war das 0:1 aus abseitsverdächtiger Position!“ Er ist natürlich rausgeflogen, das darf man nicht machen. Es ist aber sehr schwierig, in manchen Situationen die richtigen Worte zu finden.
Jawattdenn.de:
Beim Lübeck-Spiel vor drei Jahren hat es Ausschreitungen nach dem Spiel gegeben, und bei einer Ansage nach dem Spiel ist die Glasscheibe der Sprecherkabine hörbar gesplittert. Haben Sie manchmal Angst, in den Sog des Unmuts und teilweise Hasses mit hereingezogen zu werden?
Walter Ruege:
Ja, manchmal schon. In diesem Moment nach dem Lübeck-Spiel war die Frustration natürlich sehr hoch. Auch bei dem Menschen, der die Scheibe eingeschlagen hatte. Ich musste nach dem Spiel natürlich versuchen, beruhigend auf die Fans einzuwirken. Das wollte derjenige aber nicht hören. Er war der Meinung, dass die Fans Recht haben, wenn sie in so einer Situation aufbegehren und da dürfe man sie nicht mäßigen. Er war in diesem Augenblick so sauer auf mich, dass er die Faust geballt und die Scheibe eingeschlagen hatte. Das war schon ein großer Schreck, durch den man sich auch seine Gedanken macht.
Jawattdenn.de:
Apropos Gedanken machen: Haben Sie vor, Stadionsprecher zu bleiben solange wie man Sie lässt oder gibt es einen konkreten Termin, aufzuhören?
Walter Ruege:
Ein Ende habe ich noch nicht vor Augen. Was ich sehr, sehr gerne machen würde ist natürlich mindestens einmal Sprecher im neuen Stadion zu sein. Die Atmosphäre im neuen Stadion möchte ich als Sprecher mitkriegen.
Jawattdenn.de:
Das klingt nach einem realistischen Ziel!
Walter Ruege:
Mittlerweile ja! Andererseits hätte ich auch großes Verständnis, wenn man junges, frisches Blut hinter dem Mikrophon haben möchte. Ich mache den Job nun schon so lange, für die Fans ist es immer die gleiche Stimme, vielleicht auch die gleichen Formulierungen – da kann ich mir gut vorstellen, dass einige frisches Blut gut fänden. Dann müsste man mich nicht erst aus der Kabine heraustragen. Ich hätte vollstes Verständnis und würde mittlerweile ohne Groll zurücktreten und sagen „Ja, finde ich gut!“ Anschließend würde ich zur Geschäftsstelle gehen und fragen, ob sie nicht einen Job für mich haben (lacht).
Jawattdenn.de:
Möge das noch einige Jahre dauern, wir suchen nämlich lieber nach Konstanten im Verein. Besonders schön sind aus unserer Sicht ihre Ansprachen beim letzten Heimspiel vor Weihnachten, bei der Sie das Jahr noch mal kurz Revue passieren lassen und mit viel Wärme die Fans in die Winterpause verabschieden. Überlegen Sie die Worte vorher oder entstehen diese Ansagen spontan?
Walter Ruege:
Ich bereite mich in der Regel erst am Spieltag vor, durchblättere die Stadionzeitung, bespreche mich mit denen, die den Ablauf organisieren. Dann überlege ich mir erst, was ich zur Begrüßung sage. Die angesprochenen Verabschiedungen überlege ich mir im Grunde erst während des Spiels. Einiges hängt auch davon ab, wie das letzte Spiel verläuft, ob man gewinnt oder verliert. Das meiste ist also relativ spontan und nicht langfristig vorformuliert.
Jawattdenn.de:
Fällt es nach bitteren Niederlagen oder Abstiegen schwer, tröstende Worte für die Fans zu finden, wenn man selbst auch mitleidet?
Walter Ruege.
Auf jeden Fall. Man muss auch sorgfältig überlegen, was man in solch einer Situation sagt. In früheren Jahren als Stadionsprecher habe ich versucht, auch eine Erklärung oder Entschuldigung für die Niederlage zu finden. Ich erinnere mich an eine Situation, als wir ein Verbandspokalspiel gegen die unterklassige Reserve von Mönchengladbach verloren hatten. Da hatte ich sinngemäß gesagt: „Mönchengladbach war doch deutlich stärker als erwartet.“ Die Fans waren jedoch so sauer auf die eigene Mannschaft, dass sie so etwas nicht hören wollten. Selbst in der Zeitung stand am nächsten Tag: „Nur der Stadionsprecher sah ein gutes Spiel.“ Ich habe in den ersten Jahren mehrmals falsche Worte gewählt, so dass ich es heute vorziehe, Niederlagen überhaupt nicht mehr zu kommentieren. Denn nach Niederlagen ist es fast egal, was man sagt – es wird gegen dich verwendet. Wir spielen dann sofort Musik.
Jawattdenn.de:
Die Verbindung Stadt – Verein war in den letzten Jahren ja sehr ausgeprägt. Und Sie sitzen hier im Rathaus quasi an der Informationsquelle. Bekommen Sie dadurch Strömungen schon früher mit als der Verein oder die Öffentlichkeit?
Walter Ruege:
Nur am Rande. Manchmal bekommt man zufällig etwas mit, wenn man mal im Haus mit Politikern oder anderen Personen aus verschiedenen Bereichen gesprochen hat. Man kann aber nicht sagen, dass ich ein großer Insider bin.
Jawattdenn.de:
Inwieweit bekommen Sie etwas vom Vereinsleben mit? Unter der Woche sitzen Sie ja hier im Rathaus…
Walter Ruege:
Nicht nur arbeitsbedingt, sondern auch aus persönlichen Gründen mache ich nur den Job des Stadionsprechers. Zwischendurch hatte ich auch andere Aufgaben im Verein, aber dann wurde ich in meinen Job und durch meine Familie so weit eingespannt, dass außerhalb des Sprecherjobs für den Verein nichts mehr machen konnte. Ich fahre auch in der Regel unter der Woche nicht zur Geschäftsstelle und bin auch nicht der Typ, der den ganz engen Draht zu den Fans sucht. Auch nach dem Spiel könnte ich in das VIP-Zelt gehen um ein wenig zu plaudern und ein Bierchen zu trinken. Aber das ist nicht mein Ding. Ich fahre meistens nach der Pressekonferenz nach Hause und dann ist der Job für mich erledigt.
Jawattdenn.de:
Fahren Sie als Fan zu den Auswärtsspielen?
Walter Ruege:
Inzwischen nur noch selten. Früher öfter mal, heute bei wichtigen Spielen oder wenn ein Spiel in der Nähe stattfindet. Dieses Jahr war ich in Velbert.
Jawattdenn.de:
In einem Interview sagten Sie mal, dass ihre erste Liebe Rot-Weiss ist und Ihre zweite Liebe ihre Frau. Hat dadurch der Haussegen mal schief gehangen?
Walter Ruege:
(lacht) Ja, meine Frau hat komisch geguckt, als sie das gelesen hat. Sie hat diesen Satz zwar nicht kommentiert, aber ich habe schon gemerkt, dass sie nachdenken musste. Als ich meine Frau kennen lernte, war ich schon seit einem Jahr Stadionsprecher. Ich hatte wirklich meine komplette Zeitplanung auf die RWE-Spiele – zumindest auf die Heimspiele – ausgerichtet. So hat sie mich kennen gelernt und so war es auch klar, dass Urlaube immer mit Blick auf den RWE-Spielplan geplant wurden. Ich war auch nicht bei der kirchlichen Trauung meines Patenkindes, weil RWE am selben Tag ein Heimspiel hatte. Erst am Abend zur Feier war ich dort.
So ist jedenfalls diese Aussage entstanden, die sich vor allem auf die Zeitplanung bezieht. Wörtlich ist das natürlich nicht so gemeint gewesen.
Die Spiele, bei denen ich nicht dabei war, kann man wirklich an einer Hand abzählen. Außer in diesem Jahr, meine Frau und ich waren in Kur, deren Termin nicht verschiebbar war. Die Kur lag so unglücklich, dass ich drei Heimspiele verpasste. Ich darf schon mal verraten, dass ich beim nächsten Spiel gegen Kleve auch nicht dabei bin, weil ich schon langfristig einen Aufenthalt in New-York geplant hatte. Da muss RWE inzwischen auch mal nachstehen. Trotzdem sind vier verpasste Spiele in einer Halbserie schon ein hartes Brot für mich.
Jawattdenn.de:
Wo lagen aus ihrer Sicht als Fan die Gründe für den Doppelabstieg von der zweiten in die vierte Liga?
Walter Ruege:
Es sind sicherlich viele Punkte zusammen gekommen. Es wurden natürlich Fehler in der Vereinsführung gemacht, beim Einkauf der Spieler. Das hat sich letztlich so ausgewirkt, dass damals Mannschaften auf dem Platz standen, die nicht ausreichend motiviert waren. Das war mein Eindruck. Besonders deutlich wurde das beim Lübeck-Spiel, bei dem man mit Einsatz wirklich noch etwas hätte reißen können. Was die Verantwortlichen angeht unterstelle ich einfach mal, dass der gute Wille immer vorhanden war. Es ist nicht so, dass jemand bewusst nachlässig gearbeitet hatte. Es war ja auch im eigenen Interesse der Verantwortlichen, dass der Verein, für den ich tätig und verantwortlich bin, auch erfolgreich arbeitet. Fehler werden überall gemacht, bei uns damals leider zu viele.
Jawattdenn.de:
Die Reform der Regionalligareform sieht vor, dass es demnächst fünf Regionalligen geben wird. Wie stehen Sie dazu?
Walter Ruege:
Zunächst mal haben wir dadurch eine größere Chance, wieder eine Klasse höher zu kommen. Zudem wird die Problematik mit den zweiten Mannschaften ein wenig entzerrt. Ich fand es ganz schlimm, dass wir in den vergangenen beiden Jahren fast nur noch gegen Zweitvertretungen spielten, von daher sehe ich die Reform eher positiv.
Jawattdenn.de:
Wenn man noch eine Stufe höher in die Dritte Liga möchte, wird man als Regionalligameister sehr wahrscheinlich nicht mehr direkt aufsteigen, sondern eine Aufstiegsrunde spielen müssen. Was halten Sie davon?
Walter Ruege:
Die finde ich nicht schlimm. Ich erinnere mich gut an die Aufstiegsrunden in den 80er Jahren in die Zweite Liga. Das waren echte Highlights mit viel Spannung und Emotionen. Klar, man kann in diesen Runden auch scheitern. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn es sie bald wieder gäbe.
Jawattdenn.de:
Glauben Sie an den Aufstieg in diesem Jahr?
Walter Ruege:
Vor der Saison hätte ich auf gar keinen Fall mit einer solchen Hinserie gerechnet. Ich bin völlig überrascht von der Entwicklung, ich hatte mit einem Mittelfeldplatz gerechnet. Abstieg war kein Thema für mich. Dass die Mannschaft mittlerweile so sicher auf einem Aufstiegsplatz steht und dabei auch noch konstant starke Leistungen abruft, ist eine Überraschung für mich und ich freue mich wahnsinnig darüber.
Jawattdenn.de:
Im Gegensatz zum Herner Trainer sehen wir kaum Mannschaften, die auch spielerisch mehr überzeugen konnten.
Walter Ruege:
Absolut! Und dazu kommt noch die jugendliche Begeisterung in der Mannschaft. Der Einsatz ist schon toll – genau das fehlte in den vergangenen Jahren.
Jawattdenn.de:
Besuchen Sie privat auch andere Fußballspiele oder gehen Sie nur zu Rot-Weiss?
Walter Ruege:
Nur zu Rot-Weiss. Ich war einmal auf Schalke, aber wirklich (!!) nur, um einmal das Stadion zu sehen. Ansonsten würde ich das nicht machen. Außerdem habe ich mir vor ein paar Jahren Dortmund gegen Bayern angeschaut, um mal ein Bundesligaspitzenspiel zu sehen. Das sind aber Ausnahmen.
Jawattdenn.de:
Achten Sie in anderen Stadien auf den jeweiligen Stadionsprecher?
Walter Ruege:
Ja, ich wollte vor vielen Jahren sogar mal öfter in andere Stadien gehen, um mal zu hören, wie und was die anderen Stadionsprecher machen. Ob man das eine oder andere auch abkupfern kann oder vielleicht Tipps kriegen kann. Das habe ich nie richtig umgesetzt, aber wenn ich also mal in anderen Stadien bin, dann höre ich beim Sprecher auch genauer hin.
Jawattdenn.de:
Haben Sie Kontakt zu anderen Stadionsprechern?
Walter Ruege:
Im Grunde nicht. Durch die schon erwähnten Veranstaltungen beim DFB trifft man sich regelmäßig, man sieht sich wieder und freut sich, von einigen wurde ich bisweilen schon als „Oldtimer“ angesehen, weil ich am längsten mit dabei war. Dort habe ich natürlich wiederkehrenden Kontakt, aber darüber hinaus im privaten Bereich nicht. In den 80ern, als es noch die Hallenturniere in der Grugahalle gab, durfte ich ein paar Mal mit Werner Hansch moderieren, später kam der Schalker Bernd Scheffel dazu. Das hatte sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es hier ebenfalls keine intensiveren Kontakte gab.
Als ich 50 wurde, haben Freunde von mir eine wunderbare Geschenkidee gehabt: Sie hatten alle Stadionsprecher der ersten und zweiten Liga angeschrieben und um einen Glückwunsch für mich gebeten. Daraus hatten sie ein tolles kleines Buch gemacht – das war eine richtig tolle Sache über die ich mich sehr gefreut habe.
Jawattdenn.de:
Herr Ruege, wir bedanken uns sehr herzlich dafür, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben!
Walter Ruege:
Ich habe zu danken!
Das Interview führten Hendrik Stürznickel und Michael Jaskolla.