Jawattdenn.de:
Wir danken Ihnen beiden, dass Sie sich für uns an diesem Abend Zeit genommen haben. Eigentlich wollten wir mit der Statistik überraschen, welcher Trainer der letzten 20 Jahre eine ähnlich erfolgreiche Bilanz vorzuweisen hat. Aber wir haben keine Saison in dieser Zeit gefunden, in der Rot-Weiss Essen nach 17 Spieltagen 40 Punkte hatte. Ist man da als Trainerteam stolz auf diese Entwicklung?

Waldemar Wrobel:
Der momentane Ist-Zustand ist für uns absolut positiv. Dies war so nicht zu erwarten, gerade mit der Vorgeschichte der Insolvenz. Von daher sind wir sehr stolz auf den bisherigen Saisonverlauf.

Michael Dier:
Das sehe ich ähnlich. Wir hatten vor der Saison überhaupt keine Erwartungen. Auch nach der Vorbereitung wussten wir nicht, wo wir genau stehen. Nach dem ersten Saisonspiel hatten wir dann einen positiven Lauf und wir haben es geschafft diesen bis heute fortzusetzen.

Jawattdenn.de:
Wir haben ein Interview vor der Saison gelesen, wo sie gesagt haben, es wäre eine Möglichkeit, Spieler mit der Aussagen zu binden, dass diese hier die Möglichkeit haben, vor 2.000-3.000 Zuschauer zu spielen. Jetzt ist die Resonanz deutlich höher. Wir bewegen uns zurzeit um die 7.000 Besucher pro Heimspiel. Ist dies auch eine Entwicklung, die man so nicht vorhersehen konnte?

Michael Dier:
Ich war bei den Gesprächen dabei und genau das haben wir ihnen auch gesagt. Dass es so eine Entwicklung mit 6.000-7.000 Leuten gibt, das konnten wir gar nicht erahnen.

Jawattdenn.de:
Beflügelt dies die Mannschaft? Die Zuschauer sind sehr gnädig geworden, selbst wenn es mal nicht so gut laufen würde, hat man das Gefühl, dass diese Mannschaft mehr Kredit hat als vorherige.

Michael Dier:
Die Spieler sagen selbst, dass das Publikum sie unglaublich puscht. Selbst wenn der Ein oder Andere mal nicht so einen guten Tag hat, ist er plötzlich zu ganz anderen Leistungen fähig. Man darf allerdings nicht vergessen, dass auch der Gegner, wenn er gegen uns spielt, zu anderen Leistungen fähig ist. In Schermbeck hatten die Spieler auch ein Heimspiel vor 3.000 Zuschauer. Die spielen nächste Woche auch wieder anders, wenn sie nur vor 150 Zuschauern spielen.

Waldemar Wrobel:
Es ist auch nicht normal für die Liga, in der wir uns gerade befinden, dass der Support zu überragend ist. Man darf ja nicht nur die Heimspiele sehen, sondern auch was auswärts passiert. Wie Michael gerade sagte, wir haben in Schermbeck vor 3000 Leuten gespielt, wo beide Seiten in rot-weißer Hand waren. Das ist eine Geschichte, die die Jungs unheimlich puscht. Es ist darüber hinaus eine Verpflichtung gegenüber den Leuten. Wir haben uns vom ersten Tag an auf die Fahne geschrieben, dass wir auch Spiele verlieren dürfen und mal schlecht spielen können, aber wir müssen den Leuten zeigen, dass wir jederzeit bereit sind das rot-weiße Trikot schmutzig mit nach Hause zu bringen. Das haben die Jungs bis dato sehr präzise umgesetzt.

Jawattdenn.de:
Was bei der Mannschaft den Zuschauer auffällt ist das Gefühl, dass da wirklich ein „Team" auf dem Platz steht. Im modernen Fußball, wo sehr viel gewechselt wird und Fußball immer mehr zum Beruf verkommt, ist diese Mannschaft eine sehr positive Erscheinung. Unterstützt man dies als Trainerteam aktiv oder läuft dies von alleine, da viele Spieler sich aus der Jugend schon kennen?

Waldemar Wrobel:
Wir nehmen das genauso wahr wie die Fans. Auch wir sind ein Teil dieser Mannschaft. Hier hat sich ein sehr gut funktionierendes Kollektiv von 1 bis 25 gefunden. Dafür haben wir bei der Zusammenstellung des Teams mit gesorgt. Wir haben nur Leute geholt, die wir persönlich kennen oder die uns von Leuten, denen wir vertrauen, angeraten wurden. Das Ergebnis lautet: Leidenschaft kann Qualität schlagen. In der Liga sind wir mit Sicherheit nicht das beste Team bezüglich der Individualisten, aber unterm Strich sind wir bis dato eine sehr gute Mannschaft geworden. Es liegt an Kleinigkeiten. Die Jungs kommen vor dem Training sehr früh, bleiben sehr lange, unternehmen privat viel zusammen und verstehen sich auch außerhalb des Platzes sehr gut. Dies sieht man im Wettkampf.

Michael Dier:
Das sieht man vor allem beim Training. Die Trainingsbeteiligung ist sehr hoch und selbst wenn die Jungs verletzt sind, kommen sie her. Hier ist keiner, der zu spät kommt, es sind alle pünktlich beim Treffpunkt da und bleiben lange. Das ist schon was Besonderes.

Jawattdenn.de:
Wie schwierig ist es, bei einem solchen unerwarteten Saisonverlauf die Mannschaft „auf dem Teppich" zu halten? Letzte Woche gewinnt man sensationell 4:1 gegen Wuppertal und fährt als Favorit zum krassen Außenseiter Schermbeck. Da muss es doch schwer sein, so eine Mannschaft auf den Boden der Tatsachen zu holen oder sorgen die Jungs schon selbst dafür?

Michael Dier:
Nach so einem Spiel wie gegen Wuppertal ist das schwieriger als sonst. Wir können nur ständig darauf hinweisen. Am Freitag folgt das Spiel gegen Rhynern, was unter ähnlichen Voraussetzungen stattfindet. Allerdings haben wir ein Heimspiel und bessere Bodenverhältnisse als in Schermbeck.

Waldemar Wrobel:
Auf der anderen Seite kann man so ein Spiel wie das gegen Wuppertal auch positiv sehen. Wir haben es geschafft, als Underdog den WSV zu schlagen. Warum sollte also eine Mannschaft, die hinter uns in der Liga steht, es nicht auch schaffen, uns zu schlagen? Wir versuchen die Jungs dahingehend immer wieder zu sensibilisieren und sie setzen das bisher sehr gut um. Aber es gibt dafür keine Garantien.

Jawattdenn.de:
Fangen wir mit Ihrem persönlichen Werdegang an der Hafenstraße an, Herr Wrobel. Sie sind 2007 als Teamkoordinator nach Essen geholt worden.

Waldemar Wrobel:
Ich habe damals unter Heiko Bonan und Ralf Aussem Koordinationstraining gemacht. Außerdem habe ich mit den verletzten Spielern gearbeitet oder mit anderen Spielern, die Defizite hatten. Im koordinativen Bereich habe ich für diese Spieler das Training übernommen.

Jawattdenn.de:
Wie kam der Kontakt zu RWE überhaupt zustande?

Waldemar Wrobel:
Ich habe mit Heiko Bonan zusammen den Fußballlehrerschein gemacht und wir kannten uns deshalb schon länger. Ich wohne hier relativ in der Nähe und so hat man mich gefragt, ob ich in dieser Form etwas machen könne.

Jawattdenn.de:
Später hat Karlheinz Pflipsen das Traineramt der U23 abgegeben und Sie sind nachgerückt. War sofort klar, dass Sie das als interne Lösung machen werden?

Waldemar Wrobel:
Thomas Strunz war sportlicher Leiter und Michael Kulm Cheftrainer. Ich war mit Ralf Aussem im Trainerteam und ich sollte nach dem Ausscheiden von Karlheinz Pflipsen das übergangsweise machen. Aus dieser Lösung wurde dann das dauerhafte Engagement für die U23 und aus diesem dauerhaften Engagement wurde immer Sommer das Traineramt für die Erste Mannschaft.

Jawattdenn.de:
Dies war ein Vertrauensbeweis vom Vorstand? Es stand immerhin sehr früh fest, dass sie das übernehmen sollen.

Waldemar Wrobel:
Es war im Sommer für alle Beteiligten eine schwierige Situation und mit dieser Lösung konnten alle leben. Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass es zu dieser Lösung gekommen ist. Es ist schon eine geile Geschichte, bei Rot-Weiss Essen gemeinsam mit Michael diese Aufgabe wahrzunehmen. Mir macht es sehr viel Spaß, aber es ist auch eine riesige Verantwortung bei diesem Support von den Leuten. Dieser Aufgabe stelle ich mich aber gerne.

Jawattdenn.de:
Karl-Heinz Pflipsen hat damals hier entnervt hingeschmissen. Er hat als Begründung für das Ende seiner Tätigkeit angegeben, dass die Rahmenbedingungen für die Zweite Mannschaft überhaupt nicht passen. Haben Sie das auch so erlebt?

Waldemar Wrobel:
Es ist nicht meine Aufgabe, über meine Kollegen zu sprechen...

Jawattdenn.de:
So war die Frage auch nicht gemeint...

Waldemar Wrobel:
... fakt ist, dass, wenn man sich auf den Verein Rot-Weiss Essen einlässt, die Rahmenbedingungen hier klar umrissen sind. Dass es Vereine gibt, wo diese besser sind, ist klar, es gibt aber auch Vereine, da sind diese Rahmenbedingungen wesentlich schlechter. Was wir hier vorfinden gefällt uns, es macht uns Spaß, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Es ist halt der Mythos der Hafenstraße. Das ist das, was diesen Klub ausmacht. Schickimicki und Hochglanz, das sind nicht wir und das brauchen wir auch nicht. Deshalb identifizieren wir uns damit. Natürlich gibt es immer Verbesserungsmöglichkeiten, aber dass es aus unserer Sicht überhaupt nicht geht, davon sind wir weit weg.

Michael Dier:
Wir wissen, worauf wir uns hier eingelassen haben und was uns hier erwartet. Da müssen wir halt über die Baustelle zum Trainingsplatz.

Jawattdenn.de:
Oder im Herbst auf einem Platz trainieren, bei dem die Drainage defekt ist...

Michael Dier:
Das sind Dinge, die sich so schnell nicht ändern lassen.

Jawattdenn.de:
In einem Interview mit Markus Kurth vor etwa einem Jahr sagte er uns, dass das gesamte Umfeld nur mit hängenden Köpfen hier herumschleicht und dass kaum einer grüßt bzw. mal lächelt auch aufgrund der schwierigen Situation. Hat sich dies im Laufe der Saison im Positiven geändert?

Waldemar Wrobel:
Es ist mit Sicherheit so, dass diese Situation wesentlich besser ist als die, die wir im Sommer hier vorfanden. Aber Kurthi sprach über die Phase davor. Dazu kann und will ich nichts sagen. Fakt ist, dass wir eine schwere Phase gehabt haben und man muss sehr deutlich sagen, dass diese schwere Phase noch lange nicht abgearbeitet ist. Wir haben immer noch die laufende Planinsolvenz. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg.

Jawattdenn.de:
Nun zu Ihnen, Herr Dier. Wann genau stießen Sie in das Trainerteam von Waldemar Wrobel?

Michael Dier:
Ich kam im letzten Sommer in das Trainerteam. Ich kannte Waldemar Wrobel schon vorher. In den kommenden Gesprächen hat man sich dann sehr schnell mit mir geeinigt.

Waldemar Wrobel:
Ich wollte Michael unbedingt dabei haben. Zunächst hat er ein wenig rumgezickt (lacht). Er will es wahrscheinlich gar nicht sagen, aber Michael würde, wenn er nicht mit mir hier arbeiten müsste, bei den Heimspielen von RWE in der Kurve stehen. Von daher ist es für ihn eine Herzensangelegenheit.

Michael Dier:
Ich wusste, dass es sehr zeitintensiv ist und ich musste überlegen, ob ich mir das antun soll. Aber schließlich habe ich zugesagt und stehe voll hinter der Sache.

Jawattdenn.de:
Gehen wir noch einmal zurück in die Zeit, in der die Insolvenz für den Verein feststand. Sie mussten irgendwie versuchen mit Damian Jamro diese Mannschaft zusammenzustellen. Wie muss man sich eine solche Situation vorstelle, bei der man nicht weiß, ob es überhaupt weitergeht mit dem Verein?

Waldemar Wrobel:
Wenn man hier ins Detail gehen würde, müssten wir den heutigen Rahmen sprengen. Wir hatten das Mandat vom Verein und es blieb uns wenig Zeit, eine Mannschaft zusammenzustellen. Es war nicht einfach. Wir hatten viele Spieler die wir aus der U23 kannten und wir entschieden uns für Spieler, die wir aus unserer Vergangenheit kannten, z. B. aus Sichtungsmaßnahmen von früher.

Wir haben mit vielen Spielern gesprochen, sehr viele haben abgelehnt und wollten nicht, weil sie glaubten oder immer noch glauben, dass hier utopische Summe gezahlt werden. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass die Spieler die heute hier sind, sich sehr früh, sehr deutlich und sehr vehement für diesen Klub entschieden haben. Das ist eine Charakterfrage. Zurück zu den Themen „Charakter" und „Team": das sind alles Jungs, die vielleicht woanders hätten spielen und mehr Geld verdienen können, aber sie haben sich für den Mythos entschieden. Deshalb ist diese Mannschaft auch so wertvoll.

Jawattdenn.de:
Im Winter gab es mit Benedikt Koep nur einen Neuzugang. Der schlägt gleich von 0 auf 100 ein, erzielt zwei Tore gegen Wuppertal und den Siegtreffer gegen Schermbeck. Man hat auch das Gefühl, dass Benedikt Koep menschlich zu dem Team passt. Wie kamen Sie auf ihn?

Michael Dier:
Das Menschliche ist der entscheidende Faktor. Wir hatten ihn und ein paar andere Spieler zum Probetraining hier. Während der laufenden Saison haben wir es vermieden, Spieler zum Probetraining einzuladen, obwohl uns ständig Leute angeboten wurden. Aber es lief gut und wir brauchten niemanden zusätzlich. Wenn wir mal Leute hatten passte es meist nicht, aber Benedikt Koep passte sowohl menschlich als auch in der sportlichen Präsentation zu uns. Da wussten wir genau, wir können nichts verkehrt machen. Wie es im Augenblick für ihn läuft, ist natürlich der absolute Wahnsinn.

Waldemar Wrobel:
Es gibt unterschiedliche Beweggründe, jemanden zu verpflichten. Er ist sportlich von Nöten, man hat Verletzungspech oder es gibt irgendwen, den man unbedingt verpflichten will. Aber wir waren sportlich in der Spur und es gab keine großartigen Verletzungen. Im Gegenteil Kerim Avci und Damir Ivancicevic kommen zurück, Suat Tokat und Kevin Lehman sind zurückgekommen. Wir haben uns ganz bewusst für Benedikt Koep entschieden, weil er die von uns geforderten Charaktereigenschaften mitbringt. Wir kannten ihn und er wurde von sehr vertrauenswürdigen Leuten empfohlen. Alles andere, was uns den Laden strubbelig macht, hat hier nichts zu suchen. Deshalb auch nur eine Neuverpflichtung, denn wir vertrauen ganz bewusst den Bengels die hier herumlaufen.

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