Interview mit Vincent Wagner

veröffentlicht am 21.08.2010 um 20:25 Uhr

Vincent Wagner ist mittlerweile einer der dienstältesten Spieler im RWE-Kader. Mit Jawattdenn.de blickt er zurück auf seine Anfänge als Profi, seine lange Verletzungsmisere, die Insolvenz und spricht über die Chancen des Neuaufbaus in der NRW-Liga. Viel Spaß mit diesem ausführlichen Interview.


Jawattdenn.de:
Hallo Vincent! Wie ist die Stimmung innerhalb der Mannschaft nach dem erfolgreichen Auftakt am vergangenen Freitag?

Vincent Wagner:
Erst einmal vorneweg, die Stimmung ist wirklich sehr gut. Alle sind begeistert gewesen von dem Stadion und den Fans. Ihr seid ja sicherlich auch da gewesen. Es war absolut beeindruckend, wie wir die ersten siebzig Minuten durchgehend unterstützt wurden. Als wir dann ein wenig k. o. waren, wurden die Fans auch ein wenig müder, was aber völlig verständlich ist. Danach war es aber wie in einem Drehbuch, besser hätte der erste Spieltag nicht laufen können.

Die Stimmung zurzeit ist zwar super, aber bei allem Respekt für Homberg dürfen wir dieses Spiel nicht überbewerten. Der Trainer hat uns direkt zurechtgewiesen und gesagt, dass wir trotz ordentlichem Training noch intensiver arbeiten müssen. Wir wissen alle, dass dies "nur" Homberg war, Velbert ist vom Namen her schon ein anderer Gegner.


Vincent WagnerJawattdenn.de:
Du bist mittlerweile einer der dienstältesten Spieler bei RWE. Im Sommer 2007 bist Du nach dem Abstieg in die dritte Liga nach Essen gekommen. Bei deinem vorherigen Verein in Schwerin warst Du Torschützenkönig in der Verbandsliga. Welche Erwartungen hattest Du bei Deinem Wechsel an die Hafenstraße?

Vincent Wagner:
Ich habe mich einfach auf professionellen Fußball gefreut. Ein halbes Jahr lang habe ich das auch miterleben dürfen. Der Saisonstart war alles andere als prickelnd, aber erst einmal hatten wir ja acht Wochen Vorbereitung. Wir hatten keinen Tag frei, und so verbrachte ich viel Zeit mit Leuten wie Rolf-Christel Guie-Mien oder Sercan Güvenisik. Ich hatte in dieser Zeit viel Konkurrenz im Sturm.

In diesem Regionalligajahr waren ca. 25 Vollprofis beschäftigt, einer verdiente mehr als der andere. Die Qualität der Mannschaft war ja vermeintlich hoch. Das Training hat richtig Spaß gemacht, wir haben zwei- bzw. dreimal am Tag trainiert und acht Wochen Vollgas gegeben. Zwar ging es nicht gut los in der Liga, aber das Pokalspiel war dafür sehr geil. Am Ende der Hinrunde sind wir dann auch endlich wieder in die Spur gekommen, wir waren voller Erwartungen, dass es in der Rückrunde zu einer Aufholjagd kommt und wir so richtig durchstarten können. Wir waren ja zu diesem Zeitpunkt Zehnter in der Liga und hatten die letzten Spiele bis auf die Niederlage bei Regen und eisiger Kälte in Oberhausen alle gewonnen.


Jawattdenn.de:
Zu diesem Zeitpunkt war RW Ahlen einen Platz hinter RWE und stieg am Ende auf.

Vincent Wagner:
Ja genau, wir waren Zehnter und Ahlen Elfter. Aber leider war ich ja zur Rückrunde nicht mehr dabei.


Jawattdenn.de:
Du sprichst es ja schon an, im DFB-Pokal wurdest Du schnell zum „Elfmeterhelden“ gegen Energie Cottbus.

Vincent Wagner:
Das war natürlich geil, besonders wenn Du gerade aus der fünften Liga nach Essen gekommen bist. Genauso wie das Spiel im Signal Iduna Park, wo ich auch eine Halbzeit spielen durfte. In Düsseldorf durfte ich noch länger spielen, und das sogar vor 30.000 Zuschauer. Das war absoluter Wahnsinn.


Jawattdenn.de:
Wie ist es dann dazu gekommen, dass Du nicht mehr zum Einsatz in der ersten Mannschaft kamst?

Vincent Wagner:
Das ist ganz einfach, ich war verletzt. Das hat aber nach außen keiner richtig mitbekommen. Am Anfang der Hinrunde hatten der Verein mit Markus Kurth und Andre "Schleich" Lindbaeck noch einmal auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Ich hatte zwei Jahre lang nicht mehr professionell Fußball gespielt, war beim Bund und hatte ein Studium begonnen. Da konnte ich nur höchstens dreimal die Woche trainieren, diese Umstellung war schon sehr hart. Ende Oktober kam ich in ein absolutes körperliches Tief hinein, anderthalb Monate war ich dann erst einmal vom Team weg. Als die Rückrunde los ging war ich wieder fit und kam aus meinem Loch heraus. Heiko Bonan war zu diesem Zeitpunkt unser Trainer und versicherte mir, dass ich bei einem intensiven Training wieder Chancen habe zu spielen.

Nach zwei Wochen bin ich leider beim Training umgeknickt und hatte große Schmerzen im Knöchel. Nach drei bis vier Wochen habe ich dann wieder angefangen zu trainieren, aber die Schmerzen blieben. Das alles war recht kompliziert. Zunächst hatte ich einen Faserriss an der rechten Seite, da war ich vier Wochen raus, dann einen Faserriss an der linken Seite, schon wieder vier Wochen Pause. In dieser Zeit ging die Meisterschaft natürlich weiter, und die sportliche Katastrophe nahm ihren Lauf. Absoluter Tiefpunkt für mich war die Niederlage zu Hause gegen Babelsberg, aber da gab es noch genügend andere schlimme Spiele.

Sportlich konnte ich zu diesem Zeitpunkt der Mannschaft auch nicht weiterhelfen. Um ein Zeichen zu setzen wurde dann ja auch noch Paul Jans verpflichtet. Aus disziplinarischen Gründen wurde ich dann auch noch in die zweite Mannschaft versetzt, obwohl ich mir nichts zu Schulden kommen lassen habe. Dies geschah auch mit der Begründung, dass ich eh verletzt sei und man nur mit einem engen Kreis von etwa 16 Spielern die Aufholjagd schaffen will. Nach meiner Versetzung in die zweite Mannschaft hatte ich auch noch einen gebrochenen Innenknöchel, dennoch habe ich unter höllischen Schmerzen versucht weiter Fußball zu spielen. Der Arzt stellte bei der Untersuchung im April fest, dass der Innenknöchel sogar an zwei Stellen gebrochen war.

Elfermeterheld im Pokal gegen CottbusIm Juni habe ich mich dann operieren lassen. Mit dieser Verletzung hatte ich also in der zweiten Mannschaft gespielt, unter Michael Kulm durfte ich auch noch zweimal auflaufen. Ich muss auch sagen, dass ich schlecht gespielt habe, was aber natürlich mit den Verletzungen zusammen hing. Ich bin ein Spieler, der über den Körpereinsatz spielt, wenn ich nur 95%-ig fit bin, reicht das einfach nicht aus, auch nicht für die Verbandsliga. Herr Kulm hatte keine hohe Meinung von mir, als er Trainer der ersten Mannschaft wurde, hat er mich auch nicht mehr für den A-Kader berücksichtigt. Nach meiner Operation durfte ich acht wochenlang gar nichts machen und den Fuß nicht belasten.

Im linken Knie hatte ich dann während dieser Zeit auch noch eine Knochenwucherung mit einer entzündeten Kapsel. Dort musste ich dann auch noch einmal operiert werden. Das alles zog sich bis zum Winter hin. Mittlerweile war Karlheinz Pflipsen Trainer der zweiten Mannschaft, dort habe ich dann langsam wieder angefangen, Fußball zu spielen. Ein weiteres Problem war aber die fehlende Physiotherapie, da meine Verletzung kein Fall für die Berufsgenossenschaft war. Die gesetzliche Krankenkassenpflege ist da schon anders, ich wurde nicht wieder professionell an den Fußball heran geführt. In der Rückrunde gab es dann den Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung, und schon war mein zweites Jahr in Essen vorbei.

Am Ende konnte ich noch drei oder vier Spiele mitmachen. So konnte ich Damian (Jamro, Anm. der Red.) davon überzeugen, dass ich vielleicht für die zweite Mannschaft doch noch gewinnbringend sein kann. Ich war aber anderthalb Jahre nur verletzt und so konnte ich nur ganz langsam wieder anfangen. Eine Grundregel besagt, dass man mindestens genau so lange braucht, um wieder fit zu werden, wie man verletzt ist. Wenn man also ein gutes Jahr verletzt war, braucht man wieder ein Jahr, um wieder richtig fit zu sein. In der Hinrunde im letzten Jahr hatte ich dann viele Probleme muskulärer Art, da an den Beinen keine Muskelmasse mehr war.

Zudem hatte ich nach dem Training immer wieder Kreislaufprobleme. Wenn Du so lange ausfällst und dann wieder voll einsteigst, tauchen diese Probleme immer wieder auf. Ich war also weiter angeschlagen. In der Rückrunde wurde ich dann in die Innenverteidigung versetzt. Dort spielte ich auch, als wir gegen den Spitzenreiter aus Wiedenbrück 3:1 gewonnen haben. Danach ging es wieder bergauf. Wahrscheinlich war ich nicht mehr so oft verletzt, weil man in der Innenverteidigung nicht so viel laufen muss (lacht). Nur zwei Zerrungen hatte ich in der Rückrunde, das ist für mich eine gute Bilanz. In der letzten Vorbereitung habe ich fast alle Trainingseinheiten voll mitgemacht, ein- oder zweimal etwas dosierter als die anderen. Ein wenig vorsichtig muss ich noch sein, aber ich bin auf einem guten Weg.


Jawattdenn.de:
Bei dieser ganzen Leidensgeschichte, denkt man da nicht über ein Karriereende nach?

Vincent Wagner:
In der Hinrunde der letzten Saison habe ich schon darüber nachgedacht. Ich bin nicht depressiv geworden, dass passiert einigen Spielern ja auch. Wenn Du die ganze Vorbereitung mitmachst und alles gut aussieht, plötzlich aber in dem letzten Training vor dem ersten Saisonspiel die Adduktoren gezerrt werden und Du wieder fünf Wochen ausfällst, dann hast Du mal einen ganz schlimmen Abend zu Hause. Beispielsweise in der letzten Saison hatten wir sechs gute Spiele hintereinander, alles lief wunderbar. Dann kommt das Heimspiel gegen Schermbeck, immer noch läuft alles gut, aber nach 20 Minuten ist plötzlich wieder der Oberschenkel gezerrt.

Wir hatten das Spiel zwar gewonnen, aber ich hatte einen dicken Hals. Es gibt zwar wichtigere Dinge im Leben, aber da bin ich schon fertig nach Hause gefahren. Ich habe mich dann auf die Couch gelegt und mir 24 Stunden lang irgendwelche Filme angeschaut, die ich schon immer mal sehen wollte. Zwischendurch habe ich chinesisches Essen bestellt und mich den ganzen Tag nicht mehr bewegt. Irgendwann kam meine Frau nach Hause und dann ging das Leben ganz normal wieder weiter. Das möchte ich auch keinen verwehren, einen Tag kann man ruhig einmal den Kopf in den Sand stecken. Danach geht der Kopf wieder hoch und es wird wieder angegriffen. Wenn man es nicht wieder versucht kann es auch nicht klappen. Hätte ich vielleicht wegen der langen Leidenszeit aufgehört, hätte ich nie so einen schönen Tag wie den letzten Freitag gehabt. Dafür lohnt es sich auf jeden Fall.


Vincent WagnerJawattdenn.de:
Wie schon erwähnt wurdest Du in der letzten Saison zum Innenverteidiger umfunktioniert. Hast Du nicht den Drang als ehemaliger Stürmer vorne zu stehen und die Tore zu schießen?

Vincent Wagner:
Natürlich, sonst müsste ich lügen. Gerade am letzten Freitag kriegst Du eine Krise, wenn Du so viele Chancen hast und das Ding einfach nicht rein geht. Ich habe es aber ja auch mit einem Kopfball versucht. Du hast halt immer noch den Offensivdrang und bist froh, wenn Du bei einem Eckball oder einem Freistoß wieder vorne stehen kannst. Wenn es noch einen Einwurf nach einer Standardsituation gibt, bleibe ich in der Regel ja auch noch vorne. Im Spiel selbst gehe ich eher selten nach vorne, den Punkt muss ich in meinem Spiel noch verbessern. Ich habe ja auch eine Gesamtverantwortung für die ganze Truppe. Man hat es in der letzten Rückrunde gesehen, dass, wenn ich an meinem eigenen Sechzehner stehe, trotz meines Holzfußes in der Regel kein Tor fällt. Sobald ich aber meine Position verlasse und mich woanders hinbewege, sind wir relativ anfällig, weil die Ordnung dann fehlt. Das weiß ich auch und da gehört Disziplin dazu.

Wenn ich mich einmal vorne einschalte, sichern natürlich auch andere für mich ab, das hat man auch am Freitag gesehen. Irgendwann haben die Homberger keine hohen Bälle mehr auf mich gespielt und ich habe mich ins Mittelfeld vorgeschoben, so dass Timo Brauer für mich abgesichert hat. Das Schöne ist ja auch, dass man nach einer so langen Leidenszeit mal eine Zeit lang nicht verletzt ist. Es hört sich zwar platt an, aber selbst wenn Du „nur“ in der Kreisliga spielst und nie verletzt warst, weißt Du gar nicht wie gut es Dir geht. Du weißt es einfach zu schätzen, wieder Fußball spielen zu können. Ich bin ein Spielertyp, der sich auch gerne mal reinwirft und auch einmal eine Grätsche auspackt. Also ist die Position in der Verteidigung auch nicht schlecht für mich. Vorne ist das Tore schießen schön, hinten das Weggrätschen eines Gegners oder Gewinn eines Kopfballduells. Genauso freue ich mich, wenn ich von hinten einen 50-Meter-Traumpass à la Lothar Matthäus spielen kann. Das macht auch Spaß und ich bin nach der langen Verletzungszeit einfach nur glücklich, dass ich wieder Fußball spielen kann.


Jawattdenn.de:
Manchmal schießt man ja auch als Innenverteidiger mal ein Tor…

Vincent Wagner:
Wenn ich ehrlich bin, dachte ich auch mein Kopfball am Freitag geht rein (lacht). Man hat ja ein Gespür dafür, ob man den Ball gut trifft oder nicht. Die Richtung war gut und ich sehe noch, wie er an den sieben Hombergern vorbeigeht und der Torwart ihn auf der Linie hält.


Jawattdenn.de:
Gehen wir einmal zurück zum Ende der letzten Saison. Wie hast Du als Spieler von der Insolvenz des Vereins erfahren?

Vincent Wagner:
Bislang musste man bei Rot-Weiss Essen keine Angst haben, sein Geld nicht zu bekommen. Ich bin jetzt in meinem vierten Jahr hier, und man muss ja sagen, sportlich ging es in diesen Jahren immer bergab. Das Geld gab es trotzdem immer pünktlich, abgesehen in einem Monat im letzten Winter, wo die Insolvenz kurz bevor stand und die Sponsorengelder vorgezogen wurden. Danach wurden aber weiter die Gehälter bezahlt. Ich habe von der Insolvenz genauso wie ihr durch die Medien erfahren. Nur der Vorstandskreis wusste genau, wie es aussieht. Dass wir die Bürgschaft brauchten, wussten weder Spieler noch die meisten Geschäftsstellenmitarbeiter.

Ich hätte ja nächstes Jahr in der Regionalliga gespielt. Der Plan mit dem eigentlichen Trainer Hyballa war ja, natürlich auch aus finanzieller Sicht, mit kostengünstigeren Spielern ein Team zu bilden. Ich hatte mich durch meine Leistungen als Innenverteidiger in der zweiten Mannschaft angeboten und war fest eingeplant. Ich wusste also nach einem Gespräch mit Herrn Hyballa, wie alles aussehen sollte und habe dann ganz normal meinen Sommerurlaub angetreten. Es war ein toller Urlaub in Las Vegas, und nachdem ich meinen Urlaub um einen Tag verkürzt hatte, stand zwei Tage später fest, dass wir keine Lizenz bekommen. Peter Hyballa hatte man bis zu diesem Zeitpunkt immer wieder versichert, dass alles schon irgendwie gut geht. Aber dann ist es leider doch nichts mit der Lizenz geworden.


Jawattdenn.de:
Dann ist der Nichterhalt der Lizenz ja auch ein persönlicher „Abstieg“ für Dich, weil Du ja fest für den Regionalligakader eingeplant warst.

Vincent Wagner:
Das läuft sportlich anscheinend immer so für mich seitdem ich in Essen bin (lacht). Natürlich ist das aus sportlicher Sicht ein Abstieg für mich.


Jawattdenn.de:
Ist das nicht auch eine große persönliche Enttäuschung, wenn die Kommunikation im Verein so abläuft? Spielt man da auch nicht mit dem Gedanken, den Verein zu verlassen?

Vincent Wagner:
Wie ich das schon einmal sagte, ich fühle mich hier sehr wohl. Der Verein besteht ja nicht nur aus dem Vorstand. Es wurden zwar Fehler gemacht, aber das ganze Dilemma hat nicht nur der Verein zu verantworten. Vor zwei Jahren wurde der Plan mit dem Verein und der Stadt aufgestellt, dass man mit Herrn Strunz und Aufsichtsratsmitglied Herrn Brückemeyer zurück in die Zweite Liga kommen wollte. Der Vorstand um Stefan Meutsch sollte ja nur noch eine beobachtende Funktion haben. Der Stadt war ja bewusst, dass man eine Millionendeckung brauchte bis man zurück in der Zweiten Liga ist. Mit dem neuen Oberbürgermeister der Stadt und der Entlassung von Thomas Strunz wollte keiner mehr etwas davon wissen. Plötzlich stellt sich der Oberbürgermeister Paß im Winter hin und sagt, es würden Millionen im Haushalt fehlen. Es hat aber keine neue Deckungslücke gegeben, die zwei Millionen fehlten ja von Anfang an.

Mir kann ja keiner erzählen, dass die Stadt auf einmal nichts mehr davon wüsste. Solange wir nicht in der Dritten oder Zweiten Liga spielen, musste man mit diesen Einbußen rechnen, deshalb hat die GVE in diesem Fall die Bürgschaft übernommen. Deshalb kann man dem Vorstand nicht konkret die Schuld zuschieben. Der neue Oberbürgermeister kann sagen, es fehlen die zwei Millionen und er wüsste nichts davon, dass ist ja das Schöne an seiner Position.

Im Winter hat der damalige Vorstand alles versucht, z. B. wurde Sascha Mölders verkauft bzw. verschenkt. Die Qualität von Sascha Mölders steht ja hier nicht zur Debatte, aber Du kannst von seinem Geld die komplette heutige Mannschaft finanzieren. Er war zwar eine Liga höher richtig gut, aber das Geld war überhaupt nicht da, um ihn zu bezahlen. Wir haben uns einen guten Zweitligaspieler hier geleistet, nur um in der vierten Liga einen Torjäger zu haben. Dass ein Torjäger alleine nicht den Aufstieg bringt, hat man dann auch irgendwann gemerkt.


Vincent WagnerJawattdenn.de:
Gab es innerhalb der Mannschaft Neid auf Sascha Mölders?

Vincent Wagner: Das kann ich nicht genau sagen, in dieser Zeit war ich in der Mannschaft nicht involviert.  Aber das gesamte  Team ist entscheidend, dass hat man auch wieder bei der vergangenen Weltmeisterschaft gesehen. Natürlich sind einige Spieler richtig gut, aber nur Einzelspieler im Team zu haben, bringt nicht den Erfolg. Man muss mal abwarten, was beispielsweise Lotte in der Regionalliga macht, die versuchen ja den „rot-weißen“ Weg zu gehen. Vielleicht schaffen sie den Aufstieg, aber es ist ein verdammt schmaler Grat. Solche Mannschaften schaffen es in den seltensten Fällen nach oben. Wir versuchen dieses Jahr, das „Team“ in die Waagschale zu werfen.

Das hat uns in der zweiten Mannschaft in der letzten Rückrunde ausgezeichnet. In keinem Spiel konntest Du jemanden rausnehmen, der richtig schlecht gespielt hat. Sicher kann man mal den Lukas Lenz lobend erwähnen, wenn er mal drei Tore macht, oder der Alexander Thamm, der am letzten Freitag als Innenverteidiger so ein geiles Tor in der Schlussphase macht, diese Spieler sind dann auch die Helden des Spieltages. Aber im Endeffekt kann man niemanden negativ, aber auch niemanden positiv hervorheben. Wir sind einfach eine homogene Truppe. Man hat ja auch in der Vorbereitung gesehen, dass die Mannschaft nicht nur aus Sascha Mölders bestand, was gut oder schlecht sein kann. Ich habe in der letzten Saison die Stadionzeitung in der Hand gehabt und die Tore gezählt, da fehlten plötzlich satte 14 Tore. Irgendwann fiel mir ein, dass ja Sascha Mölders in der Hinrunde so viele Tore gemacht hat. Das waren über die Hälfte aller Tore für RWE bis zu diesem Zeitpunkt. Das ist ja auch gut, in Schwerin war das bei mir auch nicht anders, aber für die Entwicklung einer Mannschaft möglicherweise auch kontraproduktiv. Bei uns kann jeder ein Tor schießen, egal ob Innenverteidiger oder Stürmer.


Jawattdenn.de:

Wenn wir noch einmal auf Thomas Strunz zu sprechen kommen, war es aus Deiner Sicht ein Fehler, ihn zu entlassen?

Vincent Wagner:
Schwer zu sagen, ich war ja in dieser Zeit auch nur Zuschauer. Wir hatten direkt am Anfang der Saison drei oder vier Spiele verloren und mit Hängen und Würgen irgendwo einen Punkt geholt. Und das bei einer Mannschaft, die für diese Liga ein überdurchschnittliches Potential haben sollte. Ich bin kein Freund von Schnellschüssen, aber aus rein sportlicher Sicht war es absolut berechtigt ihn zu entlassen. Natürlich hing der ganze Masterplan des Vereins an seiner Person, aber es war ein Fehler, ihn auf der Bank sitzen zu lassen. Das ist aber keine große Erkenntnis, jeder weiß, wie gefährlich der Trainerstuhl bei Rot-Weiss Essen ist. Aber es musste schnell der Erfolg da sein, hier hätte sich niemand mit dem Klassenerhalt zufrieden gegeben. Wenn Essen nicht gerade in der ersten Liga spielt, muss man direkt wieder aufsteigen. Grundsätzlich ist das nicht verkehrt, wir sind ja in der fünften Liga angekommen und spielen trotzdem vor knapp 6.500 Fans. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, dass die Fans was Besseres als die fünfte Liga verdient haben.

Aber es gehört eben mehr dazu, als nur teure Spieler zu verpflichten. Aus sportlicher Sicht war die Entscheidung seiner Entlassung richtig, aus der gesamten Situation des Vereins ist dies schwer zu beurteilen. Der Fehler ist schon vorher passiert. Er hätte einfach nicht Trainer werden dürfen. Jeder ist zurzeit auf dem „Magath“-Trip, am besten soll einer alles machen. Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Er hätte doch ganz einfach sportlicher Leiter bleiben können, in dieser Position hatte er genug Einfluss auf das sportliche Geschehen. Wenn er gesagt hat: "Der Spieler X oder der Spieler Y spielt jetzt", dann hat der auch gespielt. Wenn er dem Trainer einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hat, dann ist das auch passiert. Er brauchte sich nicht in die vorderste Front stellen. Er wollte das aber so.

Man weiß aber auch nicht, wie das Verhältnis zwischen ihm, Stefan Meutsch und Herrn Bückemeyer war. Auch wie die Absprachen unter den Dreien waren wissen wir nicht. Da bin ich auch außen vor, aber das ist alles vorbei und damit auch egal. Mit der Insolvenz ist das Kind in den Brunnen gefallen. Für mich persönlich ist das aus sportlicher Sicht auch sehr bitter, aber für den Verein ist das wahrscheinlich nicht das Schlechteste...


Jawattdenn.de:
… vorausgesetzt das Insolvenzverfahren verläuft positiv für Rot-Weiss Essen.

Vincent Wagner:
Am Montag ist die Gläubigerversammlung ja auch positiv verlaufen. Es wäre schön, wenn RWE seit 20 Jahren mal wieder schuldenfrei wäre und nicht mehr einen riesigen Schuldenberg vor sich herschieben müsste.


Jawattdenn.de:
Hat man jetzt auch als Spieler das Gefühl, dass ein „frischer Wind“ durch den Verein weht?

Vincent Wagner:
Das hat man deutlich im Stadion am Freitag gesehen. Ich bin jetzt dreieinhalb Jahre hier und habe selten so eine positive Stimmung, auch bei den Zuschauern, erlebt. Die Fans merken ja, wenn wir uns den Hintern aufreißen. Stellt euch vor, was losgewesen wäre, wenn wir gegen Homberg 0:0 gespielt hätten. Da hätten alle eine Krise bekommen. Der Ball wird gefühlte 66-mal auf der Linie geklärt. Es war ja nicht so, dass das nur Unvermögen war, sondern auch wirklich viel Pech. Entweder der Homberger Torwart hält ihn überragend oder ein Abwehrspieler kratzt ihn so eben von der Linie. Am Ende wären alle wieder deprimiert gewesen.

Dass irgendwann unter den 6.500-7.000 Zuschauern Unruhe aufkommt, ist ja auch völlig normal. Jeder hat im Stadion hat gemerkt, dass ab der 70. Minute bei uns die Kräfte nachließen. Bei anderen Mannschaften wäre bei so einem Tempo schon ab der 30. Minute die Luft raus gewesen. Unsere Schussversuche wurden irgendwann immer verzweifelter, und da ist ein wenig Unruhe unter den Zuschauern völlig natürlich. Aber die Stimmung war während des Spiels immer positiv. Das habe ich bisher selten hier erlebt, und daran merkt man schon einen frischen Wind innerhalb des Vereins. Die Zuschauer hören es wahrscheinlich nicht gerne, aber das Ziel dieses Jahr ist einfach nur Platz 5. Dieses Ziel ist realistisch, da muss man die Kirche im Dorf lassen. Lasst uns doch Platz 5 anvisieren, wenn wir uns jedes Mal wie am Freitag den Hintern aufreißen und mit einer guten Ordnung spielen, dann schauen wir einfach mal wie weit wir damit kommen.


Jawattdenn.de:
Also wir persönlich hätten nach den ganzen Jahren der Unruhe nichts gegen einen sicheren Platz 5 einzuwenden!

Vincent WagnerVincent Wagner:
Es hört sich zwar blöd an, aber die NRW-Liga ist nicht zu unterschätzen. Sie ist wahrscheinlich die stärkste Oberliga in ganz Deutschland. Woanders als im Ruhrpott und Umgebung werden solche Gehälter auch nicht bezahlt. Wenn ich den Kommentator des DFB-Pokalspiels Germania Windeck gegen Bayern München quatschen höre, da lache ich mich echt tot. Die verdienen in Windeck so viel Asche, das ist unfassbar, keiner von denen muss nebenbei noch arbeiten.


Jawattdenn.de:
Ehemalige Spieler von RWE wie Markus Kurth spielen ja mittlerweile auch dort, die hier ja nicht wenig verdient haben.

Vincent Wagner:
Wir brauchen uns ja nicht darüber zu unterhalten, dass dort gute vierstellige Monatsgehälter an die Spieler über den Tisch gehen, wenn nicht sogar mehr. Das soll ja auch kein Vorwurf an die Vereine sein, aber da sind wir auch in der Liga in einem Bereich angekommen, der nicht mehr offiziell ist. Rot-Weiss Essen hat den Etat vorgegeben bekommen, nur so viel darf auch wirklich ausgegeben werden Sicherlich gibt es aber Vereine, die unter der Hand arbeiten. Im Amateurfußball ist das üblich, da bekommt der Spieler mal 150 Euro Aufwandsentschädigung zugesteckt, und so läuft das auch in der NRW-Liga. Sicherlich sind wir mit dem Etat immer noch weit oben, allerdings besteht dieser Etat aus 500.000 Euro für die erste Mannschaft und 500.000 Euro für den Jugendbereich.

Wenn ich mich nicht täusche, hat kein NRW-Ligist überhaupt nur 100.000 Euro für den Jugendbereich übrig und unser Etat für die erste Mannschaft ist genauso hoch wie der Etat für den Jugendbereich. Ich glaube unser Gesamtetat liegt bei 2,2 Millionen Euro, davon geht aber nur etwa ein Viertel in den Bereich der ersten Mannschaft. Bei Germania Windeck liegt der Gesamtetat etwa zwischen 800.000 und 1 Million Euro, davon sind vielleicht 200.000 Euro sonstige Ausgaben wie Verwaltungsgelder etc. und der Rest des Etats geht in die erste Mannschaft. Ohne Germania nahe treten zu wollen, aber die Jugendmannschaften spielen dort nicht in die höheren Jugendligen. Das ist eben ein Dorfverein, bei dem alles auf die erste Mannschaft zugeschnitten ist. Einige sind für die Talentförderung zuständig und andere holen diese Talente. Die geben die Kohle aus und setzen alles auf den Männerbereich.

Natürlich ist unser Gesamtetat recht hoch, aber wenn man die Liga genau betrachtet, sind wir vom Etat für die erste Mannschaft nicht einmal Platz fünf, sondern eher zwischen den Plätzen acht und zehn liegen. Mir fallen direkt drei bis vier Mannschaften ein, die einen höheren Etat als wir haben.


Jawattdenn.de:
Wenn wir noch einmal das Spiel von letzten Freitag gegen Homberg betrachten, da haben bestimmt einige Spieler auf die Tribünen geschaut und sehen da plötzlich über 6000 Leute. Gab es auch Spieler in der Mannschaft die vor dem Spiel richtig nervös waren?

Vincent Wagner:
Das beste Beispiel dafür war ein richtig schönes Bild von Dirk Jasmund und Kevin Lehman zum Spielbericht auf www.reviersport.de, (Bild Nr. 11 der Fotostrecke, Anm. d. Red.) wo die Beiden vor dem Spiel auf das Feld gehen und man ihnen in den Augen ansieht, dass denen richtig schlecht ist. Das ist aber überhaupt nicht schlimm. In der Kabine waren sehr viele nervös, aber diese Nervosität ist doch was Feines. Sie schadet ja auch nicht. In den ersten zehn Minuten haben Alexander Thamm und ich hinten nur gelöscht, sobald es nur etwas gefährlich wurde haben wir den Ball nach vorne geschossen, damit überhaupt nichts passieren kann. Die Sicherheit erarbeitet man sich bei so einem Spiel erst langsam.

Solange die Jungs auch mutig sind können sie etwas Respekt vor dem Spiel haben, im Endeffekt hat uns die ganze Atmosphäre völlig beflügelt. Es hört sich blöd an, aber man spürt diese Atmosphäre körperlich. Wenn Du auf dem Platz stehst und alle schreien um Dich herum, merkst Du das einfach irgendwann. Ein Beispiel dafür war Silvio Pagano, der vor anderthalb Jahren auf dem Platz vor der Nordtribüne vor Angst fast gestorben wäre. Der tat mir als Zuschauer, welcher ich ja in dieser Zeit war, richtig leid. Man konnte förmlich sehen, wie klein er während des Spiels wurde. Auch wenn Du ein starker Charakter bist, wenn alle Zuschauer Dich auspfeifen, ist das für jeden Spieler richtig hart. Das soll aber keine Ausrede sein. Wir haben ja auch am Freitag versucht, alles zu geben.

Zudem hatten wir das Glück, dass von Anfang an alles geklappt hat. Manchmal aber läuft es nicht so gut, wenn wir da aber auch unterstützt werden, ist das optimal. Man kann viel Gutes bewirken mit so einer Stimmung, wie wir das am Freitag sehen konnten, aber man kann auch vieles mit einer negativen Stimmung kaputt machen. Das ist nur menschlich. Wenn ich auf der Tribüne sitze, motze ich auch wie viele andere herum. Ich bin dann auch als Mannschaftsmitglied frustriert. Wenn ich mich in die Zuschauer hineinversetze, wird man bei RWE leider oft bestraft. Alleine wenn ich mich an die Demo in der letzten Saison erinnere, viele Fans planen wochenlang den gesamten Tag, es gibt sportlich eine positive Tendenz, es kommen über 5000 Zuschauer und sehen so ein Spiel gegen Worms. Da kann man nur denken: „Mein Gott, ist das schlimm!“ Da ist es völlig normal, wenn man als Zuschauer unzufrieden ist.

Trotzdem muss man sagen, dass die Mannschaft, die jetzt für RWE auf dem Platz steht, überhaupt nichts mit den Mannschaften der letzten Jahre zu tun hat. Einen besseren Neustart als die Insolvenz kann es ja kaum geben. Die Zuschauer sind aber alles Menschen, da bleiben natürlich die Erinnerungen der letzten Jahre in den Köpfen. Aber wir haben es ja zumindest geschafft, ausnahmsweise in der 88. Minute das Siegtor zu schießen und nicht den Ausgleich hinnehmen zu müssen (lacht).


Jawattdenn.de:
Zurzeit hat die Mannschaft sehr viel Kredit bei den Fans.

Vincent Wagner:
Wir haben uns letzte Woche mit den Ultras getroffen, die uns ein Video gezeigt haben. Es war ein sehr gutes Gespräch, wo sie uns mitteilten, was sie von unserer Mannschaft erwarten. Natürlich wurde da in erste Linie „Kampf“ gefordert. Das ist aber auch immer so eine Sache. Alleine dieser Spruch „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ ist das allerschlimmste für einen Fußballer. Ich habe selten einen Fußballer gesehen, der nicht gewinnen wollte. Das ist auch ein Problem bei unserer jungen Mannschaft.

Wenn wir durch ein blödes Tor 0:1 zurückliegen, neigt die ganze Mannschaft ab der 50. Minute dazu, mit dem Kopf durch die Wand gehen zu wollen. Dadurch verlieren wir unsere gesamte Ordnung. Unser Spiel sieht dann immer schlechter aus und es kommen die Rufe: „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ Alle rennen nur noch durch die Gegend und niemand spielt mehr koordiniert. Selbst in der Landesliga ist die Ordnung auf dem Platz das Wichtigste. Du kannst mit Deiner Mannschaft nur halb so gut sein, durch eine gute Ordnung kannst Du trotzdem das Spiel gewinnen.


Vincent's "Todesgrätsche"Jawattdenn.de:
Was Du gerade ansprichst ist das Phänomen des „Verkrampfens“.

Vincent Wagner:
Genau, das hat man ja auch damals bei Silvio Pagano gesehen. Er hat eigentlich Platz zu gehen, traut sich nicht mehr, bricht wieder ab und dann wurden die Zuschauer immer unruhiger. Der ist richtig auf dem Feld zusammen gebrochen. Das ist der Einfluss, den die Zuschauer haben können. Aber das kann auch in eine positive Richtung gehen. Am Freitag wurden wir von Anfang an nur gepuscht. In der 70. Minute haben wir angefangen nachzulassen, dann wurde auch noch mein Kopfball geklärt und Du denkst Dir: „Wird das heute überhaupt noch was?“. Dann schaust Du in die Augen der Fans und sie fordern Dich lautstark zum Weitermachen auf. Das motiviert einen ungemein. Wenn wir weiter so unterstützt werden wie am Freitag, kannst Du plötzlich 20 Prozent mehr geben, auch wenn sich das blöd anhört. Du kannst körperlich mehr geben, aber umgekehrt kannst Du auch bei negativer Stimmung verkrampfen.


Jawattdenn.de:

Die Mannschaft ist ja bekanntlich sehr jung, nimmst Du als „alter Hase“ eine Führungsposition innerhalb der Mannschaft ein?

Vincent Wagner: Jetzt bin ich also schon alt mit meinen 24 Jahren, Frau und Kind zu Hause, meine Zeit ist ja dann schon fast vorbei (lacht). Meine Karriereplanung im Sturm war bis 31 angedacht, in der Innenverteidigung habe ich vielleicht noch ein paar Jahre mehr vor mir. Aber um auf die Führungsrolle noch einmal zu kommen, das entwickelt sich in einer Mannschaft automatisch. Man kann ja nicht von Beginn an sagen, der hat jetzt ein höheres Alter und wird somit Führungsspieler. Sicherlich hat man ab einem gewissen Alter mehr Ruhe, zudem kenne ich mich hier länger aus als andere Spieler. Alexander Thamm hilft auch vielen Spielern weiter. Er geht aber auch mit seiner Leistung voran, das Tor war die Krönung von dem, was er in den letzten Wochen mit uns erarbeitet hat. Er hilft wo er nur kann, aber auch ich nehme bei Fehlern, die ich sehe, jüngere Spieler mal zur Seite oder nehme vor dem Training in der Kabine den Ball in die Hand und sage: „Kommt Jungs, jetzt geht es los!“. Disziplin ist ganz wichtig für eine Mannschaft.


Jawattdenn.de:
Du hast es am Anfang kurz erwähnt, dass der Trainer euch auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Was zeichnet Waldemar Wrobel als Trainer besonders aus?

Vincent Wagner:
Das Schöne bei ihm ist, je erfolgreicher wir spielen, desto härter ist sein Training. Das kann man so als einzigen Satz zu ihm eigentlich stehen lassen (lacht). Es ist aber richtig, dass man im Erfolg die größten Fehler macht. Das habe ich auch in den letzten Jahren gemerkt. Ich habe mich nicht auf der Cottbus-Geschichte ausgeruht, auch wenn ich danach lange Zeit verletzt war. Ich weiß, dass ich z. B. meine Flugbälle verbessern muss, jeder aus unserer Mannschaft weiß, was er noch zu tun hat. Wir sind 21 Jahre im Durchschnitt alt, da ist bei jedem Spieler noch genug Potential nach oben da. Aber das kannst Du nur abrufen, wenn Du hart an Dir arbeitest. Körperliche Arbeit ist da die Grundvorrausetzung. Ich habe in der Vorbereitung gut gearbeitet, halte aber auch kaum die 90 Minuten durch.

Ich bin halt kein Konditionswunder, das kommt dann auch noch hinzu. Das muss ich mir erarbeiten, und so ging es am Montag direkt mit Intervallläufen weiter. Danach spielst Du noch Fünf gegen Fünf und Sechs gegen Sechs. Das ist vielleicht nicht anders als in den letzten Jahren, aber wir haben jetzt eine junge Mannschaft, in der wirklich alle heiß sind. Ich habe auch schon zum Trainer in der Vorbereitung gesagt: "Es ist egal ob Du uns quälst und wir Dich alle hassen, in fünf Wochen ist doch eh die Vorbereitung vorbei." Natürlich muss das alles mit Sinn und Verstand sein, vor einem Spiel darfst Du nicht vollkommen fertig sein. Deshalb haben wir am Anfang der Vorbereitung auch schlecht gespielt. Körperlich waren wir gar nicht auf der Höhe. Vor dem Spiel gegen Erkenschwick machen wir dreimal Belastungstraining und Laufen ohne Ende, wie willst Du da noch vernünftig Fußball spielen?

Hartes Training muss sein und wenn Du lange verletzt bist, macht es auch Spaß, das ist alles nicht schlimm. Davon ist noch keiner gestorben, am Ende zahlt sich das doch aus. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass bei einem Spiel vor vielen Zuschauern die Gefahr da ist, dass Du Deinen Körper überstrapazierst. Die ganze Zeit hast Du diesen Adrenalinstoß und bist auf Spannung. Du willst Gas geben ohne Ende und musst aufpassen, dass Du es nicht übertreibst. Die Ordnung muss da sein. Wir haben sehr offensiv gespielt, aber trotzdem haben wir dieses hohe Tempo bis zur 70. Minute voll durchgehalten. Durch die Zuschauer kann es sein, dass Du so motiviert bist und ab der 30. Minute völlig fertig in einer Ecke liegst. Da muss jeder Spieler seine Kraft so einteilen, dass diese für 90 Minuten reicht.


Jawattdenn.de:
Gerade in der NRW-Liga haben die Zuschauer eine wichtige Rolle, da kein Verein außer RWE so viele Fans hat.

Vincent Wagner:
Die Zuschauer spielen überall eine wichtige Rolle. Wenn Du nach Dortmund gehst, haben die dort eine ordentliche Zahl an Zuschauern. Du kannst aber an einer Hand abzählen, wann diese Zuschauer die Mannschaft in einer Saison nach vorne puschen. Eine Unterstützung wie am Freitag sind 10 Prozent mehr Leistung bei der Mannschaft, gar keine Frage. Natürlich ist das mit der Arena auf Schalke nicht zu vergleichen, aber wann hat man dort so eine geile Stimmung wie am Freitag? Wir haben zwar eine Bruchbude, aber wenn die Nordtribüne noch stehen würde, wäre das einfach der Wahnsinn. Es gibt einfach nicht so viele Stadien in Deutschland, wo es eine solche Atmosphäre gibt.

Wenn die Nordtribüne voll war, gab es einen extrem hohen Lärmpegel. Die Fans, die noch kommen, unterstützen die Mannschaft schon lautstark. Natürlich gehören auch Frauen und Kinder dazu, das weiß ich ja als Familienvater am besten, aber wichtig sind die Fans, die Dich dauernd puschen. Davon haben wir genauso viele wie auf Schalke. Die haben auch nur 6.000 Ultras, die Alarm machen, während der Rest meist wortlos das Spiel betrachtet.


Jawattdenn.de:
Wir haben vor einiger Zeit ein Interview mit Erwin Koen gemacht, der uns von Absprachen innerhalb der Mannschaft erzählte, um die Fans noch zusätzlich zu puschen. Beispielsweise wurde ein Spieler der gegnerischen Mannschaft bewusst gefoult, um die Stimmung anzuheizen. Gibt es das bei euch auch in irgendeiner Weise?

Vincent WagnerVincent Wagner:
Nein, wir haben aber generell Probleme mit unserer Aggressivität. Außerdem ist das situationsabhängig, wenn ich jemand foulen muss, dann foule ich ihn eben. Dafür habe ich auch schon Schelte von meinem Trainer bekommen, ich muss mein Zweikampfverhalten verbessern. Bei meinen Grätschen ist die Tendenz zur roten Karte leider vorhanden. Bislang bin ich da relativ kontrolliert auch in der größten Emotion, trotzdem kann das für einen Schiedsrichter auch böse aussehen. Dann bekomme ich eine rote Karte und erweise so der Mannschaft einen Bärendienst. Ich habe aber als Innenverteidiger in zwanzig Spielen zwei gelbe Karten bekommen, also ist meine Bilanz trotz meiner Todesgrätschen nicht so schlecht (lacht). Wir sagen nicht vorher, dass wir jetzt den einen oder anderen Spieler umhauen, sondern geben Gas ohne Ende. Mit der ersten guten Offensivaktion am Freitag hatte Dirk Jasmund ja auch jemanden unabsichtlich umgegrätscht, da waren natürlich alle wach. Das ist nicht die schlechteste Taktik, um jemanden aufzuwecken.

Aber am Freitag brauchte man wirklich niemanden wach zu machen, die Stimmung war von Anfang an überragend. Es ging ja direkt los mit: "ROT - WEISS - ESSEN". Das war schon sehr beeindruckend. In meinen vier Jahren habe ich das so gut wie nie hier erlebt. Im DFB-Pokalspiel gegen Borussia Dortmund, wo Stefan Lorenz das 1:1 erzielt, war die Stimmung richtig gut, oder bei den Pokalspielen gegen Cottbus und Kaiserslautern. Das Schöne gegen Cottbus war neben dem Spielverlauf mit Verlängerung und Elfmeterschießen auch die Tatsache, dass nur der harte Kern der Fans da war nach unserem „starken“ Auftritt gegen RW Oberhausen. Das war ein schlimmes Spiel, da verliert man direkt zu Beginn der Saison mit 1:4. Aber das war auch so eine Sache.

Heiko Bonan war ein wirklich guter Trainer, aber leider viel zu unerfahren. Der hat uns immer nach vorne getrieben, ohne eine Form von Kontrolle. Ein 0:0 ist erst einmal ein 0:0, da ist noch nicht viel passiert. Wenn Du aber an der Hafenstraße 0:1 zurückliegst, ist das eine Katastrophe. Ein Trainer muss dann ruhig von außen einwirken. Vor dem Spiel gegen Oberhausen hatten wir acht Wochen lang eine tolle Vorbereitung hinter uns, alles läuft gut, wir waren vierzig Minuten lang feldüberlegen gegen RWO, die kommen einmal aus ihrer Ordnung heraus nach vorne und machen das Tor. Wir hatten zwar keine klaren Gelegenheiten, waren aber bis zu diesem Zeitpunkt nach vorne viel gefährlicher als Oberhausen. Ein blöder Konter und ein Missverständnis zwischen Daniel Sereinig und Michael Lorenz, schon war es passiert. Da gab es richtig Ärger in der Kabine, das kannst Du einfach nicht gebrauchen, wenn ein Trainer in dieser Situation alles nur schlecht redet.

Ein Trainer muss sich hinstellen und sagen: „Leute, ihr habt gut gearbeitet in der Vorbereitung, ihr wisst was ihr könnt, glaubt an euch und spielt mit etwas mehr Aggressivität weiter!“ Und dann geht es erst richtig los, aber mit seiner Ansprache ist genau das passiert, was nicht passieren sollte. Auf einmal haben wir richtig kassiert und die Fans schreien noch: „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ Alle Spieler sind danach nur völlig am Ende und wissen selbst nicht warum sie 1:4 verloren haben. Wie gesagt, Heiko war ein guter Trainer, aber es hat ihm die Erfahrung gefehlt.


(Kurze Pause) Vincent Wagner:
Oh, ich sehe, hinter dieser Frage auf der ersten Seite habt ihr noch keinen Haken gemacht. Ich lese die mal vor.

Vincent Wagner (für Jawattdenn.de):
Viele Spieler haben in der Vergangenheit bemängelt, dass der Verein gar nicht oder nicht ausreichend mit ihnen kommuniziert hat. Siehst Du das auch so?

Vincent WagnerVincent Wagner:
Es ist allgemein sehr schade, dass man oft hier nicht wusste, wo man gerade steht. In diesem Sommer war es für mich relativ leicht, weil der Waldemar Wrobel zu mir gesagt hat: „Egal was passiert, melde Dich zuerst bei mir!“ Es ist ja kein Geheimnis, ich hätte auch woanders in der NRW-Liga sogar als Stürmer wieder anfangen können. Ich hatte von drei oder vier Vereinen Angebote, mit zweien war ich schon so gut wie einig. Aber der Plan war es, dass, wenn es mit Rot-Weiss Essen weiter gehen würde, ich hier weiterspielen werde.

Der Verein besteht nicht nur aus dem Vorstand, ich komme mit den Fans sehr gut klar und mir gefällt es hier. Ich bin der ehrliche Arbeitertyp, habe mein ganzes Leben in den Sport reingesteckt und hätte vielleicht mit mehr Konzentration für andere Dinge z. B. ein besseres Abitur geschafft. Aber es hat gereicht, um ein ganz normales Studium zu machen, allerdings gebe ich auch da keine hundert Prozent. Ich bin froh wenn ich eine Prüfung bestehe, alles was ich habe, investiere ich zuerst in den Fußball. Ich liebe diesen Sport, auch wenn es bislang für mich nicht immer gut gelaufen ist. Ich bin kein Wandervogel, ich fühle mich einfach in Essen wohl und war auch in Schwerin acht Jahre. Ich hoffe, dass ich lange hier bleiben kann, und mein Studium hier beenden kann. Und ich hoffe natürlich, dass es auch sportlich wieder bergauf geht. Wenn ich wirklich fit war habe ich auch meistens gespielt. Ohne einen Plan aufzustellen, wird der Verein vielleicht auch in nicht allzu weiter Zukunft wieder Dritte oder Zweite Bundesliga spielen.

Jawattdenn.de:
Du studierst in Essen, Du hast eine Frau und mittlerweile eine Tochter.

Vincent Wagner:
Ja, meine Frau arbeitet hier als Krankenschwester. Das mit meiner Tochter war so nicht geplant, aber es ist einfach ein tolles Gefühl. Ich kann jedem nur empfehlen, ein Kind zu bekommen, wenn man die passende Gelegenheit und die richtige Frau dafür hat. Es ist das Beste, was einem passieren kann. Es ist natürlich viel Stress dabei und ein Kind ist auch teuer. Es ist ja nicht so, dass ich Unmengen Geld habe. Mein Verdienst und der meiner Frau zusammen sind okay, es reicht zum Leben aus. Es ist ja nicht alles billig heutzutage, aber es ist trotz der vielen Arbeit kein großes Problem. Man muss nur immer Spaß bei der Sache haben.

Wenn das Leben so einfach wäre, ist es auf die Dauer auch langweilig. Diese Momente wie am letzten Freitag sind doch das Schöne am Leben. Du hast einen 08/15 Job, alles ist langweilig, dann sind doch so außergewöhnliche Augenblicke etwas Tolles. Ich bin jetzt 24 Jahre, das Leben ist so schnell vorbei. Es ist Wahnsinn, die Zeit vergeht sowas von im Flug. Ich poker sehr gerne, aber der Fußball lässt das nur eingeschränkt zu. Dieses Jahr war ich bei der World Series, habe aber kein Main Event gespielt.

Wenn ich kein Fußballspieler wäre, würde ich professioneller Pokerspieler sein. Finanziell wäre ich da schon durch, was nicht übertrieben ist. Ich liebe das was ich mache, ich spiele Fußball nicht des Geldes wegen. Wenn wir erfolgreich sind, haben wir eine relativ gute Prämienregelung. Wir haben alle ein niedriges Grundgehalt, aber wenn wir z. B. Platz fünf erreichen, bekommen wir etwas dafür. Das motiviert die Mannschaft zusätzlich. Natürlich ist es schön wenn Du viele Spiele gewinnst und das Geld mitnehmen kannst, auch wenn Geld für mich eigentlich keine Motivation ist.


Jawattdenn.de:
Wie soll es denn nach der Karriere weiter gehen? Wird dann nur noch gepokert?

Vincent Wagner:
In acht Jahren werde ich wohl auch nicht mehr pokern, so lange hält der Trend nicht mehr an. Ich pokere ein wenig nebenbei noch, irgendwann will ich auch noch ein großes Turnier spielen. Die Hoffnung stirbt ja da bekanntlich zuletzt. Es ist völlig entspannt, ich verdiene dabei etwas hinzu. Es ist auch ein schönes Spiel, aber auch bitter in vielen Situationen. Nach der Karriere wird es aber irgendwie schon weiter gehen. Ich möchte bis ungefähr zum 32. Lebensjahr weiter Fußball spielen, mein Studium beendet haben und dann die nächsten 30 Jahre Lehrer sein. Ich studiere gerade Sport und Informatik auf Lehramt.

Ich bin zwar kein Vollzeitstudent, aber ich habe einige Scheine schon hinter mir. Zusätzlich habe ich noch einen Schiedsrichterausweis und einen Übungsleiterschein. Wenn ich Zeit hätte, würde ich auch eine Mannschaft trainieren wollen. Aber ich kann mich leider nicht teilen. Im Alter werde ich aber bestimmt einmal eine Mannschaft übernehmen, der Kelch wird nicht an mir vorbei gehen. Ich werde wohl nicht vom Fußball weg kommen, mit diesem Sport werde ich bis zu meinem Lebensende eng verbunden bleiben.


Jawattdenn.de:
Zum Abschluss stellen wir jedem Interviewpartner die Frage nach einer Einschätzung für den Bau eines neuen Stadions für Rot-Weiss Essen. Mittlerweile haben wir diese Hoffnung schon fast aufgegeben und fragen jetzt, wo Du den Verein in den nächsten fünf Jahren siehst?

Vincent Wagner:
Ich bin ja mittlerweile auch schon RWE-Fan, da ich ja lange Zeit verletzungsbedingt auf der Tribüne gesessen habe. Der Traum wäre, dass realistisch gesehen die Insolvenz durch ist und der Verein in der dritten Liga in einem neuen Stadion vor 30.000 Zuschauern spielt, was hoffentlich nicht an der Gruga steht oder wo auch immer Herr Paß das nun hin bauen möchte.


Jawattdenn.de:
Wenn Herr Paß dann noch Oberbürgermeister der Stadt Essen ist...

Vincent Wagner:
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass er dann nicht mehr Oberbürgermeister sein wird. Aber wie gesagt, erst einmal muss die Insolvenz durch gebracht und dann mit den Fans und einem vernünftigen Stamm von Sponsoren die Zukunft des Vereins geplant werden. Vielleicht ist bis dahin die Regionalliga auch eine ordentliche Liga geworden. Welcher Verein soll diese furchtbare Liga denn in diesem Zustand überleben? Macht euch das Spaß, so viele Zweitligavertretungen in einer Saison zu sehen? Eigentlich ist das Gute an der NRW-Liga, dass es schon ordentliche Gegner wie Fortuna Köln dort gibt. Sicherlich sind da ein paar Dörfer dabei, aber es macht doch mehr Spaß als in der Regionalliga gegen die Zweitvertretungen zu spielen. In fünf Jahren sehe ich den Verein solide aufgestellt mindestens eine Liga höher und einem Stadion mit einer schönen Funktionstribüne, das man um zwei Stufen noch weiter ausbauen kann.

Jawattdenn.de:
Vielen Dank für dieses sehr ausführliche Interview und wir wünschen Dir eine erfolgreiche und verletzungsfreie Saison!


Das Interview führten Pascal Druschke und Fabian Jerrentrup