Interview mit den Ultras Essen
Neue DVD, steigende Repressionen durch Polizei und Ordner, Stimmung bei Heimspielen, Choreografien... Es gibt aktuell so einiges Interessantes. Jawattdenn.de führte daher ein Interview mit Vince, Christian und Alex vom Vorstand der Ultras Essen.
Jawattdenn.de
Ihr habt vor einigen Tagen den Trailer zu eurer neuen
DVD herausgebracht: Premiere ist am 4. Dezember im
Cinemaxx, Verkaufsstart beim Spiel gegen Düsseldorf.
Erzählt doch einfach mal ein bisschen darüber.
Ultras-Essen
Wir haben 2004 die erste DVD produziert und hatten
da schon geplant, irgendwann eine Zweite folgen zu
lasen, da wir noch viel Material über hatten.
Daher wurde weiter kontinuierlich gefilmt, sodass
wir im Laufe der letzten zwei Jahre dann gesagt haben,
dass wir das Projekt noch mal neu anfassen. Diesmal
war es uns wichtig, dass hier eben keine weitere reine
Ultra-DVD entsteht wie es sie akuell zu Hauf gibt.
Wir haben Wert drauf gelegt, unsere Erinnerungen an
die letzten Jahre zu dokumentieren. Es handelt sich
übrigens um eine Doppel-DVD: Teil 1 zum Thema
100 Jahre Rot-Weiss Essen, Teil 2 mit 5 Jahre Ultras
Essen.
In der Qualität ist die zweite DVD im Vergleich
zur Ersten definitiv ein Quantensprung. Die erste
DVD war noch relativ verpixelt. Das ist bei der Zweiten
jetzt sehr viel besser. Auch wird teilweise aus bis
zu drei Kameraperspektiven gefilmt.
Bei der Kinopreview wird es wahrscheinlich einen ca.
100 Min. Zusammenschnitt der beiden Teile geben. Im
Anschluss an die Vorstellung kann die komplette DVD
dann aller Voraussicht nach auch gleich erworben werden.
Das Schöne an dieser DVD ist, dass der Zuschauer
hier die Entwicklung der Fanszene in den letzten Jahren
sehr gut sehen kann. Ein Spiel auf der alten Nordtribüne
ist noch drauf sowie der Neuanfang auf der Ost. So
ist gut veranschaulicht, wie sich der Wechsel entwickelt
hat und wo die Entwicklung aktuell hinführt und
welche neuen Strukturen entstanden sind. Wir haben
auch viel Wert auf Block- und Nahaufnahmen gelegt.
Der Graffiti-Anteil auf der DVD wird übrigens
nicht so groß sein wie im Trailer.
Jawattdenn.de
Die erste DVD ist mittlerweile ausverkauft. Wie viele
DVDs habt ihr diesmal bestellt?
Ultras-Essen
Wir haben diesmal 1.200 Exemplare bestellt. Zur ersten
DVD kommen übrigens immer noch Anfragen rein,
auch werden wir häufiger am UE-Stand angesprochen,
ob noch Restbestände vorhanden sind. Dies ist
jedoch nicht der Fall. Gelegentlich tauchen noch DVD?s
bei Ebay auf, die teilweise Preise bis zu 70 Euro
erzielen.
Jawattdenn.de
Thema Stimmung. Wie seht ihr hier die aktuelle Entwicklung?
Ultras-Essen
Erstmal muss man ganz klar sagen, dass das letzte
Heimspiel gegen Magdeburg der schlechteste Heimauftritt
der bisherigen Saison war. Woran das lag, weiß
keiner so genau.
Aber generell sehen wir schon eine positive Entwicklung
des Stimmungskerns im Block P. Auch versuchen wir
natürlich immer, die Nord einzubinden und den
Funken irgendwie überspringen zu lassen -- wie
zum Beispiel durch die verschiedenen Wechselgesänge.
Großer Nachteil der Ost ist natürlich,
dass an den Seiten viele Familien und Rentner stehen,
die an der Stimmung weniger interessiert sind. Das
Problem sieht man vor allem bei größeren
Choreos. In den Außenbereichen gehen die Planen
nach einer halben Minute runter, weil die Leute
Angst haben, den Einlauf der Mannschaften zu verpassen,
während der Block P mittlerweile sicherlich so
weit ist, dass man eine Choreo mal locker fünf
bis sechs Minuten halten könnte, wenn halt die
Außenbereiche nicht wären. Deswegen gibt
es immer wieder Überlegungen, ob man größere
Choreos über die komplette Ost oder doch lieber
kleinere Choreos im Mittelblock macht, der dann aber
wirklich mitzieht.
Jawattdenn.de
Diese Thematik gab es ja schon vor einigen Jahren
beim Osnabrück-Spiel, als ein Teil der Planen
hochgezogen wurde, ein anderer Teil dann wieder nicht,
weil die Leute was sehen wollten, und als unten am
Zaun die Planen abgerissen wurden, weil die Leute
dachten, sie würden etwas verpassen.
Ultras-Essen
Wir haben in der Zwischenzeit viel dazu gelernt, aus
der Osnabrück-Sache ganz speziell, was das Befestigen
von Planen und Fahnen am Zaun angeht. Dadurch, dass
die Ost-Tribüne mit Zaunfahnen verhangen ist,
haben wir den Riesenvorteil, dass man dort auch Choreo-Artikel
drüberhängen kann. Das war gerade bei den
Aktionen zur 100-Jahre Choreo von Vorteil, wie man
auch auf der DVD wird sehen können, denn dort
hing doch so einiges an Material am Zaun.
Jawattdenn.de
Führt ihr Gespräche mit Fangruppen, die
auf der Nord-Tribüne stehen?
Ultras-Essen
Die Fanclubs "Stolze Essener" und "Matadors
Essen" wurden mehrmals durch uns angesprochen.
Die beiden Fanclubs argumentieren, wie wir früher
auch, mit der Tradition der Nordtribüne für
uns Fans. Hier müsste man aber unserer aber schon
mal überlegen, wie lange die Mitglieder dieser
Fanclubs zu Rot-Weiss gehen und was für sie Tradition
bedeutet...
Wir haben uns irgendwann gesagt, dass, wenn man die
Bilder vom Stimmungskern in den Anfangszeiten auf
der Ost mit dem Stand heute vergleicht, es einen großen
auch qualitativen Zulauf gegeben hat. Gerade über
die Querulanten werden jüngere Leute angesprochen.
Wenn es gelingt, diese Leute dauerhaft in die Gruppe
zu integrieren, hat das Projekt Ost-Tribüne sicherlich
eine große Zukunft, denn die Nordtribüne
ist in unseren Augen schlicht tot.
Nichtsdestotrotz sprechen wir auch weiterhin mit diesen
Gruppen, sei es über Verbesserungen der
Stimmung oder Dingen die uns nicht gefallen.
Jawattdenn.de
Ihr bekommt also schon mit, was die verschiedenen
Gruppen so machen, z.B. auf Auswärtsfahrten?
Ultras-Essen
Ja, klar. Wir fahren mit den gleichen Zügen und
bekommen natürlich mit, wenn da jemand rumrandaliert.
Jawattdenn.de
Freut ihr euch auf das neue Stadion wenn es gebaut
werden sollte?
Ultras-Essen
Teils, teils. Irgendwie hängt man natürlich
an dem alten Stadion. Andererseits hätte man
gerade in einen neuen Stadion auch neue Möglichkeiten.
Denkbar wäre hier z.B. ein Supporterblock, in
dem sich alle Support-Willigen zusammenfinden und
man wieder eine kontinuierlich laute Kurve hinkriegt,
was momentan bei RWE in vielen Spielen fehlt. Leider
wird man aber in einem neuen Stadion auch aber auch
viele Freiheiten verlieren und die Überwachung
wird noch mehr steigen, auch wenn sie sich jetzt schon
auf recht hohem Niveau. Wir werden derzeit zum Beispiel
von drei Kameras durchgehend gefilmt.
Jawattdenn.de
Ein Problem im neuen Stadion könnte vielleicht
sein, dass man nicht alle Gruppierungen an einen gemeinsamen
Standort kriegt, der Verein aber ein sehr gästefreundliches
Stadion bauen will und man dann übersungen wird.
Ultras-Essen
Die Frage ist, wie weit sich die jetzt gegebenen eingefahrenen
Denkweisen verändern werden. Viele Leute, die
momentan auf der Nord stehen, werden auf Grund der
Sicht auch den neuen Stehplatz Unterrang auf der Gegengerade
bevölkern. Hier kann man leider nicht davon ausgehen,
dass Leute, die jetzt Vorbehalte gegen eine Hintertortribüne
haben, diese im neuen Stadion ablegen werden.
Jawattdenn.de
Wie seht ihr das Problem Eventfans in einem neuen
Stadion?
Ultras-Essen
Es gibt Mittel und Wege, diesen Leuten klar zu machen,
dass sie nicht unbedingt genau dort stehen müssen,
wo wir Stimmung machen. Man wird aber wohl nicht bei
jedem Spiel 14.000 Zuschauer auf den Stehplätzen
haben.
Das Thema neues Stadion befindet sich aber eh noch
in einem so frühen Stadium, dass einfach noch
nicht viel zu uns durchgedrungen ist. Man weiß
natürlich, wie es aussieht. Aber wie es darin
dann tatsächlich ablaufen wird, weiß keiner.
Es bedarf sicherlich einiger Organisation im Vorfeld.
Aber St. Pauli hat es vorgemacht, wie man eine Fankurve
umsiedelt und man ist gespannt, was daraus
wird. Wir wissen nicht, wie die ganze Sache laufen
wird. Planung ist derzeit nicht möglich, weil
wir nicht sonderlich viele Informationen über
das Stadion haben.
Jawattdenn.de
Die Zusammenarbeit mit dem Verein funktioniert aber
schon noch, z.B. mit Nico Schäfer?
Ultras-Essen
Ja, mit Nico und dem Fanprojekt auf jeden Fall. Mit
den Fanvertretern ist da noch eine Instanz dazu gekommen.
Es gab schon mal erste, inoffizielle Überlegungen
eine Stadiongruppe zu gründen, die sich wirklich
mit dem neuen Stadion beschäftigt, aber leider
weiß derzeit noch keiner, wanns losgeht. Der
Vertrag mit Kölmel ist wohl noch immer nicht
unterschrieben, andererseits spricht Rolf Hempelmann
von einem möglichen Spatenstich im Januar. Andere
Leute sagen, dass das Stadion eh nicht so gebaut wird,
wie geplant war. Da müssen wir abwarten, auch
wenn wir natürlich schon ein paar Ideen hätten.
14.000 Stehplätze machen übrigens noch lange
nicht das gastfreundlichste Stadion aus. Zumal in
letzter Zeit die Erfahrungen, auch gerade mit den
Gästefans, eher in eine andere Richtung gehen,
was das fanfreundlichste Stadion so angeht...
Jawattdenn.de
Ihr kriegt also schon mit, was bei den Gästen
so abläuft?
Ultras-Essen
Es ist ja nicht so, dass wir nicht wissen, was am
Spieltag im Umfeld von unserem Stadion passiert. Uns
ist so was bekannt, dass z.B. auch gegen Magdeburg
wieder Gästebusse im Gewerbegebiet standen und
es dort Polizeiaktionen gab wie gegen Dresden. Wir
hören natürlich von den Gästegruppen
im Nachhinein auch was bei uns los war. Da sind wir
durchaus solidarisch. Wir wollen ja auswärts
auch nicht wie Tiere behandelt werden. Wir wissen
aber natürlich auch nicht, was z.B. Dynamo auf
dem Weg nach Essen bereits gemacht hat. Aber wir kennen
die Vorgänge auch von unseren Auswärtsfahrten.
Dabei sollten eigentlich die Fantrennungsmaßnahmen
solche Einsätze in Essen mittlerweile überflüssig
machen. Aber wenn man mal die Reserven sieht, die
die Polizei im Hafengebiet auffährt, gleicht
das wirklich fast einem Bürgerkrieg. Gerade auch
weil wir hier einen recht kulanten Sicherheitschef,
ein vernünftiges Fanprojekt und auch einen sehr
fan-nahen Geschäftsführer haben, sollte
man auf den Umgang mit Gästen hier ein Auge werfen.
Das sehen auch wir in gewisser Weise als unsere Pflicht
an.
Jawattdenn.de
Meint ihr denn, dass ihr oder der Verein auf die Polizei
einwirken könnt?
Ultras-Essen
Wir sicherlich nicht, aber der Verein kann dies definitiv.
In welchem Maß ist offen.
Jawattdenn.de
Wurde denn eurerseits mal das Gespräch gesucht,
zum Beispiel mit der Bereitschaftspolizei Essen?
Ultras-Essen
Von uns direkt nicht, nein.
Wir haben dem Verein immer wieder mitgeteilt, dass
wir das Verhalten der Polizei hier nicht gut heißen.
Auch war auch mal ein runder Tisch geplant, doch beruhigte
sich die Lage zwischenzeitlich wieder. Seit zwei Spielen
sieht es aber leider wieder anders aus. Als nächstes
kommt nun Düsseldorf, da wird's sicherlich noch
mal einen gewaltigen Aufmarsch der Polizei geben.
Wir hatten damals versucht, ins Gespräch zu kommen,
als der neue Gästeblock und die Polizeiwache
hinter der Nord errichtet wurden -- daraus ist nie
etwas geworden. Die Polizei sieht die Maßnahmen
als angebracht an. Dabei haben wir gerade am Anfang
immer wieder mit Bildern dokumentiert, wie viel Polizei
sich dort aufhielt. Es kommt auch immer wieder vor,
dass sich Polizeikräfte zum Beispiel provokativ
vor unseren Stand stellen oder uns schon vor dem Spiel
abfilmen.
Jawattdenn.de
Thema Fahnenklau: Seid ihr denn der Meinung, dass
ihr solche Einsätze vielleicht teilweise provoziert,
wenn ihr z.B. erbeutete Gästefahnen auf dem Zaun
präsentiert oder durch andere Aktivitäten
außerhalb des Stadions?
Ultras-Essen
Wenn wir aufhören würden, würde sich
unserer Meinung nach auch nichts verbessern. Wir achten
aber darauf, dass hier vor dem Stadion keine normalen
Fans oder kleine Kinder von Gästen ihres Schals
beraubt werden. Wir konzentrieren uns da eher auf
die Fahnen gleich gesinnter Gruppen. Wer da mit seiner
Zaunfahne offen vor unseren Blöcken herumläuft,
muss sich dann nicht wundern, wenn er Diese verliert.
Jawattdenn.de
Rechnet ihr denn hier auch mal mit einer entsprechenden
Reaktion von z.B. gefoppten Gruppen?
Ultras-Essen
Klar, das ist eben ein Geben und Nehmen. Aber wir
achten natürlich schon auf unsere Sachen, im
und außerhalb des Stadions.
Jawattdenn.de
Kommen wir noch mal zum aktuell recht heiß diskutierten
Thema "Verhältnis zur Polizei". Man
liest gerade aktuell sehr verstärkt in diversen
Internetforen, dass es immer häufiger zu Zusammenstößen
mit Polizeikräften kommt, besonders auf der An-
und Abreise zu Auswärtsspielen. Wie seht ihr
das Thema?
Ultras-Essen
Aus unserer Sicht ist das Verhältnis zur Polizei
aktuell auf dem Nullpunkt angelangt und die entstandenen
Rissen sind auch nicht mehr so schnell zu kitten,
denn dafür ist einfach zu viel vorgefallen.
Mittlerweile hat sich zusätzlich dazu ein Umgangston
bei Polizeikräften durchgesetzt, der eine Kommunikation
unmöglich macht. Leider scheint der gemeine Fan,
was dieses Thema angeht, immer mehr abzustumpfen und
reagiert zunehmend genervt auf Berichte über
Repressionen für aktive Fans.
Jawattdenn.de
Wie seht ihr das denn, wer ist hier der Auslöser?
Wenn man zum Beispiel sieht, dass 30 Fans zu einem
9er Bus laufen und die Polizei da hinterherläuft
und verar**** wird ...
Ultras-Essen
Genau so was kann natürlich ein Auslöser
sein, wenn Polisten einen Umweg von mehreren hundert
Metern laufen müssen wegen solch einer Aktion.
Allerdings wurde bei der von dir angesprochenen Aktion
unser Material zu den Autos gebracht, ein ganz normaler
Vorgang. Klar ist auch, dass nicht jeder Lust hat,
jedes Wochenende mit Fussballfans durch die halbe
Republik zu reisen. Die Osnabrücker Einheit,
die jetzt nach dem Bremenspiel für große
Probleme sorgte, musste am nächsten Tag z.B.
noch nach Dresden gegen LOK. Schon am Freitag hatten
die ebenfalls einen Einsatz. Die Magdeburger Fans
hatten jetzt mit der BFE (Beweis- und Festnahme Einheit)
St. Augustin auf dem Rückweg von uns Probleme.
Da kam die Einheit aus der Nähe von Köln.
Sie mussten mit dem Bus nach Magdeburg, dann mit den
Fans hin und zurück und wieder zurück in
die Kaserne nach Köln. Aber das ist eben deren
Beruf und damit sollte man umgehen können. Ich
werd ja auch kein Bäcker wenn ich mit den frühen
Arbeitszeiten nicht zurechtkomme.
Die Thematik schauckelt sich einfach immer mehr hoch.
Viele Polizisten wissen mittlerweile ganz genau, dass
Fußballfans in gewisser Weise relative leichte
Übungspersonen sind. Wenn wir dann teilweise
die Einheiten sehen mit Sturmhaube und Mundschutz,
dann ist das für ins im Endeffekt einfach der
Hooligan auf der anderen Seite.
Jawattdenn.de
Aber den Ärger mit den Einheiten ziehen ja auch
eher solche aktiven Fangruppen wie Ultras an, oder?
Ultras-Essen
Klar, die suchen sich natürlich auch gezielt
die Gruppen heraus. Dafür gibt's ja dann z.B.
SKB?s. Wir haben übrigens nicht nur negative
Zug-, sondern auch negative Busfahrten mit der Polizei
erlebt. Da hatten wir schon Aktionen, wo wir in Boxershorts
bei Minusgraden auf einer Wiese beim Rastplatz stehen
mussten. Hier hört für uns dann der Spaß
auf. Das sind doch schon sehr tiefe Eingriffe in die
Persönlichkeit.
Die Polizei bietet genug Fläche für negative
Schlagzeilen. So was wird nur leider von der Presse
nicht aufgegriffen.
Ein anderes Beispiel: wir fahren nach Augsburg, direkt
bei der Ankunft unseres Busses kommt ein USK-Beamter
(Unterstützungskommando, bayrische Sondereinheit)
in den Bus und sagt "Hier herrscht heute das
Zero-Toleranz-Prinzip, wer auffällt, fährt
direkt ein". Du bist noch gar nicht richtig am
Stadion angekommen und wirst direkt angegangen. Dazu
wird man 90 Minuten gefilmt, teilweise mehrfach durchsucht.
In Rostock wird man mit dem Bus auf einem Rastplatz
angehalten, da geht die Polizei mit Sprengstoffspürhunden
(auf die erstmal eine halbe Stunde gewartet werden
muss) in den Bus und macht den Kartoffelsalat der
Leute auf. Oder die Frikadellen werden einzeln ausgepackt.
Jawattdenn.de
Ging es bei der Aktion nicht konkret darum, dass vorher
von Leuten aus dem Bus angeblich auf einem Rastplatz
Graffitis gesprüht wurden?
Ultras-Essen
Nein, darum ging es bei der Aktion nicht. Niemand
fragte oder suchte nach Sprühdosen oder ähnlichem.
Ziel war eine Durchsuchung des Busses auf Sprengstoff
oder Pyroartikel. Wenn man eine Sprühdose suchen
würde, würde man danach wohl kaum in einem
Kartoffelsalat suchen oder Leute bei Minus-Graden
die Schuhe ausziehen lassen.
Jawattdenn.de
Welche Lösungsmöglichkeiten seht ihr denn
hier?
Ultras-Essen
Wir sind keine Unschuldslämmer, das ist auch
ganz klar. Natürlich kommt's bei einer 6-Stunden-Tour
bei Fußballfans mit teilweise starkem Alkoholpegel
auch mal zu Sachbeschädigungen.
Andererseits gibt's aber eben Fälle, wo zum Beispiel
im Stadion eine Fahne zu hoch hängt. Es weißt
einen aber kein Ordner darauf hin, dass dies verboten
ist, sondern es kommt gleich zu einem Polizeieinsatz,
bei dem Beamte mit Helm in "Rambo-Manier"
in den Block gehen, nicht außen rum, sondern
natürlich von oben mitten durch. Da gibt's natürlich
auch entsprechende Gegenreaktionen. Wir sehen hier
die Verhältnismäßigkeit einfach nicht
gegeben.
Jawattdenn.de
Aber ihr wärt noch gesprächsbereit?
Ultras-Essen
Allerhöchstens über Mittelsmänner,
direkt nicht mehr, nein.
Jawattdenn.de
Wieso beteiligt ihr euch nicht mehr an gemeinsamen
Aktionen vereinsübergreifend?
Ultras-Essen
Das haben wir ja früher getan, aber man sieht
ja wo z.B. die Ombudsstelle im Sande verlaufen ist.
Die hatte Otto Schily nach der Demo vor dem ConfedCup
damals noch groß versprochen. Nichts ist passiert.
Wir wollen hier für Essen eher den Weg über
die neuen Fanvertreter und das Fanprojekt gehen. Angestrebt
wird durch uns eine Revolutionierung des Stadionverbotes,
beginnend mit einem generellen Anhörungsrecht
wie es aktuell nur beim FC Sankt Pauli praktiziert
wird. Dies soll sowohl für Gäste- als auch
für Heimfans gelten.
Jawattdenn.de
Und wie seht ihr hier die Entwicklung zukünftig?
Geht die Kluft aus eurer Sicht eher auseinander oder
nähert man sich an?
Ultras-Essen
Wir warten aktuell eigentlich nur noch darauf, dass
neue Techniken wie zum Beispiel der Taser oder
Farbkugeln eingesetzt werden. Die Repressalien steigen
immer weiter, die Überwachung ebenfalls. Man
sieht auch, was z.B. die Bundesregierung alles plant
zur verstärkten Überwachung seiner Bürger.
So was landet dann auch meist ganz schnell beim Fußballfan.
Jawattdenn.de
Bekommt ihr eigentlich im Stadion Feedback von normalen
Fans?
Ultras-Essen
Oh ja, wir haben ja durch unseren Stand einen Anlaufpunkt
gegeben. Natürlich gibt es die, die nur in der
virtuellen Welt die Anonymität nutzen um einfach
nur zu pöbeln. Aber es gibt auch Leute, die z.B.
mal 50 Euro in die Spendendose werfen und sagen "weiter
so", Andere diskutieren einfach mit uns und sagen
uns ihre Meinung.
Jawattdenn.de
Daher verzichtet ihr auch auf einen großen Internetauftritt?
Ultras-Essen
Ja, die Zeit, die man im Internet verschwendet, kann
man unserer Meinung nach sinnvoller verwenden als
Ultragruppe. Als Beispiel sieht man die Kurvennews,
die inzwischen eine Auflage von 500 Stück hat
und bei jedem Spiel ausverkauft ist. Zusätzlich
werden die Kurvennews über die Homepage noch
ca. 1000-mal runtergeladen. Das macht einen in gewisser
Weise natürlich auch stolz.
Jawattdenn.de
Gibt es bei Heimspielen keine Choreos mehr?
Ultras-Essen
Doch, natürlich! Man kann ja sehen, dass unsere
Choreos qualitativ hochwertiger, größer
und ausgereifter werden. Dementsprechend haben wir
uns dazu entschlossen, keine kleinen Choreos mehr
zu machen, sondern lieber vereinzelt ausgereifte und
große Aktionen.
Wenn man so was angeht oder ein Projekt begleitet
-- eine Choreo entsteht ja nicht an einem Tag -- dann
spielt da auch der eigene Ehrgeiz etwas rein. Man
möchte am liebsten jede Choreo toppen!
Bei Rot-Weiss ist man aufgrund der Tribüne leider
ein bisschen eingeschränkt. Das Hochziehen wie
z.B. beim FC Zürich ist hier nicht möglich.
Solche Sachen erhoffen wir uns aber vom neuen Stadion.
Man überlegt sich, was man machen kann. Man möchte
natürlich nichts machen, was eine andere Gruppe
in ähnlicher Form schon mal gemacht hat. Aber
es wird halt jedes mal schwieriger, sich etwas einfallen
zu lassen um noch ein Tüpfelchen draufsetzen.
Es werden aber auf jeden Fall wieder Choreos kommen.
Die sind einfach ein Bestandteil der Ultras Essen
und werden auch weiterhin durchgeführt.
Jawattdenn.de
Zu Beginn der Ultra-Bewegung hieß es, Politik
habe im Stadion nichts zu suchen. Ein paar Jahre später
war dann die vorherrschende Meinung eher, dass man
bei Problemen wie der Kommerzialisierung des Fußballs
und den Repressionen gegen aktive Fans als Ultra eigentlich
gar nicht unpolitisch sein könnte. Hat sich an
diesem Grundtenor etwas geändert?
Ultras-Essen
Bezüglich der rechts- oder linksextremen Ausrichtung
von Ultra-Gruppen sagen wir einfach, dass wir damit
nichts zu tun haben. Wir wollen uns da auf keine Seite
stellen und das wäre wohl auch der größte
Fehler in Essen. Repressionen gegen Fans sind im Fußball
sozusagen tagespolitisches Geschäft geworden.
Hier äußern wir uns natürlich auch
politisch. Aber politische Ausrichtungen wie bei Extrembeispielen
wie Chemnitz oder St. Pauli wollen wir nicht und wird
es auch in Zukunft bei uns nicht geben.
Das Interview führten Martin
Noll, Thomas
Jeschke und Henrik
Holländer