Interview mit Thomas Strunz

veröffentlicht am 12.08.2009 um 14:47 Uhr

Am Samstag startete Rot-Weiss Essen erfolgreich in die neue Saison. Thomas Strunz geht dieses Jahr nicht nur als sportlicher Geschäftsführer, sondern auch als Teamchef in die neue Spielzeit. Jawattdenn sprach mit ihm vor dem Spiel über seine Ziele und Erwartungen.

Jawattdenn.de:
Hallo Herr Strunz, vielen Dank dass sie sich für das Interview mit jawattdenn.de zur Verfügung stellen. Bevor wir zur aktuellen Situation kommen, wollten wir noch einmal kurz auf die vergangene Saison zu sprechen kommen. Sie sagten in einem früheren Interview mit uns, dass RWE mal ein Jahr zum Durchschnaufen bräuchte, das war zuletzt nicht möglich. Wenn Sie die vergangene Saison mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?

Thomas Strunz:
Ich glaube, es gibt kein dazu passendes Wort. Es war eine für den Verein sehr wichtige Saison und auch ein, nicht nur auf das Sportliche bezogen, wichtiges Jahr. Wir haben in vielen Bereichen positive Dinge geschaffen. Auf dem Platz sind wir jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Auch mit dem damals vorhandenen Kader wäre mehr möglich gewesen. Aber das ist nun auch schon wieder ein unveränderbarer Teil der Rot-Weiss Essen Historie. Wichtig ist, sowohl die positiven als auch die negativen Dinge mitzunehmen, um aus den positiven Selbstvertrauen zu schöpfen und aus den Fehlern zu lernen, was wir in Zukunft besser machen müssen.

Jawattdenn.de:
Vor genau einem Jahr saßen wir hier zu einem Interview zusammen und Sie erzählten damals, dass die Mischung in der Mannschaft sportlich und charakterlich passe. Im Laufe der Saison änderte sich diese Ansicht, bis schließlich nach dem Speldorf-Spiel die Mannschaft als „eine Schande für den Verein" bezeichnet wurde. Was passte letztendlich doch nicht in der Mannschaft?

Thomas Strunz:
Ich denke, es sind viele Dinge zusammengekommen. Wir wussten, dass wir zu Saisonbeginn genau elf „erfahrene" Spieler und ansonsten nur Talente hatten, die aus der U23 oder U19 kamen. In der Theorie dachte man, das könnte passen, wenn ein erfahrener einen jungen Spieler führen kann. Es hat sich dann im Laufe der Saison herausgestellt, dass Theorie in dieser Form nicht in der Praxis funktionierte, weil wir zu wenig Druck auf die Stammspieler ausüben konnten, so dass wir nicht flexibel bei einzelnen Positionen und der taktischen Ausrichtung reagieren konnten. Wenn man nicht permanent unter Druck steht, Topleistungen abrufen zu müssen - das kennen wir selber - dann fällt es schwer, immer an die Grenzen zu gehen. Es war leider im letzten Jahr sehr häufig der Fall, dass einzelne Spieler und damit auch die Mannschaft insgesamt nicht an ihre Leistungsgrenzen gestoßen sind.
Ab einem gewissen Zeitpunkt war die Hoffnung auf die Meisterschaft zudem mehr oder weniger beendet - das war nach dem Schalke-Spiel -, dann kommen Spiele zustande, die man eigentlich nicht entschuldigen kann, die aber auch menschlich sind.

 

Jawattdenn.de:
Einige erfahrene Spieler wurden abgegeben, zum Beispiel die Lorenz-Brüder, wobei Michael Lorenz noch vertraglich gebunden ist und sich in der U23 fit hält. Sind es ausschließlich sportliche Gründe gewesen, die zu dieser Entscheidung führten?

Thomas Strunz:
Zu internen Dingen werde ich grundsätzlich nichts sagen, aber die Rollenbeschreibungen, die wir vor der Saison ausgegeben haben, sind von allen Spielern so akzeptiert worden. Und wenn dann die Realität auf dem Platz anders aussieht, dann muss man sich auch hinterfragen. Klar ist auch, dass eine funktionierende Führungshierarchie in der vergangenen Saison nicht vorhanden war, sonst wären manche Dinge anders gelaufen. Aber das ist wie gesagt Geschichte, und wir müssen schauen, dass wir es in diesem Jahr besser machen.
Ich möchte allerdings nicht, dass einzelne Spieler, die nicht mehr im Verein sind, zum Sündenbock abgestempelt werden. Das wäre zu einfach und ein Alibi für andere Spieler. Es sind alle in der Pflicht und das Fehlverhalten in der vergangenen Saison ein gesamtmannschaftliches Problem und nicht das eines einzelnen Spielers.

Jawattdenn.de:
Besteht für Michael Lorenz, sofern er keinen neuen Verein finden sollte, die Möglichkeit, über starke Leistungen in der U23 wieder in den Kader der ersten Mannschaft zu rutschen?

Thomas Strunz:
Michael Lorenz hat einen Vertrag bei uns. Unsere Planungen laufen jedoch ohne ihn. Die U23 hat Ausbildungscharakter, dort sollen Spieler spielen, die perspektivisch für die erste Mannschaft in Frage kommen. Michael ist mittlerweile über 30, er steht nicht mehr für die Zukunft von Rot-Weiss, das weiß er auch selber. U23-Spieler, die in der ersten Mannschaft dabei sind wie Turgul Aydin oder Suat Tokat, sollen oben auch Spielpraxis erhalten. Dann liegt es auf der Hand, dass Michael in der Situation seine Rolle finden und sehen muss, was möglich ist. Das Durchschnittsalter der U23 liegt bei 21 und das soll auch so bleiben.

Jawattdenn.de:
Kommen wir nun auf die aktuelle Situation zu sprechen, der Trainingsstart liegt schon eine Zeit lang zurück, die ersten Vorbereitungsspiele sind gespielt. Was läuft aus Ihrer Sicht schon gut und wo gibt es noch Defizite, die bis zum Saisonstart aufgearbeitet werden müssen?

Thomas Strunz:
Wir haben im Grundlagen- und Ausdauerbereich sehr viel gemacht. Wir haben sehr viele und auch sehr lange Laufeinheiten absolviert. Wir haben auch im Trainingslager jeweils dreimal am Tag trainiert und dabei auf die Testspiele überhaupt keine Rücksicht genommen. Dass nach den Testspielen Unzufriedenheit bei dem einen oder anderen Fan auftritt, wenn man beispielsweise gegen den ETB 0:1 verliert, dann ist das zwar verständlich, aber es ist trotzdem nur eine Vorbereitungsbegegnung. Für Siege in Testspielen sind bis heute keine Punkte verteilt worden und man kann sich beim Saisonstart nichts davon kaufen. Deswegen haben wir auch keine Rücksicht darauf genommen. Man sieht jetzt, dass die Entwicklung des einzelnen und der gesamten Mannschaft in die richtige Richtung geht. Wir haben gegen Duisburg nach vorne schon sehr ordentlich gespielt, haben uns auch Tormöglichkeiten erarbeitet, aber defensiv schlecht gestanden. Wir haben anschließend den Schwerpunkt auf die Defensivarbeit verlagert und gegen Kuba stand die Abwehr dann auch über 90 Minuten sehr sicher. Trotz der kompakten, tief stehenden Spielweise haben wir uns auch Tormöglichkeiten erspielt und eine davon zum 1:0 genutzt. Die Mannschaft muss einfach verstehen - darauf ist zurzeit das Hauptaugenmerk gerichtet -, dass die erste Offensivaktion ein kompaktes Mannschaftsverhalten ist. Daraus entwickeln wir unser Spiel, was gegen Kuba in der ersten Halbzeit schon ganz hervorragend geklappt hat, als wir zwischenzeitlich eine Systemänderung vorgenommen und etwas offensiver gespielt hatten. Da hatte man auch unsere spielerischen Möglichkeiten gesehen, mit Kombinationen, Flanken von Außen und Tormöglichkeiten. Nachdem wir auswechselten, ist der Spielfluss nach vorne verloren gegangen, dennoch standen wir hinten sehr kompakt.
Uns nützt es nichts, wenn wir „Hurra-Fußball" nach vorne zeigen, aber am Ende zu viele Gegentore kassieren. Ich möchte lieber, dass wir die Leute über unsere Ergebnisse begeistern und die Sicherheit ausstrahlen, dass wir hinten immer die Null halten und vorne durch unsere Offensivkraft Spiele gewinnen können. Mit Mölders, Stachnik, Mainka, Heinzmann, Schnier, der gegen Kuba stark gespielt hat, Neumayr, Kurth und Wunderlich haben wir genügend Spieler, die für Tore gut sind und ein Spiel entscheiden können. Mit Herzig haben wir darüber hinaus einen kopfballstarken Mann für Standardsituationen. In unserem Offensivspiel haben wir also genügend „Waffen" und Variationsmöglichkeiten. Entscheidend wird sein, wie wir in der Defensive kompakt als Mannschaft gegen den Ball arbeiten werden.

Jawattdenn.de:
Die Fans haben sich im Forum bislang recht positiv über die Neuverpflichtungen geäußert, gerade beim Vizemeister Kaiserslautern hat man ordentlich zugeschlagen. Was macht Sie sicher, dass die Neuzugänge tatsächlich die erhofften Verstärkungen sind?

Thomas Strunz:
Es nützt nichts wenn ich jetzt sage: „Ich bin mir sicher, dass es so oder so kommt." Entscheidend ist, was am Ende herauskommt und da hat Otto Rehhagel recht, wenn es sagt: „Entscheidend ist auf'm Platz." Theoretisch und auf dem Papier ist alles möglich. Jeder von uns muss erkennen, dass es nur aber nur im Team als Einheit und als Mannschaft funktioniert und der eine auf den anderen angewiesen ist. Wenn wir das verinnerlichen - und das ist wie gesagt die größte Herausforderung und auch unser Ziel -, dann ergibt sich daraus alles andere von selbst - und nicht umgekehrt. Wir brauchen keine Zielvorgabe, welchen Tabellenplatz wir erreichen, wie die Saison laufen soll oder auf welchem Platz wir nach drei Spielen stehen, sondern die Entwicklung der Mannschaft ist das Entscheidende. Ich bin nach den Eindrücken aus den Spielen und der Zusammenarbeit der Mannschaft im Training guten Mutes, dass wir diesbezüglich auf dem richtigen Weg sind. Aber wir sind sicherlich noch nicht dort angekommen, wo wir im Laufe der Saison stehen wollen. Wenn wir das erreicht haben, dann können wir auch über die anderen Punkte reden, die sowieso auf uns zukommen. Das sind zum Beispiel die einzelnen Spiele mit den jeweiligen Ergebnissen.

Jawattdenn.de:
Was den Fans in der letzten Saison ein wenig gefehlt hat, das waren Emotionen auf dem Platz, das Gefühl, dass die Mannschaft „Gras frisst", die Rehhagel´sche kontrollierte Offensive wurde mit emotionslosem Beamtenfußball heruntergespielt. Dadurch hat die Mannschaft kaum das Publikum mit ins Boot geholt. Daher wurden im RWE-Forum auch Rufe nach einem Spielertyp wie Erwin Koen laut, der Mannschaft und Fans bei knappen Spielständen mitziehen kann. Haben Sie bei der Wahl der Neuzugänge speziell auch dieses Defizit geachtet?

Thomas Strunz:
Ich würde nicht sagen, dass es solche Spiele nicht gab. Wir haben gegen Mainz, Worms und Kaiserslautern hohe Siege eingefahren, wo man auch sehr frühzeitig geführt hatte. Unser Problem war ja nicht, dass wir zu wenig Tore geschossen haben, sondern das wir als Mannschaft auch den Fans gegenüber nie die Sicherheit ausgestrahlt haben, dass auch mal ein schmutziges 1:0 zu schaffen ist. Uns nützen keine 20 begeisternden Spiele, wenn wir am Ende Zweiter werden. Ich habe das in meinem Verein, in dem ich lange sehr erfolgreich gespielt hatte, erfahren: Wenn man ein Ziel erreichen will, welches nicht leicht zu erreichen ist, dann geht das nicht nur über „Hurra-Fußball", und das müssen auch die Öffentlichkeit, jeder Fan und vor allem wir selbst begreifen und verinnerlichen. Am Ende geht es nur um das nackte Ergebnis! Euphorie ist zwar schön, aber sie wird sich nur denn stabil ausprägen, wenn wir am Ende erfolgreiche Punktspiele abliefern. Dann geht es nicht darum, dass wir einen Spieler im Kader haben, der die Fans begeistert. In der Zeit, in der Erwin Koen bei RWE war, ist Essen abgestiegen...

Jawattdenn.de:
...und aufgestiegen!

Thomas Strunz:
Gut, aber man sieht, dass es nicht nur an einem Spieler liegt, ein Spieler alleine ist nichts. Wir können unsere Aufgabe nur gemeinsam lösen. Ich bin mir auch aufgrund der Erfahrungen aus dem letzten Jahr sicher, es ist auch außerhalb der Mannschaft angekommen, dass wir Erfolge brauchen. Und Erfolg heißt nicht zwingend spektakulärer Fußball mit 5:0-Siegen, sondern drei Punkte am Wochenende einzufahren. Das führt am Ende auch zu einer Euphorie, wenn man Punkte hat und oben steht.

Jawattdenn.de:
Damit wir uns nicht missverstehen: es geht uns nicht um „Hurra-Fußball", es gibt auch kämpferisch begeisternde Abwehrschlachten, bei denen das Publikum mitfiebert und die Mannschaft unterstützt. Dafür muss der Fan aber das Gefühl haben, dass die Mannschaft tatsächlich „Gras frisst" und den Erfolg über den Kampf erzwingen möchte, falls mal spielerisch nicht viel läuft.

Thomas Strunz:
Richtige Emotionen gab es nicht und ich glaube man hatte immer das Gefühl, dass keine absolute Sicherheit ausgestrahlt wurde. Egal gegen welchen Gegner oder bei welchem Spielstand, man hatte immer das Gefühl, es könne jederzeit hinten etwas passierenn. Das überträgt sich natürlich auf die Ränge und wieder zurück. Wir dürfen nicht den Fehler machen zu sagen, wir gewinnen nur deswegen, weil wir Rot-Weiss Essen sind. Das hat auch etwas mit Respekt vor unseren Gegnern zu tun. Wir treffen auf gut ausgebildete und harmonierende Spieler und Mannschaften, den Erfolg müssen wir uns Schritt für Schritt erarbeiten. Geschenkt wird uns nichts.

Jawattdenn.de:
Wenn man versucht, ein 1:0 über die Zeit zu retten, ist das völlig legitim in dieser Liga. Früher war es jedoch so, dass man als Fan die Mannschaft bei einer Abwehrschlacht unterstützt hatte, während heute schnell gepfiffen wird.

Thomas Strunz:
Vielleicht hat man gedacht, wir sind nach einer 1:0- Führung automatisch in der Lage, schnell das 2:0, 3:0 und 4:0 nachzulegen. Ich glaube, inzwischen hat jeder erkannt, dass auch in dieser Liga ganz ordentlicher Fußball gespielt wird und andere Mannschaften auch Spieler im Kader haben, die höher spielen könnten. Diese sind nicht nur bei RWE zu finden.

Jawattdenn.de:
Sehen sie spezielle Mannschaften, die wie RWE um den Aufstieg kämpfen werden?

Thomas Strunz:
Preußen Münster hatte im vergangenen Jahr schon eine sehr ordentliche Mannschaft, die vorne sicherlich ein paar Probleme hatte. Münster hat sich dort aber respektabel verstärkt und ist für mich der Top-Favorit. Dann gibt es noch die zweiten Mannschaften, bei denen man nie weiß, in welcher Konstellation sie eigentlich antreten werden und welche Qualität aus dem U19-Bereich hochkommt. Letztes Jahr hatte Kaiserslautern einen starken Jahrgang, in diesem Jahr könnte das in Köln, Gelsenkirchen oder Leverkusen der Fall sein. Die Aufstiegskandidatenfrage kann man hier nicht genau beantworten, weil man eben nicht genau weiß, welche Spieler von oben mitspielen werden. Aber ich rechne wie gesagt ganz klar mit Preußen Münster. Sie haben auch deutlich gesagt, dass sie aufsteigen wollen. Wir haben die Aufgabe, das was Münster uns im vergangenen Jahr voraus hatte, nämlich als Mannschaft aufzutreten, zu schaffen.

Jawattdenn.de:
Man schaut inzwischen erstaunt nach Oberhausen, die seit drei Jahren sehr erfolgreichen Fußball mit einer Mannschaft spielen, deren Stammspieler vor ein oder zwei Jahren noch viertklassig spielten. Dort scheint es eine starke Scoutingabteilung mit zielsicherem Blick für relativ günstige aber dennoch starke Spieler aus unteren Klassen zu geben...


Thomas Strunz:
Nein, das hat mit dem Scouting nichts sie tun, sie haben einfach eine Mannschaft! Das ist genau das, was ich vorhin gesagt habe, Rot-Weiß Oberhausen oder auch Rot-Weiß Ahlen präsentieren sich auf und außerhalb des Rasens als echte Einheit. Dort gibt es keine "Ausbrecher", es handelt sich um ein harmonisches Team. Das ist am Ende mehr wert als drei, vier qualitativ hochwertigere Spieler, die sich dann aber nicht in den Mannschaftsverbund einfügen. Wenn man den Durchmarsch von RWO in den vergangenen Jahren betrachtet, dann spielen sie zu großen Teilen noch mit der Oberligamannschaft, man hat sich dort auch die notwendige Zeit gegeben. Zudem hatten sie natürlich auch nicht die Situation was Zuschauer und Öffentlichkeit betrifft, die wir bei Rot-Weiss Essen haben. Ähnliches gilt für Ahlen. Die beiden Vereine zeigen uns exemplarisch, dass es nur über die mannschaftliche Geschlossenheit geht und nicht über die Klasse einzelner Spieler. Das hat wie gesagt nichts mit Scouting zu tun, sondern hängt mit der Harmonie und dem Mannschaftsgefüge zusammen. Die Spieler kennen sich gut und mit dem Aufstieg in die dritte Liga entwickelte sich eben auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Verständnis untereinander. Das habe ich auch schon immer gesagt, man braucht Kontinuität im Kader und in der Mannschaftsplanung.

Jawattdenn.de:
Man hat im Kader mit Dennis Bührer nur einen reinen Linksfuß für die Flügel, ist das nicht ein wenig knapp geplant?

Thomas Strunz:
Bayern München hat gar keinen, also von daher... In der Nationalmannschaft haben wir auch keinen, dort spielen Philip Lahm und Sebastian Schweinsteiger links, zwei Rechtsfüße. Wir haben mit Dennis Bührer und Dirk Caspers zwei Spieler für den Defensivbereich, die linken Verteidiger spielen können. Darüber hinaus spiel Zinke als Innenverteidiger, der Linksfuß ist. Wir haben sicherlich aktuell keinen Linksfuß für den offensiven Bereich, aber wir haben in der U23 einen, den ich für sehr interessant halte. Er hatte zuletzt eine Knieverletzung, sonst wäre er sicherlich schon jetzt bei uns oben dabei.

 

Jawattdenn.de:
Wie konnten Sie einen erfahrenen Trainer wie Uwe Erkenbrecher, der auch schon im Profibereich als Chefcoach arbeitete, davon überzeugen, bei RWE als Co-Trainer ins zweite Glied zu rutschen?

Thomas Strunz::
Das „zweite Glied" hört sich so negativ an. Ich glaube, dass Uwe Erkenbrecher erkannt hat, dass heute erfolgreiche Arbeit nur im Team funktioniert. Das machen uns auch höherklassige Mannschaften vor. Diese Alleinherrschaften funktionieren nicht mehr. In England ist es so wie wir es jetzt machen, seit Alex Ferguson und Arsene Wenger das Ruder übernommen hatten, ein völlig üblicher Vorgang. Jürgen Klinsmann hat das bei Bayern München versucht, es hat nicht geklappt. Felix Magath hat es in Wolfsburg versucht und es hat wunderbar geklappt. Es hängt also auch immer mit den Rahmenbedingungen und handelnden Personen zusammen. Wichtig ist auch hier, dass wir uns im Trainerstab als Team verstehen. Ich kenne Uwe Erkenbrecher aus der Wolfsburger Zeit. Als ich ihn darauf angesprochen hatte, ob es sich eine Tätigkeit bei RWE vorstellen könne, hat er spontan gesagt, es höre sich sehr interessant an. Wir sind dann im Detail die Abläufe durchgegangen um zu klären, wie sich jeder einbringt und welche Verantwortlichkeiten entstehen und am Ende haben wir alle das Gefühl, dass es eine gute Entscheidung ist. Wir als Verein profitieren von seiner 20-jährigen Erfahrung als Cheftrainer mit allen Höhen und Tiefen und er profitiert davon, was wir in Essen umsetzen wollen. Also der Teamgedanke. Wenn er früher für alles alleine verantwortlich war, dann ist es für ihn nun auch eine Entlastung, denn er muss sich nun um einige Bereiche nicht mehr kümmern. So schaffen wir es bestimmt, bei der Trainingsarbeit die positiven Effekte zusammenzuführen und die Schwächen des Einzelnen - niemand ist perfekt - im Team zu kompensieren, um als Trainergespann keine Schwächen zu zeigen. Die Mannschaft bekommt dadurch vorgelebt, wie ein Team funktionieren kann.

 

Jawattdenn.de:
Auf ihrer ersten Pressekonferenz als Sportlicher Leiter bei RWE wurden sie gefragt, ob Sie es sich vorstellen könnten, hier Trainer zu werden. Diese Frage hatten sie damals kräftig verneint. Was hat Sie zum Umdenken bewogen?

Thomas Strunz:
(lacht) Das Umdenken entstand aus der letzten Saison heraus. Wenn man sich einen gewissen Weg als Sportlicher Leiter vorstellt, dann aber in der Umsetzung Dinge sieht, die man auch aus der eigenen Erfahrung heraus anders manchen würde, man zu der Erkenntnis kommt, dass mit Michael Kulm und Ernst Middendorp diese Wege nicht umgesetzt werden können, dann kommt man zur logischen Schlussfolgerung, dass es in der kommenden Saison nur einen sportlichen Weg und keine zwei unterschiedlichen Meinungen geben sollte. Wenn man überlegt, wie man mit bestimmten Situationen umgeht oder wie man eine Halbzeit oder ein Spiel bewertet und darüber mit der Mannschaft spricht, und es dann zwei unterschiedliche Meinungen gibt, dann ist es für eine Mannschaft sehr schwierig, damit umzugehen. Ich glaube aufgrund dieser Erfahrung, dass es richtig ist, diese Wege auf eine Person zu bündeln, gleichwohl aber das Trainerteam zu verstärken. Wir haben nun vier Trainer und einen Kader mit 21 Feldspielern und zwei Torhütern. Wir können viel detailierter in kleinen Gruppen arbeiten, wir arbeiten sehr viel im Defensiv- und im Offensivverhalten. Ich bin sicher, dass diese Situation am Ende Früchte tragen wird.

Jawattdenn.de:
Sehen Sie ihre Trainertätigkeit nur als vorübergehenden Zustand an, oder ist eine längere Tätigkeit denkbar?

Thomas Strunz:
Darüber denke ich noch gar nicht nach, wir haben jetzt eine Aufgabe vor uns, die Mannschaft weiter voranzubringen. Wie es dann weitergeht, ist mir noch völlig egal und im Erfolgsfall ist es mir noch „egaler" (lacht).
Von daher arbeiten wir wirklich von Tag zu Tag und Schritt für Schritt und machen uns überhaupt keine Gedanken darüber, was in drei Monaten sein könnte. Wir sind davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Jawattdenn.de:
Jede Mannschaft hat im Laufe der Saison eine Phase, in der es nicht richtig läuft. Fürchten Sie, dass sie dann schnell unter Druck geraten, schneller als wenn Sie „nur" Sportlicher Leiter wären?

Thomas Strunz:
Machen wir uns nichts vor, im letzten Jahr wurde der sportliche Misserfolg auch mit meiner Person verknüpft, auch wenn ich „nur" Sportlicher Leiter gewesen bin. Das ist doch völlig normal und auch verständlich. Der Druck wäre also für mich genauso groß, auch wenn ich nicht den Trainerposten übernommen hätte. Zudem - was heißt überhaupt Druck? Wir haben hier in Essen die phantastische Möglichkeit, mit einem Traditionsverein etwas aufzubauen und zu erreichen. Wir haben mit dem Stadionprojekt schon etwas in die Wege geleitet, das symbolisch am 8. August auch nach außen hin begonnen wird. Es gibt überhaupt keinen Druck, es ist eine Herausforderung, die Spaß macht. Druck gibt es in anderen Situationen wie in der Weltwirtschaftskrise. Ich kann keinen Druck verspüren und es macht mir auch in dieser Situation Spaß zu arbeiten. Ich hätte es als Spieler nicht jahrelang in der Bundesliga aushalten können, wenn ich mit der Erwartungshaltung oder Verantwortung nicht hätte umgehen können. Mich stört der sogenannte Druck also nicht, mich motiviert er eher.

Jawattdenn.de:
Verspürt haben sie also keinen Druck, aber am Ende der vergangenen Saison sicher ein wenig vereinsinternen Gegenwind. Sehen Sie mit dem Abschneiden in dieser Saison auch ihr persönlich Schicksal im Verein verknüpft?

Thomas Strunz:
Jedem, der sich mit einem Verein beschäftigt, ist es klar: wenn es sportlich nicht läuft, muss man sich der Kritik stellen, keine Frage. In der vergangenen Saison war es jedoch so, dass die Kritik in einer Phase laut wurde, die aus meiner Sicht unverständlich war. Dass man unzufrieden war nach dem Ausscheiden gegen den unterklassigen VfB Speldorf, ist klar. Aber was für Dinge dann passiert sind und was lanciert wurde, war unsachlich. Mit einer professionellen Arbeit hatte das nichts zu tun. Deshalb bin ich dann auch in die Offensive gegangen und habe betont, dass wir diesen gemeinsamen Weg brauchen. Nur dann kann man am Ende erfolgreich sein. Wenn es anders möglich wäre, würden nicht immer die gleichen Vereine in der Bundesliga erfolgreich sein. Es muss jedem klar sein, dass nur ein gemeinschaftlicher Weg des gesamten Vereins zum Erfolg führen kann. Wenn es drei Wege gibt, dann gibt es auch drei Meinungen innerhalb der Mannschaft auf dem Rasen - und das geht nicht. Daher mein Schritt an die Öffentlichkeit als ich gemerkt hatte, dass es eigentlich noch nicht mal so sehr aus dem vereinsinternen Zirkel sondern mehr aus dem Umfeld irgendwelche unsachlichen Dinge gab - aber das ist schon wieder lange her und für mich beendet und kein Thema mehr. Ich spüre, dass wir uns als Verein weiterentwickelt haben und auch mit einer Zunge sprechen. Ich bin guten Mutes, dass es auch sobleibt.

Jawattdenn.de:
Wie sieht ihre Philosophie als Trainer aus? Es war schon herauszuhören, dass man sich auch mit mal mit einem „dreckigen 1:0" zufrieden geben muss, nur die Punkte zählen.

Thomas Strunz:
(lacht) Mir ist natürlich auch ein 4:0 vor möglichst vielen begeisterten RWE-Anhängern lieber, aber es macht keinen Sinn, auf dieser Basis anzufangen. Die Basis muss immer Arbeit sein. Alles andere können unsere Spieler dann sowieso umsetzen, weil die Qualität da ist. Wenn ich in ein Spiel gehe und mich nur damit beschäftige, wie hoch ich gewinne, dann renne ich blind nach vorne - so darf eine Mannschaft nicht denken. Wir müssen in unsere Köpfe hereinbekommen, dass wir aus der Defensive heraus das Spiel des Gegners kontrollieren und daraus unser Spiel entwickeln. Dann wird es schwer, gegen uns ein Tor zu erzielen und unsere Offensivkraft aufzuhalten. Deshalb wird am Ende die Defensive die Meisterschaft entscheiden und nicht, ob wir 60 oder 63 Tore erzielt haben. Die Mischung aus offensivem und defensivem Denken ist entscheidend. Hier sind in der Regel die offensiven Kräfte mehr gefragt, weil sie natürlich ein Tor erzielen wollen. Sie müssen aber auch begreifen, dass die Abwehrarbeit quasi die erste Angriffsaktion ist. Gegen Kuba hat man gesehen, dass es die Mannschaft verstanden hat und es umsetzen wollte. Und trotz der defensiven Denkweise haben wir uns in der ersten Halbzeit klare Torchancen herausgespielt. Wir haben auch nur mit einer bzw. 1,5 Spitzen gespielt um auszuprobieren, wie jeder einzelne damit umgeht. Wenn wir später wieder mit zwei Spitzen antreten werden, würde es sich nochmal anders darstellen. Aber die Mannschaft ist in der Lage, auch aus einer defensiveren Spielweise heraus Torchancen herauszuspielen.

Jawattdenn.de:
Apropos Torchancen. Torchancen und Tore nach Standardsituationen haben wir im vergangenen Jahr recht wenige gesehen. Erhoffen Sie sich hier auch eine Verbesserung durch die Neuzugänge?

Thomas Strunz:
Ich sage mal ganz klar: das ist ein Märchen! Viele sehen das in ihrer subjektiven Wahrnehmung nicht richtig. Man kann gerne mal eine Statistik erstellen, wie viele Tore wir in der vergangenen Saison durch Freistöße und Ecken erzielt haben - dann wird jeder überrascht sein, wie viele das doch waren. Mir fallen schon spontan zwei Tore gegen Elversberg beim 2:0 ein. Ich bitte Euch also darum, eine Statistik aus den Torerfolgen nach Standardsituationen zu erstellen, dann werdet auch Ihr überrascht sein, dass es doch nicht null sondern 12 bis 15 Tore waren. Das kann man sich im ersten Augenblick nicht vorstellen, aber es war so. Wir haben Spieler, die gute Freistöße schießen können. Wir haben auch Spieler, die die Standards verwerten können, darum bin ich mir sicher, dass wir auch zukünftig genug Tore nach Standardsituationen erzielen werden.

Jawattdenn.de:
Mit Wunderlich haben wir endlich auch mal wieder einen Spieler, der Freistöße direkt verwandeln kann.

Thomas Strunz:
Ja, nicht nur Mike. Wir haben auch mit Markus Neumayr jemanden, der das kann. Und mit Finn Holsing haben wir einen Spieler verpflichtet, der auch sehr gute Standards schießt. Ich bin sicher, dass wir auch wieder das eine oder andere direkte Freistoßtor erzielen werden.

Jawattdenn.de:
Dann kommen wir zur U23. Waldemar Wrobel wird weiterhin Trainer der U23 bleiben, wie kam es zu dieser Entscheidung?

Thomas Strunz:
Waldi hat die Mannschaft schon in der Rückrunde betreut, nachdem Karl-Heinz Pflipsen uns verlassen wollte. Man hat dann gesehen, was in der Mannschaft steckt, wie viele Punkte er geholt hat und was für Möglichkeiten jeder einzelne Spieler hat. Er genießt eine hohe Akzeptanz bei den Spielern und auch bei uns im Trainerteam sowieso. Von daher ist eine gute Zusammenarbeit gewährleistet und ich weiß, dass jeder Spieler, der in der U23 trainiert, gut ausgebildet wird. Auch Spieler, die aus dem Kader der ersten Mannschaft mal in der U23 zum Einsatz kommen, sind absolut super betreut und folgen seiner Spielphilosophie. Von daher war es eine fast zwangsläufige Entwicklung, ihn weiter als Trainer zu verpflichten.

Jawattdenn.de:
Die U23 hat wichtige Spieler gerade in der Offensive verloren. Bekommt es Essens „Zweite" zu spüren, dass dem Verein durch die Speldorf-Niederlage viel Geld durch die Lappen gegangen ist?

Thomas Strunz:
Nein, das hat mit der U23 überhaupt nichts zu tun. Die U23 ist ganz klar ein Ausbildungsbetrieb, und natürlich gibt es dort eine Fluktuation. Wenn ein Spieler dort gut spielt wie beispielsweise Uzun, der uns verlassen hat, dann möchte er nicht mehr in einer zweiten Mannschaft spielen. Das muss man akzeptieren. Für die erste Mannschaft reichte es aus unserer Sicht nicht ganz. Er ist für uns kein Spieler, der uns im Regionalligakader deutlich besser gemacht hätte. Das haben wir ihm klar gesagt und wenn er sich dann lieber den Sportfreunden Siegen anschließt, anstatt bei uns weiterhin in der zweiten Mannschaft zu spielen, dann ist das legitim und völlig verständlich. Genauso haben es auch unsere drei Jungs aus Kaiserslautern gemacht, die auch nicht mehr in der zweiten Mannschaft bleiben wollten und deshalb zu uns gewechselt sind. Das ist ein völlig normaler Vorgang. Wir haben „oben" 21 Feldspieler im Kader, die natürlich nicht alle am Wochenende spielen können und dann Spielpraxis in der U23 erhalten werden. Das sehe ich überhaupt nicht als kritisch an. Wir haben insgesamt 44 Spieler für beide Mannschaften, das sollte ausreichend sein.

Jawattdenn.de:
Welche Saisonziele streben Sie mit der U23 an?

Thomas Strunz:
Wenn wir es in der U23 schaffen, jedes Jahr ein bis zwei Spieler so voranzubringen, dass sie zum festen Bestandteil der ersten Mannschaft werden, und wir dadurch ein gewisses Maß an wirtschaftlichen Mitteln sparen, dann hat die U23 erfolgreich gearbeitet. Das hat Priorität. Dazu gehört natürlich, dass man die Liga hält, wenn man am Ende besser stünde, wäre das ein schönes Beiwerk. Man muss auch wissen, dass man in der Oberliga NRW auch gegen etablierte Mannschaften wie Herne, Wattenscheid und Siegen mit Ambitionen nach oben sowie gegen zweite Mannschaften von Profivereine spielt. Wir wollen uns dort gut präsentieren, aber der Klassenerhalt und das Voranbringen der Spieler ist wie gesagt das erklärte Ziel.

Jawattdenn.de:
Wir danken Ihnen für das Gespräch!



Das Interview führten: Michael Jaskolla und Sebastian Brandt