Interview mit Nico Schäfer
Seit fast acht Jahren ist er bei RWE einer der Macher im Hintergund: Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Nico Schäfer. Der 37-jährige Diplom-Betriebswirt äußert sich im Jawattdenn-Interview über die schwierige Zeit zu Beginn seiner Tätigkeit und das "Klinkenputzen" bei potenziellen Sponsoren ebenso wie über das vermurkste Zweitligajahr und die Aussichten für die Zukunft.
Jawattdenn.de:
Guten Tag, Herr Schäfer, vielen Dank, dass sie
sich zwischen den Feiertagen die Zeit nehmen, um uns
für ein paar Fragen zur Verfügung zu stehen.
Sie sind seit 1998 für Rot-Weiss tätig.
Damals befand sich der Verein im Umbruch oder besser:
kurz vor dem Abgrund. Wie sind – in Anbetracht
dieser Tatsache – damals die Kontakte zwischen
ihnen und RWE entstanden?
Nico Schäfer:
Ich
war gerade von einem Auslandsstudium (MBA) wieder nach Essen
zurückgekehrt und hatte mich mit einer Werbeagentur
selbstständig gemacht, die auch das Unternehmen des damaligen
Vorstandsmitgliedes Heinz Lemke betreute. Daher wurde
ich gefragt, ob ich Interesse hätte, Sponsoren
für den Club ausfindig zu machen. Ich dachte
mir sofort: Mensch, super, Rot-Weiss Essen, ein großer
Club mit Tradition, die werden schon einen großen
Sponsor auf der Brust haben! Ich sah das als verheißungsvollen
Start für meine neu eröffnete Agentur.
Als ich dann jedoch hier auf der Geschäftstelle
ankam, kam ich erst mal fünf Tage lang überhaupt
nicht weg - eine Nacht schlief ich sogar im Schlafsack.
Ich stellte mit Erschrecken fest, dass der Verein
kurz vor dem Konkurs stand. Es konnten weder Spielergehälter
noch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.
Meine Aufgabe war es also zunächst einmal, Einsicht
in die Bilanz zu nehmen und die lokale Wirtschaft
abzuklappern, was sich als schwieriger herausstellte
als gedacht.
Jawattdenn.de:
Sie waren aber von Anfang an Geschäftsführer?
Nico Schäfer:
Nein, mein Titel lautete damals "Vorstandskoordinator".
Dadurch, dass zunächst keiner was mit dieser
Bezeichnung anfangen konnte, konnte ich in Ruhe arbeiten.
Das erste halbe Jahr war wirklich nur geprägt
von Aufräumarbeiten.
Zu diesem Zeitpunkt sind die ersten Kontakte in Richtung
Kölmel entstanden, der gezielt solche Vereine
suchte, die die offenbar kein anderer mit der Kneifzange
hätte anfassen wollen. Sein Konzept, vier oder
fünf finanziell schwachen Clubs unter die Arme
zu greifen, überzeugte uns. Hätten wir damals
gewusst, dass es später immer mehr werden sollten,
dann hätten wir uns auf diese Sache nicht in dieser Form eingelassen.
Zumindest nicht zu den damals ausgehandelten vertraglichen
Konditionen. Aber zum damaligen Zeitpunkt war dieser
Schritt für den Club überlebensnotwendig. So konnten wir nach dem bitteren Abstieg in die Oberliga
wenigstens schon mal wieder planen.
Heinz Koch und Dieter Tartemann bildeten damals das
sportliche Gespann, und nach anfänglichen Schwierigkeiten
in der Oberliga konnten wir uns relativ schnell etablieren.
Erst mit dem Aufstieg damals wurde ich nach und nach
zum Geschäftsführer und im letzten Jahr
mit dem Aufstieg in die zweite Liga kam ich in den
Vorstandskreis.
Jawattdenn.de:
Es war also ein langsamer Einstieg bei Rot-Weiss Essen
…
Nico Schäfer:
Ja, das kann man wohl sagen. Die ersten zwei Jahre
hatte ich nicht mal einen richtigen Arbeitsvertrag.
Es wurde immer per Handschlag verlängert, zumal
ich wegen meiner Agentur auch gar nicht längerfristig
beim Verein bleiben wollte. Ich wollte den Konkurs
abwenden und mich dann eigentlich wieder um meine
Firma kümmern. Aber der Virus Rot-Weiss Essen
hatte mich doch relativ schnell gefangen …
Jawattdenn.de:
Sie schilderten kurz die Anfänge ihrer Tätigkeit,
als sie gerade mal 30 Jahre alt waren. Gab es keine
kritischen Untertöne aus den Kreisen der damaligen
Verantwortlichen? Schließlich waren sie ein
unbeschriebenes Blatt …
Nico Schäfer:
Nein, es war eher so, dass hier niemand arbeiten wollte,
zumal auch die Kassen leer waren und man in den ersten
Monaten nicht von Gehalt ausgehen konnte.
Jawattdenn.de:
Das hört sich so an, als wenn es ziemlich leicht
war, in den Verein hinein zu kommen …
Nico Schäfer:
Leicht ist relativ. Ich kam damals
als internationaler Diplombetriebswirt hierher, hatte
bereits Erfahrung in der Geschäftsführung
eines Veranstaltungsunternehmens mit ca. dreißig
Mitarbeitern vor meinem Studium in Dublin. Nach
meiner Rückkehr nach Essen eröffnete ich dann
eine Werbeagentur, aber landete ziemlich
schnell beim Verein. Es kommt ja fast immer anders
als man denkt …
Jawattdenn.de:
Dann sind sie in das kalte Wasser geworfen worden,
ohne die Infrastruktur zu kennen …
Nico Schäfer:
Richtig, das kann man so sagen. Ich hatte aber den
wirtschaftlichen Background, denn der war damals gefragt.
Es wollte oder konnte offensichtlich keiner die Bilanzen
des Vereins lesen. Vielleicht war es deshalb ganz
gut, dass jemand von außerhalb kam. Anfangs
wollte auch jeder dem anderen den schwarzen Peter
für die katastrophale Lage zuschieben. Ich konnte
mir ohne Vorurteile die Meinungen aller Beteiligten
anhören und fungierte als "Moderator".
Ich war unvorbelastet, hatte mit Interna weniger zu
tun, und konnte mir mit der Zeit mein eigenes Bild
machen.
Jawattdenn.de:
Das heißt, sie waren eine Art Vermittler an
den Reibungspunkten zwischen den einzelnen Gremien?
Nico Schäfer:
Schon, in den ersten Jahren war mein Job hauptsächlich
Moderation. Hier lag ja alles im Argen. Da gab es
Streitigkeiten, offene Schlammschlachten und Skandale.
Die Hauptaufgabe war, den Verein wieder in ruhigeres
Fahrwasser zu bringen und die einzelnen Positionen
behutsam neu zu bekleiden. Rolf Hempelmann und ich
sind damals beinahe wie die Jungfrau zum Kinde gekommen,
wir waren ein lernendes Unternehmen. Es gibt ja diesen
schönen Satz: "Fehler sollte man nie zweimal
machen". Aber, dass man anfangs Fehler machte,
blieb leider nicht aus.
Jawattdenn.de:
Kann man ihre damaligen Bemühungen um potenzielle
Sponsoren als "Klinkenputzen" bezeichnen?
Nico Schäfer:
Wenn ich überhaupt bis zur Klinke kam, hatte
ich Glück! Oft war es so, dass ich irgendwo im
Sekretariat eines potenziellen Kandidaten anrief und
gleich hörte, wie auf der anderen Seite der Hörer
wieder auf die Gabel fiel. Das hat sich aber über
die Jahre zum Glück gewandelt. Spätestens
nach dem historischen Datum 12.06.2001.
Damals wie heute achten wir darauf, den Kontakt zu
den einzelnen Sponsoren in Form von Besuchen aufrechtzuerhalten.
Inzwischen zählen 183 Unternehmen zu unserem
Sponsorenpool. Damals waren es 35, viele davon nur
auf dem Papier.
Jawattdenn.de:
Wobei
aber doch die Steag und RWE den Hauptanteil ausmachen?
Nico Schäfer:
Ohne diese Unternehmen hätten wir das Volumen
für dieses Jahr nach dem Abstieg sicherlich nicht
so tragen können. Trotzdem ist es wichtig, dass
der Verein auch viele mittelständische Unternehmen
als Partner hat, denn wenn man sich von wenigen abhängig
macht, kann man rasch wieder dort landen, wo man einst
herkam.
Jawattdenn.de:
Dann besteht also keine finanzielle Gefahr, wenn die
sofortige Rückkehr in den bezahlten Fußball
misslingt?
Nico Schäfer:
Der Vertrag mit der RWE AG läuft noch über zwei weitere Jahre ....
Jawattdenn.de:
Aber ist eine weitere Regionalliga-Saison mit einem
solchen Aufwand möglich?
Nico Schäfer:
Die Sponsoren erwarten natürlich auch etwas,
das ist doch ganz klar. Doch sie sind mit unserer
Arbeit nicht unzufrieden, deswegen glaube ich
nicht, dass sie uns verlassen werden. Auch im schlimmsten
Fall nicht. Die Frage nach dem Umfang muss dann berechtigterweise
gestellt werden. Denn mit jedem Jahr in der Regionalliga
wird es schwieriger. Auch für die anderen Vereine.
Jawattdenn.de:
Dann wäre es doch eigentlich gar nicht mal so
schlecht, da so schnell wie möglich wieder raus
zu kommen, oder?
Nico Schäfer:
Der Aufstieg ist ganz klar unser Ziel, und wir sind
auf einem guten Weg. Ich bin überzeugt, dass
wir dieses Ziel erreichen können, wenn wir Ruhe
bewahren!
Jawattdenn.de:
Wie sieht anno 2005 ein Arbeitstag von Nico Schäfer
aus?
Nico Schäfer:
Es hat sich eigentlich nicht viel geändert, ich
würde es mal salopp als „Mädchen für
alles“ umschreiben. Wichtig ist für mich,
dass man immer eine offene Tür für jeden
Mitarbeiter hat, dass die Gremiumsmitglieder dementsprechend
informiert werden und dass so auch intern keine Probleme
auftauchen können, von denen der eine oder andere
Mitarbeiter dann behaupten könnte, das und das
habe er nicht gewusst.
Natürlich gab es mit dem Einrichten einer sportlichen
Leitung eine Strukturänderung, so dass ich weniger
mit den sportlichen Dingen zu tun habe. Ich agiere
bei Vertragsgestaltungen zusammen mit Professor Buchberger,
ansonsten halte ich mich aus den sportlichen Dingen
raus, so weit es geht.
Jawattdenn.de:
Sie sorgen also für die Tinte unter den Verträgen?
Wie läuft ein Transfer eigentlich bei RWE ab?
Nico Schäfer:
Dabei sind viele Leute beteiligt. Damit meine ich
Spielerberater, andere Vereine etc, und jeder geht
seinen eigenen Weg. Bei uns ist es so, dass der Trainer
eine Liste vorlegt, der sportliche Leiter diese prüft
oder auch eigene Vorschläge
einbringt. Der erste Kontakt wird dann ebenfalls von
den beiden gesucht. Wenn ein potenzieller Kandidat
bei uns vorspricht, gehen wir als Vorstand mit ihm ins Detail und
sprechen auch über das Gehalt.
Jawattdenn.de:
In der Hinrunde gab es aus den Fankreisen heftige
und kritische Töne an die sportliche Leitung,
insbesondere den Trainer. Nach einem gewonnenen Heimspiel
kam es hinter der Haupttribüne fast zu tumultartigen
Szenen. Sie sagten vorhin, man müsse "Ruhe
bewahren". Fällt das in so einer Situation
schwer?
Nico Schäfer:
In
dieser Phase war es nicht einfach. Aber wenn man aus
acht Jahren Erfahrung in diesem Club schöpfen
kann, härtet man ab. Ich glaube, ein Jahr wie
2001 mit dem sportlichen Aufstieg und dem fast finanziellen
Ende härtet einen für Lebzeiten ab.
Uwe Neuhaus hat diese Art der Kritik natürlich
getroffen, obwohl er das nie nach außen hin
gezeigt hat. Das ist auch ein Vorwurf, der ihm oft
gemacht wird, dass er kaum Emotionen zeigt. Aber wenn
man ihn näher kennt, dann zeigt er sie sehr wohl.
Und wenn man ein Einzelgespräch mit ihm führt,
sieht man, dass er sehr emotional denkt, es nur ruhiger
zum Ausdruck bringt. Aber in dieser Zeit war es sehr
wichtig, dass unser komplettes Umfeld, die Mitarbeiter
und alle Beteiligten, ihn davon überzeugen konnten,
warum man eigentlich gerne für Rot-Weiss Essen
arbeitet.
Jawattdenn.de:
Steht er denn immer noch im Schatten seines Vorgängers
Jürgen Gelsdorf?
Nico Schäfer:
Ich sehe es nicht so sehr als Schatten an. In der
letzten Saison hat man sich so lange selber Mut gemacht,
bis es schon fast zu spät war, alle blieben ruhig.
Und als es dann endgültig zu spät war, war
die Saison schon gelaufen … so konnte keiner
den Frust richtig rauslassen.
Das passierte erst später. Das ist zwar unfair
den neuen Leuten gegenüber, aber auch verständlich,
da alle so lange auf den Aufstieg gewartet hatten
und dieses Kapitel leider sehr schnell wieder geschlossen
werden musste.
Andererseits gab es viele Fans, die den Verein trotzdem
unterstützt haben. Diese unterschiedlichen Sichtweisen
zeigen, dass der Verein lebt.
Schlimmer wäre, wenn gar nichts mehr käme.
Dann lieber eine harte Phase zu Beginn. Immerhin rückte
die Mannschaft dadurch ja gleich zu Beginn noch enger
zusammen.
Jawattdenn.de:
Wollen sie damit sagen, dass die negative Stimmung
die Mannschaft zusammengeschweißt hat?
Nico Schäfer:
Nein, das wäre viel zu einfach. Es spielen natürlich
viele Dinge eine Rolle. Aber es war vielleicht der
Anlass, diese negative Stimmung in positive Energie
umzuwandeln. Hier mussten aber auch der Trainer und
der sportliche Leiter richtig anfassen, damit es sich
eben nicht ins Gegenteil auswirkt. Es ist ein schmaler
Grat, auf dem man da geht. Es hat was bewirkt, wird
aber sicherlich nicht in gleicher Form noch mal so
ablaufen können.
Jawattdenn.de:
Im Falle des Aufstieges, wie lehrreich war dann das
eine katastrophale Jahr in der zweiten Liga für
den Verein?
Nico Schäfer:
Wir haben das letzte Jahr gut analysiert. Der Abstieg
war intern ein großes Thema. Wir mussten schnell
feststellen, dass die zweite Liga eine andere Welt
ist. In der Regionalliga ist man der "große
Verein", dann kommt man eine Etage höher,
wo man plötzlich nur noch der "kleine Verein"
ist. Aber wir konnten aus diesem Jahr unsere Schlüsse
ziehen.
Jawattdenn.de:
Sind sie nicht ein wenig zu blauäugig an die
ganze Sache herangegangen?
Nico Schäfer:
Wirtschaftlich mit Sicherheit nicht. Der wirtschaftliche
Erfolg mit kleinem Etat war sicherlich ein Spitzenwert
für die zweite Liga.. Wir konnten in diesem Jahr
auch einiges an Altlasten abbauen. Aber man konnte
sportlich die Abgänge nicht adäquat ersetzen.
Das will ich jetzt nicht allein auf Trainer und sportlichen
Leiter münzen. Auch im Vorstand sitzen Leute,
die gut denken können. Aber, wenn wir im nächsten
Jahr aufsteigen, werden wir in der zweiten Liga einiges
anders machen und vielleicht auch nicht mehr alles
einfach glauben und hinnehmen, was einem gesagt wird.
Jawattdenn.de:
Dann würden sie also mit der Erfahrung der letzten
Saison in Krisensituationen schneller reagieren? Hier
sei der Winter 2004 angemerkt!
Nico Schäfer:
Ja, das wäre eine Konsequenz aus dem Jahr. Natürlich
hatte Jürgen Gelsdorf durch den Aufstieg einen
Nimbus, und da tut man sich etwas schwerer. Aber eines
kann ich sagen, was Jürgen Gelsdorf fantastisch
beherrschte: er konnte sich sehr, sehr gut verkaufen.
Er hatte für alles Erklärungen parat, die
man geneigt war, zu glauben.