Interview mit Nico Schäfer

veröffentlicht am 30.12.2005 um 19:19 Uhr

Seit fast acht Jahren ist er bei RWE einer der Macher im Hintergund: Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Nico Schäfer. Der 37-jährige Diplom-Betriebswirt äußert sich im Jawattdenn-Interview über die schwierige Zeit zu Beginn seiner Tätigkeit und das "Klinkenputzen" bei potenziellen Sponsoren ebenso wie über das vermurkste Zweitligajahr und die Aussichten für die Zukunft.

Jawattdenn.de:
Guten Tag, Herr Schäfer, vielen Dank, dass sie sich zwischen den Feiertagen die Zeit nehmen, um uns für ein paar Fragen zur Verfügung zu stehen. Sie sind seit 1998 für Rot-Weiss tätig. Damals befand sich der Verein im Umbruch oder besser: kurz vor dem Abgrund. Wie sind – in Anbetracht dieser Tatsache – damals die Kontakte zwischen ihnen und RWE entstanden?

Nico Schäfer:
Nico SchäferIch war gerade von einem Auslandsstudium (MBA) wieder nach Essen zurückgekehrt und hatte mich mit einer Werbeagentur selbstständig gemacht, die auch das Unternehmen des damaligen Vorstandsmitgliedes Heinz Lemke betreute. Daher wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, Sponsoren für den Club ausfindig zu machen. Ich dachte mir sofort: Mensch, super, Rot-Weiss Essen, ein großer Club mit Tradition, die werden schon einen großen Sponsor auf der Brust haben! Ich sah das als verheißungsvollen Start für meine neu eröffnete Agentur.
Als ich dann jedoch hier auf der Geschäftstelle ankam, kam ich erst mal fünf Tage lang überhaupt nicht weg - eine Nacht schlief ich sogar im Schlafsack. Ich stellte mit Erschrecken fest, dass der Verein kurz vor dem Konkurs stand. Es konnten weder Spielergehälter noch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Meine Aufgabe war es also zunächst einmal, Einsicht in die Bilanz zu nehmen und die lokale Wirtschaft abzuklappern, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht.


Jawattdenn.de:
Sie waren aber von Anfang an Geschäftsführer?

Nico Schäfer:
Nein, mein Titel lautete damals "Vorstandskoordinator". Dadurch, dass zunächst keiner was mit dieser Bezeichnung anfangen konnte, konnte ich in Ruhe arbeiten. Das erste halbe Jahr war wirklich nur geprägt von Aufräumarbeiten.

Zu diesem Zeitpunkt sind die ersten Kontakte in Richtung Kölmel entstanden, der gezielt solche Vereine suchte, die die offenbar kein anderer mit der Kneifzange hätte anfassen wollen. Sein Konzept, vier oder fünf finanziell schwachen Clubs unter die Arme zu greifen, überzeugte uns. Hätten wir damals gewusst, dass es später immer mehr werden sollten, dann hätten wir uns auf diese Sache nicht in dieser Form eingelassen. Zumindest nicht zu den damals ausgehandelten vertraglichen Konditionen. Aber zum damaligen Zeitpunkt war dieser Schritt für den Club überlebensnotwendig. So konnten wir nach dem bitteren Abstieg in die Oberliga wenigstens schon mal wieder planen.

Heinz Koch und Dieter Tartemann bildeten damals das sportliche Gespann, und nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Oberliga konnten wir uns relativ schnell etablieren. Erst mit dem Aufstieg damals wurde ich nach und nach zum Geschäftsführer und im letzten Jahr mit dem Aufstieg in die zweite Liga kam ich in den Vorstandskreis.


Jawattdenn.de:
Es war also ein langsamer Einstieg bei Rot-Weiss Essen …

Nico Schäfer:
Ja, das kann man wohl sagen. Die ersten zwei Jahre hatte ich nicht mal einen richtigen Arbeitsvertrag. Es wurde immer per Handschlag verlängert, zumal ich wegen meiner Agentur auch gar nicht längerfristig beim Verein bleiben wollte. Ich wollte den Konkurs abwenden und mich dann eigentlich wieder um meine Firma kümmern. Aber der Virus Rot-Weiss Essen hatte mich doch relativ schnell gefangen …


Jawattdenn.de:
Sie schilderten kurz die Anfänge ihrer Tätigkeit, als sie gerade mal 30 Jahre alt waren. Gab es keine kritischen Untertöne aus den Kreisen der damaligen Verantwortlichen? Schließlich waren sie ein unbeschriebenes Blatt …

Nico Schäfer:
Nein, es war eher so, dass hier niemand arbeiten wollte, zumal auch die Kassen leer waren und man in den ersten Monaten nicht von Gehalt ausgehen konnte.


Jawattdenn.de:
Das hört sich so an, als wenn es ziemlich leicht war, in den Verein hinein zu kommen …

Nico Schäfer:
Nico SchäferLeicht ist relativ. Ich kam damals als internationaler Diplombetriebswirt hierher, hatte bereits Erfahrung in der Geschäftsführung eines Veranstaltungsunternehmens mit ca. dreißig Mitarbeitern vor meinem Studium in Dublin. Nach meiner Rückkehr nach Essen eröffnete ich dann eine Werbeagentur, aber landete ziemlich schnell beim Verein. Es kommt ja fast immer anders als man denkt …


Jawattdenn.de:
Dann sind sie in das kalte Wasser geworfen worden, ohne die Infrastruktur zu kennen …

Nico Schäfer:
Richtig, das kann man so sagen. Ich hatte aber den wirtschaftlichen Background, denn der war damals gefragt. Es wollte oder konnte offensichtlich keiner die Bilanzen des Vereins lesen. Vielleicht war es deshalb ganz gut, dass jemand von außerhalb kam. Anfangs wollte auch jeder dem anderen den schwarzen Peter für die katastrophale Lage zuschieben. Ich konnte mir ohne Vorurteile die Meinungen aller Beteiligten anhören und fungierte als "Moderator". Ich war unvorbelastet, hatte mit Interna weniger zu tun, und konnte mir mit der Zeit mein eigenes Bild machen.


Jawattdenn.de:
Das heißt, sie waren eine Art Vermittler an den Reibungspunkten zwischen den einzelnen Gremien?

Nico Schäfer:
Schon, in den ersten Jahren war mein Job hauptsächlich Moderation. Hier lag ja alles im Argen. Da gab es Streitigkeiten, offene Schlammschlachten und Skandale. Die Hauptaufgabe war, den Verein wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen und die einzelnen Positionen behutsam neu zu bekleiden. Rolf Hempelmann und ich sind damals beinahe wie die Jungfrau zum Kinde gekommen, wir waren ein lernendes Unternehmen. Es gibt ja diesen schönen Satz: "Fehler sollte man nie zweimal machen". Aber, dass man anfangs Fehler machte, blieb leider nicht aus.


Jawattdenn.de:
Kann man ihre damaligen Bemühungen um potenzielle Sponsoren als "Klinkenputzen" bezeichnen?

Nico Schäfer:
Wenn ich überhaupt bis zur Klinke kam, hatte ich Glück! Oft war es so, dass ich irgendwo im Sekretariat eines potenziellen Kandidaten anrief und gleich hörte, wie auf der anderen Seite der Hörer wieder auf die Gabel fiel. Das hat sich aber über die Jahre zum Glück gewandelt. Spätestens nach dem historischen Datum 12.06.2001.
Damals wie heute achten wir darauf, den Kontakt zu den einzelnen Sponsoren in Form von Besuchen aufrechtzuerhalten. Inzwischen zählen 183 Unternehmen zu unserem Sponsorenpool. Damals waren es 35, viele davon nur auf dem Papier.


Jawattdenn.de:
Wobei aber doch die Steag und RWE den Hauptanteil ausmachen?

Nico Schäfer:
Ohne diese Unternehmen hätten wir das Volumen für dieses Jahr nach dem Abstieg sicherlich nicht so tragen können. Trotzdem ist es wichtig, dass der Verein auch viele mittelständische Unternehmen als Partner hat, denn wenn man sich von wenigen abhängig macht, kann man rasch wieder dort landen, wo man einst herkam.


Jawattdenn.de:
Dann besteht also keine finanzielle Gefahr, wenn die sofortige Rückkehr in den bezahlten Fußball misslingt?

Nico Schäfer:
Der Vertrag mit der RWE AG läuft noch über zwei weitere Jahre ....


Jawattdenn.de:
Aber ist eine weitere Regionalliga-Saison mit einem solchen Aufwand möglich?

Nico Schäfer:
Die Sponsoren erwarten natürlich auch etwas, das ist doch ganz klar. Doch sie sind mit unserer Arbeit nicht unzufrieden, deswegen glaube ich nicht, dass sie uns verlassen werden. Auch im schlimmsten Fall nicht. Die Frage nach dem Umfang muss dann berechtigterweise gestellt werden. Denn mit jedem Jahr in der Regionalliga wird es schwieriger. Auch für die anderen Vereine.


Jawattdenn.de:
Dann wäre es doch eigentlich gar nicht mal so schlecht, da so schnell wie möglich wieder raus zu kommen, oder?

Nico Schäfer:
Der Aufstieg ist ganz klar unser Ziel, und wir sind auf einem guten Weg. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können, wenn wir Ruhe bewahren!


Jawattdenn.de:
Wie sieht anno 2005 ein Arbeitstag von Nico Schäfer aus?

Nico Schäfer:
Es hat sich eigentlich nicht viel geändert, ich würde es mal salopp als „Mädchen für alles“ umschreiben. Wichtig ist für mich, dass man immer eine offene Tür für jeden Mitarbeiter hat, dass die Gremiumsmitglieder dementsprechend informiert werden und dass so auch intern keine Probleme auftauchen können, von denen der eine oder andere Mitarbeiter dann behaupten könnte, das und das habe er nicht gewusst.
Natürlich gab es mit dem Einrichten einer sportlichen Leitung eine Strukturänderung, so dass ich weniger mit den sportlichen Dingen zu tun habe. Ich agiere bei Vertragsgestaltungen zusammen mit Professor Buchberger, ansonsten halte ich mich aus den sportlichen Dingen raus, so weit es geht.


Jawattdenn.de:
Sie sorgen also für die Tinte unter den Verträgen? Wie läuft ein Transfer eigentlich bei RWE ab?

Nico Schäfer:
Dabei sind viele Leute beteiligt. Damit meine ich Spielerberater, andere Vereine etc, und jeder geht seinen eigenen Weg. Bei uns ist es so, dass der Trainer eine Liste vorlegt, der sportliche Leiter diese prüft oder auch eigene Vorschläge einbringt. Der erste Kontakt wird dann ebenfalls von den beiden gesucht. Wenn ein potenzieller Kandidat bei uns vorspricht, gehen wir als Vorstand mit ihm ins Detail und sprechen auch über das Gehalt.


Jawattdenn.de:
In der Hinrunde gab es aus den Fankreisen heftige und kritische Töne an die sportliche Leitung, insbesondere den Trainer. Nach einem gewonnenen Heimspiel kam es hinter der Haupttribüne fast zu tumultartigen Szenen. Sie sagten vorhin, man müsse "Ruhe bewahren". Fällt das in so einer Situation schwer?

Nico Schäfer:
Nico SchäferIn dieser Phase war es nicht einfach. Aber wenn man aus acht Jahren Erfahrung in diesem Club schöpfen kann, härtet man ab. Ich glaube, ein Jahr wie 2001 mit dem sportlichen Aufstieg und dem fast finanziellen Ende härtet einen für Lebzeiten ab.
Uwe Neuhaus hat diese Art der Kritik natürlich getroffen, obwohl er das nie nach außen hin gezeigt hat. Das ist auch ein Vorwurf, der ihm oft gemacht wird, dass er kaum Emotionen zeigt. Aber wenn man ihn näher kennt, dann zeigt er sie sehr wohl. Und wenn man ein Einzelgespräch mit ihm führt, sieht man, dass er sehr emotional denkt, es nur ruhiger zum Ausdruck bringt. Aber in dieser Zeit war es sehr wichtig, dass unser komplettes Umfeld, die Mitarbeiter und alle Beteiligten, ihn davon überzeugen konnten, warum man eigentlich gerne für Rot-Weiss Essen arbeitet.


Jawattdenn.de:
Steht er denn immer noch im Schatten seines Vorgängers Jürgen Gelsdorf?

Nico Schäfer:
Ich sehe es nicht so sehr als Schatten an. In der letzten Saison hat man sich so lange selber Mut gemacht, bis es schon fast zu spät war, alle blieben ruhig. Und als es dann endgültig zu spät war, war die Saison schon gelaufen … so konnte keiner den Frust richtig rauslassen.

Das passierte erst später. Das ist zwar unfair den neuen Leuten gegenüber, aber auch verständlich, da alle so lange auf den Aufstieg gewartet hatten und dieses Kapitel leider sehr schnell wieder geschlossen werden musste.

Andererseits gab es viele Fans, die den Verein trotzdem unterstützt haben. Diese unterschiedlichen Sichtweisen zeigen, dass der Verein lebt.
Schlimmer wäre, wenn gar nichts mehr käme. Dann lieber eine harte Phase zu Beginn. Immerhin rückte die Mannschaft dadurch ja gleich zu Beginn noch enger zusammen.


Jawattdenn.de:
Wollen sie damit sagen, dass die negative Stimmung die Mannschaft zusammengeschweißt hat?

Nico Schäfer:
Nein, das wäre viel zu einfach. Es spielen natürlich viele Dinge eine Rolle. Aber es war vielleicht der Anlass, diese negative Stimmung in positive Energie umzuwandeln. Hier mussten aber auch der Trainer und der sportliche Leiter richtig anfassen, damit es sich eben nicht ins Gegenteil auswirkt. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man da geht. Es hat was bewirkt, wird aber sicherlich nicht in gleicher Form noch mal so ablaufen können.


Jawattdenn.de:
Im Falle des Aufstieges, wie lehrreich war dann das eine katastrophale Jahr in der zweiten Liga für den Verein?

Nico Schäfer:
Wir haben das letzte Jahr gut analysiert. Der Abstieg war intern ein großes Thema. Wir mussten schnell feststellen, dass die zweite Liga eine andere Welt ist. In der Regionalliga ist man der "große Verein", dann kommt man eine Etage höher, wo man plötzlich nur noch der "kleine Verein" ist. Aber wir konnten aus diesem Jahr unsere Schlüsse ziehen.


Jawattdenn.de:
Sind sie nicht ein wenig zu blauäugig an die ganze Sache herangegangen?

Nico Schäfer:
Wirtschaftlich mit Sicherheit nicht. Der wirtschaftliche Erfolg mit kleinem Etat war sicherlich ein Spitzenwert für die zweite Liga.. Wir konnten in diesem Jahr auch einiges an Altlasten abbauen. Aber man konnte sportlich die Abgänge nicht adäquat ersetzen. Das will ich jetzt nicht allein auf Trainer und sportlichen Leiter münzen. Auch im Vorstand sitzen Leute, die gut denken können. Aber, wenn wir im nächsten Jahr aufsteigen, werden wir in der zweiten Liga einiges anders machen und vielleicht auch nicht mehr alles einfach glauben und hinnehmen, was einem gesagt wird.


Jawattdenn.de:
Dann würden sie also mit der Erfahrung der letzten Saison in Krisensituationen schneller reagieren? Hier sei der Winter 2004 angemerkt!

Nico Schäfer:
Ja, das wäre eine Konsequenz aus dem Jahr. Natürlich hatte Jürgen Gelsdorf durch den Aufstieg einen Nimbus, und da tut man sich etwas schwerer. Aber eines kann ich sagen, was Jürgen Gelsdorf fantastisch beherrschte: er konnte sich sehr, sehr gut verkaufen. Er hatte für alles Erklärungen parat, die man geneigt war, zu glauben.

-> Zum Interview Teil II