Interview mit Dr. Michael Welling
Jawattdenn.de:
Sie selbst haben bei Ihrer Vorstellung gesagt, Rot-Weiss sei in der Stadt zu wenig präsent, und dass Sie das gerne ändern würden. Sie haben auch gesagt, Sie möchten keine Bunte-Bildchen-Kampagne. Was verstehen Sie darunter und was schwebt Ihnen stattdessen vor?
Michael Welling:
Eine Bunte-Bildchen-Kampagne ist für mich, aktionistisch irgendwelche Plakate zu kleben, die sagen: jetzt sind wir auf einmal cool und locker. Das heißt nicht, dass wir nicht möglicherweise in Zukunft auch Plakate kleben, allerdings müssen die zu RWE passen.
So etwas muss aus dem Verein selbst kommen, muss die Identität des Vereins aufgreifen.
Aber erst möchte ich herausfinden, was RWE ausmacht. Das will ich herausfinden in Gesprächen mit Fans, mit Leuten, die das Ganze hier über Jahre leben. Im Moment kann ich dazu noch nichts sagen, denn das wäre anmaßend.
Jawattdenn.de:
Aber irgendwann sind Sie in der Bringschuld. Wie viel Zeit geben Sie sich für den Prozess des Hinhörens?
Michael Welling:
Das ist ein unendlicher Prozess, der hört nicht auf. Wir haben in den letzten Tagen schon mal die Köpfe zusammen gesteckt und haben ein paar Dinge überlegt. Das eine oder andere wird in den nächsten Tagen und Wochen schon umgesetzt. Da geht es nicht um große, bunte Bilder, sondern um Aktionen, wo wir sagen: Das macht Sinn, das greift auf, wofür RWE steht. Ich hoffe, das wird auch den Fans gefallen. Aber ich kann im Moment noch nicht im Detail darüber reden, das ist nachvollziehbar, oder?
Jawattdenn.de:
Schon klar. Wir warten gespannt! Wenn Sie von den nächsten Tagen reden, gucken wir mal, wie das am Freitagabend gegen Siegen aussieht...
Michael Welling:
Nein, nein, am Freitag wird noch nichts passieren. Das dauert natürlich.
Jawattdenn.de:
Wie sieht für Rot-Weiss die sportliche Perspektive für die nächsten Jahre aus? Ist die „No-Budget-Truppe" ein tragfähiges Konzept für die kommenden Jahre oder wird man nachlegen, sobald sich die finanziellen Möglichkeiten bessern?
Michael Welling:
Mit dem, was wir an Budget jetzt und hoffentlich auch in der nächsten Saison haben, müssen wir erst mal arbeiten. Das ist der Rahmen dafür, was wir hier realisieren können - in den unterschiedlichsten Bereichen. Man muss erst mal gucken, wie dieses Jahr gelaufen ist. Da hatte ich zwar nichts mit zu tun, aber ich unterstütze das Konzept zu hundert Prozent. Zum einen ist gesagt worden: Wir kürzen überhaupt nicht bei der Jugend, denn die ist ein Aushängeschild von RWE. Das Ziel ist, die A-Jugend wieder in die höchste Spielklasse zu bringen. Wenn wir das schaffen, sind wir mit allen Jugendmannschaften in der höchstmöglichen Spielklasse.
Was die Senioren angeht - alles vor dem Hintergrund unserer Rahmenbedingungen: Dass wir uns an der einen oder anderen Stelle verstärken, muss sein. Die Truppe entwickelt sich weiter, der eine vielleicht besser als der andere. An der einen oder anderen Stelle sind wir vielleicht nicht so gut besetzt, entsprechend müssen wir gucken, wo wir uns verbessern können. Wie wir uns verstärken, werden wir von Fall zu Fall sehen. Schafft es vielleicht einer aus der U23 oder der jetzigen A-Jugend, diese Vakanz zu füllen, aktuell oder perspektivisch? Da werden wir uns mit dem Trainerstab drüber unterhalten. Oder kann uns vielleicht ein anderer junger Spieler aus einer der zweiten Mannschaften weiterhelfen? Oder brauchen wir auf einer bestimmten Position jemanden, der ein bisschen älter ist? Das würde ich fallweise sehen.
Tendenziell würde ich sagen, dass die Truppe, die jetzt da draußen spielt, kämpft und beißt, erst mal unglaublich viel Kredit hat. Warum sollten wir jetzt aktionistisch werden?
Jawattdenn.de:
Ist es nicht ein Risiko, dass die meisten Spieler nur einen Ein-Jahres-Vertrag haben?
Michael Welling:
Je erfolgreicher wir sind, desto größer sind die Begehrlichkeiten. Wenn man Spielern eine Perspektive in der 3. oder 2. Liga bietet, kann ich jeden verstehen, der wechseln möchte. Die spielen Fußball, um Erfolg zu haben, und alle träumen von der Bundesliga. Das ist völlig okay. Es ist an uns zu erkennen, wer das Potenzial hat, mit uns in der NRW-Liga und hoffentlich in den nächsten Jahren eine Liga höher zu spielen, und diese Leute an uns zu binden. Das ist aber nicht meine Aufgabe, sondern die des sportlichen Bereichs. Meine Aufgabe ist es, die Verträge so zu gestalten, dass sie den Verein nicht wieder in finanzielle Probleme stürzen lassen.
Jawattdenn.de:
Vor der Saison wurden die Ansprüche bewusst klein gehalten. Was wäre schlimmer: wenn Rot-Weiss in dieser Saison schon aufsteigen würde, oder wenn RWE die nächsten zwei oder drei Jahre nicht aufsteigen würde?
Michael Welling:
Schlimm wäre beides nicht. Kann ein Aufstieg schlimm sein? Wir sind Fußballfans, da geht es darum, auf den Platz zu gehen und zu gewinnen. Aber wir müssen die Rahmenbedingungen dieser „No-Budget-Truppe" sehen: In der 1. Mannschaft spielt quasi die alte U23. Beim Spiel gegen Windeck in Bonn hat die Mannschaft aus meiner Sicht sehr gut gespielt. Man kann sich aber nicht mit Windeck vergleichen. Die haben jede Menge Geld in die Truppe gesteckt. Da sitzen Leute auf der Bank, wo man denkt: „Ui, mein lieber Scholli!". Das gilt auch für Herne, Velbert, Köln und Siegen. Von daher ist Platz Fünf ein sehr realistisches Ziel. Aber natürlich wollen wir jedes Spiel gewinnen.
Es ist wichtig, dass man keine überzogenen Erwartungshaltungen hat. Denn ich glaube, die waren in den vergangenen Jahren Teil des Problems.
Jawattdenn.de:
Aber egal, wo wir hinkommen, überall heißt es: RWE ist der FC Bayern der Liga. Selbst in der Windecker Stadionzeitung wurde vom „selbsternannten Aufstiegsaspiranten RWE" gesprochen.
Michael Welling:
Man muss trennen zwischen dem, was Realität auf dem Platz ist, was den Kader und die Jungs betrifft und dem, wie RWE wahrgenommen wird. Natürlich haben wir mit zwei Millionen einen hohen Etat für diese Liga. Es wird aber gerne vergessen, dass ein großer Teil für die Jugend ist. Ein anderer großer Teil geht für die gesamte Organisation drauf, gerade weil zu unseren Spielen 6000 Leute kommen. Windeck wird bei den Kosten für Ordnungskräfte in einer Saison nicht mal dahin kommen, wo wir bei einem Spiel sind. Von daher dürfen wir unseren Etat nicht vergleichen, mit dem, was andere haben. Wenn wir die Kosten der Mannschaft zu Grunde legen, sind wir im Mittelfeld der Liga.
Sportlich gesehen ist in der Tabelle alles noch dicht beieinander. Wenn wir aufsteigen sollten, wären wir dämlich, wenn wir sagen: machen wir nicht! Das Ziel ist es aber aktuell nicht.
Jawattdenn.de:
Sind Sie eigentlich Masochist?
Michael Welling:
Nö! Nö, also! Nee!
Jawattdenn.de:
Hätten wir jetzt vermutet.
Michael Welling:
Weil ich mir das antue?
Jawattdenn.de:
Ja. Sie waren „Vice President Acquisitions and Portfolio Management" bei Sportfive, das ist ja keine kleine Klitsche. Und dann werden Sie plötzlich ohne, dass Sie jemand prügelt, Vorstandsvorsitzender eines insolventen Fünftligisten. Nehmen Sie es uns nicht übel, aber man könnte meinen, der Typ hat einen an der Klatsche oder leidet gerne.
Michael Welling:
Also, an der Klatsche habe ich definitiv einen (lacht). Da gehört schon ein bisschen was Beklopptes dazu. Das ist definitiv der Fall.
Jawattdenn.de:
Warum machen Sie es dann?
Michael Welling:
Weil ich Bock drauf habe! Das hört sich doof an, und viele können das auch nicht verstehen. Aber seien wir doch mal ehrlich, wir sind alle zum Fußball gekommen, und die meisten haben selbst gezockt. Die Bundesligakarriere hat man früh abgehakt, bei mir war es mit neun Jahren. Aber der Spaß am Fußball bleibt. Mit 14 fängt man an, Fußball-Manager zu spielen ... Ich habe ein Riesenglück, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Davon können viele nur träumen.
Diese Arbeit gibt mir mehr, als hoch bezahlter Manager in einer Schraubenfabrik zu sein. Ich hatte das Glück, bei Sportfive zu landen. Aber als Agentur hängen wir immer zwischen den Stühlen. Nicht beim Sponsor, nicht beim Rechtehalter. Ich habe davon geträumt, wieder bei einem Fußballverein zu sein. Das macht einfach Spaß, das ist ein ganz anderes Arbeiten. So ist es jetzt gekommen.
Ich hatte andere Angebote und habe sehr lange über das Angebot aus Essen nachgedacht. Aber wenn ich das jetzt nicht angenommen hätte, hätte ich mich ein Leben lang geärgert. Mesut Özil hat gesagt, der Zug nach Real Madrid fährt nur einmal vorbei ...
Jawattdenn.de:
... ja, schon, aber der Zug nach Rot-Weiss Essen?
Michael Welling:
Überlegen Sie mal: Von dieser Position, die ich hier bekleide, gibt es in Deutschland sehr wenige. Und bei Rot-Weiss Essen ist es noch mal etwas Besonderes, weil es Vereine wie RWE nur sehr wenige gibt. Wenn ich mich umgucke, gibt es in dieser Kategorie noch Dresden und Braunschweig in der 3. Liga, Darmstadt und Mannheim. Es ist doch supergeil, so einen Job kriegen zu können. Wenn das nicht erfolgreich ist, kann ich damit voll auf die Fresse fallen, aber erst mal ist das geil, das hier mitgestalten zu können. Da habe ich Bock drauf, und da ist die Kohle auch egal.
Jawattdenn.de:
Wem ist denn die Kohle egal?
Michael Welling:
Moment! Wenn Sie sagen, Sie zahlen mir das Doppelte, sage ich sofort „Yippieh-ay-yeah", so sind wir doch alle. Es gibt aber auch andere Gründe, die für einen Job eine Rolle spielen. Ich sage, es ist ein Riesenglück, so einen Job zu haben, ein Privileg, das ich hier genieße.
Jawattdenn.de:
Das freut uns natürlich zu hören, ist für uns RWE-Fans aber auch ein bisschen ungewohnt. Da kommt jemand, der in seinem vorherigen Job deutlich mehr verdient hat und erzählt uns, wie geil er auf den Job bei RWE ist.
Michael Welling:
Ich wäre sicherlich nicht zu einem x-beliebigen anderen Verein in der fünften Liga gegangen.
Ich wäre aber auch nicht im März diesen Jahres zu RWE gegangen, wo 14 bis 16 Millionen Schulden bei einem Etat von zwei, drei Millionen drückten. Klar hört sich die Insolvenz erst einmal negativ an, aber sie bietet auch Chancen. Insbesondere Chancen, dass es positiver nach vorne geht. Ob es erfolgreich wird, werden wir sehen.
Jawattdenn.de:
Sie sehen das aber nicht als Karriereknick?
Michael Welling:
Ich denke nicht in Karriere-Kategorien. Wenn ich so denken würde, wäre ich bei McKinsey geblieben. Von dort wäre der Weg in ein Unternehmen als Geschäftsführer gegangen. Als ich von McKinsey wegging, habe ich auch schon auf Geld verzichtet.
weiter zu Teil III