Interview mit Dr. Michael Welling

veröffentlicht am 22.10.2010 um 14:45 Uhr



Jawattdenn.de:
Herr Welling, wenn Sie einverstanden sind, würden wir gerne zu Beginn dieses Interviews ein kleines Spielchen mit Ihnen machen. Wir haben drei verschiedene Einstiegsfragen vorbereitet, von denen Sie sich eine aussuchen können.

Michael Welling:
Okay, dann nehme ich Nummer Drei.

Jawattdenn.de:
Ihre erste Frage lautet: „Wer ist der Schreck vom Niederrhein?"

Michael Welling:
Lothar Dohr!

Dr. Michael WellingJawattdenn.de:
Die richtige Antwort auf die Frage wäre eigentlich gewesen: „Nur der RWE!"

Michael Welling:
Ja okay, aber die Personifizierung davon ist der Lothar. An den habe ich als erstes gedacht. Aber natürlich: „Nur der RWE!".

Jawattdenn.de:
Den Lothar haben Sie vermutlich erst am 1. Oktober bei Ihrem Amtsantritt kennengelernt?

Michael Welling:
Wir haben uns per Handschlag schon eine Woche davor kennengelernt. Im Vorfeld der Pressekonferenz habe ich mich allen Mitarbeitern vorgestellt. Den „Schreck" an sich kannte ich natürlich auch vorher schon.

Jawattdenn.de:
Das heißt, Sie haben sich im Vorfeld über Rot-Weiss Essen informiert, zum Beispiel im Internet?

Michael Welling:
Ich habe den Weg von RWE in den vergangenen Jahren immer mal wieder verfolgt. Als die Gespräche mit dem Verein intensiver wurden, habe ich mich natürlich über ganz vieles informiert.

Jawattdenn.de:
Sie haben nach eigener Aussage früher im Kollegenkreis gesagt, RWE würde Sie reizen. Hätten Sie damals damit gerechnet, einmal an der Hafenstraße aufzuschlagen?

Michael Welling:
Auf keinen Fall. Aber ich habe schon damals, als ich beim VfL Bochum war, gesagt: „Wenn der VfL mal vor irgendetwas Angst haben muss in der Umgebung, dann ist es RWE. Vom Potenzial her ist Rot-Weiss deutlich im Vorteil."

Jawattdenn.de:
Warum?

Michael Welling:
Zum einen wegen der Tradition. Die gibt es beim VfL zwar auch, aber anders - Stichwort Helmut Rahn und die 50er Jahre mit Meistertitel, Pokalsieg und und und. Auch die Fanbasis ist bei RWE sehr ausgeprägt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man das so miteinander vergleichen kann. Das würde man erst herausfinden, wenn Bochum auch regelmäßig vor 6.000 Zuschauern in der 5. Liga spielen würde. Und natürlich ist das ökonomische Umfeld in Essen viel ausgeprägter als in Bochum.

Jawattdenn.de:
Das ist eine schöne Vorlage für uns. Ökonomisches Umfeld: Erst gab es kaum Unterstützung für RWE aus der Essener Wirtschaft. Dann haben die großen Konzerne Millionensummen in den Verein gepumpt. Inzwischen sind diese Unternehmen aber alle wieder weg. Was hat Rot-Weiss falsch gemacht, und wie wollen Sie versuchen, das wirtschaftliche Potenzial wieder freizulegen und an den Verein zu binden?

Michael Welling:
Sie können nachvollziehen, dass ich nicht die Vergangenheit kommentieren möchte. Das steht mir nicht zu und würde den damals handelnden Personen nicht gerecht werden.

Worüber ich etwas sagen kann, ist das Hier und Jetzt. Nehmen wir Evonik als Beispiel, die kürzlich das Freundschaftsspiel gegen den BVB vermittelt haben. Bei diesem Spiel bin ich oft angesprochen worden, warum die nicht mehr bei uns sind, sondern in Dortmund. Ich muss Ihnen sagen, ich kann die Entscheidung nachvollziehen. Wäre ich Evonik, würde ich vor dem Hintergrund meiner Zielsetzung auch sagen, ich gehe bei Dortmund auf die Brust. Dort habe ich einen Gegenwert, der mir hilft, meine eigenen Ziele zu erfüllen.

So funktioniert ein Sponsor, so funktioniert ein Unternehmen. Man hat einen Rechtfertigungszwang gegenüber den Mitarbeitern und Eignern. Entsprechend muss man erläutern, warum man etwas macht. In Hinblick auf die Neueinführung der Marke Evonik, für die man Bekanntheit und Image aufbauen wollte, ist es mehr als nachvollziehbar, dass man beim BVB auf die Brust gegangen ist. Wenn die Leute bei Evonik sagen, RWE ist aktuell nicht in der Lage, das zu bieten, was wir uns versprechen, muss man das akzeptieren.

Dr. Michael WellingWie können wir das in der Zukunft ändern? Wir müssen als RWE zeigen, wie eine Unternehmung, eine Marke als Sponsor mit RWE erfolgreich sein kann. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, aber die Vorleistung muss immer bei RWE liegen. Wir können nicht sagen: „Es ist gerade Winter, könnt ihr uns mal 100.000 Euro zuschießen, damit wir uns noch einen Spieler holen können." Dieser Weg geht nicht, damit verärgert man die Leute.

Wichtiger ist, dass man sagt, was wir vorhaben, was wir bieten und welchen Gegenwert wir dafür von den Sponsoren verlangen. Dann macht man einen Vertrag und erfüllt diesen. Wenn man dies macht und solide wirtschaftet, wenn man Vertrauen schafft und das Versprochene auch einhält, dann bleiben die Sponsoren auch da. Das ist die Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren haben.

Jawattdenn.de:
Wenn Sie mit potenziellen Sponsoren ins Gespräch kommen wollen, was haben Sie denen anzubieten?

Michael Welling:
Erstens geht es um Solidität und Vertrauensaufbau. Die Leute müssen erkennen, dass sie mit RWE einen Partner haben, auf den sie sich verlassen können. Das braucht Zeit. Es geht darum, wie wir uns als RWE präsentieren. Das fängt an bei allen Aktivitäten die wir am Spieltag und darüber hinaus realisieren. Es hat aber auch mit dem Finanziellen zu tun. Wir müssen zeigen, dass wir nur das ausgeben, was wir haben. Und nichts darüber hinaus.
Diese Argumente haben andere Leute aber auch schon gebracht, da mache ich mir nichts vor.

Der zweite Strang ist, Wirklichkeiten zu identifizieren, die im Rahmen der Zielsetzung der Unternehmen sind. Ein banales Beispiel: Ich kann nicht zu Evonik gehen und sagen, bei uns kriegt ihr Bekanntheitsaufbau und Image. Das ist Quatsch. Bekanntheitsaufbau brauchen die hier in Essen sowieso nicht, Image können wir nur in einem kleinen Kreis bieten. Solche Werte kann ich bringen, wenn ich große mediale Auftritte, zum Beispiel im Fernsehen, habe, und das Logo des Sponsors deutschlandweit transportiert wird. Als insolventer Fünftligist kann ich das nicht.

Also müssen wir andere Möglichkeiten suchen, andere Nischen finden. Es ist an uns, Wege zu finden, die passen. Die Unternehmen haben unterschiedliche Marktansprachen, da muss ich sehen, was ich den Unternehmen bieten kann. Das ist bei Evonik die Argumentation A, bei Deichmann die Argumentation B und bei Trimet die Argumentation C, um mal drei ehemalige Sponsoren zu nennen. Man muss sehen, wie die Situation des Unternehmens ist und versuchen, entsprechend zu reagieren. Ich kann da aber nicht in die Tiefe gehen, damit würde ich mich zu weit aus dem Fenster lehnen.

Jawattdenn.de:
Sicherlich ist es bei Sponsorengesprächen von Vorteil, wenn nach erfolgreicher Abwicklung des Insolvenz-Planverfahrens keine 14-16 Millionen Euro Schuldenlast mehr drücken.

Michael Welling:
Sicher, das ist ein enormer Vorteil. Gehen wir davon aus, dass das Insolvenz-Planverfahren erfolgreich abgewickelt wird, stehen wir natürlich besser da.

Jawattdenn.de:
Im Moment gilt RWE in weiten Teilen der Stadt „Schmuddelkind", hat ein Imageproblem. Wie wollen Sie aus der Nummer wieder rauskommen?

Michael Welling:
Ich sehe das nicht so extrem wie Sie. Dass wir nicht auf Rosen gebettet sind, ist unbestritten. Dass wir insolvent sind, entsprechend Geldprobleme haben, ja, das stimmt. Aber ansonsten? Wieso haben wir ein Imageproblem?

Jawattdenn.de:
Erstes Argument: RWE kann nicht mit Geld umgehen ...

Michael Welling (unterbricht):
Okay, dass wir in Vorleistung gehen, Solidität beweisen und Vertrauen zurück gewinnen müssen, ist klar. Und an diesem Teil, wenn man das als Image bezeichnet, müssen wir arbeiten.

Jawattdenn.de:
Zweiter Punkt, wegen der Geldprobleme schießt die Stadt jede Menge zu. Warum muss ich als Bürger dies tolerieren?

Dr. Michael WellingMichael Welling:
Ich glaube definitiv nicht, dass alle Bürger so denken, sondern dass viele eine positive Einstellung zu RWE haben. Aber: Wenn das Ganze ein Fass ohne Boden ist, ist die Kritik berechtigt. Dann sagen aber auch die RWE-Fans: Moment, hier läuft etwas falsch, so geht es nicht mehr weiter. Da kommen wir wieder zu meinem vorherigen Argument: Es liegt an uns zu sagen, es ist kein Fass ohne Boden, sondern wir werden hier vernünftig wirtschaften. Also geht es wieder um den gleichen Problemkreis, nur andersherum.

Für mich ist noch etwas anderes wichtig: Auch bei anderen Vereinen spielt die Stadt in unterschiedlicher Form eine wichtige Rolle. Warum ist das so? Weil ein Fußballverein mit einer überregionalen Bedeutung - und die hat RWE trotz aller Probleme immer noch - auch ein Aushängeschild der Stadt ist. Dazu gibt es eine Menge wissenschaftlicher Analysen. Schauen Sie mal Richtung Norden, zu den Nachbarn mit der Turnhalle: Die Blau-Weißen sind einer der größten Gewerbesteuerzahler und einer der größten Arbeitgeber in Gelsenkirchen. Für die Stadt Bochum gibt es eine Studie eines Wirtschaftsforschungsinstituts, wie viele direkte (Spieler, Vorstand, Mitarbeiter etc.), indirekte (Würstchen- und Bierverkäufer, Sicherheitsdienst etc.) und induzierte Arbeitsplätze alleine durch den Fußball realisiert werden. Induzierte Arbeitsplätze sind beispielsweise im Umfeld eines Stadions zu finden, wie die Kneipe, die am Spieltag Bier an die Fans ausschenkt oder die Trinkhallen und Tankstellen in Stadionnähe oder diejenigen Arbeitsplätze, die durch die vermehrte Kaufkraft und die vermehrten Konsumausgaben entstehen. Aktuell hat McKinsey zusammen mit der DFL die Wirtschaftskraft der Vereine in der Ersten und Zweiten Bundesliga untersucht. Ein Fußballverein ist ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt.

Städte versuchen auch, ihren Image- und Werbewert zu steigern. Die Kulturhauptstadt 2010 ist so eine Maßnahme, um das Ruhrgebiet, um Essen zu positionieren. Eben, um dem Ganzen eine positive Assoziation zu geben. Es geht darum, dass Leute zu Besuch kommen, aber auch darum, dass Leute bereit sind, nach Essen zu ziehen, hier zu leben und zu arbeiten. Das ist für die Unternehmen hier am Standort etwas ganz besonderes. Man spricht von einem Wettbewerb um Mitarbeiter. Jeder der von der Uni kommt, will schließlich zur Lufthansa, zu Adidas, den ganzen prickelnden Sachen.

Jawattdenn.de:
Verstehen wir Sie da richtig? Sie glauben RWE könnte ein Standortvorteil sein beim Werben um Neubürger, die zum Beispiel gerade bei Thyssen-Krupp einen Job anfangen?

Michael Welling:
Perspektivisch muss das unser Ziel sein. Es gibt auch Studien, die das dokumentieren. Demnach hat der Freizeitwert einer Stadt Einfluss darauf, dort auch zu leben oder zu arbeiten. Das hilft den Unternehmen entsprechend beim der Anwerben von Arbeitnehmern.

Jawattdenn.de:
Aber warum sollte der Neu-Kruppianer gerade zu RWE gehen und nicht in die Turnhalle hinter Katernberg, wo Europapokal gespielt wird und einmal im Jahr Bayern München kommt?

Michael Welling:
Natürlich haben wir hier im Ruhrgebiet eine besondere Konkurrenzsituation. Aber denken Sie überregional: Derjenige, dem in München ein Angebot von Thyssen-Krupp vorliegt, der hat vielleicht nicht diese lokale Brille auf wie wir, und wird nicht wissen, dass alles direkt um die Ecke ist. Glauben Sie nicht?

Jawattdenn.de:
Wir sind skeptisch. Wir können uns in drei Jahren ja noch einmal treffen und lassen uns dann gerne eines Besseren belehren.

Michael Welling:
Ich gebe zu, durch die Nachbarstädte ist das hier nicht so einfach zu formulieren wie beispielsweise in Karlsruhe, Freiburg oder Dresden. Unbestritten, aber die Grundargumentation ist die Gleiche.

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