04.11.2016

"Ich bin ganz guter Dinge, dass wir am Ende der Saison unter den Top-Fünf landen können" - Interview mit Michael Welling

von Redaktion

November - Interviewtermin mit dem Doc. Auch in diesem Jahr hat unser Vorstandsvorsitzende wieder die Zeit für ein längeres Gespräch gefunden. Im ersten Teil geht es um die Regionalliga-Reform, den Kölmel-Vergleich und einen Rückblick auf die letzte Saison. Das Interview wird in zwei Teilen veröffentlicht.

Jawattdenn.de:
Hallo Herr Welling, herzlichen Dank, dass Sie sich wieder Zeit für ein Interview mit uns genommen haben. Ein Drittel der Saison ist gespielt und Sie haben einen ersten Eindruck von unserer und den anderen Mannschaften. Wo sehen Sie mit dem heutigen Wissen RWE am Ende der Saison?

Michael Welling:
Ich bin ganz guter Dinge, dass wir am Ende der Saison unter den Top-Fünf landen können. Das war ich bereits vor der Saison. Es gab zwar Phasen, in denen viele gezweifelt haben, aber gerade nach den vergangenen Spielen bin ich sicher, dass wir dieses Ziel erreichen können. Wie erwartet sind Dortmund, Mönchengladbach und Viktoria Köln vorne, aber ich sehe unsere Mannschaft auf Augenhöhe und deswegen bin ich überzeugt, dass es für einen vorderen Platz reicht. Mehr wünscht man sich immer, aber wir sollten die Kirche im Dorf lassen.

Jawattdenn.de:
Bei Mönchengladbach II hatten wir vor der Saison gehofft, dass sie aufgrund des größeren Umbruchs nicht so weit vorneweg marschieren, wie sie es nun tun.

Michael Welling:
Mönchengladbach und auch Dortmund haben dauerhaft eine sehr hohe Qualität. Man muss nur sehen, was diese Nachwuchsspieler für eine Karriere hinlegen. Ein Dahoud hat uns vor einiger Zeit noch auf dem Platz veräppelt und spielt jetzt Champions League, Ducksch und Dudziak, die damals beim BVB II spielten, laufen heute für den FC St. Pauli auf. Sehr viele Spieler von beiden Teams sind in der ersten und zweiten Liga gelandet, und das spricht für die hohe Qualität der Mannschaften. Auch der Nachwuchs der Blauen und von Köln hat eine hohe Qualität, diese Teams verfolgen augenscheinlich ein anderes Konzept, weswegen sie nicht so im Fokus stehen wie die Zweitvertretungen aus Dortmund und Mönchengladbach.

Wenn man die Dortmunder U23 sieht, ist man beeindruckt wie athletisch die Spieler sind. Die Nachwuchsmannschaften der Bundesligisten treten körperlich wie Männermannschaften auf. Daran sieht man, wie intensiv dort gearbeitet wird und das setzt sich in den Zweitvertretungen fort.

Bei den Jugendmannschaften stellt sich immer die Frage nach der Konstanz. Momentan ist es beeindruckend, wie konstant diese Teams ihre Leistungen abrufen, aber auch diese Teams werden Phasen haben, in denen es auch nicht alles so gut laufen wird.

Jawattdenn.de:
Neben den beiden Zweiten Mannschaften beeindruckt auch Viktoria Köln in dieser Saison.

Michael Welling:
Oberhausens Steinmetz und Kölns Sportlicher Leiter diskutieren ja gerade die Gründe dafür aus. (lacht) Über die Art und Weise kann man streiten, aber in der Sache muss man Raphael Steinmetz Recht geben. Wir stehen finanziell gut da, können aber mit Gladbach und Dortmund II nicht mithalten. Die Jungs verdienen da so viel, dass wir da gar nicht mitbieten können. Für viele Fans wäre es ein Traum, Hendrik Bonmann zurück zu holen. Das geht allein finanziell nicht. Die Viktoria spielt dann aber noch einmal in einer ganz anderen Liga. Aber wir arbeiten daran, dass wir aufschließen können.

Jawattdenn.de:
Das Nadelöhr zur Dritten Liga scheint nach den letzten Aussagen nicht breiter zu werden.

Michael Welling:
Sie sprechen das Interview des DFB-Vorsitzenden an, das nur so vor Sachargumenten strotzte?

Jawattdenn.de:
Nicht nur dieses Interview. Auch der für die Amateure zuständige Rainer Koch bekräftigte vor wenigen Wochen, dass er die aktuelle Regelung als die bestmögliche kennzeichnete. Sie tauschen sich bestimmt mit anderen Vereinsfunktionären aus. Ist es richtig, dass es keine Mehrheit für eine Reform gibt?

Michael Welling:
Das ist Unsinn! Es gibt sehr viele Vereine, die mit der aktuellen Regelung unzufrieden sind. Im Gegenteil habe ich noch niemanden gehört, der das aus vollem Herzen super findet. Das sagen nicht einmal die Herren Grindel und Koch. Einigen Klubs ist das egal. Es gibt auch einige Vereine, die von diesem Modus profitieren. Für den FC Kray war es ein tolles Erlebnis einige Jahre in einer Regionalliga mit Rot-Weiss Essen zu spielen.

Manche Vereine finden die Liga sicher gut, weil sie sagen können, dass sie Vierte Liga spielen, aber das ist doch keine Argumentation. Dann könnten wir doch noch fünf vierte Ligen aufmachen, dann können das noch mehr Amateurvereine von sich behaupten. Die Zweitvertretungen haben kein eigenes Sprachrohr, da spricht der Profiverein, der möglichst gute Bedingungen für seinen Nachwuchs sehen will. Insgesamt sind die meisten Vereine jedoch gegen diese Regelung.

Die Frage nach einer Alternative ist entscheidend, die wird jedoch nicht offen diskutiert. Viktoria Köln, Alemannia Aachen, Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiss Essen haben meinen Vorschlag auf einer Tagung der Regionalliga West eingebracht. Wir haben uns sogar mit Hessen Kassel verständigt, die jedoch eigene Ideen umsetzen wollten. Zu den Vorschlägen wurde uns gesagt, dass sie gut seien, aber nicht durchsetzbar wären.

Der aktuelle Modus ist aus mehreren Gründen eine Farce: Die Aufstiegsregelungen ist aus sportmoralischer Sicht nicht hinnehmbar. Die Relegation der ersten drei Ligen ist nicht vergleichbar, da sie lediglich den jeweiligen Tabellendritten betrifft. Hier entscheidet sich in zwei Spielen die Saison eines Meisters, der sich in seiner Liga durchgesetzt hat. Da spielt so viel Glück und Pech hinein, da kann ich die ganze Saison gleich im Pokalwettbewerb ausspielen. Deswegen muss es systemimmanent sein, dass der Meister immer aufsteigt.

Dieses Prinzip wird immer weiter ausgehöhlt. Die Lösung mit drei Regionalligen mit jeweils einem festen Aufsteiger gab es und die war auch in Ordnung. Mein Vorschlag wäre, die Regionalligen so zu lassen, wie sie sind. Man könnte sogar über eine sechste Regionalliga sprechen, die das große Ligensystem im Südwesten aufteilt. Darüber sollte eine zweigleisige vierte Liga eingeführt werden. Dann haben wir ein pyramidales System, die Zuständigkeiten der Landesverbände bleiben erhalten und man kann als Bonbon für die Dritte Liga nur die beiden jeweiligen Meister der vierten Liga direkt aufsteigen lassen und die beiden Tabellenzweiten und den Drittletzten der Dritten Liga eine Relegation um den dritten Platz in der Dritten Liga ausspielen lassen. So gibt es nur noch zwei direkte Absteiger aus der Dritten Liga und ich erhöhe die Aufstiegschancen in der Vierten Liga.

Auch sportlich spricht für die Bundesligisten viel für diesen Vorschlag. Die Zweiten Mannschaften, die finanziell gar nicht unbedingt in der Dritten Liga spielen wollen, würden in einer solchen Vierten Liga eine sehr viel attraktivere Ausbildungsmöglichkeit für den eigenen Nachwuchs erhalten.

Das von Herrn Grindel vorgebrachte Argument, dass die Reisekosten bei drei Regionalligen zu hoch seien ist Schwachsinn und ein Scheinargument. Wir hätten, wenn wir bundesweit spielen würden, erhöhte Reisekosten von ca. 30.000 Euro. Bei Städten in Randgebieten wie Aachen und Cottbus liegt der Satz noch etwas höher. Aber dann ist das so, dann bleibt demzufolge weniger Geld für die Spieler übrig. Ich gebe deswegen nicht mehr Geld aus, sondern ich gebe es dann anders aus. Für mich als BWLer ist dieses Argument reiner Unsinn. Wer Ambitionen hat, wird auch die Reisekosten tragen können.

Das einzige Argument, das gegen den Vorschlag eingewandt wurde, war die Angst, dann nur noch in der fünften Liga zu spielen. Das kann ich emotional verstehen, es ist aber weiterhin die Regionalliga. So kann ich auch argumentieren, dass ich 25 Oberligen als erste Ligen aufmachen will, weil so alle Vereine in der ersten Liga spielen können. Es sind Kompetenzstreitigkeiten der Verbände, die dagegen sprechen. Die Regionalverbände würden an Attraktivität verlieren und die Frage bleibt, wer für die neue Vierte Liga verantwortlich wäre. Es sind also rein sportpolitische Argumente, die im Raum stehen.

Wenn ein Herr Grindel mit solch substanzlosen Argumenten die Wünsche von ca. 100 Vereinen abtut, dann tut das weh. Und das soll der Vertreter des Amateursports sein?

Jawattdenn.de:
Inhaltlich stehen wir alle auf dem gleichen Standpunkt. Entscheidend ist jedoch, ob sie eine realistische Chance sehen, dass nach diesen Aussagen auf einem DFB-Bundestag Änderungen erfolgen werden.

Michael Welling:
Wir sind beim DFB-Bundestag gar nicht vertreten und haben gar keine Möglichkeit uns zu äußern. Der Bundestag setzt sich aus DFB, DFL, Landes- und Regionalverbänden zusammen. Unser Interessenvertreter ist der Regionalverband. Unser Regionalverband teilt jedoch nicht das Interesse vieler Vereine in den Regionalligen. Das ist paradox, es besteht daher jedoch ein Problem der Interessenbündelung und der Artikulation der Interessen.

Der Regionalverband Bayern findet natürlich die Regionalliga Bayern super. Die will ihnen auch niemand wegnehmen. Ambitionierte Vereine können von dort dann auch in die Vierte Liga aufsteigen.

Man kann also nur immer wieder laut sagen, dass die Äußerungen der Verbandsvertreter überhaupt nicht gehaltvoll sind und sie auch nicht die Mehrheitsmeinung der betroffenen Vereine vertreten.

Ich bleibe dabei, dass ich noch kein stichhaltiges Argument gegen den Vorschlag von einer zweigleisigen Vierten Liga über einer sechsgleisigen Regionalliga gehört habe. Deswegen wird auch von keiner Seite mit Sachargumenten gearbeitet. Ich rede mich in Rage, obwohl diese Frage für RWE bislang gar nicht relevant war.

Jawattdenn.de:
Das stimmt, RWE war bislang punktemäßig weit vom ersten Platz entfernt.

Michael Welling:
Dennoch ist es ein Problem für die ganze Liga, denn nur ein möglicher Aufstiegsplatz sorgt für Langeweile, gerade wenn ein überragendes Team einsam seine Kreise zieht. Rechnen wir es durch: In der Zweiten Liga gibt es drei Belohnungsplätze auf 18 Teilnehmer, das sind ca. 18 Prozent. In der Dritten Liga sind es zwanzig Teilnehmer, drei Belohnungsplätze sind aber immer noch etwa 15%. In der Vierten Liga spielen ca. 100 Vereine, da machen drei Aufstiegsplätze 3% aus. Allein diese Unwucht ist absurd.

Das letzte Argument spielt auf die Sicherheit an, bei der es gerade im Westen Probleme gibt. Diese Probleme entstehen doch, weil diese Liga so heterogen ist. Wenn ein Dorfverein aufsteigt, dann ist das super und es steht ihm zu, wenn er sich sportlich qualifiziert. Wuppertal musste jedoch in der Oberliga fast alle Spiele zu Hause austragen, weil sie nicht in die Gästekurven durften. Gerade weil es diese Problematik in Essen, Aachen, Mannheim oder Saarbrücken gibt, und diese Klubs die Strukturen haben, um solche Spiele über die Bühne zu bringen, sollte man diese Zwischenstufe einbauen, damit auch dieses Problem beseitigt wird. Aber diese Zwischenstufe ist offensichtlich keine Alternative für die Verbandsvertreter.

Jawattdenn.de:
Im Interview von 2013 sagten Sie, dass Timo Brauer wiederkommt, wenn RWE in der Zweiten Liga spielt. Jetzt ist er zurückgekehrt, obwohl die Zweite Liga noch entfernt ist. An dem Transfer waren Sie nicht unbeteiligt. Nach dem Transfer von Jan-Steffen Meier für Moritz Fritz war das defensive Mittelfeld zuvor schon gut besetzt. Mussten Sie Sven Demandt erst von Timo Brauer überzeugen oder wollte auch er den Spieler gern verpflichten?

Michael Welling:
Es wäre vermessen, wenn ich einfach Timo Brauer ohne Rücksprache verpflichten würde. Das wäre das Gegenteil von dem, was ich hier seit Jahren erzähle. In der Kaderzusammenstellung haben sich Sven und Jürgen Lucas abgesprochen. Als das Thema Timo Brauer aufkam, wollten sie den Spieler gerne haben. Meine Rolle darf man nicht überbewerten. In erster Linie haben Sven und Jürgen mit Timo Brauer gesprochen. Ich kenne ihn am längsten, sodass ich ihn vielleicht etwas emotionalisieren konnte. Aber am Anfang steht immer die sportliche Entscheidung und alles andere hat sich dem unterzuordnen. Es wäre der vollkommen falsche Weg, wenn ich versuchen würde, Sven Demandt oder Jürgen Lucas von Spielern zu überzeugen, die ich gut finde.

Am Anfang haben wir kaum damit gerechnet, dass die Verpflichtung möglich ist. Aber wir haben uns so aufgestellt, dass wir, wenn ein Fünkchen Hoffnung da ist, zuschlagen. Der Vertrag mit Timo Brauer ist bewusst langfristig angelegt. Timo ist hier nicht hingekommen, um Vierte Liga zu spielen. Vielleicht wird es noch mal etwas damit, gemeinsam Zweite Liga zu spielen.

Jawattdenn.de:
Zuletzt erstaunten zwei Vergleiche vor Gericht die RWE-Fans. Der Vergleich mit der Beteiligungsfirma von Michael Kölmel wirkte dabei nach außen sehr harmonisch. Allerdings stand in den Zeitungen der Satz, dass die Kölmel-Gruppe nach dem Vergleich die Zusammenarbeit intensivieren möchte. Wie soll das aussehen? Was hat der Verein RWE der Gruppe anzubieten und umgekehrt?

Michael Welling:
Der Satz steht vielleicht in der Zeitung, ich glaube aber nicht, dass die Beteiligten bei der Kölmel-Gruppe so etwas gesagt haben.

Wir waren von Beginn an überrascht, dass die Forderungen überhaupt aufkamen, weil für uns das Thema mit der Insolvenz erledigt war. Es gibt aus Sicht des Richters Argumente, weswegen die Rechte möglicherweise trotzdem bei Kölmel liegen könnten. Der Richter hat deswegen einen Vergleich angeregt. Diesen Vergleich gibt es, er kann aber bis Ende Dezember widerrufen werden. Ob wir dem Vergleich zustimmen, haben wir bislang noch gar nicht hinreichend besprochen.

Es gibt Argumente die dafür sprechen, diesem Vergleich zuzustimmen. Es gibt aber mindestens ebenso viele Argumente, die dagegen sprechen. Das ist also nicht final entschieden. Deswegen werden wir uns in den nächsten acht Wochen intensiv besprechen, ob wir das machen wollen.

Jawattdenn.de:
Wer hat den Vergleich denn ausgearbeitet?

Michael Welling:
Ich war nicht persönlich bei der Verhandlung anwesend, aber es war wohl ein Vorschlag des Richters.

Jawattdenn.de:
In der Presse wirkte es so, als habe man sich im Vorfeld auf den Vergleich geeinigt und dies dem Gericht mitgeteilt.

Michael Welling:
Nein, so eine Einigung hat es nicht gegeben. In der ersten Verhandlung hat der Richter gesagt, dass er starke Argumente bei Kölmel sieht, worüber wir sehr überrascht waren. In dieser Verhandlung hat er aber auch gesagt, dass bei weiterer Betrachtung auch RWE gute Argumente hätte, weswegen er zu einem Vergleich raten würde. Deswegen kam dieser Vergleich zustande. Wir haben intern jedoch noch nicht intensiv über den Vorschlag diskutiert.

Eine Zusammenarbeit steht allerdings nicht im Raum. Wir verstehen uns gut, auch wenn wir in der Sache unterschiedlicher Meinung sind. Man darf Michael Kölmel auch nicht verdammen, er hat Rot-Weiss Essen mal den Arsch gerettet und dabei sehr viel Geld verloren.

Jawattdenn.de:
Waren die Verluste denn so enorm? Immerhin hat er durch den Deal mit der Stadt und in den Zweitligajahren durchaus auch Geld erhalten.

Michael Welling:
Er hat mit Rot-Weiss Essen kein Geld verdient. Das Geschäftsmodell von Kölmel ist eine klassische Portfolio-Überlegung. Er hat 15 bis 20 Vereine dieser Art unterstützt und wenn nur zwei Vereine durchstarten, hat sich seine Investition rentiert. Einige sind dann auch durchgestartet. Es waren, glaube ich, Mönchengladbach, Union Berlin und Düsseldorf dabei. Er hat mit seinem Geschäftsmodell Erfolg gehabt, es war ein cleveres Geschäftsmodell. Wir müssen aber die Vereinsinteressen im Blick behalten, und deswegen überlegen wir erst einmal, ob wir dem Vergleich zustimmen.

Jawattdenn.de:
Der Vergleich sieht dann auch das Zahlen der Forderungen vor?

Michael Welling:
Ja, das wäre so. Die Gelder haben wir aber bereits zurückgestellt und könnten sie auch begleichen. Hätte vor der Insolvenz jemand mit Kölmel einen solchen Vergleich hinbekommen, hätte man demjenigen ein Denkmal bauen müssen. Die Sache sieht nun juristisch anders aus, deswegen muss man den Vergleich nun neu bewerten.

Jawattdenn.de:
Beim Vergleich mit Uwe Harttgen haben Sie öffentlich deutlich gemacht, dass Sie inhaltlich Stillschweigen vereinbart haben. Dürfen Sie denn sagen, welche Partei auf wen zugegangen ist?

Michael Welling:
Wir haben einen Vergleich geschlossen, bei dem wir uns geeinigt habe, wie wir ihn kommunizieren. Aber jeder kann sicher sein, dass wir diesen Vergleich im Sinne des Vereins geschlossen haben. Maßgeblich war, dass alle Aufsichtsratsmitglieder dem Vergleich zugestimmt haben. Unsere Siegchancen sind dabei in unsere Entscheidungsfindung eingeflossen. Es ist in meinen Augen in Ordnung, dass es nicht zu einem Urteil gekommen ist. Der Vergleich ist für Uwe und für uns annehmbar und wir wünschen uns gegenseitig alles Gute.

Jawattdenn.de:
Da der Vergleich im Sinne des Vereins ist, wird ja noch etwas übrig geblieben sein als Differenz von den Rückstellungen. Wie wird dieser Betrag investiert?

Michael Welling:
Es ist nicht so, dass jetzt ein Riesenbatzen Geld vorhanden ist und wir mal schauen, was wir damit anstellen. Wir stellen für jede Saison unser Budget auf und prüfen, welche Rücklagen wir wie nutzen möchten. Auf der letzten Mitgliederversammlung haben wir dargestellt, dass wir auf das Kalenderjahr bezogen auch einen Verlust hatten durch Steuerprüfungen. Dieser Verlust muss dann irgendwann getragen werden. Wir haben auch vor dieser Saison sehr konservativ geplant und werden im April auf Basis der Ist-Zahlen die nächste Saison planen. Aber dann zu sagen, wir nehmen einen Batzen Geld und investieren ihn in die Mannschaft – das wäre zu einfach formuliert. Das Geld gibt uns Spielräume, das ist das Gute, und wir werden gemeinsam überlegen, was mit dem Geld passieren wird.

Jawattdenn.de:
Um eine dritte Baustelle ist es wieder ruhiger geworden, Stichwort GVE. Vor einem Jahr hatte der neue Geschäftsführer medial Forderungen an den Verein gestellt und mit Drohung der Kündigung des Pachtvertrages, obwohl dieser erst kurz zuvor nach zähen Verhandlungen unterschrieben worden war. Ist in dieser Angelegenheit noch irgendetwas passiert oder existiert der Vertrag nach wie vor in unveränderter Form?

Michael Welling:
Es ist nichts mehr nachgekommen. Mit der GVE wird es aber immer – und das ist überhaupt nicht böse gemeint – Friktionen geben. Wenn ich auf dem Stuhl des GVE-Geschäftsführers sitzen würde, dann würde ich in der einen oder anderen Situation vielleicht sogar ähnlich agieren. Auf meinem Stuhl agiere ich anders. Manche Dinge verstehe ich wiederum nicht, Stichwort Özil und Freibier. Solange wir aber einen Pachtvertrag haben, wird es diese Friktionen geben. Aus meiner Sicht ist das bei jedem Stadion in Deutschland so, das in kommunaler Hand liegt. Der große Unterschied ist – und das nervt mich -, dass bei uns alles direkt an die Öffentlichkeit gekarrt und medial begleitet wird.

Jawattdenn.de:
Das geschieht aber von der GVE-Seite aus? Aus unserer Sicht müsste die GVE aufgrund des bestehenden Vertrages doch eher fragend-bittend anstatt fordernd-drohend auftreten.

Michael Welling:
Das sind dann die kommunikativen Teile. Man muss sich über manche Aspekte auch mal streiten und anschließend rauft man sich zusammen. Auch wir haben manchmal Forderungen an die GVE, das ist normal. Aber man muss sich auf einer vernünftigen Basis streiten, und das heißt für mich unter anderem: Man muss miteinander und nicht übereinander sprechen. Dieses Übereinander sprechen ist leider zu häufig passiert und ich sage hier ganz deutlich: Nicht von unserer Seite aus!
Die Diskussion um das Stadion ist vor dem Hintergrund der Historie des Stadions und seiner politischen Rahmenbedingungen zu sehen. Sie ist nervig und nicht mehr inhaltlich, sondern ebenfalls politisch. Wenn sich bezüglich der Baukosten für das Stadion mal jemand die Mühe machen würde alles niederzuschreiben und mit den Ratsbeschlüssen zu vergleichen, dann ist da nicht mehr so viel zu skandalisieren. Zum einen werden die Diskussionen politisch genutzt, zum anderen werden Dinge vergessen oder durcheinandergebracht. Plötzlich geht es nicht mehr um die Baukosten, sondern um das „Projekt Fußball“, was auch immer das heißen soll.

Aktuell geht es ja um die Betriebskosten, wenn man dazu mal kurz in die Unterlagen schaut, was im Rat der Stadt beim Baubeschluss kommuniziert wurde, dann steht da explizit: „Dieses Stadion ist unterhalb der Zweiten Liga nicht von den Betriebskosten her refinanzierbar.“ In der Dritten Liga erreicht man mit Glück eine schwarze Null, aber die Vierte Liga ist ein Verlustgeschäft - das war von Beginn an allen klar! Aber plötzlich weiß das kaum noch jemand! Natürlich: Politisch ist das auf dem Aufmerksamkeitsrücken des Fußballs einfach zu machen. Man könnte das auch mit anderen Themen verknüpfen, aber dann wäre die Aufmerksamkeit nicht so groß. Wer heute bezüglich Betriebskosten „Was ist denn da los?“ fragt, hat damals entweder nicht zugehört, es nicht verstanden oder derjenige war nicht beteiligt.

Als BWLer will mir auch nicht in den Kopf, wie oberflächlich manche Dinge behandelt werden. Beispiel: Im Bauprozess wurde – warum auch immer - die Entscheidung für einen „Contracting-Vertrag“ gefällt, um die Baukosten zu reduzieren. Contracting heißt: Ich kaufe bestimmte Dinge wie Lüftung oder Heizung nicht selbst, sondern ich miete sie. Dann habe ich keine Investitionskosten, aber eine Verschiebung der Kosten von den Baukosten hin zu den Betriebskosten. Dann sind die Betriebskosten natürlich höher! Das hat aber nichts mit Rot-Weiss Essen zu tun. Es ist einfach nervig, dass Rot-Weiss Essen öffentlich immer irgendwie mitschwingt.

Nochmal: Es ist ein tolles Stadion, das uns sehr hilft. In der Sache wird es immer Punkte geben, über die wir uns streiten müssen. Aber das sollte intern passieren, so handhaben wir das auch und wir äußern uns öffentlich zu diesen Themen nicht. So haben wir das auch beim letzten Thema Konzertveranstaltungen mit externem Dienstleister gehalten. Wir sprechen intern, dann ist es der Sache auch viel dienlicher.

Jawattdenn.de:
Gibt es denn nach wie vor die Option, dass der Verein Rot-Weiss Essen die Stadionbetreibung übernimmt?

Michael Welling:
Dieses Thema ist inzwischen vom Tisch. Wir hätten das unter bestimmten Bedingungen durchaus gemacht. Ich kann aber die Argumentation des GVE-Geschäftsführers verstehen, der mehr Sinn darin sieht, wenn die Vermarktung bei der GVE bleibt. Das ist in Ordnung. Wir haben uns auch nicht darum gerissen, auch wenn es manche Dinge vereinfacht hätte. Doof war auch hier, dass zu viel öffentlich kommuniziert wurde. Aber Schwamm drüber, inhaltlich kann ich die Entscheidung der GVE verstehen.

Jawattdenn.de:
Kommen wir zurück zum sportlichen. Vor einem Jahr waren Sie lange Zeit entspannt, und im Interview mit uns haben Sie noch aus voller Überzeugung heraus an eine positive Wende im sportlichen Bereich geglaubt. Wann begann diese Überzeugung zu bröckeln?

Michael Welling:
Man muss ehrlicherweise sagen, dass wir nach der Winterpause sportlich nicht in die Spur gekommen sind, keine Ergebnisse erzielt haben und irgendwann intensiv im Abstiegskampf steckten. Von da an habe ich nicht mehr ganz so ruhig schlafen können.

Jawattdenn.de:
Welche kleineren und größeren Fehler führten uns aus ihrer Sicht in diesen Abstiegskampf?

Michael Welling:
Der Begriff Fehler hört sich immer so ein bisschen nach „Wer ist schuld?“ an, deshalb ist es schwierig, jetzt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen…

Jawattdenn.de:
Wir gehen natürlich immer davon aus, dass alle Handlungen wohlüberlegt waren und die Spieler, die man verpflichtet hatte, nicht vorher aus einem Lostopf gezogen wurden.

Michael Welling:
Fakt ist: Wir haben in der Kaderzusammenstellung im vergangenen Jahr Fehler gemacht. Anschließend haben wir es nicht hinbekommen, die trotzdem vorhandene Qualität in Ergebnisse umzumünzen. Das verselbstständigt sich irgendwann, so dass man später, so doof das jetzt auch klingt, kaum noch jemanden eine Schuld zuweisen kann. Uns ist es nicht gelungen, diese Negativspirale zu unterbrechen. Ich glaube nicht, dass es an der Qualität von Jan Siewert lag. Das wäre zu einfach, es ist vieles zusammengekommen und es ist uns gemeinsam mit vielen Maßnahmen, mit vielen Gesprächen und Anstrengungen nicht gelungen, diese Negativspirale zu stoppen. Das hat natürlich schwerwiegende Konsequenzen für den Gesamtverein. Wir müssen nicht darüber reden, was ein Abstieg in die Oberliga für uns bedeutet hätte.

Nicht nur ich und viele Fans, sondern auch einige Mitarbeiter unserer Geschäftsstelle werden in dieser Zeit schlecht geschlafen haben, weil Existenzen dranhängen. Wenn dieses Droh-Szenario irgendwann vorhanden ist, dann ist die Frage, welche Optionen haben wir überhaupt noch? Die Stellschrauben bezüglich Kaderveränderungen, Trainingsmaßnahmen und  -lager, das Arbeiten mit Psychologen wurden bereits getätigt. So ohnmächtig sich das anhört, irgendwann kommt man leider zu der Situation, in der man den Trainerwechsel in Betracht ziehen muss und zu der Überzeugung kommt, dass eine Veränderung notwendig ist, um bestimmte Prozesse mit einem „exogenen Schock“, wie es in der Makroökonomie heißt, umzudrehen. Wir mussten im Sinne des Vereins eine Reißleine ziehen, um für die Vermeidung des Abstiegs nichts unversucht zu lassen.

Jawattdenn.de:
Dazu kam im Sommer noch der erneute Wechsel der Sportlichen Leitung. Mit Harttgen wollte der Verein diese Position mit einem erfahrenen Mann alles auf eine professionelle Ebene heben, anschließend hat man mit Andi Winkler einen Mann mit Stallgeruch genommen, der auch Erfahrung hatte. Das ging jeweils nach hinten los. Dann wählte man Jürgen Lucas, eine bis dahin „Teilzeitkraft“, mit Erfahrungen im Jugendbereich. War es nicht ein gewisses Risiko, das sie eingegangen sind?

Michael Welling:
Jede Entscheidung birgt sowohl Chancen als auch Risiken, das ist einfach so. Das war natürlich keine Bauchgefühlentscheidung, sondern es wurden viele Überlegungen getroffen und Gespräche geführt. Wir haben sehr genau erörtert, was dafür und was dagegen spricht. Mit Uwe Harttgen hat es aus unterschiedlichen Gründen komplett nicht funktioniert, beim Andi sehe ich die Bewertung ein wenig anders. Er hatte uns in einer schwierigen Situation sehr stark geholfen, weil er sich mit dem Verein identifiziert. Am Ende der letzten Saison haben wir überlegt, wie wir den Verein zukünftig aufstellen wollen und haben gemeinsam die heutige Struktur entwickelt. Andi Winkler möchte wieder dort seine Stärken einbringen, wo er sie auch sieht, nämlich in der Entwicklung von jungen Spielern und Strukturen. Im Laufe der Überlegungen, wie man die Position des Sportlichen Leiters neu besetzt, sind wir nach vielen Gesprächen auf die Idee Jürgen Lucas gekommen, die aus mehreren Gründen eine Rolle gespielt hat.

Es war uns zum einen wichtig, jemanden auf der Position sitzen zu haben, der ein Vertrauensverhältnis zu Sven Demandt hat. Beide haben am Ende der letzten Saison schon zusammengearbeitet und das ermöglicht auch eine Form von Kontinuität. Zum anderen wollten wir jemanden haben, der den Verein kennt. Das war uns nach Uwe Harttgen bei der Wahl von Andi Winkler schon sehr wichtig. Und Jürgen Lucas identifiziert sich unfassbar mit dem Verein. Der dritte Punkt ist die Fähigkeit, diese Rolle auszuüben - eigentlich das Hauptargument. Wir sind uns sehr sicher, dass Jürgen diese Fähigkeit besitzt. Er ist ein überragender Trainer, der uns auch zweimal oben mit den Arsch gerettet hat. Er ist ein Fußballfachmann, bringt aber auch noch andere Kompetenzen mit. Er hat in seinem Beruf, aus dem er kommt, mit Menschen zu tun, er leitet dort ein Team, führt Verhandlungen und Personalgespräche. Das sind alles Fähigkeiten, die in seiner Position bei uns ebenfalls gefordert sind. Deshalb haben wir Jürgen Lucas gefragt, ob er es sich vorstellen könnte, als Sportlicher Leiter tätig zu sein. Das hat ihn erst überrascht, aber später hat er zugestimmt. Mit der Dreifachbelastung ist es natürlich eine ganz andere Konstellation als mit Uwe Harttgen, das muss man so sagen. Aber Jürgen bewerkstelligt das aus meiner Sicht überragend.

Jawattdenn.de:
Die größte Frage, die wir uns bezüglich Lucas stellen, ist die Frage nach dem Netzwerk, über das er verfügt. Viele Spielerberater und Spieler zu finden und zu kennen ist ja relativ wichtig als Sportlicher Leiter.

Michael Welling:
Zum Thema Netzwerk: Das hört sich immer toll an und natürlich braucht man das. Das besitzt aber ein Sven Demandt und natürlich auch Jürgen Lucas.

Jawattdenn.de:
Das ist gut. Man muss natürlich wissen, wo man sich Informationen beschaffen kann. Damian Jamro und Waldemar Wrobel kannten jeden Spieler bis hoch zur dritten Liga mit allem Drum und Dran.

Michael Welling:
Damian kennt sie ja immer noch. Jürgen Lucas hat die letzten Jahre im Nachwuchsbereich gearbeitet, davor im Amateurbereich. In Essen und Umgebung kennt er nahezu jeden Fußballer. Aber er kennt eben auch alle Spieler, die in den letzten Jahren in der U17- und U19-Bundesliga gespielt haben. Das ist also ein unglaubliches Wissen, über das er verfügt und dort gibt es auch ein Netzwerk, das er nutzen kann. Ich finde also das Thema Netzwerk wichtig, aber es darf hier nicht zu eindimensional gedacht werden. Es ist nicht so, dass man einen ehemaligen Profispieler mit vielen Verbindungen braucht, weil das nichts über die Qualitäten als Sportlicher Leiter aussagt. Jeder hat seine eigenen, unterschiedlichen Netzwerke.

Im Allgemeinen kommen für uns nur Spieler infrage, die wir persönlich kennen und die wir zumindest im Training gesehen haben oder wenn wir jemanden haben, dem wir zu 100% vertrauen. Das war schon immer so, auch schon unter Jamro und Wrobel. So kannte Demandt den Ngankam zum Beispiel persönlich, weil er ihn in Wiesbaden im Probetraining hatte und er hätte ihn gerne verpflichtet. Er weiß also, was Ngankam kann. Deswegen brauchten wir diesen Spieler nicht zum Probetraining zu holen. Jan-Steffen Meier ist auch schon von Siewert und Winkler gescoutet worden, er wurde ja auch recht früh verpflichtet, nachdem wir dann auch mit Lucas und Demandt über ihn gesprochen haben. Auch diesen Spieler kannten wir also. Bei Kamil Bednarski ist es auch so gewesen.

Jawattdenn.de:
Den Tipp Bednarski hätten wir aber auch geben können!

Michael Welling:
(lacht) Das wird auch so bleiben, dass wir nur Leute verpflichten, die wir persönlich kennen, oder von Leuten empfohlen werden, denen wir absolut vertrauen. Solche Verpflichtungen sind aber sehr selten und in solchen Fällen sind wir auch sehr vorsichtig.

weiter zu Teil 2