13.11.2015

„Ich liebe hohe Spannung und stehe meistens unter Strom“ - Interview mit Michael Welling

von Redaktion

November - Interviewtermin mit dem Doc. Auch in diesem Jahr hat unser Vorstandsvorsitzende wieder die Zeit für ein längeres Gespräch gefunden. Michael Welling zur allgemeinen Situation an der Hafenstraße, der Personalie Behrens und die Aussichten für die rot-weisse Zukunft. Das Interview wird in zwei Teilen veröffentlicht.

Jawattdenn.de:
Hallo Herr Welling! Vielen Dank, dass sie sich erneut viel Zeit für ein ausführliches Interview genommen haben.

Michael Welling:
Gerne!

Jawattdenn.de:
Steigen wir direkt mit der augenblicklichen sportlichen Situation ein. Es war zu lesen, dass sie nach wie vor entspannt sind. Liegt das daran, dass sie vom Typ her kaum aus der Ruhe zu bringen sind oder könnte eine auch über den Winter hinaus anhaltende sportliche Dursttrecke irgendwann doch Nervosität auslösen?

Michael Welling:
Ich glaube, dass ich vom Typ her eher permanent angespannt bin, immer kribbelig und ich möchte immer Dinge verändern. Es gibt ein schönes Lied von Udo Lindenberg, das hat den Titel „Bis an´s Ende der Welt“. Dort heißt es: „Ich liebe hohe Spannung und stehe meistens unter Strom“, und das passt eigentlich zu mir. Die Frage ist auch etwas missverständlich gestellt, denn ob ich entspannt bin oder nicht entspannt bin hat nichts damit zu tun, ob ich zufrieden bin oder nicht. Die Entspannung hat auch wenig mit der Tabellenplatzsituation zu tun, sondern mit der Gesamtkonstellation. Der Tabellenplatz kotzt mich zwar an, ich bin aber trotzdem insofern entspannt, weil ich davon überzeugt bin, dass aktionistische Handlungen der absolut falsche Weg wären.

Unzufriedenheit bezüglich unserer Ansprüche und Möglichkeiten, die größer sind als der Tabellenplatz es gerade aussagt, ist natürlich trotzdem vorhanden. Gerade nach so einem Spiel gegen Aachen, von wo du nach Hause fährst und dich fragst „Weshalb verlieren wir so ein Spiel eigentlich?“ Mindestens bis zum ersten Gegentor waren wir die bessere Mannschaft, aber ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit eingreifen zu müssen, auch wenn Journalisten und in Forum schon Maßnahmen gefordert werden. Ich bin aber weiterhin sowohl vom eingeschlagenen Weg als auch von den handelnden Personen komplett überzeugt, ich sage sogar: Mehr als noch vor einigen Monaten. Das rührt daher, dass ich heute deutlich mehr Informationen habe und deutlich näher dran bin, mich mit den handelnden Personen auch ständig austausche. Das macht mich sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind und wir irgendwann auch die entsprechenden Ergebnisse erzielen werden. Ich fühle mich gut, das war früher in tabellarisch weniger dramatischen Situationen ganz anders.

Jawattdenn.de:
Mal abgesehen von Pech, Fußballgott und Schiedsrichterentscheidungen – wo sehen sie Ursachen dafür, dass Anspruch und Wirklichkeit derzeit so weit auseinanderklaffen?

Michael Welling:
Schiedsrichter und Pech als Gründe heranzuziehen ist in Einzelfällen sicher richtig, aber das gleicht sich im Laufe der Zeit aus. Daneben muss man sehen, dass unser Umbruch im Sommer größer war als es nach außen hin scheint. Wir haben einen neuen sportlichen Leiter, einen neuen Trainer, einen neuen Co-Trainer, einen neuen Mannschaftsarzt, ein neues Physiotherapie-Team. Im Team hatten wir bezüglich der Quantität ebenfalls einen großen Umbruch, auch wenn wir den Stamm des letzten Jahres haben halten können. Die neuen Spieler sind dabei bis auf Kevin Behrens und Gino Windmüller U23-Spieler. Und selbst Behrens ist mit 24 Jahren noch kein gestandener Spieler. Der Umbruch ist zudem auch auf die Idee, die hinter den Neuverpflichtungen steht, zu beziehen. Die Spieler hatten unter Marc Fascher und Uwe Harttgen eine besondere Form der Personalführung und Fußballidee kennengelernt, und das haben wir nun komplett über den Haufen geworfen. Das hat natürlich auch zu Problemen geführt und wenn zudem die ersten Ergebnisse nicht stimmen, dann führt das zu einem selbstverstärkenden Prozess. Ich glaube, wenn wir am Anfang mehr Siege erzielt hätten, dann wären viele Anpassungsprobleme schneller zu beheben gewesen. Das ist sicherlich mit ein Grund, warum wir zurzeit dort stehen wo wir stehen.

Zudem fehlt uns aktuell – und ich sage bewusst aktuell – die Durchschlagskraft im Angriff. Im Prinzip haben wir mit Marcel Platzek aktuell einen Stürmer, der im Sturm gesetzt ist, der nachweislich die Qualität besitzt, aber leider gerade eine Phase hat, in der er nicht trifft. Er arbeitet aber richtig gut, auch zuletzt in Aachen. Wir haben mit Studtrucker einen richtig guten Mann, der leider verletzt ist und auch Behrens wäre eigentlich gesetzt. Mit Malcolm haben wir noch jemanden, der natürlich erstmal hinten dran ist und noch nicht das Niveau hat, um einen Behrens oder Studtrucker gleichwertig zu ersetzen. Uns fehlt also gerade Quantität und damit auch letztendlich Qualität. Das ist ein weiterer Grund, weshalb wir noch nicht dort sind, wo wir hinwollen. Wenn man das weiterführt, dann fehlen uns nach der Verletzung von Jesic Alternativen auf den Außenpositionen, wodurch auch die Torgefahr von außen verloren geht. Soukou ist leistungsmäßig ebenfalls noch nicht da, wo er vor seiner Sperre war. Das wirkt sich auf die Spiele aus und zieht sich durch die Saison. Angefangen mit Wiedenbrück, wo wir eine tolle erste Halbzeit spielen, viele Chancen hatten – und dann kam die rote Karte für Obst. Danach dominieren wir trotzdem und fangen uns am Ende Konter ein. Dann hatten wir das richtig gute Spiel gegen Düsseldorf und machten auch keine Tore. Gegen Rödinghausen zeigten wir zwar keine so gute Leistung wie gegen Düsseldorf, haben aber einen Elfmeter verschossen und dann aus 60 Metern ein Gegentor gefangen. In Wattenscheid haben wir in den ersten 25 Minuten drei Hundertprozentige und wir machen das Ding nicht! Und Samstag in Aachen war es ähnlich, das zieht sich durch die gesamte Saison. Wir haben gute Chancen, es fehlen uns aktuell die Konsequenz, die Überzeugung und die Qualität.

Jawattdenn.de:
Problematisch zurzeit ist aber auch: Wenn die Mannschaft ein Gegentor kassiert, dann ist das zweite Gegentor meist nicht weit, insbesondere auswärts. Nach einem Gegentor läuft häufig erstmal nichts mehr, so war es zum Beispiel in Wattenscheid, in Köln und in Mönchengladbach, das ging am ersten Spieltag gegen Wiedenbrück schon los. Wie kann man erklären, dass die Mannschaft nach einem Gegentor so einbricht?

Michael Welling:
Hier möchte ich gerne differenzieren: Gegen Wiedenbrück haben wir spät das erste Gegentor bekommen, dazu mit 10 Mann und am Ende haben wir trotzdem alles versucht und sind ausgekontert worden. Die Spannung war dann einfach weg. In Köln war es ähnlich. Ich weiß aber nicht, was nach einem Gegentor los ist. Das Selbstbewusstsein ist vielleicht noch nicht so groß, dass wir so ein Spiel drehen können. Vielleicht wollen die Jungs auch zu viel und machen dann zu viele Fehler. In Wattenscheid war der Fußball bis zum Gegentor der beste, den ich hier seit fünf Jahren gesehen habe. Dann kriegen wir das Gegentor mit dem ersten kontrollierten Angriff. Anschließend fehlen uns die Geduld und Überzeugung, das eigene Spiel weiterzuspielen, durch zu viel Aktionismus und Aktivität. Stattdessen haben wir gefühlt wie ein Hühnerhaufen weitergespielt und wir wünschen uns natürlich, dass wir mit solchen Situationen bald besser umgehen können.

Jawattdenn.de:
Manchmal liegt es aber nicht an zu viel Aktivität, eher im Gegenteil. Als Leon Binder in Mönchengladbach eingewechselt wurde, war der Unterschied zwischen seiner Aktivität und dem der Rest der Mannschaft frappierend! Binder hat unfreiwillig aufgedeckt, wie wenig Engagement nach dem Rückstand an den Tag gelegt wurde und seine Mitspieler durch den eigenen Einsatz immerhin noch mal geweckt, seine Mitspieler haben sich an ihm hochgezogen.

Michael Welling:
Ich finde es schwierig, ein einzelnes Spiel heranzuziehen, um eine These zu verifizieren. Was für einen Ruck Binder da verursacht hat – ja klar, in Mönchengladbach war das so. Da fehlte die Kompaktheit. Leon hatte sich nach gefühlten fünf Sekunden eine gelbe Karte abgeholt und hat dann alleine innerhalb der restlichen Spielzeit mehr Torgefahr ausgestrahlt als die Mannschaft über die gesamte Spielzeit. Manchmal braucht es eben so etwas, aber Gladbach ist jetzt nicht das Typische gewesen. Der Wille der Mannschaft ist da, manchmal hat es nicht funktioniert oder sah nicht gut aus. Das Spiel gegen Ahlen war das schlechteste, das wir in dieser Saison als Leistung hier gezeigt hatten. Es fehlt die Überzeugung an vielen Stellen, aber daran arbeiten wir. Es gibt Schwankungen und die Mannschaft muss sich auch finden, aber ich bin davon überzeugt, dass sie sich finden wird. Wenn ich nur auf die Tabelle und die Ergebnisse schaue, kann man natürlich sagen: „Scheiß Argumente vom Welling!“, aber wir müssen die Geschehnisse natürlich differenzierter betrachten und ich bin wie gesagt davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Jawattdenn.de:
Kommen wir zur Auflösung des Vertrages von Kevin Behrens. Der Trainer hatte erstmals nach dem Spiel in Lotte relativ deutlich gemacht, dass es einen Spieler im Kader gebe, der sich nicht in das Mannschaftsgefüge einfüge. Vor dem Spiel gegen Ahlen wurde er aus dem Kader gestrichen und Behrens meldete sich anschließend krank, was unter den Fans zu vielen Diskussionen führte. Was sind die Hintergründe der Art und Weise, wie sie die Thematik veröffentlicht haben?

Michael Welling:
Uns als Verein wäre es natürlich am liebsten gewesen, wenn um diese Personalie überhaupt nicht diskutiert werden müsste. Dass sie diskutiert wird, hat aber seine Gründe und sie können sicher davon ausgehen, dass der Trainer nicht aus einer Laune heraus an die Öffentlichkeit gegangen ist - ich komme gleich darauf zurück.

Daneben ist der Trainer derjenige, der mehr im Fokus steht, weil es um einen Spieler geht, aber inhaltlich ist alles mit uns abgestimmt. Ober wir diese Angelegenheit besser hätten kommunizieren können, weiß ich gar nicht.

Dass der Kevin krank geworden ist, ist keine Schutzkrankheit, er war bei unserem Vereins-Arzt. Für die Kaderzusammenstellung vor dem Ahlen-Spiel war dieser Fakt aber irrelevant, das wollte er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel auch deutlich machen. Möglicherweise auch, um zu dokumentieren, dass es viele Aspekte gibt, die eine Rolle spielten. Wenn ich in die RWE-Foren schaue - ich weiß, das sollte man nicht so oft tun ...

Jawattdenn.de:
... weil sie dort einen Kampf gegen Windmühlen bestreiten ...

Michael Welling:
(lacht) Passend dazu hat mich auch jemand als "Doc Quijotes" bezeichnet, das fande ich sehr lustig. Was mich aber beim Lesen im Forum wirklich frustriert ist, mit welcher Selbstverständlichkeit Leute immer wieder denken, dass die beim Verein alle dämlich seien. Ich weiß, es sind alle Fußballfans und man ist auch emotional bei der Sache, aber manchmal würde ich mir wünschen, dass erstmal nachgedacht und dann kommentiert wird. Wenn man wirklich glaubt, dass ein Trainer bei Rot-Weiss Essen - und sei er noch so jung - so eine öffentliche Kritik einer Person formuliert, ohne dass es mit allen handelnden Personen abgestimmt ist, der ist weltfremd. Deshalb ist es auch völliger Unfug zu glauben, dass nur diese eine kleine Szene in Lotte die Ursache für das Streichen aus dem Kader ist. Bevor wir diese Entscheidung gefällt haben, gab es viele, viele Gespräche mit Kevin und mit seinem Berater.

Es ist uns natürlich klar, dass eine solche Personalie in unserer derzeitigen sportlichen Situation nochmal negativer referiert wird als in einer Phase, in der es gut lief. Dazu kam ja noch, dass Kevin in den beiden Spielen zuvor sportlich gut war. Trotzdem nervt mich dieser Beißreflex dort draußen - es ist alles klar durchdacht worden, unter Berücksichtigung aller sportlichen Konsequenzen und wie das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dass wir keinen Applaus erhalten würden, war uns klar. Vor diesem Hintergrund muss man aber zumindest einmal überlegen, ob es dafür nicht doch gute Gründe gibt, die vielleicht nicht detailliert öffentlich kommuniziert werden, aber es gibt sie.

Jawattdenn.de:
Die Aussagen des Trainers in Lotte waren noch etwas nebulös, der Name Behrens wurde nicht genannt. Welches Ziel hatten sie bzw. welchen positiven Effekt hatten sie sich davon versprochen, auf diese Art und Weise schon mal an die Öffentlichkeit zu gehen? Alternativ hätte man doch auch direkt vor oder nach der Entscheidung, Behrens aus dem Kader für das nächste Spiel zu streichen, an die Öffentlichkeit gehen und die Entscheidung erklären können. Dann wäre es gar nicht erst zu den von ihnen kritisierten unreflektierten Äußerungen der Fans gekommen.

Michael Welling:
Es ging uns gar nicht um einen positiven Effekt, es ging darum ein Zeichen zu setzen und transparent zu sein. Was wäre denn gewesen, wenn Behrens ohne Erklärung am Samstag nicht im Kader gestanden hätte?

Jawattdenn.de:
Dann hätte man zum Beispiel in der Pressekonferenz nach dem Spiel die Gründe darlegen und erläutern können.

Michael Welling:
Ja, aber warum möchte man sich nach dem Spiel so ein Fass aufmachen? Das war einfach eine klare Überlegung für eine klare Kommunikation. Die gab es vor dem Ahlen-Spiel auch in Richtung Mannschaft. Bei so vielen Spielern ist allerdings auch immer die Gefahr, dass etwas frühzeitig nach draußen durchsickert, womöglich auch über den Spieler oder seinen Berater selbst. Das wollten wird nicht: Wir bestimmen die Agenda, wir kommunizieren was ist, wie es ist, und warum es ist. Das haben wir gemacht, unter Inkaufnahme der Nachteile. Das war ein klares Signal, das natürlich auch in Richtung Kevin kommuniziert wurde.

Jawattdenn.de:
Konnte die Mannschaft diesen Schritt gegen Behrens nachvollziehen?

Michael Welling:
Ich kann es nicht ganz genau sagen, aber bei mir ist jedenfalls niemand aufgetreten, der die Entscheidung kritisiert hat.

Jawattdenn.de:
Ist noch Spielraum im Etat, um im Winter gegebenenfalls nochmal personell nachzulegen?

Michael Welling:
Wir halten immer Ausschau, das ist bekannt. Das Schöne ist, dass wir finanziell so gut aufgestellt sind, dass wir Spieler verpflichten könnten, wenn alles passt.

Jawattdenn.de:
Gehört unter "wenn alles passt" in diesem Jahr auch wieder die früher geltende Prämisse, dass uns ein Winterpausen-Neuzugang auch über die Saison hinaus weiterhelfen soll, also keine Verpflichtung für ein halbes Jahr getätigt wird, nur um statt Zehnter Achter zu werden?

Michael Welling:
Nach Möglichkeit schon, aber es gibt immer wieder Konstellationen, bei denen man von dieser Vorgabe abgehen muss. Wir wissen noch nicht, was sich bezüglich Verletzungen in den kommenden Wochen noch ergibt, so dass man eventuell doch einen Spieler für ein halbes Jahr verpflichten muss. Jerome Propheter hatten wir damals versucht mit einem längerfristigen Ansatz zu verpflichten, das ging aber von Bielefelder Seite aus nicht. Der Grundgedanke ist also ein längerfristiger Ansatz, pauschalisieren möchte ich das aber nicht.

Jawattdenn.de:
In der WAZ hat Ralf Wilhelm zu Cebio Soukou geschrieben, er habe im Sommer um die Freigabe gebeten - ist das zutreffend?

Michael Welling:
Das ist zutreffend, das haben wir auch nie verneint.

Jawattdenn.de:
Ralf Wilhelm fuhr dann darauf aufbauend fort, dass Soukou angeblich absichtlich schwächer spielen würde.

Michael Welling:
Die Situation ist die, dass Soukou vor der Saison gerne zu einem höherklassigen Verein gewechselt wäre. Es hat Anfragen gegeben, die teilweise bei uns gelandet sind, teilweise aber auch bei seinem Berater. Unter gewissen Umständen hätten wir ihm die Freigabe erteilt, wobei diese Umstände natürlich finanzieller Natur waren. Aber es gab kein lukratives Angebot, kein Verein war bereit, eine angemessene Ablöse zu zahlen. Cebio ist noch U23-Spieler und wir hatten die Hoffnung, dass er an seine Leistung vor der Sperre anknüpfen kann, deshalb war die Option Wechsel ohne Ablöse für uns nicht relevant. Aber dass Cebio jetzt deswegen absichtlich schlecht spielt, das kann man ganz sicher nicht sagen. Damit würde er sich doch ins eigene Fleisch schneiden, er möchte ja nach wie vor höher spielen. Zudem hat der Trainer auch noch die Option, ihn nicht aufzustellen, wenn ihm ein solches Verhalten auffallen würde.

Jawattdenn.de:
Die Verjüngung der Mannschaft ist gelungen, vielleicht sogar in stärkerem Maße als geplant. Sie konnten sich am Ende sogar den Luxus erlauben, freiwillig auf die U23-Spieler Nakowitsch und Arenz zu verzichten. Zahlreiche Verträge der von Fascher verpflichteten erfahreneren Spieler werden 2016 auslaufen, während vielen der neuen jungen Spieler Verträge über die Saison hinaus besitzen. Muss man wieder mit einer hohen Fluktuation im Sommer 2016 rechnen, insbesondere, wenn sich die jungen Spieler nicht wie gewünscht weiterentwickeln?

Michael Welling:
Ich glaube, das lässt sich noch nicht voraussagen, gerade bei den jungen Spielern. Wir haben mit Spielern wie Cokkosan auch junge Leute im Kader, die jetzt schon Stammplatzpotenzial haben. Hätte er sich nicht verletzt, dann wäre er vermutlich in fast allen Spielen eingesetzt worden. Nur gegen Ahlen ist er nicht eingesetzt worden, obwohl er fit war, er wurde aber eingewechselt. Obst hatte hier einen beschissenen Start mit der roten Karte gegen Wiedenbrück, er ist aber auch erst 21 und macht viele Spiele. Das gleiche gilt für Jesic, der gerade verletzt ist. Ich sehe es also nicht so, dass sich zu viele Spieler nicht durchsetzen werden. Wir haben viele junge Spieler und haben diese auch ganz bewusst verpflichtet, eben auch, um sie weiter zu entwickeln, sowohl sportlich als auch charakterlich - denn an der Hafenstraße erlebst du was! Es wird sich zeigen, wer damit umgehen kann, aber ob es dann wieder einen Umbruch gibt? Weiß ich nicht. Wir werden sicher auch im nächsten Jahr den einen oder anderen haben, der uns verlassen wird und den einen oder anderen, der zu uns kommen wird. Das gehört einfach dazu, genauso wie anschließende Kommentare wie "den hättet ihr niemals gehen lassen dürfen!"

Jawattdenn.de:
Stichwort gehen lassen: Sie hatten uns bei einem vergangenen Interview erklärt, dass es im Amateurbereich kein klassisches Ausleihen eines Spielers gibt, aber man trotzdem andere Möglichkeiten hat, mit dem Spieler eine Rückkehr festzumachen. Beim Wechsel von Lucas Arenz nach Wuppertal wurde vom Andreas Winkler eindeutig kommuniziert, dass man mit einer Rückkehr nach einem Jahr plant. Können wir daraus schließen, dass es diesbezüglich schon schriftliche Vereinbarungen in irgendeiner Form gibt oder steht alles noch in den Sternen?

Michael Welling:
Wir stehen im engen Austausch mit Lucas, seinem Berater und dem WSV und beobachten seinen Weg. Mit allen Parteien sind wir auf der Suche nach der optimalen Lösung. Wir warten erstmal ab, wie er sich entwickelt und treffen am Ende der Saison eine gemeinsame Entscheidung, was das Beste für ihn ist, auch im Hinblick auf die Entwicklung in Wuppertal.

Jawattdenn.de:
Konkret heißt das also: Es gibt bislang keine schriftliche Vereinbarung, die dem Verein die Option bietet, ihn sicher zurückzuholen?

Michael Welling:
Es gibt immer ganz viele schriftliche Sachen (grinst).

Jawattdenn.de:
Diesen Weg, junge Spieler zu verpflichten und weiter zu entwickeln, hatte ja auch Waldemar Wrobel vor Augen, den Weg hatten wir aber mit Harttgen und Fascher zwischendurch verlassen. Nun nähern wir uns diesem Weg wieder. Kann man das neue Konzept als Rückkehr zu dem betrachten, was man sich damals schon vorgestellt hatte?

Michael Welling:
Ja. Allerdings wollten wir auch unter Waldemar Wrobel nicht nur Talente entwickeln, sondern später auch gestandene Spieler wie Knappmann oder Wingerter als Führungsspieler hinzuholen. Deshalb kann man nicht sagen, dass wir nur auf Talente gesetzt haben. Wir haben wegen der guten finanziellen Situation auch den Schritt mit dem Vorstand Sport vorgezogen, den wir eigentlich erst für die Dritte Liga geplant hatten. Wir wollten von außen einen Impuls haben mit einer Person, die eine hohe sportliche Kompetenz hat. Bei dem definierten Profil haben wir deutlich zu verstehen gegeben, dass diese Person unsere Spielphilosophie weiterführt, ausformuliert und konzeptionell herangeht. Dazu zählen natürlich auch der Fokus auf die Talententwicklung sowohl im Nachwuchs- als auch im Seniorenbereich und die Verzahnung dieser beiden Bereiche.

Für das Jugendleistungszentrum hatten wir schon vor Harttgen viele Weichen gestellt, Andi Winkler war zu der Zeit mitten in diesem Prozess. Übrigens war Winkler auch deshalb damals noch nicht so präsent für den höheren Posten, er sollte das Thema NLZ weiterführen. Mit Harttgen hatten wir schließlich jemanden gefunden, der aufgrund seiner Tätigkeit in Bremen eigentlich alles mitbrachte, was man zur Fortführung unserer Grundidee braucht. Leider muss man ganz klar sagen: Das hat vorne und hinten nicht funktioniert! Zunächst gab es die Trennung vom Waldi. Ich bleibe bis heute dabei: Diese Entscheidung war in der damaligen Situation richtig. Unser größtes Problem war dann die Personalie Fascher. Nicht wegen Marc - er ist ein netter Kerl und Supertyp, er hat aber eine komplett andere Philosophie. Marc setzte auf gestandene Spieler und die Talententwicklung steht bei ihm nicht sonderlich weit vorne. Mit seiner Verpflichtung sind wir von unserem ursprünglichen Vorhaben abgerückt. Die Entscheidung pro Marc Fascher war Harttgens erste grundlegende Personalentscheidung und dann ist es natürlich schwierig, als Vorstandskollege und als Aufsichtsrat direkt hemmend einzugreifen. Wir hätten Harttgen direkt enteiert, deshalb haben wir diese Entscheidung mitgetragen.

Im Nachgang muss man aber konstatieren, dass damit eine Philosophieabkehr eingeleitet wurde. Nach der Trennung von Uwe Harttgen und Marc Fascher deuten alle Personalentscheidungen, die wir seitdem getroffen haben, wieder in die andere Richtung: Angefangen mit Reiter und Lukas als Interimstrainer, über die Entscheidung, Andi Winkler, der den Verein seit vielen Jahren aus dem Effeff kennt, auf die Position des Sportlichen Leiters zu setzen, bis hin zur Besetzung des NLZ mit Marcus Reiter und der Verpflichtung von Jan Siewert, der viele Jahre in der Jugendausbildung tätig war - alle Entscheidungen zeigen, dass wir unsere Philosophie revidiert haben und wieder Talente entwickeln wollen. Andernfalls hätten wir uns gar nicht die Mühen machen müssen, nach der Insolvenz den Nachwuchs zu halten oder NLZ zu werden. Übrigens sind wir der erste Viertligist außerhalb des Ostens mit einem NLZ. Oberhausen und Aachen haben zwar auch ein NLZ, aber das sind noch "Altlasten" aus Zweitligazeiten. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass wir zukünftig nur 20-jährige Spieler haben werden, sondern wir wollen sportlichen Erfolg mit der ersten Mannschaft haben, mithilfe einer starken A- und B-Jugend, aber dafür brauchen wir auch ein paar gestandene Spieler, die in der Lage sind, mit 20-Jährigen zu arbeiten. Die Probleme, die wir heute sportlich haben, resultieren zum Teil auch auf den Veränderungen, die wir im Zuge der Umkehrung durchgeführt haben, damit müssen wir leben.

Jawattdenn.de:
Sie betonten, dass nach der Insolvenz bewusst der Nachwuchs gehalten wurde, also inklusive der U23. Können wir daraus schließen, dass ohne Uwe Harttgen die U23 nicht oder zumindest nicht so schnell auf den Prüfstand gestellt und abgeschafft worden wäre?

Michael Welling:
Ich glaube, das wäre nicht so schnell geschehen.

Jawattdenn.de:
War beim internen Stühlerücken, als die Trainer- und Leitungsposten neu besetzt wurden, auch der Name "Putsche" Helmig mit im Spiel?

Michael Welling:
Für das NLZ brauchen wir nach Vorgaben einen Fußballlehrer. Putsche hat nur die A-Lizenz und erfüllt damit die formale Qualifikation nicht. Aber wir haben natürlich auch mit Putsche gesprochen, über alles Mögliche, das waren sehr angenehme Gespräche. Er hat sehr viele wertvolle Hinweise gegeben. Ich glaube, er fühlt sich wohl und leistet einen Riesen-Job für den Verein. In diesem Kontext muss man auch sehen, dass man in dem Augenblick, in dem man Trainer der ersten Mannschaft oder Sportlicher Leiter von Rot Weiss Essen wird, auch gleichzeitig davon ausgehen muss, den Verein irgendwann zu verlassen - insbesondere als Trainer. Das will ich beim Putsche nicht! Er ist eine Vereinslegende und ist RWE durch und durch. Ich bin davon überzeugt, dass er jederzeit aushelfen würde, wenn man ihn fragt, weil er unfassbar loyal dem Verein gegenüber ist. Aber ob das gut ist, ist eine andere Frage.


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