"Soll ich mal Sartre zitieren?" - Interview mit Michael Welling 2014
Im dritten Teil des Interviews geht es um die Differenzen mit dem WFLV und dem Thema "Leitbild". Hier könnt ihr auch helfen: Schreibt dem Verein, was RWE für euch ausmacht, in Worten, in Bildern, in Liedern, in Erlebnissen – alles hilft!
Jawattdenn.de:
Um auf das Thema Vermarktung zurück zu kommen: Sie sagten vorhin, dass es schön wäre, wenn RWE sich medial besser vermarkten könnte. Jetzt hat Herr Korfmacher Ihnen ja die Vorlage gegeben, um dies zu realisieren. Aber wie wir von Seiten des WFLV lesen konnten, hat RWE jedes Gespräch darüber abgeblockt. Sie haben ja diesbezüglich privat an Herrn Korfmacher geschrieben. Haben Sie auf Ihren Brief schon eine Antwort erhalten?
Michael Welling:
Ich habe nicht persönlich oder privat diesen Brief geschrieben, sondern in der Funktion des 1. Vorsitzenden von RWE. Das war eine sehr ausführliche Antwort über elf oder zwölf Druckseiten. Eine schriftliche Antwort habe ich nicht bekommen. Aber wir haben einen Termin gefunden, an dem wir uns mit Herrn Korfmacher und weiteren Verbandsmitgliedern zusammensetzen werden. Mal sehen, was dann dabei herumkommt. Ich sehe dem Treffen entspannt entgegen.
An der Stelle sage ich aber auch, ich fand es schon – befremdlich trifft es wohl sehr gut – dass Herr Korfmacher in dem Antwortschreiben an die FFA nicht unbedingt auf die Punkte eingegangen ist, die von der FFA angesprochen wurden. Dieser offene Brief wurde benutzt, um den Verein und mich persönlich anzugreifen – so habe ich das empfunden und mit mir weitere Vertreter des Vereins. Das hat uns schon befremdet. Zumal die inhaltlichen Themen, die er dort im Bezug auf den Gesprächstermin aufgeführt hat, faktisch falsch sind und er sich beim Thema Marketingstrategien auf extrem dünnes Eis begibt. Da müsste er als Gastdozent an die Uni kommen, an der ich lehre, und vortragen, wie man diese Strategien in unserem Fall richtig einsetzt, um Geld zu generieren.
Ich muss mich bemühen nicht zynisch zu sein. Es ist faktisch falsch, dass wir ein Gesprächsangebot abgelehnt haben. Ich gehe davon aus, dass Herr Korfmacher nicht ausreichend informiert wurde und ihm der Wortlaut meiner Antwortmail nicht vollständig oder gar nicht vorlag. Fakt ist: Der Termin, der vorgeschlagen wurde, ging nicht, weil ich wegen des Rechtstreits über die Özil-Gelder beim Oberlandesgericht in Düsseldorf war. Die Frage, diesen Termin beim OLG sausen zu lassen, um mit Herrn Korfmacher zu reden, stellte sich nicht.
Ich hatte außerdem im Vorfeld die Frage gestellt, wofür der Termin notwendig ist. Die beiden Themen, die mir dann genannt wurden, sind schon länger auf dem Tisch. Wir – und nicht nur wir – wollen wissen, wie bestimmte Regelungen verbandsseitig sind. Danach kann man diskutieren. Uns geht es in erster Linie darum, dass der Verband über bestimmte Inhalte transparent informiert: Wie z.B. zum einen die über verbandsseitig ausgegebene Karten gesteuerte Eintrittsregelung bei Spielen der Vereine, die an der Regionalliga West teilnehmen. Die Frage seit Saisonbeginn lautet: Welche Karten sind verbandsseitig an wen wofür rausgegeben worden – dies brauchen wir alleine, um unsere Prozesse im Stadion mit unseren Dienstleistern abzustimmen. Bis zum 10. Spieltag gab es hier noch keine klaren und verbindlichen Aussagen. Zum zweiten wollen wir schon seit längerer Zeit wissen, wie die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Sport1 und dem Verband aussehen, da diese eben die Vereine direkt betreffen und es hier einige Unklarheiten in der Kommunikation gab. Auch hier wollen wir einfach nur eine transparente Darstellung der Regelungen. Mehr wollten wir gar nicht. Aber es ist notwendig, eine Basis zu schaffen, bevor man in tiefere Gespräche geht und Argumente austauscht. Aber wenn der Verband unsere Sichtweise zu dem Thema erfahren will, sind wir zu einem Gespräch bereit, das haben wir immer genauso ausgeführt.
Mit Blick auf die TV-Vereinbarungen sei gesagt: Ich gebe ja in Iserlohn an der BiTS Vorlesungen im Bereich Sport- und Eventmanagement im Bereich Bachelor, wo es auch um Fußball-Management geht. Das sind Themen, die ich dort als Dozent begleite. Da gehört es zur Grundausbildung der Studenten, die Zusammenhänge zwischen Einnahmeströmen und deren Grundlagen kennenzulernen. Es ist ein einfaches mathematisches Kalkül, wenn man sagt: Es ist ein Unterschied, ob ein Spiel unter der Woche stattfindet oder am Wochenende. Das hat Einfluss auf die Zuschauerzahl. Dann ergeben sich aus weniger Zuschauern geringere Eintrittsgelder und die Erträge aus dem Catering sinken ebenfalls. Es ist nachvollziehbar, dass dieses Kalkül bei Vereinen wie Rot-Weiss Essen, die aufgrund der höheren Basis von Zuschauern erhebliche Zuschauerverluste hinnehmen müssen, anders ausfällt als bei Vereinen, die deutlich weniger Zuschauer haben als RWE. Da muss man nur das kleine Einmaleins beherrschen, um das zu berechnen. Die Argumentation darüber, dass die mediale Präsenz diese Verluste mit geeigneten Marketingstrategien ausgleichen könnte, negiert in unserem Fall viele Realitäten. Ich kann und will allerdings nicht beurteilen, wie das bei anderen Vereinen aussieht.
Jawattdenn.de:
… es gab ja noch andere seltsame Äußerungen. Wie kann denn ein Verband in einer Insolvenzsituation unterstützend eingreifen?
Michael Welling:
Ralf Wilhelm (Ralf Wilhelm, Redakteur der WAZ, Anmerkung der Redaktion) hat die entsprechende Frage in seinem Kommentar ebenfalls gestellt, da er neugierig ist, welche Themen der Verband damit meint. Die handelnden Personen von damals sind jetzt nicht mehr die gleichen wie vor fünf, sieben oder zehn Jahren. Ich wäre auch interessiert. Unser Vereinshistoriker bestimmt auch, um die Vereinsgeschichte um dieses Kapitel zu erweitern.
Jawattdenn.de:
Kann man jetzt von einem gestörten Verhältnis sprechen? Ist sogar zu befürchten, dass uns prinzipiell der Freitag als Spieltag verbaut wird und nun die Spiele extra sonntags angesetzt werden?
Michael Welling:
Nein, nein. Es gibt viele Punkte, bei denen wir eine andere Sichtweise haben als der Verband. Das können und müssen wir uns erlauben. Wir können nur die Interessen von RWE vertreten. Wir sind nun einmal anders aufgestellt, werden regelmäßig die Interessen formulieren und auch kritisch hinterfragen, was da passiert. Das bleibt auch so. Alles andere wäre aus unserer Sicht auch komplett falsch und wir würden unserer Aufgabe als Vertreter von Rot-Weiss Essen nicht nachkommen.
Das ist unbequem, aber wir sind als Verein Rot-Weiss Essen mit Tradition gerne unbequem. Das findet der Verband nicht unbedingt gut. Manche würden es vielleicht schöner finden, wenn die Vereine zu allem Ja und Amen sagen. Das wird aber definitiv mit uns als handelnden Personen nicht stattfinden. Da gibt es nichts dran zu deuteln.
Man sollte aber nicht mit irgendwelchen Verschwörungstheorien anfangen und dem Verband und den dort handelnden Personen etwas Böses unterstellen. Auch die vertreten lediglich aus Ihrer Sicht die Verbandsinteressen. Wir sind sicher, dass von dort keine Retourkutsche kommen wird. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen und Meinungen und es gibt gute und schlechte Argumente zu den Meinungen. Das heißt aber nicht, dass wir eine große Verschwörungstheorie-Geschichte aufbauen müssen.
Jawattdenn.de:
Die Verschwörungstheorien gehen ja noch weiter. Das war ja die harmloseste. Es wurde ja darüber diskutiert, ob die Schiedsrichter jetzt auch mit einbezogen sind, sodass RWE bloß nie wieder hochkommt.
Michael Welling:
Das halte ich für kompletten Blödsinn, die Schiedsrichter haben doch oftmals den schwierigsten Job überhaupt, glaubt da tatsächlich einer daran, dass sich Schiedsrichter hier vor irgendeinen Karren spannen lassen? Das ist Schwachsinn hoch zehn für mich. Und über Schiedsrichterentscheidungen kann man immer herrlich streiten, viele Entscheidungen von Schiedsrichtern sind doch oft 50:50-Entscheidungen, nur selten kommt es tatsächlich zu Fehlern bei Schiedsrichtern, die tatsächlich eindeutig sind. Da tun wir gut daran, zum einen die Objektivität stets zu wahren (so schwierig das als Fan ist und so schwierig das in der jeweiligen Emotion auch ist) und uns zu verdeutlichen, dass auf dem Platz mindestens 22 Spieler stehen, die im Spiel alle sehr, sehr viele Fehler machen. Daher sollte man eben auch Schiedsrichtern eingestehen, dass Sie Fehler machen. Die tun vielleicht weh als Fan, aber Fehler gehören zum Spiel dazu. Schiedsrichtern aber zu unterstellen, Sie würden das absichtlich machen, das halte ich für ungeheuerlich.
Was sicherlich richtiger ist und was sicherlich ein etwas besserer Erklärungsansatz ist für die oftmals subjektive Sicht, dass ein Schiedsrichter „gegen“ RWE pfeift: Die Schiedsrichter stehen ja genauso unter Beobachtung wie die Spieler, sie werden in jedem Spiel bewertet und qualifizieren sich durch Ihre Leistungen für höhere Spielklassen. Ich denke, dass gerade Spiele mit RWE-Beteiligung dabei eine wichtige Feuertaufe für die Schiedsrichter sind, weil eben bei Spielen von RWE auch in der Regionalliga eine große Zahl an Fans und eine emotionale Stimmung ist. Was hier sicherlich eine Rolle spielt ist: Die Schiedsrichter müssen zeigen, dass sie sich nicht von der Stimmung und Zuschauerzahl beeindrucken lassen, ich gehe davon aus, dass Ihnen das auch vorher gesagt wird. Was dabei vielleicht passiert ist, dass eben in den 50:50-Entscheidungen genau das Gegenteil passiert, ohne dass das den Schiedsrichtern bewusst ist oder dass das gar Absicht ist. In 50:50-Situationen wird daher vielleicht häufiger gerade gegen RWE entschieden, weil die Schiedsrichter sich nicht beeindrucken lassen wollen. Ich denke, hier sind die Lehrwarte und Beobachter gefragt, diesen Aspekt auch mit den Schiedsrichtern zu thematisieren, damit sich die Entscheidungen die Waage halten. Aber nochmals: Hier Absicht zu unterstellen halte ich für Blödsinn.
Vielmehr ist es doch so: Wenn man eine Befragung bei den Verantwortlichen der DFL-Vereine macht, ich glaube, die gab es sogar, welche Vereine man sich in der 1. und 2. Bundesliga wünscht, dann wäre Rot-Weiss Essen relativ weit oben auf dieser Wunschliste.
Und auch wenn man die Verantwortlichen von TV-Sendern fragt, auch die Verantwortlichen von Sport1, sind auch die der Meinung, dass sie lieber Rot-Weiss Essen als Hoffenheim, Ingolstadt oder Wolfsburg senden würden.
Jawattdenn.de:
Kommen wir zum Thema Leitbild. Wenn man sich bei anderen Vereinen oder Organisationen umsieht, dann gibt es klassische Stichworte, wie keine Homophobie und keine Ausländerfeindlichkeit. Was genau ist denn RWE-spezifisch?
Michael Welling:
Ich muss jetzt etwas vorsichtig sein, denn ich muss zwischen meiner und der allgemeinen Sichtweise unterscheiden, und will auch nicht meine Ansicht als allgemeingültig verkaufen. Ich frage einfach mal umgekehrt, was macht denn für Euch Rot-Weiss Essen einzigartig?
Jawattdenn.de:
Wir haben uns schon Gedanken gemacht, und es ist gar nicht so leicht etwas zu finden, was wirklich RWE-spezifisch ist. Wir können ja schlecht dort schreiben „wir pfeifen unseren Torwart 90 Minuten lang nicht aus“.
Michael Welling:
(lacht) Das sind eben bestimmte Verhaltensweisen. Aber nennt mal zwei oder drei Attribute.
Jawattdenn.de:
Sehr allgemein: Emotionalität.
Michael Welling:
Das sagt Ihnen aber auch der Fan von Hoffenheim. Also sind wir doch nicht anders als Hoffenheim…
Jawattdenn.de:
Zu RWE gehört zum Beispiel auch, dass wir sehr in Extremen leben. Wenn es gut läuft, ist direkt alles perfekt, und wenn es nicht so gut läuft, ist eben direkt alles scheiße. Und diese Stimmung legt man nicht am Parkplatz ab, sondern nimmt sie noch mit in die Woche. Die Frage ist nur, wie man das in prägnante Worte fassen kann.
Michael Welling:
Fußball ist also nicht nur eine schöne Nebensache, sondern für RWE-Fans mehr als das? Auch das gilt sicherlich für viele andere Fans von vielen Vereinen, oder?
Jawattdenn.de:
Auch das etwas ruppige Verhalten bei RWE macht den Verein aus. In der letzten Saison hat ja beispielweise das Publikum den Torwart von Viktoria Köln so lange gereizt, bis dieser vom Platz geflogen ist. Und das passierte hier nicht zum ersten Mal.
Michael Welling:
Das Ruppige hört man sehr häufig als Einzigartigkeit von Rot-Weiss. Es geht bei dem Leitbild darum, das Besondere an dem Verein herauszuarbeiten, und das ist sehr schwierig und manchmal fast unmöglich. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Der Unterschied zwischen Dortmund und Schalke sind nur die Vereinsfarben. Mein aktuelles Lieblingsbeispiel ist da der MSV Duisburg, der einige Zeit mit dem Spruch „Leidenschaft seit Generationen“ geworben hat. Das ist doch komplett austauschbar. Nehmen Sie bei dem Spruch das Logo vom MSV weg und packen das vom VfL Bochum hin, dann gilt das ebenso, gleiches für Bielefeld, Oberhausen, RWE…
Es gibt natürlich bestimmte Aspekte, die man berücksichtigen muss, weil sie jeder Fan direkt wahrnimmt. Leidenschaft und Emotionen hat man überall. Dazu gehört auch das Thema Tradition, die natürlich untrennbar mit dem Verein verbunden ist. Das unterscheidet uns auch nicht von unseren Nachbarn, lediglich einzelne besondere Erlebnisse in der Historie sind anders, andere Personen, aber Tradition haben nahezu alle Vereine. Der dritte Punkt ist Region, Ruhrgebiet ist RWE und RWE ist Ruhrgebiet, aber damit unterscheide ich mich auch nicht von Duisburg, Bochum oder Schalke. Die Königsblauen haben jetzt einen Flöz als Spielertunnel gebaut, den die Bochumer übrigens auch schon seit einigen Jahren haben, in Gelsenkirchen wird das aber als etwas ganz besonderes gefeiert und die Aufmerksamkeit ist in Gelsenkirchen auch größer als in Bochum, und in Oberhausen schiebt man eine Malocherschicht. Das ist alles nicht verkehrt, aber damit differenziere ich mich nicht. Das gehört alles dazu, aber das macht uns nicht besonders. Das verstehe ich unter einem Leitbild. Was bleibt, wenn man alle handelnden Personen wegnimmt? Wir als Dienstleister des Vereins müssen uns dem unterordnen, und deswegen regen mich auch Forenbeiträge auf, in denen behauptet wird, der „Welling will bei RWE jetzt auf St. Pauli machen“. Wenn ich clever bin, mache ich genau das nicht, denn das hier ist Rot-Weiss Essen.
Um das zu definieren, arbeiten wir zurzeit an unterschiedlichen Stellen. Unser Fanvertreter im Aufsichtsrat, Ralf Schuh, hat das mal sehr treffend zusammengefasst. Es geht um drei Fragenbereiche. Erstens: Was macht Rot-Weiss aus, was ist das Besondere, wie ist Rot-Weiss Essen? Und zwar aus der Sicht von unterschiedlichen Gruppen, denn wir haben ja keine homogene Masse, sondern verschiedenste Fantypen, Sponsoren, Geschäftsstellenmitarbeiter, den sportlichen Bereich, die Öffentlichkeit, die Medien. Daher wollen wir zunächst das Spezifische von RWE herausfinden. Zweitens: Wie hättest Du RWE gerne? Wie sollte RWE denn aus Deiner Sicht sein?
Jawattdenn.de:
In vielen Fällen ist es wahrscheinlich so, dass RWE genauso ist, wie man RWE eigentlich haben möchte.
Michael Welling:
Das ist unterschiedlich. Beim VfL Bochum habe ich diesen Prozess schon begleiten dürfen. Entscheidungsträger und Fans hatten da bei der Wunschvorstellung des Vereins teilweise ganz andere Vorstellungen, und da herrscht natürlich eine große Gefahr der Entfremdung. Dann kommt es zu einem Identifikations- und Identitätsproblem. Bei uns wäre es fatal, wenn es da zu einer Diskrepanz zwischen Fans und Vereinsangestellten kommt. Die dritte Frage ist dann: Mit Blick auf die Frage, wie wir sind und die unterschiedlichen Wahrnehmungen sowie die Frage, wie Leute mit Interesse an RWE den RWE gerne hätten müssen wir festlegen: Wie wollen wir sein und wie wollen wir das erreichen, welche Maßnahmen ergreifen wir, was verbieten wir uns? Die Antwort auf diese dritte Frage ist sicherlich die schwierigste, und ist auch ein Entscheidungsthema, welches wir dann festlegen müssen. Das Ergebnis ist dann quasi das Rot-Weisse Manifest, und Leute, die dann hierhin kommen, haben sich danach zu richten. Das ist viel mehr wert als einzelne Personen. Bei vielen Unternehmen und Vereinen liest man nur diese 08/15 Dinger, komplett austauschbarer Marketingsprech ohne Nutzen, aber wir wollen da etwas ganz anderes erarbeiten.
Jawattdenn.de:
Sollten die Anhänger nicht diese Fragen in erster Linie beantworten?
Michael Welling:
Was sind Anhänger? Allein da geht es schon los. Ich würde hierbei die Mitglieder als die wichtigste Anspruchsgruppe sehen, sie sind schließlich der Verein, da bleibt für mich, auch wenn das in Fankreisen ja häufig unterschiedlich diskutiert wird, ein wichtiger Unterschied: Wenn ich Mitglied bin, dann habe ich das Recht (und die Pflicht) den Verein mitzugestalten, dann kann ich mich an den in der Satzung festgelegten Entscheidungsprozessen beteiligen und ich dokumentiere dieses enge Verhältnis mit meiner Mitgliedschaft. Aber natürlich geht es auch um solche Fans, die aus unterschiedlichen Gründen vielleicht kein Mitglied sind und nicht bei jedem Spiel sind. Es geht aber auch um handelnde Personen, die schon länger dabei sind. Am Ende müssen einfach alle befragt werden. Darum geht es. In der Theorie spricht man von so genannten Stakeholdern, also Leuten, die ein Interesse am Verein haben. Das schließt auch die Sponsoren mit ein. Es geht dabei nicht um Michael Welling oder Uwe Harttgen, das sind die letzten Vögel, die hierbei eine Rolle spielen. Es geht um die Menge derjenigen, die Rot-Weiss ausgemacht haben, und die den Verein zukünftig auch ausmachen werden. Das sind diejenigen, die noch da sind, wenn ich mit Steinen vom Parkplatz gejagt werde.
Diese Ideen zu bündeln, ist jedoch superschwer, weil wir von keiner homogenen Masse ausgehen. Selbst wenn ich die Frage nur mit den Ultras besprechen würde, würden auch innerhalb dieser Gruppe unterschiedliche Auffassungen bestehen. Selbst wenn da ein klares Meinungsbild herauskäme, würden sich im Gespräch mit den Leuten, die in R3 sitzen, ganz andere Aspekte herausbilden. Das ist die Aufgabe: Zu sehen, worauf man sich einigen kann. Dabei meine ich nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner herauszuarbeiten, sondern klar zu sagen: So fühlt sich Rot-Weiss Essen an.
Es ist schwierig in Worte zu fassen, und man muss dieses Leitbild möglicherweise gar nicht veröffentlichen, sondern es als Rahmen für das tagtägliche Handeln nutzen. Ein Rahmen, der von den Anhängern, von den Mitgliedern geprägt ist, soll den vertraglich gebundenen und ehrenamtlichen Mitarbeitern eine Maßgabe sein, damit ihr Handeln sich danach richtet, was den Verein ausmacht. Darum geht es und auch wenn ich Marketing-Mensch bin, geht es hierbei nicht um die Erzeugung von bunten Bildern. Das ist ohnehin das Schlimmste, was es gibt. Wenn die bunten Bilder einfach nur aufgepfropft sind, ist das ein großer Fehler. Wenn wir Plakate und Fanartikel herstellen, wollen wir sicherstellen, dass es sich nach Rot-Weiss Essen anfühlt. Man könnte auch darüber reden, ob wir Rock, Schlager oder Hip-Hop im Stadion spielen…
Jawattdenn.de:
Da kommt man wohl nicht auf einen Nenner.
Michael Welling:
Das wird schwierig, aber wir wollen dennoch wissen, was das Spezifische an Rot-Weiss Essen ist. Wir haben schon mit vielen Personen gesprochen, es ist aber sehr schwierig, das auszuwerten. Wir werden bald eine Befragung starten und auch die Leute vor Ort im Stadion befragen. Dabei werden wir von Studenten unterstützt. Wir werden auch Gruppeninterviews führen, haben das hier auf der Geschäftsstelle bereits durchgeführt. Selbst hier in der Geschäftsstelle ist das unheimlich schwierig.
Ein aktuelles Beispiel: Wir haben hier gestern diskutiert, ob man für die Dauerkartenkäufer oder diejenigen, die selbst in schlechten Zeiten nach Verl oder woanders hinfahren, ein T-Shirt erstellen, auf dem „Erfolgsfan“ steht. Die eine Gruppe fand die Idee geil. Die Vorstellung jemanden, der mit dem Verein in die vierte Liga geht und sich das alles anschaut als Erfolgsfan zu bezeichnen, das ist passender, selbstironischer Humor. Andere fanden den Spruch völlig unpassend, weil ja die Fans von Bayern Erfolgsfans sind.
Jawattdenn.de:
Wenn auf der Rückseite mit Daten aufgeschrieben steht, dass man in Rödinghausen, Verl usw. war, dann wird die Ironie ja sofort klar.
Michael Welling:
Genau, oder Erfolgsfan im siebten Jahr in der Vierten Liga. Aber sie sehen, dass das selbst auf der Geschäftsstelle kontrovers diskutiert wird. Wir haben in einem Workshop das Thema „ruppig, rotzig“ diskutiert. Dabei stellte sich die Frage, was man eigentlich mit „rotzig“ meint. Davon allein hat jeder eine andere Vorstellung. Was ist denn „rotzig“ für Sie?
Jawattdenn.de:
Das schließt einen deftigen, nicht gerade immer fairen Sprachgebrauch mit ein. Am besten kann ich das an einem Beispiel erläutern. In einem Spiel gegen Rot-Weiss Oberhausen, kam es zu einem Wechsel. Der Spieler, der auf den Platz kommen sollte, hatte feuerrote Haare und die Nordtribüne stimmte sofort das Titellied vom „Pumuckl“ an und sang das Lied einige Minuten lang. Also eine Form von Frechheit, die aber noch nicht beleidigend ist.
Michael Welling:
Das wäre auch meine Wahrnehmung. Man spricht auch bei frechen Kindern, die durchaus charmant gegen Regeln verstoßen von „Rotzigen“. Dabei geht es nicht um Gesetzesübertretungen, sondern darum die eigenen Regeln auszudehnen. Oder wie bei der Hafenrunde gegen Viktoria Köln, als der Pitty davon sprach, dass man nicht gegen Pusemuckel mit die hängenden Schwänze spielen würde. Darauf stehe ich. Das ist in meinen Augen rotzig. Problematisch wird es, wenn man den Begriff an einer Person festmacht, denn es geht nicht darum, den Verein an einer Person auszurichten, sondern es muss allgemein verankert sein.
Wir brauchen es auch, damit wir nicht von Moden abhängig werden. Sonst kann es passieren, dass man jedes Jahr den gängigen Marketingmoden hinterherläuft, und das wollen wir ja gerade nicht.
Jawattdenn.de:
Die Idee ist also, dass man von dem sehr allgemeinen Wort Emotionalität Verzweigungen abgehen lässt, die den Begriff erklären. Viele dieser Begriffe gehen die anderen Vereine möglicherweise noch mit, bis dann die unteren Zweige kommen, die dann nur noch zu RWE passen?
Michael Welling:
Genau, so könnte man das sagen. Ich sage Ihnen in meiner Rolle als Dozent zwei Vereine, bei denen das gut gelungen ist. Das sind Bayern München und der FC St. Pauli. Bayern München ist „Mia san mia!“ So ekelhaft das ist, so zutreffend ist dieser Spruch eben auch. Das ist diese Arroganz, dass man sich selbst als die Größten empfindet, die komplett in deren DNA zu finden ist. Das passt einfach, das ist stimmig. Da weiß jeder, dass es zu Bayern passt und sich wie Bayern München anfühlt. Die definieren sich über den sportlichen Erfolg, was die meisten Vereine nicht können.
Man muss auch höllisch aufpassen, dass man dies nicht von sportlichen Ereignissen abhängig macht. Man sprach mal von den jungen Wilden bei Stuttgart und nach zwei Jahren verpflichtet man dann einen 35-Jährigen, das ist Quatsch. Das beste Beispiel bei Stuttgart ist das Maskottchen. Über Maskottchen kann man sowieso gut streiten, deswegen haben wir kein Maskottchen, sondern nur einen prominenten Stadionverbotler. Aber Stuttgart hat jetzt ein Krokodil als Maskottchen. Warum haben die ein Krokodil? Weil damals Sean Dundee dort gespielt hat.
Jawattdenn.de:
Das ist wirklich der Hintergrund?
Michael Welling:
Ja, klar, Fritzle! Und wissen Sie, wie das Maskottchen von Berlin heißt? Hertinho, und zwar weil dort damals Marcelinho gespielt hat. Schrecklich! Da sage ich als Marketing-Mensch, dass es nicht schlimmer geht. Heute kann man es nicht mehr ändern. Über Erwin, die Wasserleiche aus Gelsenkirchen brauchen wir auch nicht zu reden, das geht gar nicht.
Dagegen finde ich das Fohlen in Gladbach oder den Geißbock in Köln stimmig. Selbst Emma in Dortmund, als Hommage an den Dortmunder Kultstürmer Lothar Emmerich, finde ich ebenfalls noch gelungen.
Bei St. Pauli ist das Image hingegen z.B. gar nicht gesteuert sondern eben gewachsen aus den Fans und den besonderen Umständen, erst später wurde das dann in Worte gepackt und „gepflegt“, der genutzte Claim des „Not established since…“ ist ebenfalls passend und bringt das, was St. Pauli ausmacht, auf den Punkt – das geht aber eben nur so bei St. Pauli. Bei Eisern Union passt das ebenfalls. Es geht darum, dass so etwas aus dem Verein kommt und nicht von oben aufgepfropft wird, denn dann sind wir beim amerikanischen Sport, da sind wir bei Hoffenheim, Red Bull und Wolfsburg. Wir müssen also gucken, was diesen Verein in seinen ganzen historischen Brüchen, in seiner besonderen Konstellation ausmacht. Das müssen wir bei allen Aktivitäten, die wir durchführen, leben.
Wir müssen uns als Verein im Klaren darüber sein, wo wir herkommen. RWE entstammt dem Essener Norden und somit einem besonderen Umfeld. Das bedeutet beispielsweise für unsere Fußballschule und unser Feriencamp, dass unsere Preise moderater als bei unseren Mitbewerbern ausfallen. Wir müssen auch gucken, dass unsere Stehplatzpreise günstig sind. Hier gibt es immer Leute, denen das auch jetzt zu teuer ist, aber wir haben trotz Stadionumzug und -aufstieg unsere Stehplatzpreise seit vier oder fünf Jahren nicht erhöht. Darauf müssen wir als Verein des Essener Nordens achten.
Und es gilt auch Christian Hülsmanns Satz von der Jahreshauptversammlung. Rot-Weiss Essen ist ruppig, ist rotzig. Wer also bei RWE einen Vertrag unterschreibt, muss damit rechnen, dass es hier mal etwas wilder zugeht, dass einem der Wind rau ins Gesicht bläst. Da wird gesagt, dass etwas scheiße war, dann darf man sich aber nicht mimosenhaft zurückziehen, sondern muss damit klarkommen, das ausdiskutieren und dann weitermachen. So kann ich mich zum Beispiel mit dem Sandy streiten, wir sagen uns, was wir scheiße finden, bleiben dabei und gehen trotzdem anschließend gemeinsam ein Bier trinken. So muss es sein.
Nun wollen wir alle erfolgreich sein und träumen davon aus dieser beschissenen Vierten Liga herauszukommen. Wenn wir wirklich mal erfolgreich sind und in der Dritten oder gar in der Zweiten Liga spielen würden, dann ist das wiederum mit Veränderungsprozessen verbunden. Der Stadionumzug war schließlich auch mit Veränderungsprozessen verbunden. Dann wird möglicherweise die Geschäftsstelle erweitert, möglicherweise auch mit Jungspunden, die nicht unbedingt RWE-Fans sind. Wir suchen zwar nach diesen Leuten, der Kollege Diego ist zum Beispiel hier in Essen geboren und seit jeher RWE-Fan (auch wenn er mal beim ETB gespielt hat), aber das wird nicht immer funktionieren. Die neuen Leute müssen dann fühlen, was Rot-Weiss Essen ausmacht. Das darf nämlich nicht verloren gehen und dies ist eine Gefahr, die auch der Erfolg mit sich bringen kann. Deswegen ist das Leitbild so wichtig und ist es wichtig, das jetzt zu erarbeiten, damit wir uns nicht untreu werden, damit wir nicht vergessen, wo wir herkommen. Ich hoffe deswegen auch, dass viele Leute mitmachen. Jeder Hinweis ist dabei wichtig.
Jawattdenn.de:
Es werden aber zunächst die nichtssagenden Oberbegriffe kommen. Solange nachzufragen, bis man substanzielle Antworten hat, ist ein schwieriges Unterfangen. Das haben wir jetzt in den wenigen Minuten schon festgestellt. Dass es das Besondere bei RWE gibt, das spüren wir ja alle.
Michael Welling:
Das, was wir spüren, müssen wir allen begreiflich machen. Genau darum geht es. Vielleicht geht es durch Worte, durch Bilder, durch Lieder, durch Filme, durch Aussprüche, durch besondere Erlebnisse wie das obige Pumuckel-Beispiel, vielleicht geht es auch durch Personen. Mancher sagt vielleicht, dass so ein Typ wie Glockenhorst eben auch RWE ist. Das ist vielleicht zugespitzt, aber diese Originale kenne ich bei anderen Vereinen nicht in der Vielzahl, wobei ich mich da auch nicht so auskenne. Aber hier gibt es den Glockenhorst, hier gibt es den Hupengünni, hier gibt es einen Typen wie den Sandy oder Lothar Dohr. Das sind ja ganz spezifische Fans mit besonderen Biografien, die den Verein repräsentieren und den Verein leben. Vielleicht sind das die Personen und Bilder, die den Verein ausmachen.
Wir haben eben davon gesprochen, vielleicht gehört es eben auch dazu, sich gemeinsam auf die Saison einzustimmen oder das Angrillen, das beim letzten Mal auf Initiative der FFA und der Ultras durchgeführt wurde. Wir sagen also, die erste Wurst des Jahres essen wir bei RWE, weil es eben nicht nur die 90 Minuten auf den Platz sind, die den Verein ausmachen. Auch die soziale Verantwortung muss man im Blick halten. Wir kommen aus einer Region, wo es vielen Menschen scheiße geht und da haben wir die Verantwortung, uns um diese Leute zu kümmern, damit es denen besser geht.
Genau dafür brauchen wir ein Leitbild, damit Leute, die in Zukunft die Entscheidungsmacht in diesem Verein haben, nicht das zerstören, was diesen Verein ausmacht. Das Beispiel Red Bull zeigt das Problem. Die Leute hier müssen dem Verein dienen und nicht umgekehrt.
Jawattdenn.de:
Das Leitbild hat also die Funktion eines Leitfadens und wird nicht zur Sponsorengewinnung genutzt oder dient dazu, Identität zu schaffen.
Michael Welling:
Identität kann man sowieso nicht schaffen, genau darum geht es ja. Vielmehr soll das Leitbild die Identität widerspiegeln, soll die Identität zum Ausdruck bringen. Das ist der Unterschied zwischen Identität und Image. Sponsoren kann man möglicherweise dadurch gewinnen, da man sofort sagen kann, wie wir sind, und was uns als Verein ausmacht. Das schafft Sicherheit und ist deswegen möglicherweise auch bei Sponsorengesprächen hilfreich. Der Leitfaden trifft es eher, damit keine Diskontinuitäten entstehen. Das Beispiel Dortmund trifft es hier vielleicht. Wenn ich vor fünf Jahren gefragt hätte, was das Dortmunder Gelb eigentlich ist, hätte das niemand beantworten können, weil der BVB gefühlte 150 Gelbtöne als Trikotfarbe hatte. Jeder hat da seine Ideen eingebracht. Da gibt es auch Diskussionen zwischen Verein und Ausrüster. Da will man ein besonderes Design präsentieren. Habt ihr die Trikots vom 1. FC Köln in Hannover gesehen?
Jawattdenn.de:
Das war ein Rückfall in die Achtziger…
Michael Welling:
Ganz schäbbig und nichtssagend. Oder wenn man an die Brombeerjungs aus Gelsenkirchen denkt. Ich bin der Meinung, dass wir Rot-Weiss Essen sind, das heißt, dass unser Trikot rot und weiß ist. Man kann auf neutrale Farben wie grau oder schwarz ausweichen, wenn es nicht anders geht, aber ich kann doch nicht mit grün- und gelbgepunkteten Trikots anfangen. Ich persönlich mag es schon nicht, wenn unser Torwart in gelb oder blau spielt. Wenn wir in Rot spielen, dann trägt der Keeper halt weiß oder umgekehrt.
Jawattdenn.de:
Bei der Maskottchendiskussion musste ich an den Underdog aus Oberhausen denken. Der Name trägt auch nur, wenn man in der Zweiten Liga im Abstiegskampf ist.
Michael Welling:
Der hat jetzt glaube ich einen anderen Namen. Oberhausen hat vieles sehr gut gemacht. Das ein oder andere sehe ich auch etwas anderes. Die Malocherschicht finde ich als Marketingidee, die von der Marke zu unterscheiden ist, schön gespielt. Als Markenkern finde ich das aber unpassend.
Christoph Biermann erzählte auch von den Blauen, die den Claim benutzen: „Wir leben dich.“ Er war für die Recherchen seines neuen Buches in Gelsenkirchen und hat sich dann den Fanfriedhof angeguckt. Man sieht dann auf dem Friedhof die Gräber und obendrüber steht in großen Lettern „Wir leben dich“. Das wird dann sogar makaber und paradox.
Deswegen muss man genau gucken, was den Verein ausmacht. Es gibt Hygienefaktoren, die man bedienen muss. Diese setzen sich aus Tradition, Emotion und Region zusammen. Ohne die geht es nicht. Dann gibt es Unterscheidungsfaktoren, nach unseren bisherigen Erkenntnissen solche Attribute für den RWE wie rotzig, rau, selbstironisch, leidensfähig und unkaputtbar. Die haben andere z.T. auch, aber die unterscheiden uns schon. Und dann muss man gucken, was uns einzigartig macht. Wir haben mal versucht das in einem internen Papier abzubilden. R steht für Rahmenfaktoren, W für Wiedererkennbarkeit in unserer besonderen Art und E steht für Einzigartigkeit und da steht noch immer ein Fragezeichen.
Jawattdenn.de:
Für viele war es auch die besondere Atmosphäre im Georg-Melches Stadion, die durch die besondere Architektur der tiefen Dächer zustande kam. Diese Atmosphäre hat man unter hunderten herausgehört.
Michael Welling:
Der Stadionumzug, das sagte ich bereits, hat Veränderungen mit sich gebracht und ist somit Fluch und Segen zugleich. Einige Dinge hätte man mit finanziellem Aufwand auch aus dem alten Stadion herüberretten können, vieles wäre aus RWE-Sicht einfacher gewesen, wenn man das Stadion selbst finanziert und realisiert hätte, leider ist das in zwanzig Jahren aber nicht von Vereinsseite realisiert worden, so dass man heute auch froh sein muss, dass das neue Stadion trotz der finanziellen Probleme von RWE gekommen ist. Aber vor diesem Hintergrund der Veränderungen halte ich z.B. Jörg Lawrenz für eine so wichtige Person in diesem Verein. Er ist der ständige Mahner. Da Jörg das Bild kennt, kann man es auch schreiben: Jörg ist manchmal wie so eine nervige Fliege, die einem immer um den Kopf schwirrt und die man gerne verscheuchen möchte, weil man sich nicht wirklich mit ihr beschäftigen will. Die kommt aber immer wieder. So kann er eben auch nervig sein, das halte ich aber auch für wichtig. Deswegen fand ich es total daneben, dass einige Leute gestöhnt haben, als er sich bei der Mitgliederversammlung gemeldet hat.
Es ist doch gut, dass jemand nervig ist und den Finger in die Wunde legt. Ich glaube, dass das Thema kritischer Umgang bei Rot-Weiss Essen wichtiger ist als bei anderen Vereinen. Man darf Kritik nicht verbieten, denn dann drehen die Leute zu Recht durch. Blogs wie „Catenaccio 07“ oder Uwe Strootmanns „Im Schatten der Tribüne“ sind ganz besondere Begleiter, deren Kritik man akzeptieren muss. Man muss sich überhaupt vergegenwärtigen, wie viele Leute sich für diesen Verein, der seit Jahren unterhalb des Profifußballs spielt, noch engagieren. Das sind ja auch Radio Hafenstraße und ihr. Das ist der Hammer. So viele besondere Leute gibt es bei manchem Erst- und Zweitligisten nicht. Das macht es aus, das ist etwas Besonderes.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.
Das Interview führten Michael Jaskolla, Hendrik Stürznickel und Oliver Perrey