03.10.2014

"Soll ich mal Sartre zitieren?" - Interview mit Michael Welling 2014

von Redaktion

In Teil II des Interviews spricht Michael Welling über das neue Jugendkonzept und die Ungeduld der Fans.

Jawattdenn.de:
Kommen wir zum neuen Jugendkonzept. Wie ist der aktuelle Stand beim Nachwuchsleistungszentrum?

Michael Welling:
Wir haben die Unterlagen eingereicht, die liegen beim DFB. Der prüft sie und kommt dann anschließend auf uns zu. Wir würden uns natürlich wünschen, dass dieser Prozess schneller geht, weil die Sachen schon relativ lange dort liegen, ich glaube seit März dieses Jahres. Aber in diesem Bereich ist der DFB vielleicht auch personell nicht so ausgestattet, wie man sich das wünscht und hat keine unbegrenzten Möglichkeiten. Das müssen wir jetzt einfach akzeptieren. Aber auch bei diesem Thema steckt Uwe mehr in den Details als ich.

Jawattdenn.de:
Herr Harttgen hatte im Interview mit uns zwei Säulen zum neuen Jugendkonzept genannt. Die eine Säule sollte ein fester, hochklassiger Kooperationsverein sein, was mit dem ETB leider nicht vertraglich fixiert werden konnte. Ist man weiterhin auf der Suche nach eine Koop-Alternative oder sucht man nach anderen Lösungen?

Michael Welling:
Wir führen weiterhin Gespräche. Wenn man das Ganze so realisiert, wie es mit dem ETB angedacht war, bedarf es vieler Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssen. Deswegen ist das keine Sache, die man mal eben mit einem Fingerschnipsen erledigen kann. Beim ETB haben die Gespräche auch ein bisschen länger gedauert. Es war nicht so, dass wir innerhalb von zwei Wochen eine Idee hatten, die wir zur offenen Diskussion gestellt haben und dann sagen konnten: „So ist das!“ Nein, das ist schon ein Thema, das relativ lange diskutiert wurde und auch schon vertraglich ausformuliert war. Natürlich sprechen wir, dabei – und das ist ja das Entscheidende – geht es um die Förderung der Spieler. Und was man hierfür für einen Rahmen findet, ist dann sogar nachrangig, wenn wir die Möglichkeit finden, die Spieler auch jenseits eines Kooperationsvertrages zu fördern. Deshalb müssen wir jetzt sehen, wie wir damit umgehen. Wie gesagt, es gibt natürlich weiterhin Gespräche. Aber irgendwelche Wasserstandsmeldungen zu verkünden ist nicht unsere Art.

Jawattdenn.de:
Der Jugendkoordinator Andreas Winkler hatte vor kurzem ein Interview in der WAZ gegeben und hatte dort unabhängig von einem Kooperationsverein von einem Konzept des „zweiten Bildungsweges“ erzählt. Auf die Frage, ob dies funktioniert, antwortete er: „Natürlich, und dafür gibt es prominente Beispiele. Marco Reus hat auch von Dortmund über Ahlen den Weg zum BVB zurückgefunden.“ Um Reus zurückzuholen hatte der BVB aber 18 Millionen Euro Ablöse für Marco Reus gezahlt, und selbst wenn man solche Ablösesummen auf RWE-Niveau runterbrechen würde – das kann doch nicht unser Ziel sein, für die bei uns ausgebildeten Spieler irgendwann eine Ablöse zu zahlen, damit sie zurückkommen, oder? Wir wollen sie doch hier halten und im schlimmsten Fall selbst gegen Ablöse ziehen lassen.

Michael Welling:
Um beim Beispiel Reus zu bleiben: Wenn der BVB in dem Moment, wo Marco Reus weggegangen ist, von Dortmund nach Ahlen, gewusst hätte, wie der Spieler sich entwickelt, dann hätte er das mit dem Wissen von heute sicherlich anders gelöst. Das gleiche gilt für uns. Natürlich ist es nicht das Ziel, Leute hier gehen zu lassen, um dann irgendwann Ablöse zu zahlen, damit sie zurückkommen.
Es gibt im Prinzip vier Fälle: Fall eins ist jemand, den man direkt mitnimmt. Nakowitsch, Bonmann, unser dritter Torwart Moritz, der ja noch Jungjahrgang in der U19 ist. Da machen wir nichts falsch. Der zweite Fall wären dann Spieler, an deren Qualität man glaubt, die aber noch etwas Zeit brauchen. Diese würde man dann sinnvollerweise ausleihen. Ein Beispiel wäre Leverkusens Christoph Kramer, der erst nach Bochum ausgeliehen wurde, später nach Gladbach und jetzt Weltmeister ist.

Jawattdenn.de:
Aber genau das ist doch das Entscheidende: Leverkusen hat nächstes Jahr ein Zugriffrecht auf den Spieler, weil er noch einen gültigen Vertrag in Leverkusen besitzt. Das hätten wir mit einem Kooperationsverein auch.

Michael Welling:
Dafür brauche ich nicht zwingend einen Kooperationsverein, es gibt auch zivilrechtliche Möglichkeiten. Auf jeden Fall ist das der zweite Fall, dass man an einen Spieler glaubt, ihn ausleiht, der sich entwickelt und man ihn zurückholt, wenn er für uns gut ist. Beim dritten Fall hat man eine Situation, in der man nicht ganz überzeugt ist, in welche Richtung sich der Spieler entwickeln wird. Den lässt man dann gehen, vertraglich gebunden oder nicht gebunden, den behält man im Auge und beobachtet die Entwicklung trotzdem weiterhin. Und beim vierten Fall meint man zu wissen, dass der es nicht schaffen wird und man sich nicht weiter um ihn kümmern muss. Bei allen Fällen kann es zu Fehleinschätzungen kommen. Selbst beim vierten Fall, im Sinne von „aus dem wird hier nie was“, kommt es vor, dass der Spieler später zwei Ligen über der eigenen spielt und man etwas richtig falsch gemacht hat.

 Stichwort Stoppelkamp. In die dritte und vierte Kategorie fallen sicherlich einige unserer U19 Spieler aus dem letzten Jahr, die etwa in Ratingen, beim ETB oder in Bocholt oder woanders spielen. Wir gucken, wie die sich entwickeln. Man kann in jedem Fall komplett falsch liegen. Unsere Aufgabe muss es sein, aus der Überzeugung in der Situation und nach Abwägung aller Rahmenbedingungen für den Verein und für die Jungs die beste Entscheidung zu fällen. Wenn man einen Kooperationspartner hätte, dann wäre das natürlich die optimale Situation, das Konzept geht ja ein wenig in die Richtung Farmteams in der NHL.

Aber auch mit einem Kooperationsteam muss ich Entscheidungen auf individueller Basis treffen: Zum Beispiel haben wir aktuell zwei richtig starke Torhüter im Jungjahrgang der U19. Der Kooperationsverein hat trotzdem eigene Personalentscheidungen. Wenn er auf der Torhüterposition schon mehrfach besetzt ist, dann muss ich für den speziellen Fall trotzdem nach Vereinsalternativen für die Jungs suchen und eine Lösung finden. Wir können Spieler allerdings nicht verleihen. Wenn wir in unserem Fall von „Ausleihen“ sprechen, dann ist das eine verkürzte Darstellung der juristischen Gegebenheiten.

Jawattdenn.de:
Der nach Bocholt „ausgeliehene“ Spieler Jan-Niclas Haffke hat also keinen gültigen Vertrag mehr bei uns?

Michael  Welling:
Nein. Wir können in der aktuellen Situation, also in der vierten Liga, keinen Spieler im klassischen Sinne mit einem Leihvertrag ausleihen. Was man machen kann: Man kann Verträge so gestalten, dass es Anschlussverträge gibt.  Der Spieler löst seinen Vertrag auf, er unterschreibt für ein halbes Jahr beim Verein X und ab dem 1.1. ist ein Anschlussvertrag wieder hier gültig. Das ist im rechtlichen Sinne kein Ausleihgeschäft, aber de facto vergleichbar mit einer Ausleihe.

Jawattdenn.de:
Die Abschaffung der U23 hat nicht nur Vorteile, wie es der Verein gerne öffentlich darstellt, die Nachteile bekommen gerade unsere jungen Spieler Marco Beier oder Samuel Limbasan zu spüren, für die manchmal nicht einmal ein Platz auf der Bank bleibt. Spielpraxis gab es bisher nur in Förderspielen wie gegen Karnap und in der ersten Pokalrunde in Straelen. Es ist kaum vorstellbar, dass beide Spieler mit der Situation zufrieden sind und sie sich nicht darüber freuen würden, wenn sie die Gelegenheit hätten, in der U23 auf sich aufmerksam zu machen und hochklassige Spielpraxis sammeln zu können. Gerade für einen Limbasan, der sich in der letzten Rückrunde nach starken Leistungen in der U23 oben zum Stammspieler entwickelt hatte und dem man wegen der schlechten Gesamtsaison sicher die wenigsten Vorwürfe machen konnte, ist die augenblickliche Situation ein deutlicher Rückschritt.

Michael  Welling:
Auch hier spiele ich meine Wissenschaftler-Karte aus: Ich bin Wissenschaftler und Kritizist aus Leidenschaft. Ich bin kompletter Popper-Fan, von daher bin ich also definitiv nicht apodiktisch. Man kann immer Argumente für die eine und für die andere Seite finden und muss das auch versuchen, um die beste Lösung zu schaffen. Das Entscheidende ist die Bewertung der Gesamtargumentation und der Kontextsituation. Natürlich wäre es nicht verkehrt, wenn der eine oder andere Spieler regelmäßiger Spielpraxis sammeln könnte, am liebsten schon in der 1. Mannschaft weil er schon das Niveau hat. Gleichzeitig sage ich aber auch: Dafür, dass ein einzelner Spieler – und jetzt übertreibe ich auch bewusst – ab und zu mal Spielpraxis erhält, soll man eine ganze U23 mit Trainerstab usw. unterhalten? Das kann ich auch schnell anders bewerten.

Jawattdenn.de:
Aber finanzielle Gründe spielten keine Rolle bei der Entscheidung?

Michael  Welling:
Keine finanziellen Gründe in dem Sinne, dass wir uns die U23 nicht leisten könnten. Für die Aufwendungen, die wir für die U23 betrieben haben, gibt es sicherlich bessere Ressourcenverwendungsmöglichkeiten.

Jawattdenn.de
In den offiziellen Stellungnahmen ist zu lesen, dass diese frei werdenden Ressourcen jetzt in eine bessere individuelle Förderung, also auf Einzelpersonen bezogen, fließen sollen. Unter anderem sollen sie Spielpraxis in „Förderspielen auf hohem Niveau“ erhalten. Passt das Spiel gegen Karnap in diese Kategorie?

Michael  Welling:
Ich würde das Spiel gegen Karnap nicht als das klassische Förderspiel betrachten. Förderspiele sollen auf dem Niveau wie im letzten Jahr gegen Enschede stattfinden. Das sind die Förderspiele, um die es geht.

Jawattdenn.de:
Andreas Winkler blieb in seinen letzten Interviews mit den Printmedien bisher bei recht allgemeingültigen Aussagen wie „stärkere individuelle Förderung“ und „bestmögliches Training“ usw. mithilfe der frei werdenden Ressourcen. Was heißt das aber nun konkret, was steht den diesjährigen Jugendspielern mehr zur Verfügung als den vorherigen Jahrgängen?

Michael  Welling:
Da fragen sie jetzt den falschen. Wenn wir jetzt über angewendete Buchhaltungsregeln oder über neue Produkte im Bereich Sponsoring sprechen würden, dann könnte ich ihnen detailliert berichten. Aber an dieser Stelle sind Uwe Harttgen, Marc Fascher oder/und Andi Winkler die kompetenten Ansprechpartner. Ich weiß teilweise nicht einmal, wann die Jugendmannschaften trainieren. Nicht, weil mich das nicht interessiert, sondern weil ich andere Aufgaben habe und deshalb auch nicht regelmäßig beim Training zuschauen kann – Stichwort optimale Ressourcenverwendung.

Jawattdenn.de:
Vor kurzem fanden erneute Verhandlungen zu den Özil-Geldern statt. In der WAZ wurden Sie zitiert, dass der Prozess sich eventuell noch über Jahre hinziehen kann und man in dem Fall überlegen würde, sich auf einen Vergleich zu einigen. Vor dem Hintergrund, dass die Richter bislang immer unserer Meinung gefolgt sind: Weshalb sollte man sich auf einen Vergleich einigen? Wäre es nicht sinnvoller, die Verhandlungen in den nächsten Jahren weiter zu führen und die gesamte Summe zu beanspruchen?

Michael  Welling:
 (lacht) Heute muss ich wohl die komplette Klugscheißerschiene fahren. In der Ökonomie gibt es die neue Institution Ökonomik. Im Vergleich zum neoklassischen Ansatz, in dem wir von rationalen Entscheidungen des Homo oeconomicus und bei vollkommener Information und unendlich kurzen Entscheidungszeiten ausgehen, orientiert sich dieser Ansatz näher an der Realität, wo viele Unsicherheiten unsere Entscheidungen schwieriger machen. Im konkreten Fall bedeutet das, dass beide Instanzen uns Recht gegeben haben, was allerdings nicht bedeutet, dass die nächste Instanz uns auch Recht geben wird. Wenn das definitiv so wäre, dann wäre eine weitere Instanz logisch überflüssig. Wir haben hier entsprechend Rechtsunsicherheiten, weil jede Instanz den Sachverhalt etwas anders beleuchtet, und außerdem auch noch Verfahrensfehler vorliegen können. Zusätzlich gibt es das Phänomen der „positiven Zeitpräferenz“, der (nominal) höhere Wertschätzung von jetzigen Erlösen im Vergleich zu zukünftigen. 10.000 € sind heute mehr wert als in zehn Jahren und umgekehrt sind 10.000 € in zehn Jahren heute nicht 10.000 € wert. Dies wird durch eben Zinsen und der sogenannten  Abdiskontierung berücksichtigt. So kommen einige Aspekte zusammen, aufgrund derer es sinnvoll sein könnte, sich unter bestimmten Rahmenbedingungen auf einen Vergleich zu einigen. Unserer Ansicht nach sind wir natürlich nach wie vor im Recht, aber Recht haben und Recht bekommen sind leider zwei verschiedene Paar Schuhe.

Jawattdenn.de:
Von verschiedenen Seiten hat Uwe Harttgen bislang einiges an Kritik einstecken müssen. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Michael  Welling:
Ich stelle mal die These auf, dass es kaum jemanden gibt, der die Arbeit von Uwe Harttgen im Kern wirklich kritisieren möchte. Mindestens 95% der Leute würden sagen, dass wir einen richtig guten Kader zusammen haben. Über einzelne Transfers kann man vielleicht diskutieren, und natürlich kann nicht jeder Neuzugang ein Volltreffer sein, aber unter dem Strich haben wir eine richtig starke Mannschaft.

Jawattdenn.de:
Aber die Art, wie mit Waldi und Vince umgegangen ist, stieß vielen Anhängern auf.

Michael  Welling:
Moment, bei Waldi war ich auch involviert, das hat Uwe Harttgen nicht alleine verantwortet. Und grundsätzlich muss man akzeptieren, dass jeder seine eigene Art hat. Manche Menschen sind extrovertierter, manche sind introvertierter. In Uwes Fall ist es nach außen wirklich so, dass er dem Klischee des zurückhaltenden, nüchternen, kühl wirkenden Norddeutschen entspricht, er ist im persönlichen Umgang aber ganz anders. Bei mir als Emsländer, also auch aus dem Norden kommend, ist das sicherlich weniger der Fall, manche meinen ja sogar, ich sei Gesinnungsrheinländer, wogegen ich mich natürlich verwehre. Ich bin nun seit 1993 mit kurzen Unterbrechungen im Ruhrgebiet und habe die Region kennen und lieben gelernt, ich brauchte aber auch meine Zeit, um anzukommen. In dem einen oder anderen Aspekt ist Uwe vielleicht auch noch nicht zu 100% angekommen und kennt die Mentalität hier noch nicht so umfassend, das ist aber doch auch ganz normal. Diesbezüglich sind wir alle gefordert, ihm das näher zu bringen.

Jawattdenn.de:
Gerade im Vorfeld der Saison, Stichwort Saisoneröffnung, gab es Konflikte…

Michael  Welling:
..wobei Uwe Harttgen damit gar nix zu tun hatte, wenn das Thema Saisoneröffnung durch Fans am Wochenende des Dortmund-Spiels gemeint ist. Was ich einfach noch einmal betonen möchte: Wir sind ein besonderer Verein was die Fannähe angeht, und diese Besonderheit wollen wir uns natürlich auch bewahren. Man muss auch beachten, dass Uwe und ich komplett andere Hintergründe haben. Ich durfte in der Landesliga vielleicht mal auf der Bank sitzen, aber hauptsächlich sehe ich mich im Fußball als Fan. Uwes Sozialisation ist eben die eines Spielers, mit einer anderen Sicht auf die Prozesse im Profifußball. Ich kann vielleicht manche Dinge, die dem Fan auf der Seele brennen, erstmal besser nachvollziehen. Auch wenn einige Sachen inakzeptabel sind, wie beispielsweise das Auspfeifen von einzelnen Spielern der eigenen Mannschaft, sehen wir unsere Fans als Alleinstellungsmerkmal von Rot-Weiss Essen an und wollen die gute Beziehung zur Anhängerschaft natürlich behalten. Uwe ist nicht auf der Stehtribüne sondern auf dem Platz sozialisiert und muss somit an der einen oder anderen Stelle sicher noch Erfahrungen sammeln, um alles nachvollziehen zu können, aber ich bin sicher, dass das mit der Zeit erfolgt, weil Uwe das eben auch will.


Jawattdenn.de:
Sie sprechen die Fans von RWE an. Es gibt momentan auch Diskussionen, ob die Kulisse, die nicht sehr viel Geduld hat, Erfolge verhindert. Sehen Sie dieses Problem auch?

Michael Welling:
Das ist mir zu einfach, ich kann schließlich nicht das eine wollen und das andere ablehnen. Die Spieler kommen hier hin, weil sie es geil finden, vor solch eine Kulisse zu spielen. Das ist also ein Pfund für uns. Dieses Pfund muss man beim Misserfolg mit sich herumschleppen. Diese Diskussion sollten wir gar nicht zulassen. Die Fananzahl und die Stimmung sollte keinesfalls als Argument für ausbleibenden Erfolg herangezogen werden. Die Fans sind das, was diesen Verein ausmacht.

Gerade in dieser Saison ist die Diskussion zudem auch Quatsch. Gegen Viktoria war die Stimmung sicher nicht gut, aber sie war auch nicht negativ gegenüber der Mannschaft. Auch gegen Gladbach hat man das beobachten können. Nach dem 0:1 haben sich die Fans kurz geschüttelt, aber dann hat man gemerkt, dass sie die Mannschaft positiv unterstützen wollen. Also von daher, kann ich diese Diskussion gar nicht nachvollziehen.

Unsere Aufgabe ist es, das in die richtige Bahn zu lenken. Wenn wir 90 Minuten alle an einem Strang ziehen, dann ist das hier eine Macht. Hier kann mit den Zuschauern etwas ganz besonderes entstehen. Die Jungs, die hier hinkommen müssen aber auch akzeptieren, dass sie gesagt bekommen, dass sie scheiße spielen, wenn es nicht läuft. Es werden Grenzen überschritten, wenn die Leute hier beworfen werden, das darf es nicht geben. Aber auch eine härtere Ansprache muss jeder abkönnen. Wir haben eine junge Mannschaft, die auch an den Pfiffen nach schlechten Spielen wachsen wird. Und so ein Moment wie die 93. Minute gegen Viktoria ist einfach geil. Es macht auch mehr Spaß sich hier mit 7.000 Zuschauern zu freuen, als mit nur 30 am z.B. Flinger Broich. Dafür spielen die Jungs Fußball.

Über das Thema Erwartungshaltung kann man eher diskutieren. Durch die Rahmenbedingungen sind die Ansprüche deutlich höher, als es die Realität hergibt. Aber die Erwartungen dürfen eben nicht auf dem schönen Stadion oder der Vielzahl an Fans erwachsen, einzig die Aufwendungen für den Kader in Relation zu den Wettbewerbern sind hier relevant. Man muss sich daher den Kader von Viktoria Köln anschauen, auch wenn Herr Wunderlich das ja immer verneint.

Jawattdenn.de:
Auch Herr Wollitz betont immer wieder, dass dort hauptsächlich Spieler aus der vierten Liga eingesetzt werden.

Michael Welling:
Ja, ne - is klar. Deswegen bezahlen die auch Ablösesummen für Dritt- und Zweitligaspieler. Manche Aussagen muss man nicht kommentieren, weil sie für sich sprechen. Diese gehören dazu. Ich hau noch einen raus: Das ist ein klassischer Watzlawick, also Konstruktivismus, die konstruieren sich dort ihre eigene Wirklichkeit, das ist so wie bei Pipi Langstrumpf. Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt…

Jawattdenn.de:
Der Geduldsfaden der Zuschauer scheint dennoch kurz zu sein. Schon sehr früh in der Saison skandierten die Zuschauer „Fascher raus“. Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass schon nach so kurzer Zeit der Kopf des Trainers gefordert wird, obwohl im Frühjahr alle einen neuen Trainer wollten?

Michael Welling:
Der Trainer ist immer das schwächste Glied in einem Verein. Es ist also am einfachsten den Kopf des Trainers zu fordern. Deswegen ist die Situation in Stuttgart so spannend, wo nicht der Trainer, sondern der sportliche Leiter von den Zuschauern als Schuldiger ausgemacht und nun auch entlassen wurde oder sind Fälle zu betrachten, wo die Fans die Spieler als Schuldige ausmachen. Bei uns wird die Enttäuschung aufgrund der hohen Erwartung an diesem schwächsten Glied kanalisiert. Viele hofften darauf, dass RWE oben dabei ist, möglicherweise sogar aufsteigt. Jeder, auch ich, wünscht sich eine geile Saison. Aber man kann auch da Zweiter und Dritter werden. Wenn man Zweiter wird, nachdem man die Saison über immer zwischen Platz Fünf und Acht gependelt ist, fühlt sich das nicht so gut an, als wenn man permanent auf den ersten drei Plätzen in unmittelbarer Nähe zum Tabellenführer steht. Man wünscht sich, dass die eigenen Träume durchweg einen Hauch von Realität haben und wir wünschen uns alle, dass wir in die Dritte Liga aufsteigen, das ist die Leidenschaft, die uns antreibt.

Wären wir wenige Punkte hinter dem Tabellenführer Viktoria, hätten wir unabhängig vom eigenen Tabellenplatz eine ganz andere Wahrnehmung. Das liegt aber auch daran, wie Viktoria vorneweg marschiert. Hinter Viktoria ist die Tabelle ja sehr eng zusammen. Dieses für den Fan so wichtige Gefühl wäre ein anderes, wenn Viktoria auch in diesem engen Tabellenbild wäre. Nun sind es nur noch acht Punkte und die Zuschauer beginnen wieder zu rechnen, das ist ja das Geile am Fußball.

Jawattdenn.de:
Die Leute haben ja auch sehr handfeste Ängste, nämlich, dass nach einer unspektakulären Saison, in der man weiterhin in der Liga bleiben muss, die Sponsoren gehen. Kann man da denn eine gewisse Sicherheit vorweisen?

Michael Welling:
Ich glaube, dass wir auf einer ganz stabilen Basis sind, was unsere Sponsoren betrifft. Gleichwohl gibt es da auch nicht nur Steigerungsraten. Als ich hier angekommen bin, hatten wir ein Volumen von Sponsoring- und Hospitalityeinnahmen von 960.000€. Im letzten Jahr haben wir 3,6 Millionen aus diesen Bereichen gemacht. Ergo haben wir das Volumen in den letzten vier Jahren vervierfacht. Die Darmstädter freuen sich als Zweitligist, wenn sie in diesem Jahr die drei Millionen knacken.

Jawattdenn.de:
Die haben auch ein altes Stadion…

Michael Welling:
 …die haben aber TV-Präsenz. Wenn ich sichere TV-Auftritte habe, bin ich aber ganz anders unterwegs als jetzt. Wir sind da also gut aufgestellt, und weil wir in dem Bereich gut aufgestellt sind, konnten wir auch jedes Jahr immer mehr in die Mannschaft investieren. Wir haben seit der Insolvenz bislang in jeder Saison deutlich mehr für den sportlichen Bereich ausgegeben als in der Vorsaison. Im letzten Jahr hat man das schon gemerkt: Stichwort Knappmann, Langlitz und Wingerter. Auch in dieser Saison haben wir deutlich mehr Geld zur Verfügung als in der letzten Saison. Entsprechend resultiert die Enttäuschung auch daher. Wenn man mehr Mittel einsetzt, erwartet man schließlich auch mehr Ertrag.

Es kann immer passieren, dass ein Sponsor wegbricht, wir stehen aber nicht auf einer wackligen Basis und wir sind auch nicht von einem Großsponsor abhängig. Während in der Saison 10/11 insgesamt 11 Partner für 80% des Umsatzes verantwortlich waren, haben wir in der letzten Saison über 60 Partner gehabt, die dieses Umsatzvolumen generiert haben. Wir haben viele Partner, die an den Verein glauben und an das, was wir hier tun. Die haben Spaß an dem, was wir tun und die freuen sich auch, wenn wir hier Viktoria Köln schlagen. Die ärgern sich aber genauso wie wir, wenn wir zuhause gegen Kray verlieren. Der Sponsoringbereich ist allerdings stabiler in der Entwicklung und weniger direkt Abhängig vom sportlichen Erfolg als beispielsweise der Faktor Dauerkarten. Die Entwicklung verfolge ich mit Spannung.

Jawattdenn.de:
Also brauchen wir keine Angst zu haben, dass der Mannschaftsetat massiv heruntergefahren wird, viele Spieler haben ja auch Zwei-Jahres-Verträge?

Michael Welling:
Das Budget für das kommende Jahr steht noch nicht. Wir werden uns aber bemühen, das Budget zu halten oder sogar auszubauen. Irgendwann ist aber auch das Özilgeld aufgebraucht.

Jawattdenn.de:
Wie lang ist das eingeplant?

Michael Welling:
Das kommt auf die Entwicklung an. Wenn wir regelmäßig dienstags vor 6.000 Zuschauern spielen ist es sehr viel schneller alle, als wenn wir regelmäßig freitags vor 10.000 Zuschauern spielen.

Jawattdenn.de:
Aber zwei bis drei Jahre wird es noch halten?

Michael Welling:
In der Zeit hat er doch wieder gewechselt.

Jawattdenn.de:
Die BILD vermeldete, dass Bayern München interessiert sei. Gibt es für den Fall auch Geld?

Michael Welling:
Auf jeden Fall. Das gilt für jeden verbandsübergreifenden Wechsel. Die Bayern können sich also einen Bieterwettbewerb mit den Scheichs aus Paris liefern. Nicolas Anelka ist da das große Vorbild, der ist gerade auf seine alten Tage nach Indien gewechselt. Wenn auch Mesut in der Häufigkeit und für das Geld wechselt, können wir alle glücklich sein.

Jawattdenn.de:
Dann wartet auf uns die Freibierparty.

Michael Welling:
Das steht. Der nächste Wechsel, bei dem der Solidarbeitrag fällig wird, sorgt dafür, dass wir hier die Fässer aufmachen.

Dr. Welling war zu diesem Zeitpunkt schon unter extremen Zeitdruck, da eine Sitzung seine Anwesenheit erforderte. Damit wäre das Interview vorbei gewesen. Wir verabschiedeten uns und sagten, dass wir weitere Fragen beim nächsten Mal klären würden, als er uns anbot eben auf ihn zu warten. Er habe gerade Spaß am Gespräch und würde sich danach noch den restlichen Fragen stellen. Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen.

weiter zu Teil III