Interview mit Markus Kurth

veröffentlicht am 09.04.2010 um 20:15 Uhr

Diese Woche stand uns Markus Kurth zu den Themen Saisonverlauf, Vertragsverlängerungen und Stadionneubau Rede und Antwort. Natürlich darf auch eine Analyse über den sportlichen Niedergang von RWE in den letzten Jahren nicht fehlen. Viel Spaß mit diesem ausführlichen Interview.

"Die wichtigste Aufgabe ist es, die Mannschaft im Kern zu halten."


Markus KurthJawattdenn.de:
Hallo Markus! Das Spiel gegen Speldorf wurde gewonnen. Wie ist die Stimmung aktuell in der Mannschaft?

Markus Kurth:
Nach dem Sieg natürlich gut, der zählt ja im Pokal nur. Aber die Stimmung ist etwas gebremst, wir haben gestern nicht die beste Leistung gebracht. Die Erleichterung ist trotzdem groß.

Jawattdenn.de:
Kommen wir zunächst auf Deinen Anfang bei RWE zu sprechen. In der Abstiegssaison 07/08 wurdest Du in einer schwierigen Phase verpflichtet. Ist man da nicht zunächst eher abgeneigt, in so einer Situation nach Essen zu wechseln?

Markus Kurth:
Es war so, dass ich mit Duisburg in die erste Bundesliga aufgestiegen bin und eigentlich noch zwei Jahre dort einen Vertrag hatte. Es konnte da damals keiner so recht verstehen, warum ich nach Essen gewechselt bin. Ich wollte aber unbedingt spielen und hatte noch drei oder vier andere Anfragen. Es hat mich aber immer gereizt für RWE zu spielen, bei den Auswärtsspielen herrschte hier immer eine tolle Atmosphäre. Man merkt auch von außerhalb, dass es genug Fußballverrückte in Essen gibt die hinter ihrem Verein stehen, sowohl im negativen als auch im positiven Sinne. Das war für mich Fußball pur. Dann haben wir an nur einem Tag die Gespräche geführt. Ich bekam morgens den Anruf und abends musste schon alles gelaufen sein, da es der letzte Tag der Transferperiode war. Für mich gab es keine Diskussionen, wenn alles klappte würde ich nach Essen kommen. Die sportliche Situation interessierte mich damals weniger, weil ich davon ausging das es bei diesem Verein auch wieder bergauf gehen würde.

Jawattdenn.de:
Wie genau kam der Wechsel dann genau zustande?

Markus Kurth:
Wie gesagt, ich hatte noch andere Angebote und es stand für mich fest, dass ich gehen wollte. Darüber hatte ich Duisburg informiert und Essen hatte das wohl mitbekommen. Olaf Janßen rief bei mir an und fragte, ob ich nicht mal Lust hätte vorbeizuschauen. Es war zwar ziemlich spät, aber bei seinem Anruf war ich von Rot-Weiss Essen mehr überzeugt als von den anderen Vereinen. Dann haben wir uns an einem Donnerstag um 11 Uhr getroffen und es dauerte sechs oder sieben Stunden, bis wir die Sachen geklärt hatten. Mit Walter Hellmich, dem Präsident von MSV Duisburg, musste noch verhandelt werden, weil der noch eine Ablösesumme für mich forderte. Aber wir beide sind immer gut miteinander ausgekommen und da ich mich im Verein immer korrekt verhalten habe ist der Transfer zum Glück doch noch über die Bühne gegangen.

Jawattdenn.de:
Leider kam es ja doch noch zum Abstieg in dieser Saison. Eigentlich war diese Mannschaft mit Spielern von individueller Klasse aufgestellt, einige von denen spielen ja heute z. B. in der zweiten Liga. Woran hat es nach Deiner Meinung gelegen?

Markus Kurth:
Nach dem schlechten Start in die Saison hatten wir uns ja etwas gefangen, sind dann noch einmal in ein Loch gefallen und haben einen richtig guten Endspurt hingelegt. Wir haben sehr viele Punkte aufgeholt, und dann kam es für mich zum unerklärlichen Spiel gegen Lübeck. Ich habe bis heute Zweifel daran, dass dort alles korrekt abgelaufen ist. Dies war ein Spiel, was wir eigentlich gewinnen mussten, es kamen Situationen im Spiel vor die wir für uns entscheiden konnten. Im Hintergrund sind da schon einige Dinge schief gelaufen, ich unterschreibe einfach nicht als Spieler zwei Tage vor einem so wichtigen Spiel bei einem anderen Verein einen Vertrag. Man kann daraus schließen, dass an diesem Tag einige Spieler keine hundert Prozent gegeben haben. Dieser Tag war für alle Spieler die bleiben wollten ganz bitter. Nach dem Sieg gegen Magdeburg und dieser tollen Aufholjagd war diese Niederlage völlig überflüssig. Wir waren nach zehn Punkten Rückstand plötzlich einen Punkt vor, da war es an diesem Tag einfach nur eine Charakterfrage, und den hat nicht jeder Spieler gezeigt. Das muss man einfach so deutlich sagen.

Jawattdenn.de:
In der letzten Saison gab es ein neues Konzept mit elf so genannten „gestandenen“ Spielern und vielen Nachwuchskräften. Kann ein solches Konzept überhaupt gut gehen?

Markus KurthMarkus Kurth:
Es ist zum Anfang dieser Saison einiges in Angriff genommen worden. Hier sind die Bagger gerollt und auf die Außendarstellung wurde mehr Wert gelegt. Den einzigen Fehler den man damals gemacht hat war es, die Trauben für diese Mannschaft zu hoch zu hängen. Zu Beginn hat man direkt gesagt, dass man der Topfavorit der Liga sei, sozusagen das „Bayern München“ der Regionalliga West, welches alles in Grund und Boden spielt. An diesen Ansprüchen ist man im Endeffekt hier gescheitert. Im Hinblick auch auf die kommende Saison ist ehrliche und bescheidene Arbeit gefragt, da nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Es sollte wieder der Fußball im Mittelpunkt stehen. Da kann man einfach keine großen Töne mehr spucken. Im Kern muss gute Arbeit geleistet werden, damit es dem Verein bald wieder besser geht. In den letzten zwei Jahren hat man einfach gesehen, dass man durch diese Liga nicht einfach durchmarschieren kann. Wenn es ein oder zwei Mannschaften in dieser Liga gibt die ein gutes Jahr erwischen ist es schwierig dort durchzukommen. Es muss konstant gute Arbeit geleistet werden. Auch wenn es viele Außenstehende nicht verstehen können, selbst in der vierten Liga wird teilweise guter Fußball gespielt. Mannschaften wie Borussia Dortmund II spielen plötzlich ganz stark. Die Ansprüche des Vereins sind einfach zu hoch gewesen, damit ist die Mannschaft, und meiner Meinung nach auch die Führung des Vereins, nicht fertig geworden.

Jawattdenn.de:
Es wurde ja deutlich angekündigt von Seiten des Vereins, dass das einzige Ziel nur der Aufstieg sein kann. Bei einigen Nachwuchsspielern, die ja wirklich Potential hatten, war es deutlich zu sehen, dass der Druck zu groß war. Hätte der Verein im Vorfeld der Saison vielleicht ein anderes Ziel ausgeben sollen?

Markus Kurth:
Man muss dazu sagen, dass die Leistung der Mannschaft ja auch oft nicht gestimmt hat, aus welchem Grund auch immer. Wenn Du einen Vertrag in Essen hast musst Du einfach bessere Leistungen bringen als anderswo. Im Endeffekt ist man aber an den eigenen Ansprüchen gescheitert. Dazu gehört aber nicht nur die Mannschaft auf dem Platz, sondern auch die Vereinsspitze. Wenn wir alle Erfolg haben, uns im Ruhm sonnen und dadurch in einem Boot sitzen, dann müssen wir auch dafür Verantwortung übernehmen, wenn der Erfolg einmal nicht da ist. Die führenden Personen des Vereins müssen sich dieser Verantwortung genau wie wir auch stellen. Bringt ein Spieler in dem einen Jahr nicht seine Leistung, ist er dann weg, bei einem Zwei-Jahresvertrag halt auch mal nach zwei Jahren. Dann muss er sich halt einen neuen Job suchen. Es ist aber schwierig, wenn Du in der kurzen Zeit so viele Trainer hier hast und keine Konstanz hineinkommt. Auch in der Führung des Vereins gibt es ja diese Konstanz nicht. Es kommt kein Gefühl der Sicherheit auf und so kann man den Ansprüchen auch nicht gewachsen sein.

Jawattdenn.de:
Ist es nicht auch besonders schwierig, in einer Liga mit so vielen Amateurmannschaften zu bestehen, die einen eingespielten Kader mit einigen Perspektivspielern besitzen?

Markus Kurth:
Meiner Meinung nach gehören diese Zweitvertretungen alle in eine eigene Liga. In den Regionalligen hast Du insgesamt 20 von diesen Mannschaften, die an jedem Spieltag eine Wundertüte sein können. Einmal spielen fünf oder sechs Mann von oben mit, am nächsten Spieltag spielt die Profimannschaft parallel und da steht eine komplett andere Mannschaft ohne diese Leute auf dem Platz. Dies ist für mich, krass gesagt, Wettbewerbsverzerrung und von daher müssten diese Zweitvertretungen wie in England auch in eine eigene Liga kommen. Ständig hast Du wechselnde Formationen in diesen Mannschaften und hier müsste bald was geändert werden. 20 Zweitvertretungen von 54 Regionalligisten, dass macht auf Dauer auch die kleinen Vereinen und die übrigen Traditionsmannschaften kaputt. Die Jungs von den Amateurmannschaften sind einfach gut ausgebildet, so dass die an einem guten Tag jeden schlagen können. Dies hat man ja früher auch im DFB-Pokal beobachten können, dort gab es ja häufiger Überraschungen im Duell mit diesen Mannschaften. Ich kann mich erinnern, wo gleich zwei Mannschaften von Hertha BSC Berlin so weit im Pokal gekommen sind. Man sollte sich überlegen, in Zukunft im Ligabetrieb ein anderes System einzuführen. Es macht auch mehr Sinn, Nachwuchsspieler von Profivereinen in Traditionsvereinen zu parken als in der eigenen zweiten Mannschaft.

Jawattdenn.de:
Dein Vertrag läuft am Saisonende aus. Ist dann definitiv Schluss mit Deiner Laufbahn als Fußballer?

Markus Kurth:
Herr Stütz und ich haben uns zusammengesetzt und haben über meine Vorstellungen gesprochen. Der Verein hat signalisiert, dass man mich binden möchte, in welcher Funktion auch immer. Ich habe gesagt, dass ich gerne hier bin und es macht mir sehr viel Spaß. Jetzt wollten wir demnächst Modelle durchsprechen, wie es mit mir weiter gehen soll. Es müssen aber im Verein andere Sachen geklärt werden, die wichtiger sind als meine Person. Ich würde gerne im Verein bleiben, wie auch immer es aussieht. Ich habe nicht umsonst meine B-Lizenz gemacht und hoffe bald in den Trainerbereich zu kommen. Ich wäre dankbar, hier meine ersten Erfahrungen sammeln zu können.

Markus KurthJawattdenn.de:
Die B-Lizenz wird dann ja wahrscheinlich nicht das Ende für Dich sein.

Markus Kurth:
Ja, ich werde mich bald für die A-Lizenz bewerben. Wenn mir das liegt und ich gute Erfahrungen mache, dann kann ich mir auch vorstellen dort weiter zu machen.

Jawattdenn.de:
Denkt man schon daran, egal ob das Karriereende in diesem oder im kommenden Jahr stattfindet, wie man als baldiger Trainer in der einen oder anderen Situation möglicherweise handeln würde?

Markus Kurth:
Natürlich habe ich in den letzten ein oder zwei Jahren hier einiges hinterfragt und würde manches etwas anders machen. Da regt man sich eher mal auf und sucht das Gespräch. Man kommt schon ins Grübeln auch im Hinblick, wie man sich selber weiter entwickelt. Als junger Spieler denkt man über solche Sachen nicht nach, da tut man das was vorgeben ist. Man rennt und kämpft und wenn man richtig gut ist macht man in den meisten Fällen alles richtig. Aber auch da haben wir in unserer Mannschaft Defizite, an denen wir arbeiten müssen. Klar, jeder hat da auch seine eigene Spielauffassung. Ich habe da auch eine ganz Eigene entwickelt, die mir auch in den letzten Jahren viel Erfolg gebracht hat. Man tauscht sich da untereinander aus und hofft auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Jawattdenn.de:
Du hast in Deiner Karriere in vielen Vereinen gespielt und auch viele Trainer erlebt. Gibt es da einen oder mehrere bestimmte Trainertypen, von denen man besonders viel mit nimmt?

Markus Kurth:
Ich hatte glaube ich über 20 Trainer in meiner Laufbahn, darunter viele bekannte Namen. Es waren Nationaltrainer dabei, Felix Magath, Erich Ribbeck und auch einige gestandene Trainer wie Willi Entenmann und Friedel Rausch, Friedhelm Funkel, Ewald Lienen – Man nimmt von jedem etwas mit und es bleiben vor allem bei Erfolgen wie einem Aufstieg grundlegende Sachen hängen, wie die Menschenführung oder die Trainingsmethode. Von Felix Magath habe ich mir sicherlich einiges abgeguckt. Ich würde bestimmt einige Sachen wie er machen, aber natürlich auch nicht alle, weil jeder seine eigene Philosophie hat. Ich würde meine Jungs nicht jeden Tag mit dem Medizinball über die Laufbahn schicken, wobei die körperliche Fitness Grundvoraussetzung für den Erfolg ist. Die Spieler müssen sich schon sicher sein mit ihrem Körper, damit sie im Spiel 90 Minuten marschieren können und gut dabei fühlen. Geprägt hat mich vor allem Willi Entenmann, weil ich damals sehr jung war und bei ihm eine gute Zeit in der Regionalliga hatte. Ich habe in der Saison viele Tore geschossen und er hat mich in dieser Spielzeit wirklich weiter gebracht. Ewald Lienen habe ich auch viel zu verdanken, aber auch meinen Jugendtrainern. Von jedem, der Dich nach vorne gebracht hat nimmst Du was mit, das ist einfach so. Die Menschenführung entwickelt sich aber bei jedem selber. Jeder geht mit einem Menschen so um, wie er es durch seine Erziehung für richtig hält. Das schaust Du Dir nicht von anderen ab, sondern das entwickelt sich aus Deiner Erfahrung und Du nimmst das mit, was für Dich das Beste ist und gehst auf die Menschen so. Und so versuche ich das auch bei meinen Mitspielern im Training.

Jawattdenn.de:
Besonders auffällig ist ja Deine Spielweise, im Spiel bist Du dafür bekannt alles zu geben. Du bist trotz Deines hohen Fußballalters ein Vorbild an Einsatz und Kampf. Fragt man sich nicht als Ältester einer Mannschaft, warum jüngere Spieler da oft nicht mitziehen?

Markus Kurth:
Die wenigsten Spieler kommen hier aus sich raus und holen auch nicht das Maximale aus dem Körper heraus. Oft glaube ich, dass die Spieler hier mental stark belastet sind und ich weiß nicht woran das liegt. Vielleicht sind es die hohen Ansprüche und der Druck im Verein, aber wir müssen in Zukunft dahin kommen, dass die Spieler unbeschwert ihren Fußball spielen dürfen und auch können. Sie müssen vom Kopf her frei sein, 90 Minuten lang zu marschieren und wenn etwas misslingt trotzdem ihr Ding zu machen. Wenn ich vom Platz gehe und ich kann mir nichts vorwerfen, weil ich alles gegeben habe oder zu mindestens versucht habe, alles zu geben, kann man dem Spieler auch keinen Vorwurf machen, auch wenn Du mal einen schlechten Tag hast. Oft hast Du aber das Gefühl, dass bei einigen Spielern eine Bremse eingebaut ist. In meinem ersten Spiel für RWE gegen Eintracht Braunschweig schien es so, als ob ein Stoppschild an der Mittellinie für die Jungs angebracht wurde. Ich habe nur gedacht, wir haben noch nicht einmal in 90 Minuten auf das Tor geschossen, da läuft doch irgendetwas falsch. Alles aus diesem Verein herauszuholen ist eine schwierige Aufgabe, aber auch eine Motivation für alle die hier arbeiten, dies einfach mal zu schaffen. Auch die Leute um die Mannschaft herum kommen nicht aus sich heraus. An guten Tagen sind sie schon unbeschwert, aber man muss das Gefühl entwickeln, stolz darauf und gerne hier an der Hafenstraße zu sein. Dieses Gefühl muss einfach wieder kommen. Es ist nicht schön, wenn Du hier hinkommst und jeder guckt nur auf den Boden.

Jawattdenn.de:
Fühlst Du Dich überhaupt als Vorbild für die Mannschaft oder bist Du da eher weniger der Typ für?

Markus KurthMarkus Kurth:
Ich kann schon ein Vorbild sein. Wenn ich aber merke, dass niemand auf einen Rat wert legt, beachte ich auch denjenigen nicht mehr. Timo Brauer ist ein positives Beispiel, der Junge ist einfach super. Er guckt sich einiges ab und hat einfach den Ehrgeiz, um 90 Minuten im Dienst der Mannschaft alles zu geben. Der ist als Typ einfach klasse. Manche sind aber so erzogen, dass die den Respekt vor dem Alter gar nicht mehr haben. Damals habe ich mich gar nicht getraut, die erfahrenen und älteren Spieler in der Kabine überhaupt anzusprechen. Heutzutage ist das nicht mehr so, da die Erziehung heute anders ist. Die jungen Spieler machen eher ihr eigenes Ding und schauen sich nicht mehr so viel ab. Aber solche Spieler haben dann mehr Schwierigkeiten, sich später durchzusetzen. Wenn wir da hinkommen, diese Tugenden wieder aufleben zu lassen, sind wir wieder einen Schritt weiter. Oft bin ich da nicht so zufrieden, aber ich versuche durch meinen Einsatz im Spiel und durch Aktionen im Training wach zu rütteln. Ich bin aber auch keiner der sich hinstellt und sagt: „Passt mal auf, ihr müsst das so und so machen!“ In dieser Verantwortung bin ich einfach noch nicht, vielleicht später einmal. Im Moment sind die Trainer dafür verantwortlich, dass die Motivation da ist und die Jungs alles geben. Du musst allerdings in der Mannschaft auch eine Hierarchie haben, die über die Jahre wächst. Das hatten wir aber hier nicht. Wenn man sich überlegt, wie viele Spieler in den letzten Jahren hier waren, dann kann sowas gar nicht wachsen. So steht niemand hinter dem anderen. Da muss einfach eine Konstanz rein in den nächsten Jahren.

Jawattdenn.de:
Abgesehen von dem Spiel gegen Worms waren die letzten Spiele zu mindestens vom Ergebnis her recht erfolgreich, z. B. in Saarbrücken war RWE drückend überlegen ohne allerdings das Spiel zu entscheiden. Wird die aktuelle Formkurve oder sogar die gesamte Saison innerhalb Mannschaft diskutiert?

Markus Kurth:
Mental sind die meisten Spieler doch ziemlich fertig. Wir trauern den verpassten Chancen nicht nach, aber es ist bei jedem Spieler im Kopf verankert. Ich habe mal hochgerechnet, dass wir bei einem „normalen“ Saisonverlauf acht Punkte auf den Tabellenführer hätten gutmachen können. Darunter waren natürlich Fehlentscheidungen und späte Tore dabei, aber es gab auch Spiele, wo wir eher glücklich den einen oder anderen Punkt mitgenommen haben. Insgesamt wären es trotzdem rund acht Punkte mehr gewesen und dann wären wir oben dran. Und dies alles trotz der schweren Umstände. Sascha Mölders hat uns verlassen, die Trainer haben gewechselt und wir haben auch einige Verletzte gehabt. Das alles soll aber keine Entschuldigung sein, einiges müssen wir davon einfach wegstecken. In dieser Situation ist es einfach schwierig für uns, hundertprozentig mental dabei zu sein. Wir haben auch noch keine Gewissheit wie es im nächsten Jahr hier aussieht. Ob die Trainer bleiben ist noch ungewiss, welche Verträge von den Spielern verlängert werden, dem Verein sind da in vielen Dingen auch einfach die Hände gebunden. Diese Situation ist enorm schwierig, aber da zeigt sich der Charakter der Mannschaft trotz dieser enormen Last. Man sieht das auch an der Spielweise. Gestern hat man deutlich von oben gesehen, dass die Mannschaft nicht befreit wirkt, weder im Spiel noch außerhalb des Platzes. Es ist da einiges zu verzeihen, diese Mannschaft will und zeigt nach meiner Meinung schon Charakter. Leider kann sie im Moment nicht alles umsetzen.

Jawattdenn.de:
Seit Essen in der vierten Liga spielt ist dies die erfolgreichste Zeit unter dem Trainerduo Erkenbrecher/Aussem. Was machen die Beiden anders als ihre Vorgänger oder woran liegt es, dass die Ergebnisse plötzlich stimmen?

Markus Kurth: Wichtiger
als die Trainerfrage ist es, dass die Mannschaft im Kern zusammen bleibt. Wenn Du oft die gleiche Formation auf das Feld schickst und nur geringfügig änderst, kannst Du mit dem Vertrauen und der Unterstützung der Trainer eine Basis dafür schaffen, dass es in der Defensive erst einmal gut funktioniert. Wenn Du dann den Jungs vermittelst, dass man nicht jeden Gegner an die Wand spielen muss, kommen wir Schritt für Schritt zu unserem Ziel.

Auch wenn wir mal 0:0 spielen machen wir mit einem 1:0 in dem darauf folgendem Spiel weiter Boden gut. Das haben die beiden Trainer erst einmal versucht rüberzubringen. Dies kann aber nicht das Ende des Erreichbaren sein, es gibt noch jede Menge Potential in der Mannschaft. Wir können viel mehr nach vorne machen, es gibt da so viele Ansatzpunkte, aber dafür muss der Kern der Mannschaft zusammen bleiben. Dies sollte die Hauptaufgabe des Vereins sein, auch wenn es sehr schwierig wird. Die Konstellation mit zwei gleichberechtigten Trainern empfinde ich auch nicht als einfach, so wirklich glücklich ist da keiner drüber. Auf Dauer ist es nach meiner Erfahrung kaum möglich so ein Modell weiter zu verfolgen. Da möchte ich aber niemanden rein reden, dies ist meine persönliche Meinung. Wie man dies in der Zukunft regelt ist die Aufgabe des Vereins und der Trainer.

Markus KurthJawattdenn.de:
Hast Du Ideen, wie der Verein trotz der begrenzten Mittel Spieler im Verein halten bzw. wie man guten Spieler an die Hafenstraße holen kann?

Markus Kurth:
Ich bin immer noch Spieler und möchte mich nicht in die Vereinsarbeit einmischen. Wenn ein Spieler Aussagen zur Vereinsarbeit macht heißt es oft zu recht: „Der hat sich da nicht einzumischen!“ Es ist wirklich keine einfache Situation. Soll der Verein Spielern von außerhalb sagen, dass er eine super Trainingsanlage hat? Das stimmt ja nicht. Oder das RWE ein schönes Stadion hat? Da kannst Du den Leuten auch nicht mit kommen. Der Verein kann sagen, dass er tolle Fans hat und Fußball hier noch gelebt wird. Dann hört es aber schon auf. Hier zu spielen ist eine reine Charakterfrage. Entweder glaubt ein Spieler, dass es mit dem Verein Rot-Weiss Essen wieder bergauf geht und will dabei helfen oder nicht. Er muss dabei auch auf die Führung des Vereins Vertrauen können.

Ein Spieler muss sagen können: „Dies ist mein Trainer, das ist mein sportlicher Leiter, das sind meine restlichen Anlaufstationen, hier wird ein neues Stadion gebaut etc.“ Da müssen einfach klare Aussagen getroffen werden, was zu diesem Zeitpunkt hier noch nicht möglich ist. Wenn ein anderen Verein mit seinem Trainer ankommt und sagt: „Du bist mein Mann, Du spielst auf dieser Position, so sehe ich Deine Entwicklung im nächsten Jahr, das ist Dein Gehalt, welches übrigens in diesem Verein immer pünktlich seit zehn Jahren gezahlt wurde, wir haben das Stadion mit dem Zuschauerschnitt etc.“, da weiß doch der Spieler genau Bescheid. Er kann sagen, dies ist eine sichere Variante, ich bekomme Geld dafür und spiele in der dritten Liga, auch wenn es von den Zuschauerzahlen möglicherweise nicht so interessant ist wie in Essen. Das sind einfach mehr Argumente für einen anderen Verein die Spieler zu holen. Ein Spieler überlegt sich doch dreimal in der Situation, ob er das Geld nimmt was er mit Sicherheit bekommt und er noch zusätzlich eine Liga höher spielt, wo er möglicherweise von anderen Vereinen noch entdeckt werden kann. Du musst charakterstarke Spieler haben, die hier versuchen, was aufzubauen. Das zu schaffen ist überhaupt nicht einfach.

Die wichtigste Aufgabe des Vereins ist es, die Mannschaft im Kern zu halten. Wenn Du die fünf oder sechs Leistungsträger halten kannst sähe es gut aus, aber das bezweifel ich stark. Es wird wohl nicht möglich sein, alle Leistungsträger hier zu halten. Wenn es gelingt muss natürlich auch immer noch einiges zusammen kommen, damit sich dauerhaft an der Hafenstraße Erfolg einstellt. Der Verein darf einfach nicht so lange warten. Wir haben jetzt Anfang April, bis Ende Juni ist nicht mehr viel Zeit. Der Verein hat bereits das Gespräch gesucht, trotzdem ist es wichtig jetzt zeitnah das Gerüst zu halten, damit es erfolgreich weitergehen kann.

Wenn der Verein noch einmal einen Monat verstreichen lässt, werden definitiv zwei oder drei Leistungsträger weg sein. Ich kann dem Verein nur dazu raten, offen anzusprechen, welche Entscheidungen bezüglich des Managements oder der Trainer in der kommenden Saison getroffen werden. Ich habe einen guten Kontakt zu den Spielern, die mit anderen Vereinen schon handeln.

Jawattdenn.de:
In der aktuellen 11-Freunde Ausgabe gibt es einen Leitartikel zum Thema „Druck im Profifußball“. Das Thema haben wir ja schon oft in diesem Interview angesprochen. Wie gehst Du persönlich mit Druck und Leistungsschwankungen um, gerade in Bezug zu Deiner langen Karriere im Profifußball?

Markus Kurth:
Ich habe mich mit diesem Thema nie wirklich beschäftigt. Vor jedem Spiel bin ich zwar nervös, auch heute noch, aber als Druck habe ich das nie empfunden. Für mich war es nie so, dass wenn ich heute versage eine Welt für mich zusammenbricht. Ich bin immer in ein Spiel gegangen mit dem Vorhaben, alles in den 90 Minuten zu geben. Ich habe mich gefragt, was ich mir überhaupt vorwerfen kann. Das ich z. B. fußballerisch nicht der Beste bin? Das weiß ich, aber ich weiß auch, dass die Leute von mir erwarten zu kämpfen um das auszugleichen. Was soll mir denn da passieren? Entweder bringe ich die Leistung oder ich bringe sie nicht. Und wenn ich sie nicht bringe werde ich es auch nicht in diesem Verein schaffen. Es ist doch wie in jedem anderen Beruf auch. Wenn ich am Abend vor der Arbeit getrunken habe und meine Leistung nicht bringe bin ich selbst schuld und ich kriege die Rechnung dafür. Wenn ich aber fit in das Spiel gehe und alles gebe, kann mir nichts passieren. Entweder ich schaffe es dann oder nicht. Diesen Druck an sich habe ich nie gespürt. Der wird meistens von Leuten geschürt, die selber unzufrieden sind aber nicht selbst auf dem Platz stehen. Manche Spieler sind sehr sensibel und können damit nicht umgehen. Die übergeben sich in der Halbzeit, das habe ich auch schon erlebt. Manche Spieler bekommen Magenkrämpfe und haben Angst, den nächsten Ball anzunehmen. Die hauen dreimal hintereinander den Ball ins Aus und die Fans pfeifen wieder. Das hat man ja auch hier schon häufig erlebt. Silvio Pagano ist z. B. dreimal im Spiel zusammengebrochen weil von der Tribüne wieder gerufen wird, was für ein Blinder er wäre. Jetzt spielt er in Lotte und da sitzen nur wenige Fans, die auch nicht schreien, wenn der Ball mal im Aus landet. Manche Spieler können damit einfach nicht umgehen.

Markus KurthJawattdenn.de:
Ein weiteres Beispiel war Ferhat Kiskanc, der ohne einzigen Ballkontakt vor der Ausführung eines Eckballs gnadenlos ausgepfiffen wurde.

Markus Kurth:
Ich kann mich auch daran erinnern, dass Heiko Bonan ihn mal nach nur 25 Minuten aus dem Spiel genommen hat. Wenn Du halt die Ansprüche als Fan hast und mit der Einstellung in das Stadion gehst: „Ach, das wird heute eh nichts mit denen!“ kommt das leider so. Ich kann nur meinen Jungs vertrauen dass die wirklich alles geben. Ich feuere die dann auch mal an auch wenn die nur einen Einwurf rausholen. In letzter Zeit ist es aber besser geworden, es sind ja auch nicht mehr so viele da. Der harte Kern der Fans ist allerdings super, die stehen voll hinter uns. Die verzeihen uns auch viele Unzulänglichkeiten und dann gewinnt man auch mal ein schlechtes Spiel. Im Hinblick auf die Fans müssen wir ganz klar den ersten Schritt machen, vielleicht schafft man es auf den Rängen aber auch ein wenig „englisch“ zu denken, d. h. auch mal bei jeder Grätsche und jeden herausgeholten Einwurf die Mannschaft anzufeuern. Aber die jungen Spieler haben immer noch Probleme sich daran zu gewöhnen. Timo Brauer ist da weiter als andere Jungs, aber ein Bora Karadag oder Kai von der Gathen sind noch nicht so weit und sollten auch von allen Seiten ein wenig Unterstützung erfahren.

Jawattdenn.de:
Nach dem Spiel gegen Bochum II in der letzten Saison sind auch von Deiner Seite deutliche Worte an die Zuschauer gefallen. Wolltest Du Dich da bewusst vor die Mannschaft stellen oder ist Dir einfach nur der Kragen geplatzt?

Markus Kurth:
Es war damals so, dass Kai von der Gathen gegen Worms einen entscheidenden Fehler gemacht hat und auch gegen Bochum zweimal patzte. Ich wollte mich als Angriffspunkt nehmen und dafür sorgen, den Druck von diesen Jungs zu nehmen. Leider ist mir das ehrlich gesagt nicht gelungen, Kai und andere Spieler sind aus ihrem Loch nicht mehr heraus gekommen. Die ganze Situation war sehr schade, ich kann mich aber auch nicht mehr daran erinnern was ich genau gesagt habe.

Jawattdenn.de:
In der Bundesliga gab es am vergangenen Wochenende den Vorfall, dass Paulo Guerrero einen Zuschauer nach einer Auseinandersetzung mit einer Trinkflasche beworfen hat. Auch wenn diese Aktion des Hamburger Stürmers nicht zu entschuldigen ist, kann man als Spieler manche Äußerungen von der Tribüne einfach nicht mehr ertragen?

Markus Kurth:
Das ist definitiv so. Wenn ich versuche im Spiel alles zu geben und der Trainer hat mich in die Mannschaft berufen, kann der ja auch nicht blind sein. Ich habe einen Vertrag in diesem Verein und anscheinend sind ja gerade keine besseren Spieler da. Du gibst alles für die Mannschaft, hast dennoch gerade keinen Erfolg, spielst nicht gut und darfst Dir dann noch anhören, dass Du ein „Hurensohn“ bist oder jemand sagt: „Ich f***e Deine Mutter!“, da kann einem schon mal der Kragen platzen. Jemanden eine Flasche an den Kopf zu schmeißen ist allerdings nicht in Ordnung, da hat Guerrero sich einfach nicht im Griff gehabt. Der hat halt ein südländisches Temperament.

Es hat keiner das Recht, einen Spieler der alles für den Verein gibt, der nach sechs Monaten Verletzungen wieder kommt und nach seinem Wechsel von Bayern München viele Tore für den HSV geschossen hat nach zwei Spielen gnadenlos auszupfeifen, Da müssen sich auch einige solcher Fans hinterfragen. Sicherlich ist die Art und Weise nicht in Ordnung, aber ich würde mir so einen erst einmal ausgucken und dann würden schon einige harte Worte fallen. Aber ich kann da schon verstehen, wenn da einen der Gaul durchgeht. Wenn man jemanden nach einer seiner eigenen Arbeit beleidigt lässt man sich ja auch nicht alles gefallen.

Mir ist auch schon einer an den Kragen gegangen, da habe ich mich aber nicht gewehrt weil damals 20 Mann das Geißbockheim in Köln gestürmt hatten. Da sind wir gerade von der ersten Bundesliga wieder abgestiegen und da wollten mehrere Hooligans randalieren. Da kam gleich der Sicherheitsdienst und regelte das Ganze. Bei einigen Fans sitzt der Frust so tief und sie sind so verbunden mit dem Verein, dass die Spieler angreifen, die mit der Entwicklung des Vereins in den letzten 10-20 Jahren nichts zu tun hatten. Diese Spieler werden für die Misswirtschaft eines ganzen Vereins verantwortlich gemacht.

Jawattdenn.de:
Umgekehrt ist es aber so, dass die Fans besonders hier an der Hafenstraße viel ertragen müssen. Es ist oft schwer, den Frust richtig zu kanalisieren wenn ein Tor zum wiederholten Male in der Nachspielzeit fällt.

Markus Kurth:
So eine Situation habe ich einmal in Nürnberg erlebt, wo wir mit einer sehr guten Mannschaft in die Regionalliga abgestiegen sind. Danach haben wir ja direkt den Durchmarsch in die erste Liga geschafft. Das Jahr in der Regionalliga war trotzdem eines der Schönsten in meiner Karriere. Wir haben damals eine solche Verbindung mit den Fans aufgebaut weil wir bei Vereinen gespielt haben, die kein Mensch kannte. Da konnte man sich mit den Zuschauern nach dem Spiel unterhalten und wir haben gemerkt, wie sehr diese Fans hinter dem Verein stehen und alles geben. Ich bin davon überzeugt, wenn die jungen Spieler über fünf oder sechs Jahre an den Verein gebunden werden können wird es auch wieder mit der Zuschauerzahl nach oben gehen. Aber wenn regelmäßig 12-14 Spieler den Verein verlassen und ständig die Führung oder der Trainer wechselt wird es dauern bis Du da unten raus kommst. Da muss dran gearbeitet werden.

Markus KurthJawattdenn.de:
Du hast es ja schon kurz angesprochen, die Unterstützung durch die Fans ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Selbst nach dem schlechten Spiel gegen Worms gab es verhaltenden Beifall ohne viele böse Worte. Ist das nicht ungewohnt, nachdem man in den vergangenen Jahren auch ein eher raues Klima von den Rängen an der Hafenstraße spürte?

Markus Kurth:

Mittlerweile sieht man immer nur dieselben Gesichter, es ist ein harter Kern geworden. Ich finde das schön zu sehen, dass die immer da sind. Das gibt der Mannschaft auch ein Gefühl von Sicherheit. Das hat leider auch noch nicht jeder so begriffen. Die stehen immer zu ihrem Verein, so einen harten Kern hat fast jeder Klub. Mit Duisburg und Köln kann man das weniger vergleichen, aber auch dort gibt es sowas ähnliches. In Duisburg waren auch viele Zuschauer frustriert, weil der Anspruch höher zu spielen immer da ist. Dann bleibt auch nur dieser harte Kern, wo später auch mit Hilfe des Stadionbaus etwas Größeres entstanden ist. Wenn diese 5000 oder 6000 Fans gehalten werden können und dazu eine richtige Mannschaft geformt wird, bin ich auch hier guter Dinge. Die Fans schlagen nach meiner Meinung auch den richtigen Weg ein. Es hilft ja auch alles nichts, man ist ja schon ganz unten und tiefer wird man kaum noch sinken. Wir kommen gerade langsam aus diesem Tief heraus und man kann nur hoffen dass es so weiter geht. Und dies kann nur mit den Fans zusammen geschehen, meiner Meinung nach wird in dieser Hinsicht viel zu wenig zwischen Fans und Spielern gemacht.

Ich habe diese strikte Trennung zwischen Fans und Spielern nie gemocht. Wir standen ja auch einmal auf der anderen Seite, wir waren ja auch einmal Fans. Wir haben irgendwann nur den Sprung auf die andere Seite geschafft und sind Spieler geworden. Es heißt ja nicht, dass wir uns menschlich unterscheiden, egal ob Fans oder Spieler. Wenn man z. B. mal mit den Fans einen trinken geht heißt es oft: „Wie, der trinkt auch Bier?“ Warum sollten das die Fans nur so machen? Dieses Vertrauen sollte zwischen Fans und Spielern aufgebaut werden. Sie müssen sehen, dass Du alles für den Verein gibst aber auch mal Fünfe gerade sein lassen kannst. Wir sind ja alle nur Menschen.

Jawattdenn.de:
Wird man von den Zuschauern auf den Rängen während des Spiels eigentlich beeinflusst?

Markus Kurth:
Für mich ist das ein riesiger Unterschied. Überhaupt spiele ich lieber vor einem großen Publikum, egal ob die pfeifen und Dich beschimpfen oder ob die Dich anfeuern. Natürlich ist es am Schönsten, wenn die eigenen Fans einen nach vorne puschen. Wenn Du so ein Spiel hast wie bei den Amateuren von Bayer 04 Leverkusen vor 150 Zuschauern, das tut einem richtig in der Seele weh, wenn Rot-Weiss Essen vor so wenig Fans spielt. Zum Glück kommen von uns einige mit, in Köln waren es ja beispielsweise ca. 800 oder 850 von insgesamt 950 Zuschauern, die aus Essen kamen. Dies ist natürlich etwas Schönes, generell nur ein bisschen wenig auf die Dauer. Da muss mehr passieren, jeder Spieler sollte den Anspruch haben wie z. B. in Dortmund vor 80.000 Zuschauern zu spielen.

Wenn Du auf diese Wand im Stehbereich dort schaust, das ist doch das Größte überhaupt! Darauf sollte man sich doch freuen, hier ist es alleine schön wenn Du ein volles Haus hast. Diese Atmosphäre ist einmalig. Es gibt einige Stadion wo Du als Spieler auch immer hin willst. Da könnten auch unsere Jungs hin kommen, aber sie müssen sich weiter entwickeln und sich sicher fühlen innerhalb der Mannschaft. Ihr seht, wir kommen immer wieder auf das gleiche Thema zurück. Die Jungs müssen einfach gehalten werden, nur das bringt den Verein weiter. Wenn Du hier mal ein neues Stadion hast wird auch hier der Baum brennen. Das würde einige Leute wieder mobilisieren an die Hafenstraße zu kommen. Obwohl ich immer sagen muss, es ist mir lieber, wenn 15.000 Leute kommen die wirklich hinter ihrem Verein stehen als wenn 10.000 Zuschauer mehr kommen von denen 5.000 schon nach 10 Minuten anfangen zu pfeifen. Das habe ich in Duisburg schon erlebt. Zunächst war da nur der harte Kern, aber als wir plötzlich in der ersten Liga waren kamen 10.000 Zuschauer mehr die nichts Besseres zu tun hatten als nach kurzer Zeit anfangen zu beschweren.

Jawattdenn.de:
In Duisburg fällt es schon extrem auf, dass in der ersten Liga das Stadion voll ist und selbst bei Spitzenspielen in der zweiten Liga oft viele Plätze leer bleiben.

Markus Kurth:
Es sind ja in der zweiten Liga im Schnitt nur 15.000 Zuschauer da, auch wenn dort 32.000 Leute hineinpassen. Das ist wirklich schade. Deshalb sage ich, lieber hast Du diese 15.000 Fans die hinter Dir stehen als wenn Du vor 25.000 Zuschauer spielst von denen 10.000 nur kommen weil Du gerade in der ersten Liga spielst. Die müssen schon mit dem Herzen voll dabei sein. Du hast immer Leute dabei, die nicht gerade RWE-Fans sind sondern einfach nur ein Spiel gucken wollen und die Atmosphäre erleben wollen. Notwendig ist es aber, den Leuten bei einem vollen Stadion was bieten zu können. Das kannst Du leider derzeit hier nicht. Du siehst weder tollen Fußball noch hast Du sonstigen Luxus auf den Rängen.

Jawattdenn.de:
Ursprünglich kamst Du als gelernter Stürmer an die Hafenstraße. Irgendwann bist Du vom rechten bzw. linken Mittelfeld im defensiven Mittelfeld, der so genannten Sechser-Position, gelandet. Wie kam es dazu?

Markus KurthMarkus Kurth:
Wir hatten ja mit Sascha Mölders einen Stürmer, der vorne auch alleine seine Tore gemacht hat. Irgendwann haben wir gemerkt, dass der Mannschaft im Mittelfeld ein wenig Stabilität fehlt und ich gesagt habe, dass ich es einfach mal dort probiere. Seitdem spiele ich da, und es gibt der gesamten Mannschaft eine gewisse Sicherheit da ich im Mittelfeld immer präsent bin. Die Bilanz ist insgesamt doch recht positiv wenn ich zusammen mit jemand anderem auf der Sechs gespielt habe. Deswegen haben wir das auch beibehalten. Aber da sind wir auch wieder bei demselben Thema. Ich wünschte mir oft, dass einer mal vorbeirauscht und ein junger Spieler mal sagt: „Mein Gott, warum spielt der alte Sack noch auf diese Position, ich will dort spielen!“ Aber kein Trainer setzt einen schlechteren Spieler auf der zu besetzenden Position und setzt ihn auf die Bank. Deshalb spiele ich noch da. Der Timo Brauer ist auf dem besten Wege, aber den brauchen wir zurzeit im rechten Mittelfeld.

Jawattdenn.de:
Dies war ja schon in dieser Saison der Fall, und die Aufgabe hat er auch im defensiven Mittelfeld gut gelöst.

Markus Kurth:
Aber dann haben wir wieder ein Problem im rechten Mittelfeld. Solange wir auch diese Position nicht optimal besetzt haben kriegen wir immer wieder Probleme.

Jawattdenn.de:
Es sieht auf den Rängen dann auch oft so aus, als ob das Spiel nach Deiner Einwechselung in der zweiten Halbzeit mehr Dynamik kriegt.

Markus Kurth:
Die Jungs fühlen sich einfach sicherer wenn ich auf dem Platz bin. Ich weiß auch nicht warum das so ist, ob dann einfach mehr Kommandos auf dem Feld gegeben werden oder meine Erfahrung den Ausschlag gibt.

Jawattdenn.de:
Du blickst auf eine lange Karriere zurück. 1. FC Nürnberg, MSV Duisburg, 1. FC Köln, Bayer Leverkusen – Das sind ja wirklich alles namhafte Vereine. Welche Zeit war denn eigentlich am Schönsten?

Markus Kurth:
Emotional waren auf jeden Fall die ersten zwei Jahre in Köln. Fußballerisch hatte ich dort auch meine erfolgreichste Zeit. Wir sind in die erste Liga aufgestiegen und im ersten Jahr dort gleich Neunter geworden. Zudem war ich in dieser Zeit immer Stammspieler. In Duisburg war es rundum gut. Wir hatten ein super Verhältnis zu den Fans und ich habe dort viel aufgebaut. Ich kenne immer noch viele Leute da. Das war echt eine schöne Zeit. Und natürlich das angesprochene Regionalligajahr in Nürnberg. Vor allem war es dann schön, wenn es eine enge Verbindung zwischen Fans und Spieler gab. Wir waren ein Team, und das macht dann einfach Spaß. Du gehst mit Freude zum Training und hast auch noch Erfolg dabei, zudem kannst Du Dich dort mit jedem unterhalten. Es war wirklich eine Harmonie zwischen allen und es lief alles Hand in Hand.

Dieses Gefühl hatte ich bislang hier leider noch nicht. Ich hoffe aber, dass es bald soweit ist. Ich möchte den Verein ungerne verlassen. Der Verein steht schlechter da als vor meiner Ankunft, und bislang stand jeder Verein besser da wenn ich dort aufgehört habe als vor dem Start meines Engagements. Dies möchte ich auch in Essen schaffen, das ist mein großer Antrieb. Das wäre echt ein Traum. Ich bin nicht umsonst zu einem Traditionsverein gekommen. Ich hatte wirklich vor meinem Wechsel nach Essen zwei oder drei gute Vereine, die mir mehr Geld geboten hatten aber nicht viel mit Tradition zu tun hatten. Da musste ich nicht zweimal überlegen, besonders wenn man sich anschaut in welchen Vereinen ich vorher gespielt habe. Da fügt sich Essen nahtlos ein, auch wenn wir aktuell in der vierten Liga spielen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich sage immer, Erfolg ist nicht da wo oben ist.

Jawattdenn.de:

Welche RWE-Momente bleiben Dir in besonders guter, aber auch in besonders schlechter Erinnerung?

Markus Kurth:

In guter Erinnerung habe ich den Sieg gegen Fortuna Düsseldorf im Endspiel um den Verbandspokal in Duisburg. Dann ist da noch das Spiel in der dritten Liga gegen Wuppertal, wo Sören Brandy das 1:0 geschossen hat. Das war ein schönes Erlebnis, genauso wie das Spiel in Magdeburg. Das war ein ganz wichtiges Spiel für uns und ich konnte noch das 0:1 erzielen. Da dachten wir ja noch, es würde zum Klassenerhalt reichen. Dann war da noch das DFB-Pokalspiel gegen Borussia Dortmund, das Spiel gegen den Hamburger SV durfte ich ja nicht mitmachen. Der Pokalsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern war auch toll. Es gab so einige Spiele wo man sagen konnte, dass man noch auf einem Level mit Erst- oder Zweitligamannschaften war. In schlechter Erinnerung ist natürlich das Spiel gegen den VFB Lübeck. Ich weiß nicht, ob ich jemals so ein schlechtes Spiel in meiner Karriere erlebt habe. So eine Erfahrung habe ich nie in meiner Laufbahn bislang gemacht. Nach so einer tollen Aufholjagd gibt man so ein Spiel noch unter mysteriösen Umständen ab. Das war mit Abstand das schlechteste Erlebnis bei RWE, ansonsten wüsste ich nicht welches Spiel ähnlich schlimm gewesen wäre. Aber da kann man noch das Verbandspokalfinale gegen Speldorf im letzten Jahr dazu nehmen. Das war ganz besonders ärgerlich, vor allem wenn man sieht welche Lose im DFB-Pokal gezogen wurden. In der ersten Runde wartete RW Oberhausen, in der zweiten Runde möglicherweise Bayern München. Auch in dieser Saison hatten wir einige Spiele wo wir entweder beschissen worden sind oder unglücklich Tore kassiert haben. Die bleiben jetzt nicht unbedingt in Erinnerung, aber sie bleiben irgendwo im Hinterstübchen drin. Es hätte eigentlich in dieser Saison anders laufen müssen.

Markus KurthJawattdenn.de:
Da fällt einem spontan das Spiel gegen Leverkusen II in Köln ein, wo der Schiedsrichter ein klares Tor aufgrund einer angeblichen Abseitsstellung nicht gegeben hat.

Markus Kurth:
Diese Szene habe ich mir oft auf youtube angesehen. Das war einfach unglaublich. Der Linienrichter hat erst die Fahne gehoben als wir den Ball rein geschossen haben. Dem Dirk Heinzmann springt der Ball zwar vorher an die Hand, aber da hat er noch nicht einmal eine Reaktion darauf gezeigt. Und dann schießt er den Ball rein und der Schiedsrichter entscheidet auf Abseits. Aber vielleicht erleben wir hier noch einmal schöne Sachen (lacht). Aber wenn man darüber nachdenkt, dass wir sechs oder sieben Punkte mehr haben könnten, da wären wir oben dran. Aber das ist leider vorbei.

Jawattdenn.de:
Ein Ziel in dieser Saison ist mit Sicherheit das Erreichen der ersten DFB-Pokalhauptrunde.

Markus Kurth:
Natürlich, aber gegen Wuppertal wird es nicht einfach. Da müssen wir mental frisch sein. Das ist das wichtigste Spiel noch in dieser Saison.

Jawattdenn.de:
Wobei es ja in Wuppertal auch noch um den Klassenerhalt in der dritten Liga geht und vielleicht dort eher da das Augenmerk drauf gelegt wird.

Markus Kurth:
Das ist korrekt. Schon von Beginn an müssen wir den Wuppertalern richtig weh tun. Damit haben wir auch so unsere Probleme. Von oben sieht das ja bestimmt nicht nach Männerfußball aus. Wenn wir foulen tun wir ja keinem richtig weh. Meistens tun wir uns selber weh dabei und keiner von den anderen bleibt liegen.

Jawattdenn.de:
Traditionell fragen wir am Ende eines Interviews nach der Meinung zum Stadionneubau. Wie sieht Dein Gefühl in dieser Hinsicht aus? Wird es in absehbarer Zeit ein neues Stadion in Essen geben?

Markus Kurth:
Wir sagen unter uns Spielern, dass wir bis 2063 ein Stadion haben, wenn jedes Jahr zwei Bagger vorbeikommen wird das schon was (lacht). Es ist dringend notwendig, ob es jetzt kommt oder nicht kann ja wirklich keiner sagen. Wenn Du Erfolg haben willst im Verein und in der Stadt ist der Neubau unabdingbar. So ein Stadion wird sich meiner Meinung nach immer refinanzieren. Es wird auch wieder Geld hineinkommen, aber dafür muss man auch bereit sein zu Beginn ein Risiko einzugehen. Es hat sich bislang bei jedem Verein bewährt, der ein neues Stadion gebaut hat. Ich wüsste jetzt keinen Verein, der eine riesige Schuldenlast nach dem Stadionneubau mit sich rumträgt. Ich kann nur hoffen, dass sich da die richtigen Leute zusammen tun und das in Angriff nehmen.

Jawattdenn.de:
Ganz herzlichen Dank für dieses ausführliche Interview!


Das Interview führten Hendrik Stürznickel und Pascal Druschke