Interview mit Markus Kurth
Diese Woche stand uns Markus Kurth zu den Themen Saisonverlauf, Vertragsverlängerungen und Stadionneubau Rede und Antwort. Natürlich darf auch eine Analyse über den sportlichen Niedergang von RWE in den letzten Jahren nicht fehlen. Viel Spaß mit diesem ausführlichen Interview.
"Die wichtigste Aufgabe ist es, die Mannschaft im Kern zu halten."
Jawattdenn.de:
Hallo Markus! Das Spiel gegen Speldorf wurde
gewonnen. Wie ist die Stimmung aktuell in der Mannschaft?
Markus Kurth:
Nach dem Sieg natürlich gut, der zählt ja im Pokal nur.
Aber die Stimmung ist etwas gebremst, wir haben gestern nicht die beste
Leistung gebracht. Die Erleichterung ist trotzdem groß.
Jawattdenn.de:
Kommen wir zunächst auf Deinen Anfang bei RWE zu
sprechen. In der Abstiegssaison 07/08 wurdest Du in einer schwierigen
Phase verpflichtet. Ist man da nicht zunächst eher abgeneigt, in so
einer Situation nach Essen zu wechseln?
Markus Kurth:
Es war so, dass ich mit Duisburg in die erste Bundesliga
aufgestiegen bin und eigentlich noch zwei Jahre dort einen Vertrag
hatte. Es konnte da damals keiner so recht verstehen, warum ich nach
Essen gewechselt bin. Ich wollte aber unbedingt spielen und hatte noch
drei oder vier andere Anfragen. Es hat mich aber immer gereizt für RWE
zu spielen, bei den Auswärtsspielen herrschte hier immer eine tolle
Atmosphäre. Man merkt auch von außerhalb, dass es genug Fußballverrückte
in Essen gibt die hinter ihrem Verein stehen, sowohl im negativen als
auch im positiven Sinne. Das war für mich Fußball pur. Dann haben wir an
nur einem Tag die Gespräche geführt. Ich bekam morgens den Anruf und
abends musste schon alles gelaufen sein, da es der letzte Tag der
Transferperiode war. Für mich gab es keine Diskussionen, wenn alles
klappte würde ich nach Essen kommen. Die sportliche Situation
interessierte mich damals weniger, weil ich davon ausging das es bei
diesem Verein auch wieder bergauf gehen würde.
Jawattdenn.de:
Wie genau kam der Wechsel dann genau zustande?
Markus Kurth:
Wie gesagt, ich hatte noch andere Angebote und es stand
für mich fest, dass ich gehen wollte. Darüber hatte ich Duisburg
informiert und Essen hatte das wohl mitbekommen. Olaf Janßen rief bei
mir an und fragte, ob ich nicht mal Lust hätte vorbeizuschauen. Es war
zwar ziemlich spät, aber bei seinem Anruf war ich von Rot-Weiss Essen
mehr überzeugt als von den anderen Vereinen. Dann haben wir uns an einem
Donnerstag um 11 Uhr getroffen und es dauerte sechs oder sieben
Stunden, bis wir die Sachen geklärt hatten. Mit Walter Hellmich, dem
Präsident von MSV Duisburg, musste noch verhandelt werden, weil der noch
eine Ablösesumme für mich forderte. Aber wir beide sind immer gut
miteinander ausgekommen und da ich mich im Verein immer korrekt
verhalten habe ist der Transfer zum Glück doch noch über die Bühne
gegangen.
Jawattdenn.de:
Leider kam es ja doch noch zum Abstieg in dieser Saison.
Eigentlich war diese Mannschaft mit Spielern von individueller Klasse
aufgestellt, einige von denen spielen ja heute z. B. in der zweiten
Liga. Woran hat es nach Deiner Meinung gelegen?
Markus Kurth:
Nach dem schlechten Start in die Saison hatten wir uns ja
etwas gefangen, sind dann noch einmal in ein Loch gefallen und haben
einen richtig guten Endspurt hingelegt. Wir haben sehr viele Punkte
aufgeholt, und dann kam es für mich zum unerklärlichen Spiel gegen
Lübeck. Ich habe bis heute Zweifel daran, dass dort alles korrekt
abgelaufen ist. Dies war ein Spiel, was wir eigentlich gewinnen mussten,
es kamen Situationen im Spiel vor die wir für uns entscheiden konnten.
Im Hintergrund sind da schon einige Dinge schief gelaufen, ich
unterschreibe einfach nicht als Spieler zwei Tage vor einem so wichtigen
Spiel bei einem anderen Verein einen Vertrag. Man kann daraus
schließen, dass an diesem Tag einige Spieler keine hundert Prozent
gegeben haben. Dieser Tag war für alle Spieler die bleiben wollten ganz
bitter. Nach dem Sieg gegen Magdeburg und dieser tollen Aufholjagd war
diese Niederlage völlig überflüssig. Wir waren nach zehn Punkten
Rückstand plötzlich einen Punkt vor, da war es an diesem Tag einfach nur
eine Charakterfrage, und den hat nicht jeder Spieler gezeigt. Das muss
man einfach so deutlich sagen.
Jawattdenn.de:
In der letzten Saison gab es ein neues Konzept mit elf so
genannten „gestandenen“ Spielern und vielen Nachwuchskräften. Kann ein
solches Konzept überhaupt gut gehen?
Markus Kurth:
Es ist zum Anfang dieser Saison einiges in Angriff
genommen worden. Hier sind die Bagger gerollt und auf die
Außendarstellung wurde mehr Wert gelegt. Den einzigen Fehler den man
damals gemacht hat war es, die Trauben für diese Mannschaft zu hoch zu
hängen. Zu Beginn hat man direkt gesagt, dass man der Topfavorit der
Liga sei, sozusagen das „Bayern München“ der Regionalliga West, welches
alles in Grund und Boden spielt. An diesen Ansprüchen ist man im
Endeffekt hier gescheitert. Im Hinblick auch auf die kommende Saison ist
ehrliche und bescheidene Arbeit gefragt, da nur noch begrenzte Mittel
zur Verfügung stehen. Es sollte wieder der Fußball im Mittelpunkt
stehen. Da kann man einfach keine großen Töne mehr spucken. Im Kern muss
gute Arbeit geleistet werden, damit es dem Verein bald wieder besser
geht. In den letzten zwei Jahren hat man einfach gesehen, dass man durch
diese Liga nicht einfach durchmarschieren kann. Wenn es ein oder zwei
Mannschaften in dieser Liga gibt die ein gutes Jahr erwischen ist es
schwierig dort durchzukommen. Es muss konstant gute Arbeit geleistet
werden. Auch wenn es viele Außenstehende nicht verstehen können, selbst
in der vierten Liga wird teilweise guter Fußball gespielt. Mannschaften
wie Borussia Dortmund II spielen plötzlich ganz stark. Die Ansprüche des
Vereins sind einfach zu hoch gewesen, damit ist die Mannschaft, und
meiner Meinung nach auch die Führung des Vereins, nicht fertig geworden.
Jawattdenn.de:
Es wurde ja deutlich angekündigt von Seiten des Vereins,
dass das einzige Ziel nur der Aufstieg sein kann. Bei einigen
Nachwuchsspielern, die ja wirklich Potential hatten, war es deutlich zu
sehen, dass der Druck zu groß war. Hätte der Verein im Vorfeld der
Saison vielleicht ein anderes Ziel ausgeben sollen?
Markus Kurth:
Man muss dazu sagen, dass die Leistung der Mannschaft ja
auch oft nicht gestimmt hat, aus welchem Grund auch immer. Wenn Du einen
Vertrag in Essen hast musst Du einfach bessere Leistungen bringen als
anderswo. Im Endeffekt ist man aber an den eigenen Ansprüchen
gescheitert. Dazu gehört aber nicht nur die Mannschaft auf dem Platz,
sondern auch die Vereinsspitze. Wenn wir alle Erfolg haben, uns im Ruhm
sonnen und dadurch in einem Boot sitzen, dann müssen wir auch dafür
Verantwortung übernehmen, wenn der Erfolg einmal nicht da ist. Die
führenden Personen des Vereins müssen sich dieser Verantwortung genau
wie wir auch stellen. Bringt ein Spieler in dem einen Jahr nicht seine
Leistung, ist er dann weg, bei einem Zwei-Jahresvertrag halt auch mal
nach zwei Jahren. Dann muss er sich halt einen neuen Job suchen. Es ist
aber schwierig, wenn Du in der kurzen Zeit so viele Trainer hier hast
und keine Konstanz hineinkommt. Auch in der Führung des Vereins gibt es
ja diese Konstanz nicht. Es kommt kein Gefühl der Sicherheit auf und so
kann man den Ansprüchen auch nicht gewachsen sein.
Jawattdenn.de:
Ist es nicht auch besonders schwierig, in einer Liga mit
so vielen Amateurmannschaften zu bestehen, die einen eingespielten Kader
mit einigen Perspektivspielern besitzen?
Markus Kurth:
Meiner Meinung nach gehören diese Zweitvertretungen alle
in eine eigene Liga. In den Regionalligen hast Du insgesamt 20 von
diesen Mannschaften, die an jedem Spieltag eine Wundertüte sein können.
Einmal spielen fünf oder sechs Mann von oben mit, am nächsten Spieltag
spielt die Profimannschaft parallel und da steht eine komplett andere
Mannschaft ohne diese Leute auf dem Platz. Dies ist für mich, krass
gesagt, Wettbewerbsverzerrung und von daher müssten diese
Zweitvertretungen wie in England auch in eine eigene Liga kommen.
Ständig hast Du wechselnde Formationen in diesen Mannschaften und hier
müsste bald was geändert werden. 20 Zweitvertretungen von 54
Regionalligisten, dass macht auf Dauer auch die kleinen Vereinen und die
übrigen Traditionsmannschaften kaputt. Die Jungs von den
Amateurmannschaften sind einfach gut ausgebildet, so dass die an einem
guten Tag jeden schlagen können. Dies hat man ja früher auch im
DFB-Pokal beobachten können, dort gab es ja häufiger Überraschungen im
Duell mit diesen Mannschaften. Ich kann mich erinnern, wo gleich zwei
Mannschaften von Hertha BSC Berlin so weit im Pokal gekommen sind. Man
sollte sich überlegen, in Zukunft im Ligabetrieb ein anderes System
einzuführen. Es macht auch mehr Sinn, Nachwuchsspieler von Profivereinen
in Traditionsvereinen zu parken als in der eigenen zweiten Mannschaft.
Jawattdenn.de:
Dein Vertrag läuft am Saisonende aus. Ist dann definitiv
Schluss mit Deiner Laufbahn als Fußballer?
Markus Kurth:
Herr Stütz und ich haben uns zusammengesetzt und haben
über meine Vorstellungen gesprochen. Der Verein hat signalisiert, dass
man mich binden möchte, in welcher Funktion auch immer. Ich habe gesagt,
dass ich gerne hier bin und es macht mir sehr viel Spaß. Jetzt wollten
wir demnächst Modelle durchsprechen, wie es mit mir weiter gehen soll.
Es müssen aber im Verein andere Sachen geklärt werden, die wichtiger
sind als meine Person. Ich würde gerne im Verein bleiben, wie auch immer
es aussieht. Ich habe nicht umsonst meine B-Lizenz gemacht und hoffe
bald in den Trainerbereich zu kommen. Ich wäre dankbar, hier meine
ersten Erfahrungen sammeln zu können.
Jawattdenn.de:
Die B-Lizenz wird dann ja wahrscheinlich nicht das Ende
für Dich sein.
Markus Kurth:
Ja, ich werde mich bald für die A-Lizenz bewerben. Wenn
mir das liegt und ich gute Erfahrungen mache, dann kann ich mir auch
vorstellen dort weiter zu machen.
Jawattdenn.de:
Denkt man schon daran, egal ob das Karriereende in diesem
oder im kommenden Jahr stattfindet, wie man als baldiger Trainer in der
einen oder anderen Situation möglicherweise handeln würde?
Markus Kurth:
Natürlich habe ich in den letzten ein oder zwei Jahren
hier einiges hinterfragt und würde manches etwas anders machen. Da regt
man sich eher mal auf und sucht das Gespräch. Man kommt schon ins
Grübeln auch im Hinblick, wie man sich selber weiter entwickelt. Als
junger Spieler denkt man über solche Sachen nicht nach, da tut man das
was vorgeben ist. Man rennt und kämpft und wenn man richtig gut ist
macht man in den meisten Fällen alles richtig. Aber auch da haben wir in
unserer Mannschaft Defizite, an denen wir arbeiten müssen. Klar, jeder
hat da auch seine eigene Spielauffassung. Ich habe da auch eine ganz
Eigene entwickelt, die mir auch in den letzten Jahren viel Erfolg
gebracht hat. Man tauscht sich da untereinander aus und hofft auf einen
gemeinsamen Nenner zu kommen.
Jawattdenn.de:
Du hast in Deiner Karriere in vielen Vereinen gespielt
und auch viele Trainer erlebt. Gibt es da einen oder mehrere bestimmte
Trainertypen, von denen man besonders viel mit nimmt?
Markus Kurth:
Ich hatte glaube ich über 20 Trainer in meiner Laufbahn,
darunter viele bekannte Namen. Es waren Nationaltrainer dabei, Felix
Magath, Erich Ribbeck und auch einige gestandene Trainer wie Willi
Entenmann und Friedel Rausch, Friedhelm Funkel, Ewald Lienen – Man nimmt
von jedem etwas mit und es bleiben vor allem bei Erfolgen wie einem
Aufstieg grundlegende Sachen hängen, wie die Menschenführung oder die
Trainingsmethode. Von Felix Magath habe ich mir sicherlich einiges
abgeguckt. Ich würde bestimmt einige Sachen wie er machen, aber
natürlich auch nicht alle, weil jeder seine eigene Philosophie hat. Ich
würde meine Jungs nicht jeden Tag mit dem Medizinball über die Laufbahn
schicken, wobei die körperliche Fitness Grundvoraussetzung für den
Erfolg ist. Die Spieler müssen sich schon sicher sein mit ihrem Körper,
damit sie im Spiel 90 Minuten marschieren können und gut dabei fühlen.
Geprägt hat mich vor allem Willi Entenmann, weil ich damals sehr jung
war und bei ihm eine gute Zeit in der Regionalliga hatte. Ich habe in
der Saison viele Tore geschossen und er hat mich in dieser Spielzeit
wirklich weiter gebracht. Ewald Lienen habe ich auch viel zu verdanken,
aber auch meinen Jugendtrainern. Von jedem, der Dich nach vorne gebracht
hat nimmst Du was mit, das ist einfach so. Die Menschenführung
entwickelt sich aber bei jedem selber. Jeder geht mit einem Menschen so
um, wie er es durch seine Erziehung für richtig hält. Das schaust Du Dir
nicht von anderen ab, sondern das entwickelt sich aus Deiner Erfahrung
und Du nimmst das mit, was für Dich das Beste ist und gehst auf die
Menschen so. Und so versuche ich das auch bei meinen Mitspielern im
Training.
Jawattdenn.de:
Besonders auffällig ist ja Deine Spielweise, im Spiel
bist Du dafür bekannt alles zu geben. Du bist trotz Deines hohen
Fußballalters ein Vorbild an Einsatz und Kampf. Fragt man sich nicht als
Ältester einer Mannschaft, warum jüngere Spieler da oft nicht
mitziehen?
Markus Kurth:
Die wenigsten Spieler kommen hier aus sich raus und holen
auch nicht das Maximale aus dem Körper heraus. Oft glaube ich, dass die
Spieler hier mental stark belastet sind und ich weiß nicht woran das
liegt. Vielleicht sind es die hohen Ansprüche und der Druck im Verein,
aber wir müssen in Zukunft dahin kommen, dass die Spieler unbeschwert
ihren Fußball spielen dürfen und auch können. Sie müssen vom Kopf her
frei sein, 90 Minuten lang zu marschieren und wenn etwas misslingt
trotzdem ihr Ding zu machen. Wenn ich vom Platz gehe und ich kann mir
nichts vorwerfen, weil ich alles gegeben habe oder zu mindestens
versucht habe, alles zu geben, kann man dem Spieler auch keinen Vorwurf
machen, auch wenn Du mal einen schlechten Tag hast. Oft hast Du aber das
Gefühl, dass bei einigen Spielern eine Bremse eingebaut ist. In meinem
ersten Spiel für RWE gegen Eintracht Braunschweig schien es so, als ob
ein Stoppschild an der Mittellinie für die Jungs angebracht wurde. Ich
habe nur gedacht, wir haben noch nicht einmal in 90 Minuten auf das Tor
geschossen, da läuft doch irgendetwas falsch. Alles aus diesem Verein
herauszuholen ist eine schwierige Aufgabe, aber auch eine Motivation für
alle die hier arbeiten, dies einfach mal zu schaffen. Auch die Leute um
die Mannschaft herum kommen nicht aus sich heraus. An guten Tagen sind
sie schon unbeschwert, aber man muss das Gefühl entwickeln, stolz darauf
und gerne hier an der Hafenstraße zu sein. Dieses Gefühl muss einfach
wieder kommen. Es ist nicht schön, wenn Du hier hinkommst und jeder
guckt nur auf den Boden.
Jawattdenn.de:
Fühlst Du Dich überhaupt als Vorbild für die Mannschaft
oder bist Du da eher weniger der Typ für?
Markus Kurth:
Ich kann schon ein Vorbild sein. Wenn ich aber merke, dass
niemand auf einen Rat wert legt, beachte ich auch denjenigen nicht
mehr. Timo Brauer ist ein positives Beispiel, der Junge ist einfach
super. Er guckt sich einiges ab und hat einfach den Ehrgeiz, um 90
Minuten im Dienst der Mannschaft alles zu geben. Der ist als Typ einfach
klasse. Manche sind aber so erzogen, dass die den Respekt vor dem Alter
gar nicht mehr haben. Damals habe ich mich gar nicht getraut, die
erfahrenen und älteren Spieler in der Kabine überhaupt anzusprechen.
Heutzutage ist das nicht mehr so, da die Erziehung heute anders ist. Die
jungen Spieler machen eher ihr eigenes Ding und schauen sich nicht mehr
so viel ab. Aber solche Spieler haben dann mehr Schwierigkeiten, sich
später durchzusetzen. Wenn wir da hinkommen, diese Tugenden wieder
aufleben zu lassen, sind wir wieder einen Schritt weiter. Oft bin ich da
nicht so zufrieden, aber ich versuche durch meinen Einsatz im Spiel und
durch Aktionen im Training wach zu rütteln. Ich bin aber auch keiner
der sich hinstellt und sagt: „Passt mal auf, ihr müsst das so und so
machen!“ In dieser Verantwortung bin ich einfach noch nicht, vielleicht
später einmal. Im Moment sind die Trainer dafür verantwortlich, dass die
Motivation da ist und die Jungs alles geben. Du musst allerdings in der
Mannschaft auch eine Hierarchie haben, die über die Jahre wächst. Das
hatten wir aber hier nicht. Wenn man sich überlegt, wie viele Spieler in
den letzten Jahren hier waren, dann kann sowas gar nicht wachsen. So
steht niemand hinter dem anderen. Da muss einfach eine Konstanz rein in
den nächsten Jahren.
Jawattdenn.de:
Abgesehen von dem Spiel gegen Worms waren die letzten
Spiele zu mindestens vom Ergebnis her recht erfolgreich, z. B. in
Saarbrücken war RWE drückend überlegen ohne allerdings das Spiel zu
entscheiden. Wird die aktuelle Formkurve oder sogar die gesamte Saison
innerhalb Mannschaft diskutiert?
Markus Kurth:
Mental sind die meisten Spieler doch ziemlich fertig. Wir
trauern den verpassten Chancen nicht nach, aber es ist bei jedem Spieler
im Kopf verankert. Ich habe mal hochgerechnet, dass wir bei einem
„normalen“ Saisonverlauf acht Punkte auf den Tabellenführer hätten
gutmachen können. Darunter waren natürlich Fehlentscheidungen und späte
Tore dabei, aber es gab auch Spiele, wo wir eher glücklich den einen
oder anderen Punkt mitgenommen haben. Insgesamt wären es trotzdem rund
acht Punkte mehr gewesen und dann wären wir oben dran. Und dies alles
trotz der schweren Umstände. Sascha Mölders hat uns verlassen, die
Trainer haben gewechselt und wir haben auch einige Verletzte gehabt. Das
alles soll aber keine Entschuldigung sein, einiges müssen wir davon
einfach wegstecken. In dieser Situation ist es einfach schwierig für
uns, hundertprozentig mental dabei zu sein. Wir haben auch noch keine
Gewissheit wie es im nächsten Jahr hier aussieht. Ob die Trainer bleiben
ist noch ungewiss, welche Verträge von den Spielern verlängert werden,
dem Verein sind da in vielen Dingen auch einfach die Hände gebunden.
Diese Situation ist enorm schwierig, aber da zeigt sich der Charakter
der Mannschaft trotz dieser enormen Last. Man sieht das auch an der
Spielweise. Gestern hat man deutlich von oben gesehen, dass die
Mannschaft nicht befreit wirkt, weder im Spiel noch außerhalb des
Platzes. Es ist da einiges zu verzeihen, diese Mannschaft will und zeigt
nach meiner Meinung schon Charakter. Leider kann sie im Moment nicht
alles umsetzen.
Jawattdenn.de:
Seit Essen in der vierten Liga spielt ist dies die
erfolgreichste Zeit unter dem Trainerduo Erkenbrecher/Aussem. Was machen
die Beiden anders als ihre Vorgänger oder woran liegt es, dass die
Ergebnisse plötzlich stimmen?
Markus Kurth: Wichtiger
als die Trainerfrage ist es, dass die Mannschaft
im Kern zusammen bleibt. Wenn Du oft die gleiche Formation auf das Feld
schickst und nur geringfügig änderst, kannst Du mit dem Vertrauen und
der Unterstützung der Trainer eine Basis dafür schaffen, dass es in der
Defensive erst einmal gut funktioniert. Wenn Du dann den Jungs
vermittelst, dass man nicht jeden Gegner an die Wand spielen muss,
kommen wir Schritt für Schritt zu unserem Ziel.
Auch wenn wir mal 0:0
spielen machen wir mit einem 1:0 in dem darauf folgendem Spiel weiter
Boden gut. Das haben die beiden Trainer erst einmal versucht
rüberzubringen. Dies kann aber nicht das Ende des Erreichbaren sein, es
gibt noch jede Menge Potential in der Mannschaft. Wir können viel mehr
nach vorne machen, es gibt da so viele Ansatzpunkte, aber dafür muss der
Kern der Mannschaft zusammen bleiben. Dies sollte die Hauptaufgabe des
Vereins sein, auch wenn es sehr schwierig wird. Die Konstellation mit
zwei gleichberechtigten Trainern empfinde ich auch nicht als einfach, so
wirklich glücklich ist da keiner drüber. Auf Dauer ist es nach meiner
Erfahrung kaum möglich so ein Modell weiter zu verfolgen. Da möchte ich
aber niemanden rein reden, dies ist meine persönliche Meinung. Wie man
dies in der Zukunft regelt ist die Aufgabe des Vereins und der Trainer.
Jawattdenn.de:
Hast Du Ideen, wie der Verein trotz der begrenzten Mittel
Spieler im Verein halten bzw. wie man guten Spieler an die Hafenstraße
holen kann?
Markus Kurth:
Ich bin immer noch Spieler und möchte mich nicht in die
Vereinsarbeit einmischen. Wenn ein Spieler Aussagen zur Vereinsarbeit
macht heißt es oft zu recht: „Der hat sich da nicht einzumischen!“ Es
ist wirklich keine einfache Situation. Soll der Verein Spielern von
außerhalb sagen, dass er eine super Trainingsanlage hat? Das stimmt ja
nicht. Oder das RWE ein schönes Stadion hat? Da kannst Du den Leuten
auch nicht mit kommen. Der Verein kann sagen, dass er tolle Fans hat und
Fußball hier noch gelebt wird. Dann hört es aber schon auf. Hier zu
spielen ist eine reine Charakterfrage. Entweder glaubt ein Spieler, dass
es mit dem Verein Rot-Weiss Essen wieder bergauf geht und will dabei
helfen oder nicht. Er muss dabei auch auf die Führung des Vereins
Vertrauen können.
Ein Spieler muss sagen können: „Dies ist mein Trainer,
das ist mein sportlicher Leiter, das sind meine restlichen
Anlaufstationen, hier wird ein neues Stadion gebaut etc.“ Da müssen
einfach klare Aussagen getroffen werden, was zu diesem Zeitpunkt hier
noch nicht möglich ist. Wenn ein anderen Verein mit seinem Trainer
ankommt und sagt: „Du bist mein Mann, Du spielst auf dieser Position, so
sehe ich Deine Entwicklung im nächsten Jahr, das ist Dein Gehalt,
welches übrigens in diesem Verein immer pünktlich seit zehn Jahren
gezahlt wurde, wir haben das Stadion mit dem Zuschauerschnitt etc.“, da
weiß doch der Spieler genau Bescheid. Er kann sagen, dies ist eine
sichere Variante, ich bekomme Geld dafür und spiele in der dritten Liga,
auch wenn es von den Zuschauerzahlen möglicherweise nicht so
interessant ist wie in Essen. Das sind einfach mehr Argumente für einen
anderen Verein die Spieler zu holen. Ein Spieler überlegt sich doch
dreimal in der Situation, ob er das Geld nimmt was er mit Sicherheit
bekommt und er noch zusätzlich eine Liga höher spielt, wo er
möglicherweise von anderen Vereinen noch entdeckt werden kann. Du musst
charakterstarke Spieler haben, die hier versuchen, was aufzubauen. Das
zu schaffen ist überhaupt nicht einfach.
Die wichtigste Aufgabe des
Vereins ist es, die Mannschaft im Kern zu halten. Wenn Du die fünf oder
sechs Leistungsträger halten kannst sähe es gut aus, aber das bezweifel
ich stark. Es wird wohl nicht möglich sein, alle Leistungsträger hier zu
halten. Wenn es gelingt muss natürlich auch immer noch einiges zusammen
kommen, damit sich dauerhaft an der Hafenstraße Erfolg einstellt. Der
Verein darf einfach nicht so lange warten. Wir haben jetzt Anfang April,
bis Ende Juni ist nicht mehr viel Zeit. Der Verein hat bereits das Gespräch gesucht, trotzdem ist es wichtig jetzt zeitnah das Gerüst zu halten, damit es
erfolgreich weitergehen kann.
Wenn der Verein noch einmal
einen Monat verstreichen lässt, werden definitiv zwei oder drei
Leistungsträger weg sein. Ich kann dem Verein nur dazu raten,
offen anzusprechen, welche Entscheidungen bezüglich des Managements oder
der Trainer in der kommenden Saison getroffen werden. Ich habe einen
guten Kontakt zu den Spielern, die mit anderen Vereinen schon handeln.
Jawattdenn.de:
In der aktuellen 11-Freunde Ausgabe gibt es einen
Leitartikel zum Thema „Druck im Profifußball“. Das Thema haben wir ja
schon oft in diesem Interview angesprochen. Wie gehst Du persönlich mit
Druck und Leistungsschwankungen um, gerade in Bezug zu Deiner langen
Karriere im Profifußball?
Markus Kurth:
Ich habe mich mit diesem Thema nie wirklich beschäftigt.
Vor jedem Spiel bin ich zwar nervös, auch heute noch, aber als Druck
habe ich das nie empfunden. Für mich war es nie so, dass wenn ich heute
versage eine Welt für mich zusammenbricht. Ich bin immer in ein Spiel
gegangen mit dem Vorhaben, alles in den 90 Minuten zu geben. Ich habe
mich gefragt, was ich mir überhaupt vorwerfen kann. Das ich z. B.
fußballerisch nicht der Beste bin? Das weiß ich, aber ich weiß auch,
dass die Leute von mir erwarten zu kämpfen um das auszugleichen. Was
soll mir denn da passieren? Entweder bringe ich die Leistung oder ich
bringe sie nicht. Und wenn ich sie nicht bringe werde ich es auch nicht
in diesem Verein schaffen. Es ist doch wie in jedem anderen Beruf auch.
Wenn ich am Abend vor der Arbeit getrunken habe und meine Leistung nicht
bringe bin ich selbst schuld und ich kriege die Rechnung dafür. Wenn
ich aber fit in das Spiel gehe und alles gebe, kann mir nichts
passieren. Entweder ich schaffe es dann oder nicht. Diesen Druck an sich
habe ich nie gespürt. Der wird meistens von Leuten geschürt, die selber
unzufrieden sind aber nicht selbst auf dem Platz stehen. Manche Spieler
sind sehr sensibel und können damit nicht umgehen. Die übergeben sich
in der Halbzeit, das habe ich auch schon erlebt. Manche Spieler bekommen
Magenkrämpfe und haben Angst, den nächsten Ball anzunehmen. Die hauen
dreimal hintereinander den Ball ins Aus und die Fans pfeifen wieder. Das
hat man ja auch hier schon häufig erlebt. Silvio Pagano ist z. B.
dreimal im Spiel zusammengebrochen weil von der Tribüne wieder gerufen
wird, was für ein Blinder er wäre. Jetzt spielt er in Lotte und da
sitzen nur wenige Fans, die auch nicht schreien, wenn der Ball mal im
Aus landet. Manche Spieler können damit einfach nicht umgehen.
Jawattdenn.de:
Ein weiteres Beispiel war Ferhat Kiskanc, der ohne
einzigen Ballkontakt vor der Ausführung eines Eckballs gnadenlos
ausgepfiffen wurde.
Markus Kurth:
Ich kann mich auch daran erinnern, dass Heiko Bonan ihn
mal nach nur 25 Minuten aus dem Spiel genommen hat. Wenn Du halt die
Ansprüche als Fan hast und mit der Einstellung in das Stadion gehst:
„Ach, das wird heute eh nichts mit denen!“ kommt das leider so. Ich kann
nur meinen Jungs vertrauen dass die wirklich alles geben. Ich feuere
die dann auch mal an auch wenn die nur einen Einwurf rausholen. In
letzter Zeit ist es aber besser geworden, es sind ja auch nicht mehr so
viele da. Der harte Kern der Fans ist allerdings super, die stehen voll
hinter uns. Die verzeihen uns auch viele Unzulänglichkeiten und dann
gewinnt man auch mal ein schlechtes Spiel. Im Hinblick auf die Fans
müssen wir ganz klar den ersten Schritt machen, vielleicht schafft man
es auf den Rängen aber auch ein wenig „englisch“ zu denken, d. h. auch
mal bei jeder Grätsche und jeden herausgeholten Einwurf die Mannschaft
anzufeuern. Aber die jungen Spieler haben immer noch Probleme sich daran
zu gewöhnen. Timo Brauer ist da weiter als andere Jungs, aber ein Bora
Karadag oder Kai von der Gathen sind noch nicht so weit und sollten auch
von allen Seiten ein wenig Unterstützung erfahren.
Jawattdenn.de:
Nach dem Spiel gegen Bochum II in der letzten Saison sind
auch von Deiner Seite deutliche Worte an die Zuschauer gefallen.
Wolltest Du Dich da bewusst vor die Mannschaft stellen oder ist Dir
einfach nur der Kragen geplatzt?
Markus Kurth:
Es war damals so, dass Kai von der Gathen gegen Worms
einen entscheidenden Fehler gemacht hat und auch gegen Bochum zweimal
patzte. Ich wollte mich als Angriffspunkt nehmen und dafür sorgen, den
Druck von diesen Jungs zu nehmen. Leider ist mir das ehrlich gesagt
nicht gelungen, Kai und andere Spieler sind aus ihrem Loch nicht mehr
heraus gekommen. Die ganze Situation war sehr schade, ich kann mich aber
auch nicht mehr daran erinnern was ich genau gesagt habe.
Jawattdenn.de:
In der Bundesliga gab es am vergangenen Wochenende den
Vorfall, dass Paulo Guerrero einen Zuschauer nach einer
Auseinandersetzung mit einer Trinkflasche beworfen hat. Auch wenn diese
Aktion des Hamburger Stürmers nicht zu entschuldigen ist, kann man als
Spieler manche Äußerungen von der Tribüne einfach nicht mehr ertragen?
Markus Kurth:
Das ist definitiv so. Wenn ich versuche im Spiel alles zu
geben und der Trainer hat mich in die Mannschaft berufen, kann der ja
auch nicht blind sein. Ich habe einen Vertrag in diesem Verein und
anscheinend sind ja gerade keine besseren Spieler da. Du gibst alles für
die Mannschaft, hast dennoch gerade keinen Erfolg, spielst nicht gut
und darfst Dir dann noch anhören, dass Du ein „Hurensohn“ bist oder
jemand sagt: „Ich f***e Deine Mutter!“, da kann einem schon mal der
Kragen platzen. Jemanden eine Flasche an den Kopf zu schmeißen ist
allerdings nicht in Ordnung, da hat Guerrero sich einfach nicht im Griff
gehabt. Der hat halt ein südländisches Temperament.
Es hat keiner das Recht, einen Spieler der
alles für den Verein gibt, der nach sechs Monaten Verletzungen wieder
kommt und nach seinem Wechsel von Bayern München viele Tore für den HSV
geschossen hat nach zwei Spielen gnadenlos auszupfeifen, Da müssen sich auch einige solcher Fans hinterfragen. Sicherlich ist die
Art und Weise nicht in Ordnung, aber ich würde mir so einen erst einmal
ausgucken und dann würden schon einige harte
Worte fallen. Aber ich kann da schon verstehen, wenn da einen der Gaul durchgeht. Wenn
man jemanden nach einer seiner eigenen Arbeit beleidigt lässt man sich
ja auch nicht alles gefallen.
Mir ist auch schon einer an den Kragen
gegangen, da habe ich mich aber nicht gewehrt weil damals 20 Mann das
Geißbockheim in Köln gestürmt hatten. Da sind wir gerade von der ersten
Bundesliga wieder abgestiegen und da wollten mehrere Hooligans
randalieren. Da kam gleich der Sicherheitsdienst und regelte das Ganze.
Bei einigen Fans sitzt der Frust so tief und sie sind so verbunden mit
dem Verein, dass die Spieler angreifen, die mit der Entwicklung des
Vereins in den letzten 10-20 Jahren nichts zu tun hatten. Diese Spieler
werden für die Misswirtschaft eines ganzen Vereins verantwortlich
gemacht.
Jawattdenn.de:
Umgekehrt ist es aber so, dass die Fans besonders hier an
der Hafenstraße viel ertragen müssen. Es ist oft schwer, den Frust
richtig zu kanalisieren wenn ein Tor zum wiederholten Male in der
Nachspielzeit fällt.
Markus Kurth:
So eine Situation habe ich einmal in Nürnberg erlebt, wo
wir mit einer sehr guten Mannschaft in die Regionalliga abgestiegen
sind. Danach haben wir ja direkt den Durchmarsch in die erste Liga
geschafft. Das Jahr in der Regionalliga war trotzdem eines der Schönsten
in meiner Karriere. Wir haben damals eine solche Verbindung mit den
Fans aufgebaut weil wir bei Vereinen gespielt haben, die kein Mensch
kannte. Da konnte man sich mit den Zuschauern nach dem Spiel unterhalten
und wir haben gemerkt, wie sehr diese Fans hinter dem Verein stehen und
alles geben. Ich bin davon überzeugt, wenn die jungen Spieler über fünf
oder sechs Jahre an den Verein gebunden werden können wird es auch
wieder mit der Zuschauerzahl nach oben gehen. Aber wenn regelmäßig 12-14
Spieler den Verein verlassen und ständig die Führung oder der Trainer
wechselt wird es dauern bis Du da unten raus kommst. Da muss dran
gearbeitet werden.
Jawattdenn.de:
Du hast es ja schon kurz angesprochen, die Unterstützung
durch die Fans ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich
besser geworden. Selbst nach dem schlechten Spiel gegen Worms gab es
verhaltenden Beifall ohne viele böse Worte. Ist das nicht ungewohnt,
nachdem man in den vergangenen Jahren auch ein eher raues Klima von den
Rängen an der Hafenstraße spürte?
Markus Kurth:
Mittlerweile sieht man immer nur dieselben Gesichter, es
ist ein harter Kern geworden. Ich finde das schön zu sehen, dass die
immer da sind. Das gibt der Mannschaft auch ein Gefühl von Sicherheit.
Das hat leider auch noch nicht jeder so begriffen. Die stehen immer zu
ihrem Verein, so einen harten Kern hat fast jeder Klub. Mit Duisburg und
Köln kann man das weniger vergleichen, aber auch dort gibt es sowas
ähnliches. In Duisburg waren auch viele Zuschauer frustriert, weil der
Anspruch höher zu spielen immer da ist. Dann bleibt auch nur dieser
harte Kern, wo später auch mit Hilfe des Stadionbaus etwas Größeres
entstanden ist. Wenn diese 5000 oder 6000 Fans gehalten werden können
und dazu eine richtige Mannschaft geformt wird, bin ich auch hier guter
Dinge. Die Fans schlagen nach meiner Meinung auch den richtigen Weg ein.
Es hilft ja auch alles nichts, man ist ja schon ganz unten und tiefer
wird man kaum noch sinken. Wir kommen gerade langsam aus diesem Tief
heraus und man kann nur hoffen dass es so weiter geht. Und dies kann nur
mit den Fans zusammen geschehen, meiner Meinung nach wird in dieser
Hinsicht viel zu wenig zwischen Fans und Spielern gemacht.
Ich habe
diese strikte Trennung zwischen Fans und Spielern nie gemocht. Wir
standen ja auch einmal auf der anderen Seite, wir waren ja auch einmal
Fans. Wir haben irgendwann nur den Sprung auf die andere Seite geschafft
und sind Spieler geworden. Es heißt ja nicht, dass wir uns menschlich
unterscheiden, egal ob Fans oder Spieler. Wenn man z. B. mal mit den
Fans einen trinken geht heißt es oft: „Wie, der trinkt auch Bier?“ Warum sollten das die Fans nur so machen? Dieses Vertrauen sollte
zwischen Fans und Spielern aufgebaut werden. Sie müssen sehen, dass Du
alles für den Verein gibst aber auch mal Fünfe gerade sein lassen
kannst. Wir sind ja alle nur Menschen.
Jawattdenn.de:
Wird man von den Zuschauern auf den Rängen während des
Spiels eigentlich beeinflusst?
Markus Kurth:
Für mich ist das ein riesiger Unterschied. Überhaupt
spiele ich lieber vor einem großen Publikum, egal ob die pfeifen und
Dich beschimpfen oder ob die Dich anfeuern. Natürlich ist es am
Schönsten, wenn die eigenen Fans einen nach vorne puschen. Wenn Du so
ein Spiel hast wie bei den Amateuren von Bayer 04 Leverkusen vor 150
Zuschauern, das tut einem richtig in der Seele weh, wenn Rot-Weiss Essen
vor so wenig Fans spielt. Zum Glück kommen von uns einige mit, in Köln
waren es ja beispielsweise ca. 800 oder 850 von insgesamt 950
Zuschauern, die aus Essen kamen. Dies ist natürlich etwas Schönes,
generell nur ein bisschen wenig auf die Dauer. Da muss mehr passieren,
jeder Spieler sollte den Anspruch haben wie z. B. in Dortmund vor 80.000
Zuschauern zu spielen.
Wenn Du auf diese Wand im Stehbereich dort
schaust, das ist doch das Größte überhaupt! Darauf sollte man sich doch
freuen, hier ist es alleine schön wenn Du ein volles Haus hast. Diese
Atmosphäre ist einmalig. Es gibt einige Stadion wo Du als Spieler auch
immer hin willst. Da könnten auch unsere Jungs hin kommen, aber sie
müssen sich weiter entwickeln und sich sicher fühlen innerhalb der
Mannschaft. Ihr seht, wir kommen immer wieder auf das gleiche Thema
zurück. Die Jungs müssen einfach gehalten werden, nur das bringt den
Verein weiter. Wenn Du hier mal ein neues Stadion hast wird auch hier
der Baum brennen. Das würde einige Leute wieder mobilisieren an die
Hafenstraße zu kommen. Obwohl ich immer sagen muss, es ist mir lieber,
wenn 15.000 Leute kommen die wirklich hinter ihrem Verein stehen als
wenn 10.000 Zuschauer mehr kommen von denen 5.000 schon nach 10 Minuten
anfangen zu pfeifen. Das habe ich in Duisburg schon erlebt. Zunächst war
da nur der harte Kern, aber als wir plötzlich in der ersten Liga waren
kamen 10.000 Zuschauer mehr die nichts Besseres zu tun hatten als nach
kurzer Zeit anfangen zu beschweren.
Jawattdenn.de:
In Duisburg fällt es schon extrem auf, dass in der ersten
Liga das Stadion voll ist und selbst bei Spitzenspielen in der zweiten
Liga oft viele Plätze leer bleiben.
Markus Kurth:
Es sind ja in der zweiten Liga im Schnitt nur 15.000
Zuschauer da, auch wenn dort 32.000 Leute hineinpassen. Das ist wirklich
schade. Deshalb sage ich, lieber hast Du diese 15.000 Fans die hinter
Dir stehen als wenn Du vor 25.000 Zuschauer spielst von denen 10.000 nur
kommen weil Du gerade in der ersten Liga spielst. Die müssen schon mit
dem Herzen voll dabei sein. Du hast immer Leute dabei, die nicht gerade
RWE-Fans sind sondern einfach nur ein Spiel gucken wollen und die
Atmosphäre erleben wollen. Notwendig ist es aber, den Leuten bei einem
vollen Stadion was bieten zu können. Das kannst Du leider derzeit hier
nicht. Du siehst weder tollen Fußball noch hast Du sonstigen Luxus auf
den Rängen.
Jawattdenn.de:
Ursprünglich kamst Du als gelernter Stürmer an die
Hafenstraße. Irgendwann bist Du vom rechten bzw. linken Mittelfeld im
defensiven Mittelfeld, der so genannten Sechser-Position, gelandet. Wie
kam es dazu?
Markus Kurth:
Wir hatten ja mit Sascha Mölders einen Stürmer, der vorne
auch alleine seine Tore gemacht hat. Irgendwann haben wir gemerkt, dass
der Mannschaft im Mittelfeld ein wenig Stabilität fehlt und ich gesagt
habe, dass ich es einfach mal dort probiere. Seitdem spiele ich da, und
es gibt der gesamten Mannschaft eine gewisse Sicherheit da ich im
Mittelfeld immer präsent bin. Die Bilanz ist insgesamt doch recht
positiv wenn ich zusammen mit jemand anderem auf der Sechs gespielt
habe. Deswegen haben wir das auch beibehalten. Aber da sind wir auch
wieder bei demselben Thema. Ich wünschte mir oft, dass einer mal
vorbeirauscht und ein junger Spieler mal sagt: „Mein Gott, warum spielt
der alte Sack noch auf diese Position, ich will dort spielen!“ Aber kein
Trainer setzt einen schlechteren Spieler auf der zu besetzenden
Position und setzt ihn auf die Bank. Deshalb spiele ich noch da. Der
Timo Brauer ist auf dem besten Wege, aber den brauchen wir zurzeit im
rechten Mittelfeld.
Jawattdenn.de:
Dies war ja schon in dieser Saison der Fall, und die
Aufgabe hat er auch im defensiven Mittelfeld gut gelöst.
Markus Kurth:
Aber dann haben wir wieder ein Problem im rechten
Mittelfeld. Solange wir auch diese Position nicht optimal besetzt haben
kriegen wir immer wieder Probleme.
Jawattdenn.de:
Es sieht auf den Rängen dann auch oft so aus, als ob das
Spiel nach Deiner Einwechselung in der zweiten Halbzeit mehr Dynamik
kriegt.
Markus Kurth:
Die Jungs fühlen sich einfach sicherer wenn ich auf dem
Platz bin. Ich weiß auch nicht warum das so ist, ob dann einfach mehr
Kommandos auf dem Feld gegeben werden oder meine Erfahrung den Ausschlag
gibt.
Jawattdenn.de:
Du blickst auf eine lange Karriere zurück. 1. FC
Nürnberg, MSV Duisburg, 1. FC Köln, Bayer Leverkusen – Das sind ja
wirklich alles namhafte Vereine. Welche Zeit war denn eigentlich am
Schönsten?
Markus Kurth:
Emotional waren auf jeden Fall die ersten zwei Jahre in
Köln. Fußballerisch hatte ich dort auch meine erfolgreichste Zeit. Wir
sind in die erste Liga aufgestiegen und im ersten Jahr dort gleich
Neunter geworden. Zudem war ich in dieser Zeit immer Stammspieler. In
Duisburg war es rundum gut. Wir hatten ein super Verhältnis zu den Fans
und ich habe dort viel aufgebaut. Ich kenne immer noch viele Leute da.
Das war echt eine schöne Zeit. Und natürlich das angesprochene
Regionalligajahr in Nürnberg. Vor allem war es dann schön, wenn es eine
enge Verbindung zwischen Fans und Spieler gab. Wir waren ein Team, und
das macht dann einfach Spaß. Du gehst mit Freude zum Training und hast
auch noch Erfolg dabei, zudem kannst Du Dich dort mit jedem unterhalten.
Es war wirklich eine Harmonie zwischen allen und es lief alles Hand in
Hand.
Dieses Gefühl hatte ich bislang hier leider noch nicht. Ich hoffe
aber, dass es bald soweit ist. Ich möchte den Verein ungerne verlassen.
Der Verein steht schlechter da als vor meiner Ankunft, und bislang stand
jeder Verein besser da wenn ich dort aufgehört habe als vor dem Start
meines Engagements. Dies möchte ich auch in Essen schaffen, das ist mein
großer Antrieb. Das wäre echt ein Traum. Ich bin nicht umsonst zu einem
Traditionsverein gekommen. Ich hatte wirklich vor meinem Wechsel nach
Essen zwei oder drei gute Vereine, die mir mehr Geld geboten hatten aber
nicht viel mit Tradition zu tun hatten. Da musste ich nicht zweimal
überlegen, besonders wenn man sich anschaut in welchen Vereinen ich
vorher gespielt habe. Da fügt sich Essen nahtlos ein, auch wenn wir
aktuell in der vierten Liga spielen. Das eine hat mit dem anderen nichts
zu tun. Ich sage immer, Erfolg ist nicht da wo oben ist.
Jawattdenn.de:
Welche RWE-Momente bleiben Dir in besonders guter, aber
auch in besonders schlechter Erinnerung?
Markus Kurth:
In guter Erinnerung habe ich den Sieg gegen Fortuna
Düsseldorf im Endspiel um den Verbandspokal in Duisburg. Dann ist da
noch das Spiel in der dritten Liga gegen Wuppertal, wo Sören Brandy das
1:0 geschossen hat. Das war ein schönes Erlebnis, genauso wie das Spiel
in Magdeburg. Das war ein ganz wichtiges Spiel für uns und ich konnte
noch das 0:1 erzielen. Da dachten wir ja noch, es würde zum
Klassenerhalt reichen. Dann war da noch das DFB-Pokalspiel gegen
Borussia Dortmund, das Spiel gegen den Hamburger SV durfte ich ja nicht
mitmachen. Der Pokalsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern war auch toll.
Es gab so einige Spiele wo man sagen konnte, dass man noch auf einem
Level mit Erst- oder Zweitligamannschaften war. In schlechter Erinnerung
ist natürlich das Spiel gegen den VFB Lübeck. Ich weiß nicht, ob ich
jemals so ein schlechtes Spiel in meiner Karriere erlebt habe. So eine
Erfahrung habe ich nie in meiner Laufbahn bislang gemacht. Nach so einer
tollen Aufholjagd gibt man so ein Spiel noch unter mysteriösen
Umständen ab. Das war mit Abstand das schlechteste Erlebnis bei RWE,
ansonsten wüsste ich nicht welches Spiel ähnlich schlimm gewesen wäre.
Aber da kann man noch das Verbandspokalfinale gegen Speldorf im letzten
Jahr dazu nehmen. Das war ganz besonders ärgerlich, vor allem wenn man
sieht welche Lose im DFB-Pokal gezogen wurden. In der ersten Runde
wartete RW Oberhausen, in der zweiten Runde möglicherweise Bayern
München. Auch in dieser Saison hatten wir einige Spiele wo wir entweder
beschissen worden sind oder unglücklich Tore kassiert haben. Die bleiben
jetzt nicht unbedingt in Erinnerung, aber sie bleiben irgendwo im
Hinterstübchen drin. Es hätte eigentlich in dieser Saison anders laufen
müssen.
Jawattdenn.de:
Da fällt einem spontan das Spiel gegen Leverkusen II in
Köln ein, wo der Schiedsrichter ein klares Tor aufgrund einer
angeblichen Abseitsstellung nicht gegeben hat.
Markus Kurth:
Diese Szene habe ich mir oft auf youtube angesehen. Das
war einfach unglaublich. Der Linienrichter hat erst die Fahne gehoben
als wir den Ball rein geschossen haben. Dem Dirk Heinzmann springt der
Ball zwar vorher an die Hand, aber da hat er noch nicht einmal eine
Reaktion darauf gezeigt. Und dann schießt er den Ball rein und der
Schiedsrichter entscheidet auf Abseits. Aber vielleicht erleben wir hier
noch einmal schöne Sachen (lacht). Aber wenn man darüber nachdenkt,
dass wir sechs oder sieben Punkte mehr haben könnten, da wären wir oben
dran. Aber das ist leider vorbei.
Jawattdenn.de:
Ein Ziel in dieser Saison ist mit Sicherheit das
Erreichen der ersten DFB-Pokalhauptrunde.
Markus Kurth:
Natürlich, aber gegen Wuppertal wird es nicht einfach. Da
müssen wir mental frisch sein. Das ist das wichtigste Spiel noch in
dieser Saison.
Jawattdenn.de:
Wobei es ja in Wuppertal auch noch um den Klassenerhalt
in der dritten Liga geht und vielleicht dort eher da das Augenmerk drauf
gelegt wird.
Markus Kurth:
Das ist korrekt. Schon von Beginn an müssen wir den
Wuppertalern richtig weh tun. Damit haben wir auch so unsere Probleme.
Von oben sieht das ja bestimmt nicht nach Männerfußball aus. Wenn wir
foulen tun wir ja keinem richtig weh. Meistens tun wir uns selber weh
dabei und keiner von den anderen bleibt liegen.
Jawattdenn.de:
Traditionell fragen wir am Ende eines Interviews nach der
Meinung zum Stadionneubau. Wie sieht Dein Gefühl in dieser Hinsicht
aus? Wird es in absehbarer Zeit ein neues Stadion in Essen geben?
Markus Kurth:
Wir sagen unter uns Spielern, dass wir bis 2063 ein
Stadion haben, wenn jedes Jahr zwei Bagger vorbeikommen wird das schon
was (lacht). Es ist dringend notwendig, ob es jetzt kommt oder nicht
kann ja wirklich keiner sagen. Wenn Du Erfolg haben willst im Verein und
in der Stadt ist der Neubau unabdingbar. So ein Stadion wird sich
meiner Meinung nach immer refinanzieren. Es wird auch wieder Geld
hineinkommen, aber dafür muss man auch bereit sein zu Beginn ein Risiko
einzugehen. Es hat sich bislang bei jedem Verein bewährt, der ein neues
Stadion gebaut hat. Ich wüsste jetzt keinen Verein, der eine riesige
Schuldenlast nach dem Stadionneubau mit sich rumträgt. Ich kann nur
hoffen, dass sich da die richtigen Leute zusammen tun und das in Angriff
nehmen.
Jawattdenn.de:
Ganz herzlichen Dank für dieses ausführliche Interview!
Das Interview führten Hendrik Stürznickel und Pascal Druschke