"Helden von einst" Teil III

veröffentlicht am 20.03.2006 um 19:38 Uhr

447 Bundesligaspiele, 213 Tore. Diese Zahlen sprechen schon fast für sich. Der Mann war einfach erfolgreich: Manni Burgsmüller. Jawattdenn.de sprach mit dem 56-Jährigen über "vertätschelte" Jungprofis und seine Aufgabe beim SSV Hacheney.


Manfred BurgsmüllerJawattdenn.de:
Guten Tag Herr Burgsmüller, wie sind sie damals zu Rot-Weiss Essen gekommen?

Manfred Burgsmüller:
Ich bin von Rellinghausen als A-Jugendspieler zu RWE gewechselt. Habe dort ein knappes Jahr gespielt und dann als Achtzehnjähriger einen Profivertrag unterzeichnet. Ich hatte wohl als A-Jugendlicher vorher schon mal ab und an mit der ersten Mannschaft mittrainiert, kam aber noch nicht zu Einsätzen im Team. Das ist alles schon sehr lange her …


Jawattdenn.de:
Erinnern sie sich an Besonderheiten aus den Anfangsjahren ihrer Profikarriere bei RWE?

Manfred Burgsmüller:
Die Jahre in Essen waren meine Lehrzeit als Profi. Es herrschten damals ganz andere Zustände. Spieler, die zwei, drei halbwegs vernünftige Bundesligaspiele hinter sich gebracht haben, gelten heute als Helden. Damals konnte man froh sein, wenn man nach etlichen anstrengenden Spielen auf die Massagebank durfte. Das musste man sich erst verdienen. Die Jungs werden heutzutage durch die Medien viel zu schnell in den Himmel gelobt. Mir fällt da ein klassisches Zitat von Otto Rehhagel ein, der sagte, ein guter Bundesligaspieler ist erst dann ein guter Bundesligaspieler, wenn er von 34 Spielen in einer Saison mindestens 25 absolviert hat und von diesen 25 Spielen dann in mindestens 20 Spielen glänzte.


Jawattdenn.de:
Das heißt, die heutigen Spieler werden von den Medien viel zu sehr hochgepuscht?

Manfred Burgsmüller:
Ja, das ist so. Auf der anderen Seite kann man es den Medienvertretern nicht wirklich übel nehmen. Das ist schließlich deren Geschäft. Die wollen daran verdienen, und die Fernsehanstalten haben ja auch ordentlich für die Rechte hingeblättert. Die fragen sich aber bestimmt nicht, ob sie einem jungen Spieler mit ihrer Berichterstattung schaden oder helfen. Wie viele Spieler sind in den letzten Jahren nach einem anfänglichen Boom wieder in der Versenkung verschwunden? Hier müssten die Vereine gerade jungen Spielern zur Seite stehen und erkennen, welcher Spieler welchem Druck gewachsen ist. Die Jungs werden durch das öffentliche Interesse viel zu sehr vertätschelt.


Manfred BurgsmüllerJawattdenn.de:
Vertätscheln, was meinen sie damit? Dass die Spieler heutzutage nicht mal mehr ihre Schuhe selber putzen müssen?

Manfred Burgsmüller:
Also, ich habe meine Schuhe selber geputzt. Und nicht nur das. Ich habe auch Koffer getragen. Selbst als Nationalspieler. Die Jungens von heute müssen doch so gut wie nichts mehr selber machen, die bekommen von jedem aus dem Verein ihre Streicheleinheiten. Glauben Sie, dass irgendeiner von den Spielern weiß, wie man beim Straßenverkehrsamt sein Auto anmelden muss? Die bekommen den Rücken total freigehalten, um sich vollends auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Fußball. Das mag auf der einen Seite vielleicht ganz gut sein, trotzdem sieht man oft genug, dass dies nicht hundertprozentig bei allen der Fall ist. Denn wo ist sie, unsere Flut an Talenten, die so viele gerne sehen wollen?


Jawattdenn.de:
Haben wir keinen ordentlichen Nachwuchs in Deutschland?

Manfred Burgsmüller:
In den Startaufstellungen der Bundesligamannschaften kann man die deutschen Spieler doch wie die Nadel im Heuhafen suchen. Wo sind die angeblichen Talente?


Jawattdenn.de:
Dann ist der deutsche Fußball, angefangen von der Nachwuchsarbeit bis hin zur Nationalmannschaft, also Mist? War das früher anders?

Manfred Burgsmüller:
Der deutsche Fußball mag in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht nicht schlechter geworden sein. Aber besser auch nicht.


Jawattdenn.de:
Vielleicht sind die Anderen besser geworden …

Manfred Burgsmüller:
Natürlich, alle anderen haben aufgeholt. Vor 20 Jahren wusste man hierzulande doch gar nicht, wie die Nationalmannschaft von Nigeria spielt. Das ist mal ein positiver Aspekt, den die erhöhte Medienpräsenz der Ware Fußball einbrachte. Heute wissen wir, wie die spielen und umgekehrt. Durch die ganze Globalisierung kommt man plötzlich auch an solche Informationen. Früher hatte man mit viel Glück drei verstaubte Fotos aus Nigeria. Heute hat man Videoaufzeichnungen zur Hand. Diesen Verbesserungen in der Technologie kann sich ein jeder bedienen. Dadurch ist der Fußballsport gläserner geworden und die vermeintlich Kleineren konnten enorm zulegen und aufholen.


Jawattdenn.de:
Das beantwortet aber nicht die Frage nach der Qualität des Fußballs im Vergleich zu früher. Netzer und Overath galten als absolute Götter. Glauben Sie, dass solche Spieler in der heutigen Zeit im Haifischbecken Profifußball überleben könnten?

Manfred BurgsmüllerManfred Burgsmüller:
Nein, ich glaube nicht. Der Fußball ist zu modern geworden. Selbst ich, der noch die Anfänge der Viererketten und des Pressings als Aktiver miterlebte, hätte heute sicherlich keine Chance mehr. Netzer oder Overath standen ungedeckt irgendwo im Mittelfeld und konnten seelenruhig überlegen, zu wem sie denn einen genialen Pass spielen können. Bekommt heute einer im Mittelfeld den Ball, wird er sofort von zwei, drei Leuten attackiert. Da spielt die ganze Mannschaft gegen den Ball und nicht gegen einzelne Gegner. So was gab es früher nicht. Und wenn Netzer oder Overath was anderes behaupteten, dann müsste ich sagen, sie sehen die Sache falsch. Heutzutage muss man perfekt am Ball, enorm zweikampfstark sein, dazu schnell und im Idealfall dann noch taktisch gut geschult. Das sind zwar Attribute, die man damals schon von den Spielern verlangte, aber dies war nicht bei jedem Einzelnen so ausgeprägt.


Jawattdenn.de:
Dann waren Netzer und Overath gar nicht solche Individualisten, wie man es der Masse heutzutage gerne verkauft? Wie oft hört und liest man, die beiden seien Genies gewesen …

Manfred Burgsmüller:
Für ihre Zeit waren sie sicherlich einmalig. Aber sie würden heute keine Chance haben.


Jawattdenn.de:
Ein Spieler wie Ballack, der all die von Ihnen aufgezählten Werte vereint, hätte demnach in den siebziger Jahren den Status eines Überfußballers gehabt …

Manfred Burgsmüller:
Was heißt Überfußballer? Natürlich wäre er riesig gewesen. Aber hier kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Auf welcher Position spielt er denn …


Jawattdenn.de:
Eine Mischung aus kopfballstarkem Spielmacher und Staubsauger vor der Abwehr.

Manfred Burgsmüller:
Ja, genau, der ist torgefährlich, der macht streckenweise das Spiel und ist überall auf dem Platz. Genau die Position habe ich früher auch gespielt. Allerdings fehlte den Trainern damals die Weitsicht, so etwas zu erkennen, weil es diese Position im taktischen System gar nicht gab, einen Spieler, der hinter den Spitzen agierte. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich nur drei Mal in die Nationalmannschaft berufen wurde. Schön und Derwall haben nicht die taktische Möglichkeit gesehen, die ich hätte spielen können. Ich wurde doch nur zur Nationalmannschaft eingeladen, weil ich bei Borussia Dortmund die meisten Tore erzielt hatte.


Jawattdenn.de:
Glauben Sie nicht, dass sie dem Derwall als damals über Dreißigjähriger schlichtweg zu alt waren? Schließlich wollte er nach der verkorksten WM 1978 einen kompletten Neuanfang mit der Nationalmannschaft wagen.

Manfred Burgsmüller:
Manfred BurgsmüllerMein Alter war bei meinen letzten Stationen immer ein Thema. Otto Rehhagel wurde müde belächelt, als er mich mit 35 noch nach Bremen lockte. Der sah mich spielen und sagte: „Den will ich haben, der ist topfit!“ Und zur Krönung wurde ich dann im hohen Fußballer-Alter endlich Meister! Hätte ich vorher aufgehört, wüsste ich gar nicht, wie das ist. Vielleicht war diese kleine Geschichte eine Art Vorreiterrolle, dass heutzutage die Spieler immer länger am Ball bleiben und jetzt meist bis Mitte 30 spielen. Mit der Erfahrung kann ich sagen: wenn man sich einigermaßen profihaft verhält, dann funktioniert das auch. Wichtig ist aber, dass man von Verletzungen verschont bleibt.


Jawattdenn.de:
Sind sie also mit 35 nicht mehr mit den jungen Spielern um die Häuser gezogen?

Manfred Burgsmüller:
Neee. (lacht) Das haben wir alles früher gemacht. Irgendwann ist auch Schluss, dann wird man automatisch viel ruhiger.



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