"Helden von einst" Teil III
447 Bundesligaspiele, 213 Tore. Diese Zahlen sprechen schon fast für sich. Der Mann war einfach erfolgreich: Manni Burgsmüller. Jawattdenn.de sprach mit dem 56-Jährigen über "vertätschelte" Jungprofis und seine Aufgabe beim SSV Hacheney.
Jawattdenn.de:
Guten Tag Herr Burgsmüller, wie sind sie damals
zu Rot-Weiss Essen gekommen?
Manfred Burgsmüller:
Ich bin von Rellinghausen als A-Jugendspieler zu RWE
gewechselt. Habe dort ein knappes Jahr gespielt und
dann als Achtzehnjähriger einen Profivertrag
unterzeichnet. Ich hatte wohl als A-Jugendlicher vorher
schon mal ab und an mit der ersten Mannschaft mittrainiert,
kam aber noch nicht zu Einsätzen im Team. Das
ist alles schon sehr lange her …
Jawattdenn.de:
Erinnern
sie sich an Besonderheiten aus den Anfangsjahren ihrer
Profikarriere bei RWE?
Manfred Burgsmüller:
Die Jahre in Essen waren meine Lehrzeit als Profi.
Es herrschten damals ganz andere Zustände. Spieler,
die zwei, drei halbwegs vernünftige Bundesligaspiele
hinter sich gebracht haben, gelten heute als Helden.
Damals konnte man froh sein, wenn man nach etlichen
anstrengenden Spielen auf die Massagebank durfte.
Das musste man sich erst verdienen. Die Jungs werden
heutzutage durch die Medien viel zu schnell in den
Himmel gelobt. Mir fällt da ein klassisches Zitat
von Otto Rehhagel ein, der sagte, ein guter Bundesligaspieler
ist erst dann ein guter Bundesligaspieler, wenn er
von 34 Spielen in einer Saison mindestens 25 absolviert
hat und von diesen 25 Spielen dann in mindestens 20
Spielen glänzte.
Jawattdenn.de:
Das heißt, die heutigen Spieler werden von den
Medien viel zu sehr hochgepuscht?
Manfred Burgsmüller:
Ja, das ist so. Auf der anderen Seite kann man es
den Medienvertretern nicht wirklich übel nehmen.
Das ist schließlich deren Geschäft. Die
wollen daran verdienen, und die Fernsehanstalten haben
ja auch ordentlich für die Rechte hingeblättert.
Die fragen sich aber bestimmt nicht, ob sie einem
jungen Spieler mit ihrer Berichterstattung schaden
oder helfen. Wie viele Spieler sind in den letzten
Jahren nach einem anfänglichen Boom wieder in
der Versenkung verschwunden? Hier müssten die
Vereine gerade jungen Spielern zur Seite stehen und
erkennen, welcher Spieler welchem Druck gewachsen
ist. Die Jungs werden durch das öffentliche Interesse
viel zu sehr vertätschelt.
Jawattdenn.de:
Vertätscheln, was meinen sie damit? Dass die
Spieler heutzutage nicht mal mehr ihre Schuhe selber
putzen müssen?
Manfred Burgsmüller:
Also, ich habe meine Schuhe selber geputzt. Und nicht
nur das. Ich habe auch Koffer getragen. Selbst als
Nationalspieler. Die Jungens von heute müssen
doch so gut wie nichts mehr selber machen, die bekommen
von jedem aus dem Verein ihre Streicheleinheiten.
Glauben Sie, dass irgendeiner von den Spielern weiß,
wie man beim Straßenverkehrsamt sein Auto anmelden
muss? Die bekommen den Rücken total freigehalten,
um sich vollends auf das Wesentliche zu konzentrieren:
den Fußball. Das mag auf der einen Seite vielleicht
ganz gut sein, trotzdem sieht man oft genug, dass
dies nicht hundertprozentig bei allen der Fall ist.
Denn wo ist sie, unsere Flut an Talenten, die so viele
gerne sehen wollen?
Jawattdenn.de:
Haben wir keinen ordentlichen Nachwuchs in Deutschland?
Manfred Burgsmüller:
In den Startaufstellungen der Bundesligamannschaften
kann man die deutschen Spieler doch wie die Nadel
im Heuhafen suchen. Wo sind die angeblichen Talente?
Jawattdenn.de:
Dann ist der deutsche Fußball, angefangen von
der Nachwuchsarbeit bis hin zur Nationalmannschaft,
also Mist? War das früher anders?
Manfred Burgsmüller:
Der deutsche Fußball mag in den vergangenen
Jahrzehnten vielleicht nicht schlechter geworden sein.
Aber besser auch nicht.
Jawattdenn.de:
Vielleicht sind die Anderen besser geworden …
Manfred Burgsmüller:
Natürlich,
alle anderen haben aufgeholt. Vor 20 Jahren wusste
man hierzulande doch gar nicht, wie die Nationalmannschaft
von Nigeria spielt. Das ist mal ein positiver Aspekt,
den die erhöhte Medienpräsenz der Ware Fußball
einbrachte. Heute wissen wir, wie die spielen und
umgekehrt. Durch die ganze Globalisierung kommt man
plötzlich auch an solche Informationen. Früher
hatte man mit viel Glück drei verstaubte Fotos
aus Nigeria. Heute hat man Videoaufzeichnungen zur
Hand. Diesen Verbesserungen in der Technologie kann
sich ein jeder bedienen. Dadurch ist der Fußballsport
gläserner geworden und die vermeintlich Kleineren
konnten enorm zulegen und aufholen.
Jawattdenn.de:
Das beantwortet aber nicht die Frage nach der Qualität
des Fußballs im Vergleich zu früher. Netzer
und Overath galten als absolute Götter. Glauben
Sie, dass solche Spieler in der heutigen Zeit im Haifischbecken
Profifußball überleben könnten?
Manfred Burgsmüller:
Nein, ich glaube nicht. Der Fußball ist zu modern
geworden. Selbst ich, der noch die Anfänge der
Viererketten und des Pressings als Aktiver miterlebte,
hätte heute sicherlich keine Chance mehr. Netzer
oder Overath standen ungedeckt irgendwo im Mittelfeld
und konnten seelenruhig überlegen, zu wem sie
denn einen genialen Pass spielen können. Bekommt
heute einer im Mittelfeld den Ball, wird er sofort
von zwei, drei Leuten attackiert. Da spielt die ganze
Mannschaft gegen den Ball und nicht gegen einzelne
Gegner. So was gab es früher nicht. Und wenn
Netzer oder Overath was anderes behaupteten, dann
müsste ich sagen, sie sehen die Sache falsch.
Heutzutage muss man perfekt am Ball, enorm zweikampfstark
sein, dazu schnell und im Idealfall dann noch taktisch
gut geschult. Das sind zwar Attribute, die man damals
schon von den Spielern verlangte, aber dies war nicht
bei jedem Einzelnen so ausgeprägt.
Jawattdenn.de:
Dann waren Netzer und Overath gar nicht solche Individualisten,
wie man es der Masse heutzutage gerne verkauft? Wie
oft hört und liest man, die beiden seien Genies
gewesen …
Manfred Burgsmüller:
Für ihre Zeit waren sie sicherlich einmalig.
Aber sie würden heute keine Chance haben.
Jawattdenn.de:
Ein Spieler wie Ballack, der all die von Ihnen aufgezählten
Werte vereint, hätte demnach in den siebziger
Jahren den Status eines Überfußballers
gehabt …
Manfred Burgsmüller:
Was heißt Überfußballer? Natürlich
wäre er riesig gewesen. Aber hier kommt noch
ein weiterer Punkt hinzu. Auf welcher Position spielt
er denn …
Jawattdenn.de:
Eine Mischung aus kopfballstarkem Spielmacher und
Staubsauger vor der Abwehr.
Manfred Burgsmüller:
Ja, genau, der ist torgefährlich, der macht streckenweise
das Spiel und ist überall auf dem Platz. Genau
die Position habe ich früher auch gespielt. Allerdings
fehlte den Trainern damals die Weitsicht, so etwas
zu erkennen, weil es diese Position im taktischen
System gar nicht gab, einen Spieler, der hinter den
Spitzen agierte. Vielleicht ist das auch einer der
Gründe, warum ich nur drei Mal in die Nationalmannschaft
berufen wurde. Schön und Derwall haben nicht
die taktische Möglichkeit gesehen, die ich hätte
spielen können. Ich wurde doch nur zur Nationalmannschaft
eingeladen, weil ich bei Borussia Dortmund die meisten
Tore erzielt hatte.
Jawattdenn.de:
Glauben Sie nicht, dass sie dem Derwall als damals
über Dreißigjähriger schlichtweg zu
alt waren? Schließlich wollte er nach der verkorksten
WM 1978 einen kompletten Neuanfang mit der Nationalmannschaft
wagen.
Manfred Burgsmüller:
Mein
Alter war bei meinen letzten Stationen immer ein Thema.
Otto Rehhagel wurde müde belächelt, als
er mich mit 35 noch nach Bremen lockte. Der sah mich
spielen und sagte: „Den will ich haben, der ist
topfit!“ Und zur Krönung wurde ich dann
im hohen Fußballer-Alter endlich Meister! Hätte
ich vorher aufgehört, wüsste ich gar nicht,
wie das ist. Vielleicht war diese kleine Geschichte
eine Art Vorreiterrolle, dass heutzutage die Spieler
immer länger am Ball bleiben und jetzt meist
bis Mitte 30 spielen. Mit der Erfahrung kann ich sagen:
wenn man sich einigermaßen profihaft verhält,
dann funktioniert das auch. Wichtig ist aber, dass
man von Verletzungen verschont bleibt.
Jawattdenn.de:
Sind sie also mit 35 nicht mehr mit den jungen Spielern
um die Häuser gezogen?
Manfred Burgsmüller:
Neee. (lacht) Das haben wir alles früher gemacht.
Irgendwann ist auch Schluss, dann wird man automatisch
viel ruhiger.
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