Interview mit Schiedsrichter Jürgen Jansen
Während RWE in den letzten Jahren irgendwo zwischen Zweiter Bundesliga und Oberliga anzutreffen war, repräsentierte Schiedsrichter Jürgen Jansen die Stadt Essen immerhin über ein Jahrzehnt in der Ersten Bundesliga. Vor kurzem stellte er sich den Fragen der Jawattdenn-Redakteure.
Jawattdenn.de
Da Sie die Altersgrenze für Schiedsrichter erreicht
haben, können Sie nicht mehr im Profibereich
pfeifen. Nehmen Sie noch Aufgaben im Schiedsrichterwesen
wahr?
Jürgen Jansen
Seit der letzten Saison bin ich in den Beobachterstab
des DFB berufen worden. Ein aktiver Schiedsrichter
wird zunächst in der Regionalliga, Oberliga oder
Jugend-Bundesliga beobachtet und gecoacht. Dies habe
ich im letzten Jahr getan. Mit der neuen Saison bin
ich in den Kreis der DFB-Coaches für die Profiligen
aufgerückt. Was mir persönlich sehr leid
tut ist, dass RWE abgestiegen ist. Ich bin Essener
und hege natürlich Sympathie und auch gute Kontakte
zum Verein. Nun muss man wieder neu planen. Von Heiko
Bonan halte ich persönlich viel. Ich denke, er
ist der richtige Trainer um den sofortigen Wiederaufstieg
zu realisieren. Rot-Weiss Essen gehört in die
Bundesliga!
Jawattdenn.de
Wie wird man denn eigentlich Schiedsrichter? Jeder
weiß doch, dass der Schiedsrichter immer der
Buhmann ist. Fans, Medien, Vereine, alle hauen drauf.
Wie kommt es, dass man da gerne Schiedsrichter werden
möchte?
Jürgen Jansen
Kaum jemand wird zunächst nur aus Freude an der
Sache Schiedsrichter. Meistens wird man im Verein
angesprochen. Ihr müsst euch das so vorstellen:
Jeder Schiedsrichter, der heute pfeift, ist irgendwann
einmal Fußballer in seinem Verein gewesen oder
hatte dort eine andere Funktion, wie Ausbilder, Trainer
oder Vorstand. Irgendwann wird man dann angesprochen.
Jeder Fußballverein muss ja auch eine gewisse
Zahl von Schiedsrichtern melden, damit er keine Verbandsstrafen
bezahlen muss und natürlich selbst Schiedsrichter
für eigene Spiele gestellt bekommt. Ich bin mit
fünfzehn Jahren zusammen mit Roland Mildorf (SR-Betreuer
bei Rot-Weiss Essen) angesprochen worden. Ich wollte
das damals einfach mal ausprobieren, denn es bot ja
auch einige Vorteile. So kam man mit dem "Sportgroschen"
zu Spielen der Bundesliga oder konnte sich eben auch
sein Taschengeld ein bisschen aufbessern. Dann kam
ich in diese Gemeinschaft. Schiedsrichter sind eine
sehr homogene Gruppe, da werden sehr viele Aktivitäten
mit den Kollegen gemacht und Fahrten organisiert.
Jeden Freitag findet zum Beispiel in der Sartoriusstraße
ein Treffen statt. Nach einer gewissen Zeit macht
das alles sehr viel Freude. Die Schiedsrichterei ist
nachher ein absolutes "Muss". Wenn du dann
am Sonntag kein Spiel pfeifst, dann fehlt dir etwas
am Wochenende. So wie der Spieler spielen will, so
braucht ebenso der Schiedsrichter es, ein Spiel zu
leiten. So habe ich damals angefangen und auch schon
ganz zu Beginn immer als Ziel gehabt, einmal die höchste
deutsche Klasse im Amateurbereich zu erreichen, die
Oberliga. Mit fünfundzwanzig hatte ich dieses
Ziel geschafft. Der Weg dahin ist sehr schwer, auch
bei Schiedsrichtern gibt es Auf- und Abstieg. Um im
Profibereich Fuß zu fassen braucht man neben
Fleiß und Durchhaltevermögen natürlich
auch Glück und den richtigen Menschen an seiner
Seite, der einen fordert und fördert. Es ist
also wie im ganzen Leben. Es gehört immer auch
viel Glück dazu. Ich würde das alles wieder
so machen. Es waren wunderbare Erlebnisse, die ich
hatte. Der Einstieg ist aber ganz banal, indem man
im Verein angesprochen wird.
Jawattdenn.de
Also überwiegen bei Schiedsrichtern schon die
positiven Eindrücke? Als Fan bekommt man ja oft
nur mit, dass Schiedsrichter beschimpft und beleidigt
werden.
Jürgen Jansen
Ihr müsst euch mal vorstellen wie es ist, wenn
man die höheren Ligen pfeift. Mein erstes Bundesligaspiel
war 1993 Werder Bremen gegen den VfB Leipzig. Du läufst
in so ein Stadion ein, in dem 30.000 Leute sind. Eins
meiner Spiele war das Derby Dortmund gegen Schalke,
wo Jens Lehman in der Nachspielzeit per Kopf den Ausgleich
zum 2:2 erzielte. Oder auch das Derby 1860 gegen Bayern
München, als Klinsmann drei Tore erzielte und
Bodden und Kahn von mir des Feldes verwiesen wurden.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass es eine wunderbare
Zeit mit tollen Erlebnissen war, die mir keiner nehmen
kann. Ich hab ja noch Leute gepfiffen wie Thomas Helmer,
Klaus Augenthaler, Fredi Bobic oder Lothar Matthäus
um nur einige zu nennen, die heute gar nicht mehr
aktiv sind. In meinen 13 Jahren war ich auch international
in ganz Europa als 4. Offizieller im Einsatz. Das
sind schon tolle Erlebnisse. Auch der vorhandene Kontakt
zu Fußballgrößen ist hier sicher
zu erwähnen. Franz Beckenbauer kam beispielsweise
vor den Spielen immer in die Kabine und hat die Schiedsrichter
begrüßt. Wenn man es nach oben schafft,
ist das schon toll. Es schaffen ja nur die Wenigsten.
Du hast von ca. 80.000 Schiedsrichtern in Deutschland
gerade einmal zweiundzwanzig, die in der Bundesliga
pfeifen.
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Als Schiedsrichter muss man auch Situationen pfeifen,
die man selbst nicht bestrafen möchte. Zum Beispiel
das Trikot ausziehen und "auf den Zaun klettern"
der Spieler nach dem Tor. Ärgert man sich hier
nicht als Schiedsrichter, so einem Spieler dann eine
Karte zeigen zu müssen?
Jürgen Jansen
Das International Board der Fifa macht die Fußballregeln
weltweit. Der Schiedsrichter bewertet das nicht, er
handelt danach. Die Regeln gelten für alle. Warum
machen die so etwas? Am Beispiel "Trikot ausziehen":
Hintergrund ist hier, dass es in arabischen und afrikanischen
Ländern gesellschaftlich nicht toleriert wird,
wenn ein Spieler sich das Trikot auszieht, sich also
entblößt, da sich auch Frauen im Stadion
befinden. Die Fifa als Weltorganisation muss auf solche
Probleme natürlich reagieren. Die Verwarnung
gegen einen Spieler, der auf den Zaun klettert hat
den Grund, dass man der Gewalt im Stadion entgegenwirken
möchte. Die Topligen haben hier eine Signalwirkung
für untere Klassen. Wenn ein Spieler auf den
Zaun klettern darf, tun das viele Fans eben auch.
Der Spieler hat hier einen Vorbildcharakter. Ich habe
schwierige Spiele geleitet, wie z. B. Energie Cottbus
gegen Hertha BSC Berlin, da waren hunderte Leute auf
den Zäunen und haben Raketen gezündet. Das
Spiel war mehrere Minuten unterbrochen und stand kurz
vor dem Abbruch. Ein weiteres Spiel, welches ich geleitet
habe war Hansa Rostock gegen den FC St. Pauli, wo
damals im Ostseestadion sowohl Spieler von St. Pauli
als auch mein Assistent Dirk Margenberg durch Tränengas
beeinträchtigt wurden. Ich habe das Spiel noch
zu Ende führen können, aber das war schon
eine problematische Situation. Sie sehen, die Maßnahmen
der Fifa haben immer auch einen Hintergrund. Wir Schiedsrichter
handeln dann danach. Beim Trikot ausziehen kann man
sicherlich geteilter Meinung sein, aber das Besteigen
des Zaunes halte ich für durchaus gelbwürdig.
Man kann sich ja auch auf dem Feld schön freuen,
ohne unbedingt Zäune zu erklimmen. Vereine und
Spieler wissen, dass es verboten ist.
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Gibt es Unterschiede, wie ein Schiedsrichter mit einem
Spieler spricht, also z.B. ob jung oder alt oder bei
Stars wie Matthäus?
Jürgen Jansen
Zunächst einmal begegnet man jedem Spieler gleich.
Man hat aber in jeder Mannschaft Führungsspieler
wie eben Matthäus, Eilts oder Klinsmann. Ein
guter Schiedsrichter erkennt die Führungsspieler
schnell. Ich habe als Schiedsrichter immer versucht,
ein Spiel zu lesen und bin deshalb auch ganz gut klar
gekommen. Ich habe die Führungsspieler rechtzeitig
auf bestimmte Situationen hingewiesen. In jeder Mannschaft
habe ich mir maximal zwei Gesprächspartner herausgesucht
und denen gesagt, wenn ein Mitspieler beispielsweise
kurz vor einem Feldverweis stand. Der Führungsspieler
geht dann zu seinem Mannschaftskameraden hin und sagt
"Hör mal, der Jansen hat gesagt…".
Das ist eine Taktik, die man sich selbst herausarbeitet.
Im Profifußball herscht schon eine harte Gangart
und auch eine harte Sprache. Da geht es zur Sache.
Es wird nicht beleidigt, aber es fallen von beiden
Seiten schon mal raue Worte. Es ist für einen
Schiedsrichter sehr wichtig, die richtigen Worte zur
rechten Zeit zu finden, sonst kommst du in die Situation,
nur mit Karten operieren zu können. Wenn ich
mit Spielern verbal einmal zu Recht komme, brauche
ich keine Karten mehr. Der Spieler weiß genau
was ich will. Das ist es, was die Besten von den anderen
guten Schiedsrichtern unterscheidet.
Jawattdenn.de
Bereitet sich ein Schiedsrichter speziell auf Partien
vor? Sucht sich der Schiedsrichter beispielsweise
Spieler heraus, die mehrfach eine Schwalbe begangen
haben?
Jürgen Jansen
Zunächst einmal müsst ihr davon ausgehen,
dass ein Schiedsrichter genauso Fußballfan ist,
wie jeder andere Zuschauer auch. Wir nehmen die Dinge
genauso wahr, weil wir uns ja sehr intensiv mit der
Materie beschäftigen. Von unseren Spielen bekommen
wir immer Videoaufzeichnungen und man schaut natürlich
auch die Sportsendungen. Außerdem erhalten Schiedsrichter
auch Zusammenstellungen bestimmter Szenen in einer
Saison. Jeder bemüht sich objektiv zu sein. Aber
natürlich spielt sich im Unterbewusstsein auch
bei Schiedsrichtern etwas ab. Wenn ein Spieler in
letzter Zeit aufgefallen ist, dann ist es sicher nicht
auszuschließen, dass man in einer Situation
unterbewusst reagiert. Aber gezielt gibt es so was
nicht. Es ist sehr wichtig, dass der Schiedsrichter
körperlich & mental topfit ist! Auf dem Platz
geht schließlich alles sehr schnell. Hier ist
eine professionelle Vorbereitung unabdingbar.
Jawattdenn.de
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Schiedsrichter
& Assistenten ab? Da verändert sich momentan
einiges.
Jürgen Jansen
Der Schiedsrichterassistent wird immer mehr bei der
Entscheidungsfindung hinzugezogen. Er hat viel mehr
Möglichkeiten, auch in die Spielsituationen einzugreifen.
Es gibt heutzutage keine Entscheidung mehr, die der
Schiedsrichterassistent nicht beeinflussen kann. Wir
haben beim letzten DFB-Pokalfinale eine solche Situation
gesehen. Da hat der Assistent dem Schiedsrichter die
Tätlichkeit eines Stuttgarter Spielers angezeigt
und dieser wurde dann korrekt vom Platz gestellt.
Das wurde von den Medien nachher kritisiert, da es
nur ein Versuch oder ein "Wischer" gewesen
sei. Das war aber eine klare Tätlichkeit. Es
ist dabei egal, ob der Spieler den Gegenspieler nun
richtig trifft oder dieser sich gerade noch abwenden
kann. Die Regeln sind da ganz eindeutig. Der Versuch
ist auch strafbar. Deshalb hat der Assistent auf die
Tätlichkeit hingewiesen. Die Assistenten werden
immer stärker eingebunden bei der Absprache und
der Vorbereitung. Die Schiedsrichter und ihre Assistenten
reisen vor jedem Bundesliga- oder Europapokalspiel
am Vortag an. Man ist hier fast immer mit den gleichen
Kollegen im Einsatz, die einen hohen Ausbildungsstand
und große Erfahrung mitbringen. Man bespricht
sich und entwickelt für die Spielleitung eine
Strategie. So weiß jeder die Handzeichen des
Anderen zu deuten. Funkkontakt und was da jetzt noch
so kommt sehe ich eher kritisch. Ich denke man sollte
es so lassen wie es ist. Sonst haben wir irgendwann
Situationen wie im American Football. Das mag ja sein,
dass es dort normal ist. Beim Fußball, denke
ich, gehört es dazu, dass ein Spieler aus zwei
Metern am leeren Tor vorbei schießt wie auch
dass der Schiedsrichter mal eine Fehlentscheidung
trifft. Wenn man da zu viel verändert, schadet
das meiner Meinung nach dem Fußball.
Jawattdenn.de
Wie ist denn der Einfluss der Fans von den Rängen
auf den Schiedsrichter? Schafft man es als Schiedsrichter,
das so auszublenden, dass man ungestört arbeiten
kann auf dem Rasen?
Jürgen Jansen
Du bekommst in so manchem Stadion einen Adrenalinstoß.
Ich nehme zum Beispiel Dortmund. Da kommst du auf
das Spielfeld und siehst nur noch diese Menschenwand
vor Dir. Im ersten Moment hast du da natürlich
auch schon einen erhöhten Blutdruck und Adrenalinausstoß.
Das ist ganz normal und gehört dazu. So ergeht
es den Sportlern und das muss ein Schiedsrichter genauso
erleben vor über 80.000 Zuschauern im Stadion.
Derbys wie Dortmund gegen Schalke, HSV gegen Bremen
oder 1860 gegen Bayern sind immer besonders brisant.
Du bist hochkonzentriert, pfeifst das Spiel an und
stellst erstmal fest, dass du deinen eigenen Pfiff
nicht hörst. Das bedeutet, dass man nach dem
Anpfiff die Umgebung nahezu komplett abschaltet. Natürlich
bekommt man noch mit, wenn Zuschauer pfeifen oder
den Schiedsrichter in irgendeiner Form negativ bekunden.
Das belastet dich als Schiedsrichter aber absolut
nicht. Auch insoweit werden wir durch den DFB geschult
und behutsam aufgebaut.
Jawattdenn.de
Man fühlt sich als Schiedsrichter also auch in
Stadien mit erhöhter Brisanz auf den Rängen
wie Dresden oder Rostock sicher und lässt sich
davon nicht beeinflussen?
Jürgen Jansen
Als Aktiver habe ich nie daran gedacht, dass mir etwas
passieren könnte. Ich habe auch viele brisante
und wichtige Spiele geleitet. Grundsätzlich müssen
immer Entscheidungen, auch knifflige, schnell &
spontan getroffen werden. Dies passiert in einem Bruchteil
einer Sekunde. Du hast gar nicht die Zeit, darüber
nachzudenken. Das kann man mit dem Autofahren vergleichen.
Wenn vor mir ein Wagen bremst, sehe ich das und kann
nicht lange überlegen, ob ich auch bremsen soll.
Je erfahrener der Autofahrer wird, umso mehr läuft
automatisch ab. So ist es beim Schiedsrichter auch.
Sicher hast du Zeit, kurz zu überlegen, aber
eben nicht, ob dir etwas passieren könnte. Kein
Schiedsrichter im Profifußball geht mit Angst
in ein Spiel. Ich hab mich da immer sicher gefühlt.
Stadien wie Aachen oder Essen sind natürlich
für Schiedsrichter kein leichtes Pflaster. Aber
ich persönlich mag diese Stadien. Du hast natürlich
auch Stadien, wo es eher ruhig zugeht. Die Zuschauer
sitzen da und applaudieren bestenfalls ein bisschen.
Da hast du keine Stimmung, da ist nichts los. Ich
habe immer Stadien gemocht, in denen viel los war.
Der Tivoli zum Beispiel. Dort habe ich mal Aachen
gegen Köln gepfiffen. Ich hatte nie Angst vor
umherfliegenden Raketen. Das waren in erster Linie
tolle Erlebnisse.
Natürlich hat man als Zuschauer auch schon mal
Sorge, wenn man die aktuellen Ausschreitungen in den
Stadien betrachtet. Aber man sieht ja aktuell am Beispiel
des Spiels in Dänemark gegen Schweden, wo Herbert
Fandel von einem Fan angegangen wurde, wie energisch
die FIFA und Gerichte diese Täter verfolgt. Dieser
Mensch wird auf keinen grünen Zweig mehr kommen.
Man sieht also, dass immer etwas passieren kann. Als
Schiedsrichter nimmt man dies aber in Kauf.