24.07.2018

„Der Boykott war ein viel diskutiertes Thema.“ – Interview mit den Rude Fans

von Marcel Rotzoll

Knapp eine Woche vor Saisonbeginn haben wir die Rude Fans gebeten, uns ein paar Fragen zur letzten Saison zu beantworten. Lest in kurzen und knackigen Fragen, wie es zum Stimmungsboykott kam, wie er intern aufgearbeitet wurde und wie die neue Saison angegangen wird.

Jawattdenn.de:
Vielen Dank, dass Ihr euch die Zeit für ein kurzes Interview nehmt. 2015 haben sich die Ultras Essen für viele überraschend aufgelöst und die Kurve stand ohne führende Gruppe da. Wie habt Ihr die Auflösung aufgenommen?

Rude Fans:
Tach auch. Die Auflösung kam, wie ihr schon betont habt, auch für uns ziemlich überraschend. Als daraufhin älteste Ultragruppe in Essen hatten wir nun die Verantwortung und Motivation, die Szene beisammen zu halten und nicht komplett auseinander brechen zu lassen. Wenn sich eine Hauptgruppe auflöst und einige Leute gleich mit, ist es immer schwer, sich neu aufzustellen. Kommen dann noch schlechte Rahmenbedingungen hinzu (Stichwort: 4. Liga), steht man vor einer echten Herausforderung.

Jawattdenn.de:
Ihr habt dann die Führung der Kurve übernommen. Wie lief die Kommunikation in der Kurve?

Rude Fans:
Wir finden nicht, dass wir aktiv die Führung übernommen haben. Nach der Auflösung von UE gab es eine große Lücke, die gefüllt werden musste. Daher haben wir versucht, diese bestmöglich zu füllen. Wir haben bewusst unsere Gruppenstruktur nicht verändert, d.h. es gab keinen eigenen Förderkreis und auch kein offenes Mitgliedersystem. Auch gegen einen eigenen Verkaufsstand wurde sich bewusst entschieden, um all diese Sachen mit der neustrukturierten WESTTRIBÜNE zu verwirklichen. Unserer Ansicht nach sollte eine Tribüne so geschlossen wie möglich agieren. So bekommt jeder die Möglichkeit an großen Aktionen, wie z.B. Choreos, mitzuwirken.
Auch in puncto Klamottenverkauf haben wir lieber einen großen Anlaufpunkt, bei dem es anständige Klamotten gibt, anstatt x-beliebige Verkaufsstände. Flohmärkte hat Essen bereits genug. Die Leute sollen wissen, von wem die Klamotten stammen und dass ihre Kohle nur für neue Aktionen der West genutzt werden.

Jawattdenn.de:
Wie seht Ihr die Entwicklung der Kurve seit dem Zeitpunkt?

Rude Fans:
Gerade durch den Aspekt, dass man nun durch die Westtribüne auch enger mit anderen Gruppen und Fanclubs zusammenarbeitet und sich öfter trifft, ist das Miteinander ein ganz anderes als noch zu Zeiten der Ultras Essen. Andere aktive Ultra-Gruppen wie Vandalz oder Junge Essener, die nicht mit im Verbund Westtribüne vertreten sind, zählen wir auch als treue Partner an unserer Seite und wir hoffen, dass sie möglichst bald alle wieder vollzählig im Stadion vertreten sein werden. Die Polizei in Essen verschickt jede Saison fleißig Briefe mit Betretungs- und Stadionverboten, dennoch sind die Jungs immer mit von der Partie.

Die Entwicklung der Westtribüne ist natürlich gerade in der unteren Spielklasse, in der wir nun mal rumdümpeln, enorm vom sportlichen Erfolg bzw. Misserfolg abhängig. Es gibt hier durchaus Spieltage, an denen man das Potenzial dieser Tribüne spürt und jeder heiß darauf ist, dieses abzurufen. Genauso gibt es aber auch genügend Spiele bei denen wir gerade im Block W2 eher nicht zufrieden sind. Wie gesagt, gerade in unserer Situation ist dies alles momentan sehr leistungsabhängig. Wir würden, wie wahrscheinlich alle Rot-Weissen, zu gerne mal eine ganze Saison lang oben mitspielen, um einfach wieder von Euphorie getragen zu werden, zusammen mitzufiebern und größere Choreos oder Mottofahrten durchzuziehen. Das ist in letzter Zeit, aufgrund der meist dürftigen Leistungen, nur bedingt möglich gewesen.

Jawattdenn.de:
Wie ist der Stimmungsboykott in der letzten Saison zu Stande gekommen?

Rude Fans:
Der Boykott war ein viel diskutiertes Thema. Alles von vorne aufzurollen würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen. Wir hoffen, dass unsere Stellungnahme im Stadion viele Leute erreicht hat. Zusammen mit Vandalz, Loyal Squad und den Jungen Essener, mit denen man Heim- sowie Auswärtsspielen die Stimmung organisiert, war man in vergangener Saison an einem Punkt angelangt, in dem man nicht mehr weitermachen wollte. Wenn auf der Westtribüne 2000 Leute stehen und von denen sich nur noch - übertrieben gesagt - 50 Leute kontinuierlich an der Unterstützung der Mannschaft beteiligen, dann fragt man sich auch, ob viele Zuschauer sich nicht indirekt vorher schon einen Boykott auferlegt hatten. 
Gerade zum Rückrundenauftakt, nach der Winterpause mit den mehr als peinlichen Niederlagen zuhause gegen Bonn und Wattenscheid, sowie dem desaströsen Unentschieden gegen den KFC, war bei vielen das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht worden. Jahr für Jahr zeigt die Mannschaft, gerade nach der Winterpause, wenig Charakter und Einsatzwille, um die vorzeitig gelaufene Saison wenigstens ordentlich zu Ende zu spielen. Nach langem Hadern waren wir nicht mehr gewillt, eine eher "künstliche" Atmosphäre an der Hafenstraße zu schaffen, damit den Herren auf der Haupttribüne das Erlebnis Fußball weiterhin schmeckt.

Jawattdenn.de:
Es gab nach einigen Spielen auch Kritik gegenüber dem Stimmungsboykott. Sind viele Fans zu euch gekommen? Gab es auch Gespräche mit Vereinsoffiziellen?

Rude Fans:
Zu Beginn des Boykotts wurde der Mannschaft unsere Meinung gegeigt. Kritik kam vor allem von den Hobbyredakteuren des Reviersports, die mal wieder Meinungen von Hinz und Kunz eingeholt hatten. Wir haben uns schon gefragt, wann endlich die „eingefleischten Essener“ Nelson Müller und Mesut Özil nach ihrer Meinung zum Boykott befragt werden.

Jawattdenn.de:
Die einzelnen Gruppen auf der Westtribüne waren zuletzt gespalten. Auch wegen des Stimmungsboykotts. Habt Ihr eine Idee, wie alle wieder an einen Strang ziehen und die Westtribüne wieder alte Stärke erreicht?

Rude Fans:
Unserer Ansicht nach haben sich weitestgehend viele dem Boykott angeschlossen. Manche komplett, manche nur in Form von Zaunfahnenverzicht.
Wir haben auch zu keinem Zeitpunkt für den Boykott geworben oder aufgerufen, daran teilzunehmen. Jedem stand frei, Stimmung zu machen.
Die Stellungnahme im Laufe des Boykotts war notwendig, da die Stimmung durch die Meinungsmache der Medien kippte und viele sich davon beeinflussen ließen. Eigentlich halten wir uns mit Rechtfertigungen sehr zurück, da jeder der Fragen hat, uns in der Kurve ansprechen kann.
Nachdem die Mannschaft zum Saisonende hin endlich die geforderte Moral und Einsatzwille zeigte, es im Verein merkliche Veränderungen gab, beendeten wir den Stimmungsboykott für das Finale.


Jawattdenn.de:
Zum Pokalfinale gab es wie gerade erwähnt keinen Boykott mehr und man merkte, wieviel Kraft die Essener Fanszene noch hat. Wie kam es zur Aufhebung des Boykotts?

Rude Fans:
Ein Boykott hat ja auch immer ein Ziel, es musste ein Umdenken stattfinden, nicht nur bei der Mannschaft. Gerade wir bei Rot-Weiss Essen haben als Fans noch viel Macht und können bei einigen Sachen doch noch was bewirken. Wie gesagt, wir haben bei der Mannschaft zum Saisonende die geforderte Moral gesehen und wollten sie und die anderen Fans nicht „alleine“ ins Finale gehen lassen und koordinierten dort wieder die Stimmung.

Jawattdenn.de:
Euer Ausblick für die neue Saison (Liga, Mannschaft und Stimmung)?

Rude Fans:
In der Sommerpause konnten wir frische Energie & Motivation sammeln, um die neue Saison wieder mit voller Kraft angehen zu können. Immerhin ist es unsere Jubiläumssaison, in der wir unser 10-jähriges Gruppenbestehen feiern werden. Wir hoffen, dass die Tribüne uns bestmöglich unterstützt und wir an einem Strang ziehen, um eine geile Saison zu erleben. Dieses Jahr ist der direkte Aufstieg möglich und wir sind alle gefordert 100 % zu geben.

Auf der Tribüne ist alles möglich, wir hoffen auf eine sportlich erfolgreiche Saison mit viel Kampf und Herz. Wir denken, dass wir bei einigen Heim- und Gastspielen gute Auftritte abliefern können, sowohl optisch als auch akustisch. Wir glauben, dass wir mit unserer Art der Unterstützung uns vom Rest im Ruhrgebiet abheben können. Die Stimmung in Essen war schon immer etwas rauer, ohne viel Schnickschnack. Wir wollen eine lautstarke Einheit hinter der Mannschaft sein, kein Grüppchen, was losgelöst vom Rest ihr Programm durchzieht. Wir denken, dass wir momentan mit unserem Liedgut eine gute Schiene fahren in Essen und bei unserem Liedrepertoire jeder auf der Tribüne mit einsteigen kann, wenn er Bock hat. Wir sehen uns in Rödinghausen.

Jawattdenn.de:
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

Das Interview führte Marcel Rotzoll