Interview mit Timo Brauer
Vor dem Spiel gegen den SC Verl sprachen wir mit unserem Kapitän Timo Brauer über die aktuelle Situation bei den Roten, seine blau-weiße Vergangenheit und über seinen Traum von der Bundesliga.
Jawattdenn.de:
Du kommst gerade vom Training. Wie ist die Stimmung im Team?
Timo Brauer:
Die Stimmung ist gut. Nach dem 0:0 in Koblenz wollen wir
den Fans gegen Verl wieder drei Punkte schenken. Wenn wir uns steigern
können, bin ich zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Jawattdenn.de:
Du bist im Sommer 2009 von der A-Jugend von Schalke 04 zu
RWE gekommen und warst ursprünglich für die Zweite Mannschaft
vorgesehen. Nach ein paar Monaten bist du aber in die Erste Mannschaft
aufgerückt und hast dort in der Rückrunde in einer eigentlich schwachen
Mannschaft sehr überzeugen können. Hat dich dieser schnelle Aufstieg
selbst etwas überrascht?
Timo Brauer:
Jein! Ich war zwar nur für die Zweite eingeplant, aber
schon zu Beginn hat man mir mitgeteilt, dass ich, wenn ich meine
Leistung bringe, die Chance bekomme oben mit zu trainieren und mich
dort empfehlen kann. Ich habe dann natürlich alles gegeben, und schon
vor der Winterpause durfte ich für die Erste Mannschaft auflaufen. Für
die Rückrunde war ich dann fest oben eingeplant.
Jawattdenn.de:
Wie ist eigentlich der „Unfall“ Schalke 04 zu Stande gekommen?
Timo Brauer:
Das kam damals nach einem anderen „Unfall“: ETB. (lacht) Am
Anfang habe ich bei Ballfreunde Bergeborbeck gespielt, bin in der
D-Jugend zu ETB gegangen und ein Jahr später zu Schalke. Damals habe
ich natürlich den großen Verein Schalke 04 gesehen mit den großen
Spielern. Ich bin dann in die C1 vom S04 gewechselt, dort ins Internat
gegangen und war unter anderem mit Mesut Özil und Sebastian Boenisch in
einer Klasse. Bis zur A-Jugend bin ich dort geblieben und zum Glück
erfolgte dann der Wechsel zu RWE. (lacht)
Jawattdenn.de:
Auch wenn wir nicht gerne über unseren Nachbar aus Gelsenkirchen reden: Wie ist es dort im Internat?
Timo Brauer:
Wenn ich zurückblicke, bin ich froh, dass ich dort war. Ich
habe fußballerisch und persönlich eine Menge gelernt. Am Ende meiner
Zeit dort war ich mit den Verantwortlichen aber nicht mehr auf einer
Wellenlänge.
Jawattdenn.de:
Als Jugendspieler steht man schon unter einem enormen
Druck, weil von 25 Jungs aus dem eigenen Jahrgang vielleicht fünf
wirklich den Durchbruch schaffen und die ganze Zeit gesiebt wird. Hat
man da wirklich noch Spaß am Fußball und lebt man als Team, oder ist der
Konkurrenzdruck dafür einfach zu hoch?
Timo Brauer:
Konkurrenzdruck gibt es natürlich immer, aber ich spiele
Fußball, um Spaß zu haben. Mit diesem Druck muss man klar kommen im
Profifußball, und ich versuche trotzdem weiter, auf dem Platz Spaß zu
haben. Gerade bei Kindern kann die Konkurrenzsituation auch negative
Auswirkungen haben, aber ohne Druck geht es nicht.
Jawattdenn.de:
Im Sommer 2010 musste RWE zwangsabsteigen. Du hattest
Angebote von Bremen II und Dortmund II, bist aber trotzdem bei RWE
geblieben. Warum mit RWE in die NRW-Liga, wenn du woanders die
Möglichkeit gehabt hättest, Regionalliga zu spielen?
Timo Brauer:
In der Nachbetrachtung muss ich sagen, dass es für mich
persönlich eher ein Aufstieg als ein Abstieg war. Werder Bremen hätte
mich gerne verpflichtet, dann kam es aber zur Situation, dass
ausgeliehene Spieler zu Werder zurück kamen, die eigentlich nicht
eingeplant waren und dann zur Zweiten Mannschaften rückten. Borussia
Dortmund hätte mich unter Vertrag genommen, aber ich denke, als junger
Spieler sollte man Fußball spielen. Es bringt dich nicht weiter, wenn du
irgendwo nur auf der Bank sitzt. Aus Schalke kannte ich auch noch die
Situation, dass Profis zur Zwoten runterkommen, und egal was man im
Training für eine Leistung bringt, die Profis spielen dann eben. Man
kann sich nur entwickeln, wenn man spielt. Ich wusste, dass ich hier
eine wichtige Rolle einnehmen würde, und Damian Jamro und Waldemar
Wrobel haben sich sehr um mich bemüht und die ganze Zeit den Kontakt
gehalten. Wenn man sich wohl fühlen will, muss man das passende Umfeld
haben, und das hat hier in Essen genau gepasst.
Jawattdenn.de:
In einem anderen Interview hast du mal gesagt, dein Traum
wäre es, irgendwann in der Bundesliga zu spielen. Realistisch
betrachtet wirst du diesen Traum bei RWE nicht erfüllen können. Manchmal
wirkt es so, als würde deine Vereinstreue zu RWE deiner persönlichen
sportlichen Weiterentwicklung etwas im Wege stehen und do woanders
sportlich eventuell noch bessere Perspektiven hättest. Kannst du solche
Gedanken nachvollziehen?
Timo Brauer:
Ich hoffe natürlich, mit RWE meinen Traum vom Profifußball
erfüllen zu können, das wäre das Größte. Bis wir dort sind, wir das
natürlich aber noch einige Jahre dauern. Ich sehe die Zeit bei RWE aber
auch nicht als Rückschritt oder Stagnation an, denn hier kann ich mich
etablieren. Mit 21 Jahren Kapitän in der Regionalliga ist wahrscheinlich
einmalig. Rot-Weiss ist nicht Schalke II, Elversberg oder Koblenz. Hier
ist man als junger Spieler durchaus im Fokus der Öffentlichkeit und
erregt Aufmerksamkeit. Ich will auf jeden Fall Fußball spielen und
bekomme hier die Möglichkeit dazu.
Jawattdenn.de:
Sascha Mölders ist bekanntlich auch eingefleischter
Rot-Weisser, aber durch seine beiden Wechsel konnte er sich sportlich
enorm verbessern und schießt jetzt seine Tore in der Bundesliga. Es kann
also auch schnell gehen…
Timo Brauer:
Natürlich. Ich weiß auch, welche Qualitäten ich besitze und
es ist nach wie vor mein Ziel, früher oder später in der Bundesliga
aufzulaufen. Wichtig ist dabei, dass man sich wohlfühlt, dann wird man
das Ziel auch irgendwann erreichen. Würde ich beispielsweise ein Angebot
von den Bayern bekommen und nach München wechseln, würde ich dort
niemals spielen und in die Zweite Mannschaft abgeschobene werden. Wenn
ich nur auf der Bank sitze, entwickele ich mich nicht mehr.
Jawattdenn.de:
Die letzte Saison kann man schon als „perfekt“ bezeichnen. War das die bisher schönste Spielzeit der Karriere?
Timo Brauer:
Ja, auf jeden Fall! Im Seniorenbereich bin ich jetzt im
dritten Jahr und habe noch nicht so viel mitgemacht, aber bei Rot-Weiss
Essen habe ich schon alles erlebt. Aufstieg, Abstieg Insolvenz... Das
letzte Jahr war da definitiv das schönste. Jetzt ging es ja schon super
weiter, mit dem Einzug in die zweite Runde des DFB-Pokals, und wir
hoffen natürlich, die anderen Berliner auch noch aus dem Pokal zu
kegeln…
Jawattdenn.de:
…um dann nach Berlin zu fahren…
Timo Brauer:
…das wäre natürlich ideal! (lacht)
Jawattdenn.de:
Wenn wir auf die letzte Saison zurückblicken, wie würdest du das Jahr zusammenfassen?
Timo Brauer:
Am Anfang hatte ich natürlich schon Zweifel, ob der Gang in
die NRW-Liga die richtige Wahl war, aber es wurde einfach eine perfekte
Saison. Es ging ja schon traumhaft los mit Thammis Fallrückzieher und
in der Winterpause haben wir uns schon vorstellen können, dass da was
gehen kann. Noch wichtiger war und ist aber, dass sich die Mannschaft
mit den Fans identifizieren kann und umgekehrt. Das hilft uns sehr viel,
auch in der Regionalliga. Wenn wir das zusammen angehen und man nicht
direkt ausgepfiffen wird, dann kann hier etwas entstehen.
Jawattdenn.de:
Vincent Wagner war sehr enttäuscht, dass am ersten
Spieltag gegen Mainz II trotz 2:0-Führung in einer etwas schwächeren
Phase Pfiffe gegen die eigene Mannschaft gab. Wie nimmt man als Spieler
solche Pfiffe war, wenn man vorher zwölf Monate überragend gespielt hat?
Timo Brauer:
Ich war leider verletzt, aber habe die Pfiffe von der
Tribüne natürlich auch wahrgenommen. So etwas ist in meinen Augen
unverständlich. Manchmal will man zwar, aber kann einfach nicht, und in
solch einer Situation sind Pfiffe, wenn auch nur vereinzelt, natürlich
nicht förderlich. So ist aber leider das Fußballgeschäft und wir müssen
damit leben.
Jawattdenn.de:
Für die Fans bist du ein Idol, in fast jedem Heimspiel
wirst du als "Timo Brauer Fußballgott" gefeiert, und das mit gerade 21
Jahren. Wie fühlt sich das an?
Timo Brauer:
Das ist natürlich ein großes Lob und eine große
Anerkennung, die ich mir aber auch selber erarbeitet habe. Ich bin
damals bei meinem Wechsel nach Essen ja nicht als der große Messias
gefeiert worden, sondern habe mich hochgearbeitet. Trotzdem sehe ich
mich aber als ganz normalen Jungen und habe das Glück, dass ich ein
bisschen Fußball kicken kann. Wenn die Fans mich als Vorbild sehen,
freut mich das natürlich, aber ich bin immer noch der normale Timo.
Jawattdenn.de:
Welche besonderen Pflichten und Aufgaben hast du als Mannschaftskapitän?
Timo Brauer:
Auf dem Platz bin ich der verlängerte Arm des Trainers,
aber ich übernehme die Verantwortung nicht nur, weil ich Kapitän bin.
Würde ich die Binde nicht tragen, wäre ich genauso bereit, Verantwortung
zu übernehmen. Natürlich ist es etwas besonderes, wenn man die
Mannschaft auf den Platz führt, aber dadurch darf sich niemand blenden
lassen. Letztlich müssen wir alle Verantwortung tragen, damit wir als
Mannschaft funktionieren.
Jawattdenn.de:
Im letzten Jahr wart ihr unheimlich erfolgreich, die
Stimmung innerhalb der Mannschaft ist super, bei den Fans habt ihr
großen Kredit...wer sorgt dafür, dass ihr nicht abhebt?
Timo Brauer:
Dafür ist einerseits unser Trainer zuständig, der uns immer
auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Andererseits sorgen wir
innerhalb der Manschaft dafür, dass wir nicht abheben. Für jeden von uns
ist es etwas Besonderes, hier zu spielen, und daher überdreht auch
keiner. Sehr wichtig ist, dass wir menschlich alle auf einer Wellenlänge
sind. In der letzten Saison wurden wir häufig mit Dortmund verglichen,
wo eine junge Truppe mit einem guten Zusammenhalt am Ende Deutscher
Meister wurde. Als Gegenbeispiel dient Chelsea, die seit Jahren die
besten Leute zusamenkaufen, aber keinen Erfolg damit haben...
Jawattdenn.de:
...oder auch Wolfsburg...
Timo Brauer:
...genau, das "System Felix Magath". (lacht)
Jawattdenn.de:
Unternehmt ihr auch außerhalb der Hafenstraße gemeinsame Sachen?
Timo Brauer:
Ja! Man kann zwar nicht immer mit 27 Mann unterwegs sein, aber wenn wir was machen, ist ein Großteil immer dabei.
Jawattdenn.de:
Was machst du "hauptberuflich", also neben dem Kicken für RWE?
Timo Brauer:
Ich habe ein Fernstudium begonnen, BWL und
Wirtschaftspsychologie. Mein Hauptaugenmerk liegt natürlich auf dem
Fußball, aber es ist wichtig, ein zweites Standbein zu haben, und gerade
im Fernstudium ist man sehr flexibel.
Jawattdenn.de:
Hast du eigentlich einen Berater?
Timo Brauer:
Ja. In der vierten und auch fünften Liga ist das durchaus
üblich, gerade wenn man aus der Jugend eines Profivereins kommt.
Jawattdenn.de:
Das neue Stadion wird gebaut. Endlich! Wie wichtig ist das für euch als Spieler?
Timo Brauer:
Für uns Spieler ist es natürlich ein Highlight, ein neues
Stadion, ein neues Wohnzimmer zu bekommen. Ich glaube für die Fans ist
das aber noch wichtiger nach den jahrelangen Querelen. Ich persönlich
glaube auch erst daran, wenn das Stadion steht, hier in Essen ist ja
vieles möglich! (lacht) Ich hoffe, dass die Stimmung genauso geil sein
wird wie jetzt im Georg-Melches-Stadion.
Jawattdenn.de:
Wird man auch bisschen wehmütig? Bald müssen wir uns von diesem Stadion trennen...
Timo Brauer:
Definitiv! Ich habe mich immer gefreut und ich freue mich
immer, wenn ich hier Spiele geguckt habe oder jetzt selbst spiele. Für
mich ist das noch wahrer, ehrlicher Fußball. Man wird sehen, wie sich
das im neuen Stadion entwickelt.
Jawattdenn.de:
Spannend wird auch deine persönliche Entwicklung sein. Du
besitzt einen Vertrag bis Saisonende, wie geht es danach weiter?
Timo Brauer:
Primär will ich Fußball spielen und diese Spielzeit
möglichst erfolgreich gestalten. Ich spiele nicht Fußball, um irgendwo
im Mittelfeld rumzueiern, sondern wir als Mannschaft versuchen jedes
Spiel zu gewinnen. Über den nächsten Sommer und die Zeit danach habe ich
mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich versuche meine Leistung aus
der letzten Saison zu bestätigen oder noch zu steigern, und der Rest
kommt von alleine.
Jawattdenn.de:
Wir bedanken uns für dieses Interview und wünschen Dir viel Erfolg in den kommenden Spielen!
Das Interview führten Fabian Jerrentrup und Marcel Rotzoll