"Wir machen keinen Aktionismus!"
Michael Welling über die Insolvenz, den Neustart und das aktuelle sportliche Abschneiden von Rot-Weiss Essen. Teil IV
Jawattdenn.de:
Vor einem Jahr haben Sie im Interview mit uns davon gesprochen, Rot-Weiss Essen in der Stadt präsenter machen zu wollen. In der Zwischenzeit sind viele Dinge passiert, die ganz persönlich mit Ihrem Namen und Ihrem Gesicht verbunden sind: Welling tritt im Elfmeterschießen gegen die Stauders an, Welling gibt den „Paten“ vor dem „Auf Asche“-Spiel, Welling lässt sich die Haare schneiden. Haben Sie keine Angst, den Bogen zu überspannen, wenn Sie sich manchmal zum „Kasper“ machen?
Dr. Welling:
Angst davor, mich zum Kasper zu machen, habe ich definitiv nicht. Ich habe genug Selbstironie, dass ich damit umgehen kann. Ihre Wahrnehmung kann ich aber nicht ganz teilen: Bei dem Elfmeterschießen stand Moritz Niebuhr im Tor. Bei den Filmtrailern zum „Auf Asche“-Spiel gab es eine Episode mit mir, eine mit dem Trainer. Und beim Haareschneiden sieht es beim Vincent sogar noch extremer aus als bei mir. Also, ich habe das nie alleine gemacht. Aber natürlich wird Aufmerksamkeit durch Personen generiert. In Ermangelung großer Namen sagen manche Partner vielleicht: dann nehmen wir lieber den Welling.
Man muss sicher aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen. Ehrlich gesagt, ist es mir gar nicht so recht, dass ich ständig im Fokus stehe. Ich glaube aber, dass es aktuell gar nicht anders machbar ist. Es ist nun mal so, dass ich im Vorstand alleine bin und wir hier über Feierabend-Fußballer reden. Das darf man nicht vergessen! Wir haben übrigens viele Dinge in der Außendarstellung gemacht, bei denen ich nicht aufgetaucht bin. Denken Sie nur an unsere Postkarten-Aktion, die Plakataktion zum Karneval, den Weihnachtsmarkt, die Heimspielmacheraktion etc. etc.! Wir haben dabei nicht viel Geld in die Hand genommen, sondern immer mit Partnern zusammengearbeitet. Anders wäre es gar nicht möglich. Dass ich selbst für solche Aktionen meinen Kopf zur Verfügung stelle, ist ebenfalls sehr günstig für den Verein, schließlich werde ich ohnehin bezahlt – kost‘ also nix extra!
Jawattdenn.de:
Und wenn Sie sich ein RWE-Emblem in die Haare fräsen lassen, dann ist das für die Sponsoren okay? Oder wäre nicht manchmal ein Tick mehr Seriosität gefragt?
Dr. Welling:
Sie meinen also, wenn ich häufiger Krawatte trage und einen Kurzhaarschnitt mit Scheitel, dann wäre das besser für Rot-Weiss Essen?
Jawattdenn.de:
Es wäre zumindest möglich, dass Sponsoren so denken…
Dr. Welling:
Ja, natürlich könnte das sein. Ich glaube das aber nicht. Wenn ich einem Sponsor gegenübersitze, kann ich mit ihm so umgehen, wie es die Situation erfordert. Ich kann auch einem Vorstandsvorsitzenden der Firma XY adäquat gegenübertreten – dieses Selbstbewusstsein habe ich durchaus. Und wenn ich gegen die Besitzer und Geschäftsführer der Stauder-Brauerei zum Elfmeterschießen antrete, dann ist Ihre These damit schon teilweise widerlegt. Wenn ich nackt über den Platz rennen würde, wäre das etwas anderes (lacht).
Jawattdenn.de:
Sollten Sie das vorhaben, rufen Sie uns bitte vorher an! Wir werden bestimmt irgendwo eine Videokamera auftreiben können.
Dr. Welling:
Glauben Sie mir, das wird nicht passieren und das wollen Sie auch auf keinen Fall sehen!
Jawattdenn.de:
Im Internet kursiert ein Video von Ihnen. Sie sind dort zu sehen bei einem Vortrag vor Studenten zum Thema „Tradition vs. Kommerz“ im Fußballmarketing. Viele Vereine berufen sich auf ihre Tradition – selbst Hoffenheim. Würden Sie der These zustimmen, dass Georg Melches so etwas wie der Hopp der dreißiger bis fünfziger Jahre war?
Dr. Welling:
Nein, denn Georg Melches hat kein eigenes Geld in den Verein gesteckt. Das ist ein recht wichtiger Unterschied. Sicherlich hat er seine berufliche Tätigkeit genutzt, um dem Verein zu helfen. Aber er hat nie in dem Maße seine Privatschatulle geöffnet – wobei ich gar nicht weiß, ob die so groß war. Jedenfalls hat er seine Beziehungen genutzt, um gemeinsam mit wechselnden anderen Personen für den Verein das Beste herauszuholen. Auch Herr Hopp will das Beste für Hoffenheim, aber wenn ein einzelner Geldgeber irgendwann mal keine Lust mehr hat, dann ist der Topf auf einmal leer. Melches war eher ein Multiplikator, der immer wieder neue Töpfe aufgetan hat.
Jawattdenn.de:
In den vergangenen Monaten ist immer wieder überlegt worden, wie die Belange der Fans im Verein repräsentiert werden können. Dazu trifft sich regelmäßig eine Arbeitsgruppe. Wie ist dort der Stand der Dinge?
Dr. Welling:
Diese Arbeitsgruppe wurde nach der vorletzten Mitgliederversammlung gegründet, um dem Wunsch nach stärkerer Einbindung der Fans in den Verein gerecht zu werden. Es hatten sich damals viele gemeldet, die dort mitarbeiten wollten und es sind immer noch viele dabei, die sich mit dem Thema intensiv beschäftigen. Das sind Personen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, die sich alle sehr engagieren. Das ist ein wichtiger Prozess, der dem Verein insgesamt helfen kann. Ein Punkt ist die Legitimation des Fanvertreters im Aufsichtsrat. Ralf Schuh, der das seit einem Jahr sehr gut macht, ist ja damals eher ad hoc vorgeschlagen worden und es gibt den Wunsch, dieses Amt breiter zu legitimieren und zu institutionalisieren. Schauen wir mal, wie sich das entwickelt, damit wir die Ergebnisse der Arbeitsgruppe auf der Mitgliederversammlung dann diskutieren und zur Abstimmung bringen können.
Jawattdenn.de:
Die Fans sollen sich mit einer „Fankonferenz“ auch in die Detailplanung des neuen Stadions einbringen. Was versprechen Sie sich von dieser Konferenz?
Dr. Welling:
Ich glaube, dass viele unserer Fans Fragen bezüglich des Stadionbaus haben. Deswegen erwarte ich zunächst einen Informationsaustausch. Was die zeitliche Perspektive oder bestimmte Bauphasen angeht, herrschen zum Beispiel im RWE-Forum unterschiedliche Wissensstände und Interpretationen vor. Die GVE wird da sein, der Generalplaner wird da sein, deswegen gehe ich davon aus, dass die Fans ihren Wissensdurst bezüglich vieler Details etwas besser löschen können.
Ich erhoffe mir aber auch einen Ideenpool. Natürlich denken wir über die Fragen, die da diskutiert werden sollen, regelmäßig nach. Aber jeder Fan wird seine eigene Brille aufhaben. Und bestimmt gibt es Ideen, auf die wir noch gar nicht gekommen sind.
Jawattdenn.de:
Und was passiert danach mit den Ideen und Anregungen?
Dr. Welling:
Was davon hinterher realisiert werden kann, muss man vor dem Hintergrund bestimmter Aspekte betrachten. Die können baurechtlicher Art sein oder sich mit technischen Dingen befassen, und natürlich sind auch die Kosten immer ein wichtiger Faktor. Was wie möglich sein könnte, kann man aber erst dann überlegen, wenn die Ideen auf dem Tisch liegen. Die Idee, einen Flutlichtmast zu erhalten, ist zum Beispiel seit langem in der Diskussion. Man prüft, ob das machbar ist. Ich bin zu wenig Baufachmann, um mir darüber ein Urteil bilden zu können, aber ich fände es großartig! Man würde etwas erhalten, was mit der besonderen Tradition dieses Vereins zusammenhängt. Man muss aber auch sehen, dass dem viele technische und auch finanzielle Gründe entgegenstehen.
Jawattdenn.de:
Wie sieht es aus mit der Einbindung weiterer Personen in die Vereinsführung? Sucht der Aufsichtsrat derzeit aktiv nach weiteren Vorstandskandidaten und falls ja, welche Qualifikationen sollen diese mitbringen?
Dr. Welling:
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, weitere Vorstandsposten zu besetzen. Durch die letzte Satzungsänderung ist es jedoch nicht notwendig. Das längerfristige Ziel ist es, einen für den Sport Verantwortlichen auf Vorstandsebene zu haben. Darüber besteht Einigkeit in den Gremien. Die große Frage ist nur: Wer soll den denn bezahlen? Wer soll eine Person bezahlen, die diesen Posten in der Form ausfüllen kann, wie wir uns das wünschen? Aktuell ist das gar nicht möglich. Das macht die Sache schwer. Auch hier gilt wieder das alte Mantra: Erst wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, können wir an dieser Stelle investieren. Im Moment sehe ich das Geld, das wir dafür aufwenden müssten, in anderen Bereichen sinnvoller investiert.
Wenn man über Ehrenamtliche nachdenkt, wird es noch komplexer: Es wird immer eine Informations-Asymmetrie geben, weil ich als Hauptamtlicher jeden Tag hier bin und ein Ehrenamtler gar nicht so tief in den Dingen stecken kann. Im Vorstand zu sein bedeutet aber, in die Haftung zu gehen für alles, was im Verein passiert. Das ist unter den Voraussetzungen schwierig zu machen. Deswegen gibt es Überlegungen, Leute, die entsprechende Kompetenzen mitbringen und bereit wären, sich ehrenamtlich zu engagieren, in anderer Form an den Verein zu binden. Zum Beispiel im Aufsichtsrat oder einem noch zu gründenden Wirtschaftsrat.
Aktuell sind wir in den Gremien der Überzeugung, dass es, so wie es jetzt läuft, funktioniert. Natürlich werden wir wachsam sein und uns regelmäßig hinterfragen. Wenn wir aber irgendwann einmal eine Personalentscheidung fällen, dann muss diese auch nachhaltig sein. Im Moment halten wir also die Füße still. Langfristig wollen wir jemand holen, der die nötige sportliche Kompetenz mitbringt. Und diese Person wird dann als hauptamtliches Vorstandmitglied für den gesamten sportlichen Bereich Verantwortung tragen.
Jawattdenn.de:
Vor einiger Zeit hat Ente Lippens dem Reviersport ein Interview gegeben, in dem er wieder einmal beklagte, nur sporadisch ins Vereinsgeschehen eingebunden zu sein. Eigentlich wollte RWE doch verstärkt den Kontakt zu den Ehemaligen suchen. Wie sieht es damit aus?
Dr. Welling:
Natürlich gibt es regelmäßig Gespräche. Mit einigen intensiver als mit anderen, das liegt in der Natur der Sache. Mit Dieter Bast zum Beispiel haben wir einen regelmäßigen Austausch, alleine schon deswegen, weil er für die Traditionself zuständig ist. Ich war neulich beim Turnier der Traditionsmannschaften in Klosterpforte dabei und habe auch mit vielen von den anderen Jungs reden können. Es ist mir wichtig, mehr zu erfahren, wie es früher an der Hafenstraße war und wie die die aktuellen Entwicklungen beurteilen. Es gibt auch einen Austausch zwischen Damian Jamro und diesen Leuten. Die sind ja oft als Trainer in verschiedenen Spielklassen unterwegs und natürlich erkundigen wir uns zum Beispiel über interessante Spieler aus den jeweiligen Ligen.
Auch mit Willi Lippens gibt es unregelmäßige Treffen. Es ist aber eine schwierige Frage, ob oder wie man solche Leute institutionell einbinden kann. Das kann auch ziemlich schnell zum Marketing-Gag verkommen und würde so niemandem gerecht werden. Es ist ja auch nicht so, dass wir einen bestimmten Posten zu vergeben hätten und nach jemand Bestimmtem Ausschau halten, der diesen Posten übernehmen soll. Aber wie gesagt: Wir treffen uns durchaus, und demnächst machen wir zum Beispiel eine Aufsichtsratssitzung auf dem Lippenshof.
Jawattdenn.de:
Letzte Frage: Wann ist Ihnen eigentlich zum ersten Mal aufgefallen, dass der Name Rot-Weiss Essen orthografisch falsch geschrieben wird? Haben Sie sich mal die Frage gestellt, warum das so ist?
Dr. Welling:
Das ist mir durchaus früh aufgefallen. Früher hat es wohl unterschiedliche Schreibweisen gegeben und auch unterschiedliche Begründungen dafür. Intern wurde hier irgendwann entschieden, dass der Vereinsname mit Doppel-S geschrieben werden soll. Das hat sich später in vielen Fanköpfen verselbständigt. Viele Fans reagieren höchst sensibel und allergisch, wenn Rot-Weiss mit scharfem S geschrieben wird. Unsere „Vereins-Historiker“ Georg Schrepper und Uwe Wick sagen, es müsse mit scharfem S geschrieben werden. Die beiden sind ein bisschen skeptisch, ob die Legende zutrifft, dass der Amtsschreiber nach der Gründung einen Fehler beim Eintragen ins Vereinsregister gemacht habe. Das lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Wichtig ist, dass man konsequent damit umgeht. Deswegen haben wir auf der Mitgliederversammlung gesagt, wir schreiben uns mit Doppel-S. Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist die Wortmarke „Rot-Weiss Essen“ ohnehin mit Doppel-S eingetragen, und auch der aktuelle Eintrag im Vereinsregister lautet jetzt – wieder – so.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Herr Welling!
Das Interview führten Thomas Mollen , Michael Jaskolla und Oliver Perrey