Interview mit Dr. Michael Welling 2011- Teil III
"Wir machen keinen Aktionismus!"
Michael Welling über die Insolvenz, den Neustart und das aktuelle sportliche Abschneiden von Rot-Weiss Essen. Teil III
Jawattdenn.de:
Unsere Frage bezog sich mehr
auf die wirtschaftliche Seite: Wie bringe ich die Fans zum Kauf einer
Dauerkarte? Dann wäre es wirtschaftlich zweitrangig, ob der
Dauerkarteninhaber auch glücklich ist oder nicht…
Dr. Welling:
Unbestritten.
Aber auch da scheiden sich die Geister: Andere Vereine sind zum
Beispiel gar nicht glücklich über zu viele Dauerkartenbesitzer, denn der
Durchschnittspreis pro Spiel ist für Dauerkartenbesitzer deutlich
geringer. Aber ich gebe Ihnen recht: Je mehr Dauerkarten wir verkaufen,
desto größer ist unsere Planungssicherheit. Das hilft uns auf der
Liquiditätsebene und diese steht beim Lizenzierungsverfahren des DFB
über allem! Von daher ist ein großer Dauerkartenanteil sehr wichtig und
eine Form von Vorfinanzierung. Auch das 17. Spiel im Mai (bzw. dieses
Jahr 18. Spiel) ist damit schon zu Beginn der Saison bezahlt.
Anderenfalls hätte ich diese Einnahme erst im Mai – wenn überhaupt.
Zudem
ist eine große Dauerkartenzahl ein Pfund, mit dem wir bei Sponsoren
wuchern können. Wenn man dann noch einen Sponsor vor einem sitzen hat,
der weiß, dass zum Beispiel der MSV Duisburg in der zweiten Liga auch
nicht viel mehr Dauerkarten verkauft hat, dann ist es leichter zu
überzeugen: Ja, wir spielen vierte Liga, aber mit vielen Zuschauern und
für dich! Für deine Ziele, die du, lieber Sponsor, zu erreichen
gedenkst, ist unser Verein im Grunde genauso viel Wert wie Duisburg oder
Bochum in der zweiten Liga!
Daher muss es uns gelingen, mehr
Dauerkarten zu verkaufen. Aber machen wir uns nichts vor, auch das hat
viel mit sportlichem Erfolg zu tun. Je erfolgreicher wir sind, desto
mehr Dauerkartenbesitzer haben wir. Man muss den Leuten hierbei auch
verdeutlichen, was man von einer Dauerkarte hat: Finanziell ist es für
die meisten keine Frage, man zahlt 13 Spiele und sieht 18. Es gibt aber
auch weitere Vergünstigungen, wie Rabatte im Fanshop und die sichere
Pokalkarte. Ich habe die Kritik daran vernommen und wir haben darüber
intern auch diskutiert. Aber für uns war klar, dass Dauerkartenbesitzer
und Mitglieder für das Hertha-Spiel ein Vorkaufsrecht haben müssen.
Alles andere wäre für mich eine absolute Farce! Diese Menschen sind
stets im Stadion! Es wäre fatal, wenn wir gegen Hertha ein Fußballfest
feiern, aber 50 Prozent der Mitglieder oder Dauerkartenbesitzer nicht
dabei sein können , weil die „Highlight-Besucher“ eher an Karten
gekommen sind.
Jawattdenn.de:
Stichwort
Hertha: Wie viele Karten sind schließlich noch in den freien Verkauf,
also in die dritte Vorverkaufsphase, gegangen? Viele Karten sind ja vor
dem Spiel über E-Bay oder direkt am Stadion zu Mondpreisen verkauft
worden, das fanden viele Fans sehr ärgerlich…
Dr. Welling:
Das
ist ein großes Ärgernis und auch illegal. Aber so lange es keine
personalisierten Karten gibt, ist das schwer zu unterbinden. Knapp 2000
Karten sind in den freien Verkauf gegangen und dort galt: „first come,
first served!“. Da haben sich einige mit Karten eingedeckt und wieder
verkauft. Das kriegen wir nicht unterbunden. Wenn man sich die
allgemeinen Ticketbedingungen anschaut, dann ist der Wiederverkauf
eindeutig verboten – selbst zum gleichen Preis. Wir haben manche
Aktionen bei E-Bay verfolgt, bekommen bislang aber noch keinen Daumen
drauf. Vor allem, wenn der Verkäufer in Holland sitzt, erschwert das die
Verfolgung. Daneben gibt es vereinzelt übrigens auch Personen, die
Mitglied werden, um an Pokalkarten zu kommen und sie dann
weiterzuverkaufen. Das ist superärgerlich und superasozial!
Jawattdenn.de:
Wenn
wir richtig gerechnet haben, gibt es den neuen, schuldenfreien Verein
Rot-Weiss Essen jetzt seit vier Monaten. Wenn sie diese Zeit Revue
passieren lassen: Wie war die Ausgangssituation? Wo steht der Verein
jetzt? Wie sehen die wirtschaftlichen Perspektiven aus?
Dr. Welling:
Zur
Sekunde Null standen wir hier und hatten nichts. Im Grunde hatten wir
nicht mal Mobiliar, denn alles war mit in die Insolvenzmasse geflossen.
Der Insolvenzverwalter ist hier durchgegangen, hat sich alles angeschaut
und bewertet. Diese Werte sind dann in die Insolvenzmasse geflossen und
diese Werte stehen den Gläubigern zu. Allerdings haben die Gläubiger
auch kein großes Interesse daran, von uns einen PC oder Drucker zu
erhalten. Denn den müssten sie auch erst mal zu Geld machen. Daher hat
man gesagt: Durch einen Betrag X, den der Verein bezahlt, hat er das
Mobiliar wieder bei sich im Bestand. Das, was wir im letzten Jahr
erwirtschaftet haben plus die Özil-Gelder, haben wir den Gläubigern im
Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Befriedigung ihrer Ansprüche
angeboten.
Jawattdenn.de:
Dieser Betrag, der
an die Gläubiger ausgezahlt wird, setzt sich vor allem aus den
Özil-Geldern und den Einnahmen aus dem Spendenkonto zusammen. Was
passierte mit den Einnahmen aus dem deutlich über der Kalkulation
liegenden Zuschauerzuspruch? Und wo stünden wir heute, wenn die
überraschenden, nicht einkalkulierten Özil-Einnahmen ausgeblieben wären?
Dr. Welling:
Ohne
die Özil-Einnahmen wäre es zweifelhaft, ob wir heute hier säßen – das
muss man so deutlich sagen. Diese Einnahmen waren das große Pfund, das
uns geholfen hat, das Insolvenzverfahren erfolgreich abzuschließen. An
den zusätzlichen Zuschauereinnahmen partizipierten zum Teil die Spieler,
aber nicht so exorbitant: Man muss nur sehen, wie sich die Jungs am
Saisonende neben dem Platz noch mal den Allerwertesten aufgerissen
haben, um den Mallorca-Urlaub selbst zu finanzieren. Die Saison selbst
hat viele Einnahmen wieder verschlungen, zum Beispiel durch erhöhten
Sicherheitsdienst, Reinigung usw. Am Ende ist ein kleiner Betrag hängen
geblieben, der zur Begleichung offener Rechnungen und im Verfahren zur
Befriedigung von Insolvenzforderungen eingesetzt wurde.
Das Özil-Geld
selbst ist übrigens als Buchgeld ist noch nicht komplett geflossen.
Deswegen haben wir eine Forderung gegenüber Real Madrid. Der
Insolvenzverwalter verwaltet derzeit das Treuhandkonto, auf dem Teile
des Özil-Geldes liegen und auf dem die letzten Raten eingehen werden.
Erst wenn die letzten Raten eingegangen sind, werden die Gläubiger
ausgezahlt.
Jawattdenn.de:
Wie bitte? Real Madrid zahlt in Raten?
Dr. Welling:
Ja,
das ist angepasst an die Transfervereinbarung mit Werder Bremen. Real
hat also Schulden bei uns! (lacht) Rein rechtlich sind das auch echte
Schulden bei uns, nicht bei den Gläubigern. Wir wiederum haben Schulden
bei den Gläubigern, die dann von uns bzw. vom Insolvenzverwalter
beglichen werden.
Jawattdenn.de:
War es ein
Glücksfall oder sogar absehbar, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens
von den Forderungen in einer Gesamthöhe von rund 20 Mio. Euro am Ende
nur rund zwei Mio. anerkannt wurden?
Dr. Welling:
Das
war absehbar, da das Anerkennen von Forderungen anhand bestimmter
Kriterien erfolgt. Daher war es am Stichtag der Insolvenzanmeldung schon
klar, dass von den 20 Mio. Euro nur ein kleiner Teil als anerkannte
Forderungen zu behandeln sein würde.
Jawattdenn.de:
Sind
mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens auch die Kölmel-Forderungen
komplett ad acta gelegt oder steht ihm nach wie vor ein Teil der
audio-visuellen Einnahmen zu?
Dr. Welling:
Komplett
abgeschlossen noch nicht. Wir sprechen weiterhin mit Herrn Kölmel, um
das vernünftig zu regeln. Dabei könnte man schon sagen, dass die
Angelegenheit rechtlich aus unserer Sicht eigentlich gelöst ist,
trotzdem ist dieser Punkt nicht komplett abgeschlossen, weil es hier –
naturgemäß – unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir befinden uns aber
in sehr guten Gesprächen.
Jawattdenn.de:
Zurück zur Ausgangsfrage: Wie steht Rot-Weiss denn nun da?
Dr. Welling:
Wir haben wieder einen Drucker (lacht).
Zum
jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass die vor der Saison geplanten
Zahlen definitiv erreicht werden. Unsere Planungen sind aufgegangen.
Selbst ohne den Sieg im Pokal gegen Union Berlin würden wir am Ende des
Jahres eine positive Zahl schreiben. Durch den Pokal können wir noch
beruhigter sein. Das führt dazu, dass wir das eine oder andere machen
können, was nicht geplant war. Zum Beispiel haben wir hier noch einige
386er-Computer stehen, der Trainer arbeitet unten sogar mit einem 286er!
Wäre RWE ein normales Unternehmen, würde man von einem Investitionsstau
sprechen. Wir haben anachronistische Prozesse und eine anachronistische
technische Ausstattung. Dadurch kam es leider auch zu den Problemen
beim Dauerkartenverkauf oder beim Pokalvorverkauf, bei denen wir so
unsäglich lange Schlangen hatten. In diesen Bereichen werden wir nun
etwas machen, um alle Prozesse zu verbessern und auf einen seriöseren
Stand zu bringen.
Vor
der Saison hatten wir den Wunsch, Mehreinnahmen für die Verbesserung
der Infrastruktur nutzen zu können. Das passiert nun. Bezüglich des
Stadionbaus können wir nicht abschätzen, was für Kosten auf uns zukommen
werden. Stichwort: Umzug in neue Büros. Vielleicht brauchen wir neue
Schränke, Tische und Stühle. Vielleicht müssen wir tapezieren und
Teppiche legen oder infrastrukturell nachrüsten? Für die Beantwortung
dieser offenen Fragen brauchen wir irgendwann möglicherweise Mittel.
Diesen Puffer haben wir dank der Pokalspiele.
Jawattdenn.de:
Mit
Martin vom Hofe, Tim Dodt und Ihnen beschäftigt der Verein – böse
formuliert – mehr Marketing-Leute als einsatzfähige Innenverteidiger.
Wofür braucht RWE drei Leute fürs Marketing?
Dr. Welling:
Wir
haben schon überlegt, ob wir uns hinten reinstellen. Die nötige
körperliche Robustheit würden zumindest Martin und ich mitbringen!
(lacht).
Im Ernst: Drei Leute – das würde ich so nicht sagen. Ich
komme zwar aus der Richtung, aber durch meine Position und Funktion im
Verein kann ich weniger Marketing-Aufgaben wahrnehmen, als ich es
vielleicht gerne wollte. Inhaltlich gesehen geht es vor allem um den
Vertrieb. Wir wollen auf allen Ebenen mehr Sponsoren gewinnen. Da geht
es um den Unternehmer, der eine VIP-Dauerkarte für 899 Euro im Jahr
kaufen will, ebenso wie um den Ausrüster, die Getränkepartner, die
Premiumpartner usw. Das sind viele Dinge, die aktiv bearbeitet werden
müssen. Das kann ich aufgrund der Vielzahl meiner anderen Aufgaben nicht
in der Intensivität leisten, die notwendig ist. Aber ich versuche
natürlich weiterhin, mit allen Sponsoren zu sprechen.
Wir müssen
aktiv auf Leute zugehen und sie von Rot-Weiss Essen überzeugen. Dafür
bedarf es Ressourcen. Die haben wir jetzt mit Martin vom Hofe
geschaffen. Tim Dodt hat in dem Bereich schon vorher mitgearbeitet –
quasi als „Volontär“ – und sich mit mir zusammen um unsere
„Stamm-Partner“ gekümmert. Aber die Umsetzung solcher Gespräche ist ein
Bereich, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Bislang hatten wir jedoch
nicht wirklich viel Kapazität, Sponsorenakquise zu betreiben. Das ändert
sich jetzt. Und das muss es auch. Nicht nur vor dem Hintergrund des
Zustandes, in dem wir jetzt hier sind, sondern auch mit Blick auf das
neue Stadion. Hier wird es darum gehen, neue Vermarktungspakete zu
entwickeln, neue Leute von RWE zu überzeugen und alte wieder an den
Verein zu binden
Früher haben sich natürlich auch schon Menschen
um die Sponsorengewinnung gekümmert. Das hat eine Agentur gemacht, die
diese Aufgabe auch gut gelöst hat. Ich glaube aber, dass es inhaltliche
und auch finanzielle Vorteile hat, wenn der Verein das Sponsoring direkt
betreut. Die Nähe zum Verein spielt dabei eine große Rolle – gerade in
unserer jetzigen Situation. Wir haben in den vergangenen Jahren durch
den sportlichen Niedergang und die Insolvenz viele Partner verloren.
Jetzt gilt es, die Leute wieder von RWE zu überzeugen. Und das ist
einfacher, wenn es der Verein selber macht. Im Übrigen geben wir für die
Bereiche Marketing und Vertrieb jetzt auch nicht mehr Geld aus als
früher, als die Agentur für uns tätig war.
weiter zu Teil IV