15.11.2011

Interview mit Dr. Michael Welling 2011- Teil III


"Wir machen keinen Aktionismus!"
Michael Welling über die Insolvenz, den Neustart und das aktuelle sportliche Abschneiden von Rot-Weiss Essen. Teil III


Jawattdenn.de:
Unsere Frage bezog sich mehr auf die wirtschaftliche Seite: Wie bringe ich die Fans zum Kauf einer Dauerkarte? Dann wäre es wirtschaftlich zweitrangig, ob der Dauerkarteninhaber auch glücklich ist oder nicht…

Dr. Welling:
Unbestritten. Aber auch da scheiden sich die Geister: Andere Vereine sind zum Beispiel gar nicht glücklich über zu viele Dauerkartenbesitzer, denn der Durchschnittspreis pro Spiel ist für Dauerkartenbesitzer deutlich geringer. Aber ich gebe Ihnen recht: Je mehr Dauerkarten wir verkaufen, desto größer ist unsere Planungssicherheit. Das hilft uns auf der Liquiditätsebene und diese steht beim Lizenzierungsverfahren des DFB über allem! Von daher ist ein großer Dauerkartenanteil sehr wichtig und eine Form von Vorfinanzierung. Auch das 17. Spiel im Mai (bzw. dieses Jahr 18. Spiel) ist damit schon zu Beginn der Saison bezahlt. Anderenfalls hätte ich diese Einnahme erst im Mai – wenn überhaupt.

Dr. Michael WellingZudem ist eine große Dauerkartenzahl ein Pfund, mit dem wir bei Sponsoren wuchern können. Wenn man dann noch einen Sponsor vor einem sitzen hat, der weiß, dass zum Beispiel der MSV Duisburg in der zweiten Liga auch nicht viel mehr Dauerkarten verkauft hat, dann ist es leichter zu überzeugen: Ja, wir spielen vierte Liga, aber mit vielen Zuschauern und für dich! Für deine Ziele, die du, lieber Sponsor, zu erreichen gedenkst, ist unser Verein im Grunde genauso viel Wert wie Duisburg oder Bochum in der zweiten Liga!
Daher muss es uns gelingen, mehr Dauerkarten zu verkaufen. Aber machen wir uns nichts vor, auch das hat viel mit sportlichem Erfolg zu tun. Je erfolgreicher wir sind, desto mehr Dauerkartenbesitzer haben wir. Man muss den Leuten hierbei auch verdeutlichen, was man von einer Dauerkarte hat: Finanziell ist es für die meisten keine Frage, man zahlt 13 Spiele und sieht 18. Es gibt aber auch weitere Vergünstigungen, wie Rabatte im Fanshop und die sichere Pokalkarte. Ich habe die Kritik daran vernommen und wir haben darüber intern auch diskutiert. Aber für uns war klar, dass Dauerkartenbesitzer und Mitglieder für das Hertha-Spiel ein Vorkaufsrecht haben müssen. Alles andere wäre für mich eine absolute Farce! Diese Menschen sind stets im Stadion! Es wäre fatal, wenn wir gegen Hertha ein Fußballfest feiern, aber 50 Prozent der Mitglieder oder Dauerkartenbesitzer nicht dabei sein können , weil die „Highlight-Besucher“ eher an Karten gekommen sind.

Jawattdenn.de:
Stichwort Hertha: Wie viele Karten sind schließlich noch in den freien Verkauf, also in die dritte Vorverkaufsphase, gegangen? Viele Karten sind ja vor dem Spiel über E-Bay oder direkt am Stadion zu Mondpreisen verkauft worden, das fanden viele Fans sehr ärgerlich…

Dr. Welling:
Das ist ein großes Ärgernis und auch illegal. Aber so lange es keine personalisierten Karten gibt, ist das schwer zu unterbinden. Knapp 2000 Karten sind in den freien Verkauf gegangen und dort galt: „first come, first served!“. Da haben sich einige mit Karten eingedeckt und wieder verkauft. Das kriegen wir nicht unterbunden. Wenn man sich die allgemeinen Ticketbedingungen anschaut, dann ist der Wiederverkauf eindeutig verboten – selbst zum gleichen Preis. Wir haben manche Aktionen bei E-Bay verfolgt, bekommen bislang aber noch keinen Daumen drauf. Vor allem, wenn der Verkäufer in Holland sitzt, erschwert das die Verfolgung. Daneben gibt es vereinzelt übrigens auch Personen, die Mitglied werden, um an Pokalkarten zu kommen und sie dann weiterzuverkaufen. Das ist superärgerlich und superasozial!

Jawattdenn.de:
Wenn wir richtig gerechnet haben, gibt es den neuen, schuldenfreien Verein Rot-Weiss Essen jetzt seit vier Monaten. Wenn sie diese Zeit Revue passieren lassen: Wie war die Ausgangssituation? Wo steht der Verein jetzt? Wie sehen die wirtschaftlichen Perspektiven aus?

Dr. Welling:
Zur Sekunde Null standen wir hier und hatten nichts. Im Grunde hatten wir nicht mal Mobiliar, denn alles war mit in die Insolvenzmasse geflossen. Der Insolvenzverwalter ist hier durchgegangen, hat sich alles angeschaut und bewertet. Diese Werte sind dann in die Insolvenzmasse geflossen und diese Werte stehen den Gläubigern zu. Allerdings haben die Gläubiger auch kein großes Interesse daran, von uns einen PC oder Drucker zu erhalten. Denn den müssten sie auch erst mal zu Geld machen. Daher hat man gesagt: Durch einen Betrag X, den der Verein bezahlt, hat er das Mobiliar wieder bei sich im Bestand. Das, was wir im letzten Jahr erwirtschaftet haben plus die Özil-Gelder, haben wir den Gläubigern im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Befriedigung ihrer Ansprüche angeboten.

Jawattdenn.de:
Dieser Betrag, der an die Gläubiger ausgezahlt wird, setzt sich vor allem aus den Özil-Geldern und den Einnahmen aus dem Spendenkonto zusammen. Was passierte mit den Einnahmen aus dem deutlich über der Kalkulation liegenden Zuschauerzuspruch? Und wo stünden wir heute, wenn die überraschenden, nicht einkalkulierten Özil-Einnahmen ausgeblieben wären?

Dr. Michael WellingDr. Welling:
Ohne die Özil-Einnahmen wäre es zweifelhaft, ob wir heute hier säßen – das muss man so deutlich sagen. Diese Einnahmen waren das große Pfund, das uns geholfen hat, das Insolvenzverfahren erfolgreich abzuschließen. An den zusätzlichen Zuschauereinnahmen partizipierten zum Teil die Spieler, aber nicht so exorbitant: Man muss nur sehen, wie sich die Jungs am Saisonende neben dem Platz noch mal den Allerwertesten aufgerissen haben, um den Mallorca-Urlaub selbst zu finanzieren. Die Saison selbst hat viele Einnahmen wieder verschlungen, zum Beispiel durch erhöhten Sicherheitsdienst, Reinigung usw. Am Ende ist ein kleiner Betrag hängen geblieben, der zur Begleichung offener Rechnungen und im Verfahren zur Befriedigung von Insolvenzforderungen eingesetzt wurde.
Das Özil-Geld selbst ist übrigens als Buchgeld ist noch nicht komplett geflossen. Deswegen haben wir eine Forderung gegenüber Real Madrid. Der Insolvenzverwalter verwaltet derzeit das Treuhandkonto, auf dem Teile des Özil-Geldes liegen und auf dem die letzten Raten eingehen werden. Erst wenn die letzten Raten eingegangen sind, werden die Gläubiger ausgezahlt.

Jawattdenn.de:
Wie bitte? Real Madrid zahlt in Raten?

Dr. Welling:
Ja, das ist angepasst an die Transfervereinbarung mit Werder Bremen. Real hat also Schulden bei uns! (lacht) Rein rechtlich sind das auch echte Schulden bei uns, nicht bei den Gläubigern. Wir wiederum haben Schulden bei den Gläubigern, die dann von uns bzw. vom Insolvenzverwalter beglichen werden.

Jawattdenn.de:
War es ein Glücksfall oder sogar absehbar, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens von den Forderungen in einer Gesamthöhe von rund 20 Mio. Euro am Ende nur rund zwei Mio. anerkannt wurden?

Dr. Welling:
Das war absehbar, da das Anerkennen von Forderungen anhand bestimmter Kriterien erfolgt. Daher war es am Stichtag der Insolvenzanmeldung schon klar, dass von den 20 Mio. Euro nur ein kleiner Teil als anerkannte Forderungen zu behandeln sein würde.

Jawattdenn.de:
Sind mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens auch die Kölmel-Forderungen komplett ad acta gelegt oder steht ihm nach wie vor ein Teil der audio-visuellen Einnahmen zu?

Dr. Welling:
Komplett abgeschlossen noch nicht. Wir sprechen weiterhin mit Herrn Kölmel, um das vernünftig zu regeln. Dabei könnte man schon sagen, dass die Angelegenheit rechtlich aus unserer Sicht eigentlich gelöst ist, trotzdem ist dieser Punkt nicht komplett abgeschlossen, weil es hier – naturgemäß – unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir befinden uns aber in sehr guten Gesprächen.

Jawattdenn.de:
Zurück zur Ausgangsfrage: Wie steht Rot-Weiss denn nun da?

Dr. Welling:
Wir haben wieder einen Drucker (lacht).
Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass die vor der Saison geplanten Zahlen definitiv erreicht werden. Unsere Planungen sind aufgegangen. Selbst ohne den Sieg im Pokal gegen Union Berlin würden wir am Ende des Jahres eine positive Zahl schreiben. Durch den Pokal können wir noch beruhigter sein. Das führt dazu, dass wir das eine oder andere machen können, was nicht geplant war. Zum Beispiel haben wir hier noch einige 386er-Computer stehen, der Trainer arbeitet unten sogar mit einem 286er! Wäre RWE ein normales Unternehmen, würde man von einem Investitionsstau sprechen. Wir haben anachronistische Prozesse und eine anachronistische technische Ausstattung. Dadurch kam es leider auch zu den Problemen beim Dauerkartenverkauf oder beim Pokalvorverkauf, bei denen wir so unsäglich lange Schlangen hatten. In diesen Bereichen werden wir nun etwas machen, um alle Prozesse zu verbessern und auf einen seriöseren Stand zu bringen.

Dr. Michael WellingVor der Saison hatten wir den Wunsch, Mehreinnahmen für die Verbesserung der Infrastruktur nutzen zu können. Das passiert nun. Bezüglich des Stadionbaus können wir nicht abschätzen, was für Kosten auf uns zukommen werden. Stichwort: Umzug in neue Büros. Vielleicht brauchen wir neue Schränke, Tische und Stühle. Vielleicht müssen wir tapezieren und Teppiche legen oder infrastrukturell nachrüsten? Für die Beantwortung dieser offenen Fragen brauchen wir irgendwann möglicherweise Mittel. Diesen Puffer haben wir dank der Pokalspiele.

Jawattdenn.de:
Mit Martin vom Hofe, Tim Dodt und Ihnen beschäftigt der Verein – böse formuliert – mehr Marketing-Leute als einsatzfähige Innenverteidiger. Wofür braucht RWE drei Leute fürs Marketing?

Dr. Welling:
Wir haben schon überlegt, ob wir uns hinten reinstellen. Die nötige körperliche Robustheit würden zumindest Martin und ich mitbringen! (lacht).
Im Ernst: Drei Leute – das würde ich so nicht sagen. Ich komme zwar aus der Richtung, aber durch meine Position und Funktion im Verein kann ich weniger Marketing-Aufgaben wahrnehmen, als ich es vielleicht gerne wollte. Inhaltlich gesehen geht es vor allem um den Vertrieb. Wir wollen auf allen Ebenen mehr Sponsoren gewinnen. Da geht es um den Unternehmer, der eine VIP-Dauerkarte für 899 Euro im Jahr kaufen will, ebenso wie um den Ausrüster, die Getränkepartner, die Premiumpartner usw. Das sind viele Dinge, die aktiv bearbeitet werden müssen. Das kann ich aufgrund der Vielzahl meiner anderen Aufgaben nicht in der Intensivität leisten, die notwendig ist. Aber ich versuche natürlich weiterhin, mit allen Sponsoren zu sprechen.

Wir müssen aktiv auf Leute zugehen und sie von Rot-Weiss Essen überzeugen. Dafür bedarf es Ressourcen. Die haben wir jetzt mit Martin vom Hofe geschaffen. Tim Dodt hat in dem Bereich schon vorher mitgearbeitet – quasi als „Volontär“ – und sich mit mir zusammen um unsere „Stamm-Partner“ gekümmert. Aber die Umsetzung solcher Gespräche ist ein Bereich, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Bislang hatten wir jedoch nicht wirklich viel Kapazität, Sponsorenakquise zu betreiben. Das ändert sich jetzt. Und das muss es auch. Nicht nur vor dem Hintergrund des Zustandes, in dem wir jetzt hier sind, sondern auch mit Blick auf das neue Stadion. Hier wird es darum gehen, neue Vermarktungspakete zu entwickeln, neue Leute von RWE zu überzeugen und alte wieder an den Verein zu binden

Früher haben sich natürlich auch schon Menschen um die Sponsorengewinnung gekümmert. Das hat eine Agentur gemacht, die diese Aufgabe auch gut gelöst hat. Ich glaube aber, dass es inhaltliche und auch finanzielle Vorteile hat, wenn der Verein das Sponsoring direkt betreut. Die Nähe zum Verein spielt dabei eine große Rolle – gerade in unserer jetzigen Situation. Wir haben in den vergangenen Jahren durch den sportlichen Niedergang und die Insolvenz viele Partner verloren. Jetzt gilt es, die Leute wieder von RWE zu überzeugen. Und das ist einfacher, wenn es der Verein selber macht. Im Übrigen geben wir für die Bereiche Marketing und Vertrieb jetzt auch nicht mehr Geld aus als früher, als die Agentur für uns tätig war.

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