Wir sind ja nicht bei „Wünsch Dir was!" - Interview mit Marc Fascher
Wir hatten Anfang der Woche die Gelegenheit, Marc Fascher zu treffen. Der Cheftrainer gibt einen Rückblick auf das letzte Dreivierteljahr, spricht über die Entwicklung der Mannschaft und das spezielle Umfeld Hafenstraße.
Jawattdenn.de:
Hallo Herr Fascher! Sie sind jetzt ein gutes Dreivierteljahr hier. Wie war diese Zeitspanne für Sie: Ungefähr so, wie sie es sich vorgestellt haben, oder anstrengender als gedacht?
Marc Fascher:
Es war definitiv eine sehr intensive und dadurch auch anstrengende Zeit. Wenn man in der Winterpause auf dem ersten Platz steht, ist das zumindest erwünschenswert. Aber wir sind ja nicht bei „Wünsch Dir was“, daher freuen wir uns über den aktuellen Stand, aber selbst wenn wir einige Plätze tiefer mit Tuchfühlung nach oben gewesen wären, wäre das noch in Ordnung gewesen. Beschweren können wir uns jedenfalls nicht.
Jawattdenn.de:
Vor einiger Zeit haben Sie in einem anderen Interview bekannt, dass Sie etwas wie Genugtuung eigentlich nicht empfinden. Zu Saisonbeginn gab es ja sehr harte, teils auch unfaire und unreflektierte Kritik. Gibt es nicht doch mal Momente, in denen man sich denkt: „Denen habe ich es jetzt aber gezeigt!“?
Marc Fascher:
Nein, gibt es eigentlich nicht. Genugtuung hat für mich einen sehr negativen Beigeschmack. Mit dem Wort „Bestätigung“ verbinde ich etwas Positives, das gefällt mir deutlich besser. Wenn Kritik aufkommt, bleibt man seinen Vorstellungen und sich selbst treu, und freut sich natürlich, wenn es dann läuft. Auch wenn das bei uns etwas länger gedauert hat. Mit Kritik muss man in diesem Job nun mal leben, von daher ist alles in Ordnung.
Jawattdenn.de:
Die Kritik gipfelte in den „Fascher raus“-Rufen nach dem Spiel in Herne gegen Schalke II. Haben Sie Erklärungen dafür, warum so früh von Teilen der Fanszene schon so starke Kritik laut wurde?
Marc Fascher:
Ich denke, es handelte sich eher um vereinzelte Rufe als ganze Teile der Fangemeinde. Natürlich nimmt man die Rufe trotzdem zur Kenntnis, so sehr kann man gar nicht auf das Spiel fokussiert sein, dass man das nicht hört. Das Verhalten ist sicherlich der hohen Erwartungshaltung geschuldet. Viele trauern noch der Zeit hinterher, als Rot-Weiss Essen eine große Nummer im Profifußball war. Die vielen Fans, die den Verein wirklich leben, wünschen sich nichts sehnlicher als dass es mal wieder höher geht. Unser Start war bestimmt nicht optimal, aber auch keine Katastrophe. Viktoria Köln hat eine sensationelle Anfangsphase hingelegt, aber das war nicht nur für uns, sondern auch für alle Konkurrenten ein Problem. Wenn es bei der Viktoria so weitergegangen wäre, dann hätte man das einfach nur anerkennen können, aber glücklicherweise war das nicht der Fall. Die große Erwartungshaltung ist typisch für einen Traditionsverein, wo es vielfach nur schwarz und weiß gibt. Am Ende muss man so etwas richtig einschätzen können.
Jawattdenn.de:
Nach dem Debakel im Kray-Spiel haben Sie die Innenverteidigung umgebaut und Philipp Zeiger und Kai Nakowitsch gebracht. War der Ausfall von Zeiger zu Saisonbeginn ein entscheidender Faktor, warum die Defensive noch nicht stand?
Marc Fascher:
Der Ausfall hat natürlich wehgetan, nicht nur ihm an seiner Schulter, sondern natürlich auch uns. Man hat im Saisonverlauf gesehen, wie wichtig er für uns geworden ist. Seine Vorbereitung war in Ordnung, so dass er berechtige Chancen hatte, am ersten Spieltag in der Startelf zu stehen. Im Nachhinein kann man deutlich sagen, er hätte uns damals schon sehr gut zu Gesicht gestanden.
Jawattdenn.de:
Im Sommer hat man verlauten lassen, dass man den Kader bewusst klein halten wollte, damit jeder Spieler seine Einsatzzeiten erhält. Jetzt wurde beispielsweise für die Innenverteidigerposition mit Leon Binder ein weiterer Mann geholt, um Verletzungsproblemen vorzubeugen. Wie ist der Wandel zu erklären?
Marc Fascher:
Das ist das Ergebnis einer halbjährigen Analyse. Man beobachtet ja, wie sich einzelne Spieler entwickeln, von daher ist es aus meiner Sicht völlig legitim, wenn man aufgrund von Erfahrungswerten eine Meinung revidiert. Würden wir an der Aussage vom Sommer weiter festhalten, wäre das Sturheit, aber wir gehen mit Bedacht an unsere Arbeit und freuen uns sehr, dass wir den Transfer mit großer Unterstützung des abgebenden Vereins realisieren konnten.
Jawattdenn.de:
Teil des Ergebnisses der Analyse war vermutlich, dass Mario Neunaber auf rechts deutlich besser aufgehoben ist als in der Mitte?
Marc Fascher:
Korrekt. Wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie man sich das vorgestellt hat, und Neunaber unserer Meinung nach jetzt auf rechts deutlich besser aufgehoben ist als in der Innenverteidigung, dann sollten wir darauf auch reagieren.
Jawattdenn.de:
Während der durchwachsenen Phase zu Anfang der Saison haben Sie auf Pressekonferenzen häufig gesagt, dass Sie lieber nicht zu viel von Ihren Erkenntnissen Preis geben wollen, um dem Gegner nicht in die Karten zu spielen. Können Sie nun mit einigem zeitlichen Abstand ein paar Punkte benennen, die damals noch nicht so gut geklappt haben und heute deutlich besser funktionieren?
Marc Fascher:
Ich weiß nicht, ob es so aufgefallen ist, aber ich habe häufig das Wort „Entwicklung“ benutzt. Mit einem Altersdurchschnitt von 23,6 Jahren haben wir eine sehr junge Mannschaft, bei der die meisten Spieler ihr bestes Fußballeralter erst noch vor sich haben. Gewisse Dinge erfordern daher auch eine gewisse Geduld. Wir haben damals nicht alles über den Haufen geschmissen, sondern an die Jungs geglaubt, und freuen uns sehr darüber, dass sie uns das später auch gedankt haben.
Jawattdenn.de:
War es tatsächlich so, dass durch weiteres Zusammenwachsen der Mannschaft auch die Qualität im Saisonverlauf immer besser auf den Platz gebracht werden konnte, oder haben noch weitere Gründe eine Rolle gespielt, wie beispielsweise personelle Umstellungen?
Marc Fascher:
Ich bin weit davon entfernt, mir selbst auf die Schulter zu klopfen, denn schließlich ist es mein Job, durch die richtige Aufstellung Erfolg zu haben. Ich denke, dass sich nicht nur die Mannschaft finden musste, sondern Rot-Weiss Essen ein besonderes Pflaster ist. Für einen jungen Spieler bedeutet das einen Entwicklungsprozess. Es macht einen Riesenunterschied, ob du als Gegner vor einer tollen Kulisse in dem schönen Stadion auflaufen kannst oder für RWE spielst, wo das ganze Drumherum in der ein oder anderen schwierigeren Situation auch mal die Beine schwer machen kann. Die Jungs mussten den Umgang erst lernen, und aus heutiger Sicht kann man nur den Hut davor ziehen, wie sie es inzwischen hinbekommen haben.
Jawattdenn.de:
Können Sie Ihre Spielphilosophie in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Marc Fascher:
Ich versuche es und verwende dazu ein Beispiel: In gewisser Weise ist das Spiel von Borussia Dortmund mein Vorbild, natürlich nicht in der aktuellen Form, sondern in der der letzten Jahre mit Meisterschaft und Pokalsieg. Gegen den Ball spielen sie ein sehr gutes Pressing, setzen den Gegner unter Druck, und strahlen damit natürlich eine gewisse Dominanz aus. Das A und O ist dabei das schnelle Umschaltspiel in beide Richtungen. Wie Dortmund das in den letzten Jahren praktiziert hat, gefällt mir schon sehr.
Jawattdenn.de:
Diese Spielweise haben wir im Heimspiel gegen Alemannia Aachen in den ersten 15 Minuten in nahezu perfekter Ausführung gesehen. Gerade bei Heimspielen erwartet man von Fanseite auch so ein dominantes Spiel. In den ersten Spielen der Saison hatte man aber häufig den Eindruck, dass die Mannschaft eher zurückhaltend auftritt und erst in der eigenen Hälfte richtig angreift. Wie ist das zu erklären?
Marc Fascher:
Das sehe ich anders. Wir haben es in jedem Spiel versucht, auch wenn es vielleicht nicht immer so gut geklappt hat. Aber bis die angesprochene Spielphilosophie verinnerlicht ist, bis gewisse Mechanismen greifen, dauert es einfach eine Weile. Da kommen wir wieder zum Beispiel Borussia Dortmund: Warum klappt das denn bei denen gerade nicht? Wenn permanent wichtige Spieler ausfallen, dann kann das auch nach hinten losgehen. Hätten wir in dem Spiel gegen Aachen mit elf Mann zu Ende spielen können, dann hätten wir Aachen auch schlagen können. Die rote Karte hat uns brutal zurückgeworfen, so konnten wir unser Spiel natürlich nicht mehr so aufrecht halten. Einen Spieltag später in Bochum waren wir mit einem Mann mehr und in Führung eigentlich auch schon auf der Siegesstraße, und in Überzahl stellt sich dann unbewusst – da kann ich den Jungs noch nicht einmal einen Vorwurf machen – eine gewisse Nachlässigkeit ein. Das ist eine Fußball-Binsenweisheit: Wenn man in Überzahl ist, muss man eigentlich noch mehr laufen. Die andere Mannschaft stellt sich sehr kompakt hinten rein, und du musst dich sehr viel ohne Ball bewegen, um Lücken zu reißen. Wenn man denkt, dass man mit einem Mann mehr nur noch Standfußball spielen muss, dann ist das ein großer Trugschluss. Wir haben Bochum in der Situation aufgebaut, und auf einmal belohnen die sich und gehen in Führung. Was unsere Jungs dann wirklich auszeichnet, ist die Moral. Die sind einfach nicht tot zu kriegen. Wir kommen immer wieder, und in Bochum haben wir uns am Ende noch selbst belohnt. Eines kann man der Mannschaft wirklich zu 0,0 % vorwerfen – da muss ich wirklich kein Fachmann sein – die Mannschaft gibt immer 100%. Die einzige Ausnahme war nach dem 2:4 gegen Kray, wo sich das Team selbst den Zahn gezogen hat. Dass das ausgerechnet in dem Derby passiert ist, ist natürlich sehr ärgerlich. Wir können die Niederlage zwar nicht rückgängig machen, aber was daraus seitdem entstanden ist: Hut ab! So schmerzlich die Niederlage damals auch war, für alle die, die diesen Verein leben, sie war Gold wert für die Entwicklung der Mannschaft.
Jawattdenn.de:
Gab es gegen Rellinghausen noch eine weitere Ausnahme?
Marc Fascher:
Ich sehe es nicht so, dass die Mannschaft in Rellinghausen nicht 100% gegeben hat. Es war der Situation geschuldet, wir waren damals als Mannschaft noch nicht gefestigt. Ich kann mich noch gut an das 1:1 erinnern, danach hatten wir eine Phase, wo jeder noch so kleinste Fehler sofort hinten eingeschlagen hat. Der Spieler aus Rellinghausen schießt wahrscheinlich 100 Mal so auf das Tor, aber nur einmal geht er rein, und das ist natürlich gegen Rot-Weiss Essen. Das sind einfach Antiläufe, die man erst einmal wegstecken muss. Wir waren damals noch nicht gefestigt genug, um so ein Spiel solide über die Bühne zu bringen, aber als wir mit dem Rücken an der Wand standen… Moral! Wenn alle glauben, wir seien tot, dann kommen wir erst recht wieder. Man kann sich jetzt hinstellen und sagen: Ja gut, war ja nur ein Landesligist. Aber gucken wir uns mal die Bilder hier an (zeigt auf die Wand in der Sparkassen-Loge mit einem Foto, nicht der Lipinski-Lehmann-Szene): Das ist Pokal, David gegen Goliath, Sensationsspiel. Ich muss ganz ehrlich sagen, eigentlich hasse ich solche Spiele im Pokal, in die du als Favorit gehst. Du kannst immer nur verlieren. Wenn du 5:0 gewonnen hättest in Rellinghausen, dann hätten die Leute gesagt, es hätten ja auch 10 Tore sein können. Pokal heißt immer nur: Weiterkommen!
Jawattdenn.de:
Gilt diese Aussage bei der Nachbesprechung eines solchen Spiels auch intern?
Marc Fascher:
Gute Frage, das ist sehr situationsabhängig. Man kann sich auch totkritisieren. Wenn die Mannschaft noch nicht gefestigt ist, und dann der Trainer noch einmal richtig drauf haut, fördert er natürlich nicht das Selbstbewusstsein. Draufhauen kann jeder, aber mein Job ist es, die Mannschaft stärker zu machen und ihr Selbstbewusstsein zu geben. In so einer Situation muss ich das Positive hervorheben, wie wir wieder zurückgekommen und jetzt eine Runde weiter sind. Jeder Sieg bringt in so einer Lage Selbstvertrauen. Wenn die Mannschaft gefestigt ist, kann ich auch fragen: „Jungs, habt ihr sie nicht mehr alle?!“, aber das hat die Situation damals absolut nicht hergegeben.
Jawattdenn.de:
Sie sprachen gerade Selbstvertrauen an: Mir fallen spontan zwei Spieler ein, die hier anfangs unfair behandelt worden sind, nämlich Neunaber und Heimann. Neunaber ist erfahren und hat schon viel durchgemacht, bei Heimann sieht die Sache anders aus. Sie haben diesbezüglich in einer Pressekonferenz klare Worte gefunden und auch der Torwarttrainer hatte sich zu Wort gemeldet. Wie schwierig ist es, mit solchen Spielern richtig umzugehen und es hinzubekommen, dass die Spieler solche Phasen überstehen?
Marc Fascher:
Wir wollen uns ja nichts vormachen: Wir sind alle Menschen und es gibt nichts schlimmeres, als wenn das eigene Publikum dich verhöhnt. Jeder Mensch ist sensibel und hat Gefühle, der eine oder andere Spieler kann das sicherlich besser verarbeiten aber es gibt keinen, den das völlig kalt lässt. Im günstigsten Fall kann man daraus eine zusätzliche Motivation ziehen im Sinne von "Euch zeig´ ich, was ich kann!". Sie sprachen das Alter von Mario Neunaber an, aber auch ihn hat das beschäftigt. Für beide war es wichtig, dass sie sie 100%ige Unterstützung von Vereinsseite erhalten haben, also nicht nur von mir sondern auch von Herrn Harttgen. Auch das hat die Mannschaft zusammengeschweißt. Es ist wirklich so, dass einer für den anderen einsteht und wenn einer an dem Pranger steht, kann er sich von der Unterstützung der Kollegen sicher sein. Nur so kann man dagegen angehen.
Jawattdenn.de:
Die Ungeduld der Fans bezüglich Neunaber lag vermutlich auch daran, dass schon früh im Sommer die Verpflichtung eines "Papas der Kompanie" angekündigt wurde. Das weckte eine gewisse Erwartungshaltung, die Neunaber zumindest am Anfang der Saison nicht erfüllen konnte. Die Verpflichtung wurde aber erst relativ spät im Sommer realisiert. War Neunaber einer von vielen Kandidaten, die sie auf der Liste hatten oder war er der eine, den sie unbedingt haben wollten?
Marc Fascher:
Prinzipiell gilt: Jeden Spieler, den wir holten, wollten wir unbedingt haben (lacht). Nein, es gibt immer eine Liste, denn man muss auch immer mit Absagen rechnen und dementsprechend muss man auch immer einen Plan B haben, wobei das eigentlich gar kein Plan B ist. Klar hat man immer einen leichten Favoriten, aber alle auf der Liste haben wir ausgewählt, weil sie uns weiterhelfen könnten. Wenn dann ein anderer kommt, dann ist das genauso geil!
Jawattdenn.de:
Kommen wir zur Nachwuchsarbeit. Unsere erste Mannschaft spielt zurzeit einen tollen Fußball, was wiederum für die jungen Spieler wie Arenz, Limbasan, Beier und mit Abstrichen Nakowitsch schlecht ist, weil sie kaum Einsatzzeiten und Möglichkeiten haben, in die Startelf zu rotieren. Wie hält man diese Spieler bei der Stange und Laune? Und haben sie eine realistische Chance, sich in der Rückrunde durchzusetzen?
Marc Fascher:
Wo fange ich jetzt an? Ich gehe erstmal die einzelnen Spieler durch: Lucas Arenz macht nebenbei eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann. Das heißt, dass er berufsbedingt schon mal die Vormittagseinheiten verpasst. Wenn er Berufsschule hat, schafft er es auch nachmittags nicht immer pünktlich. Der Co-Trainer macht mit ihm dann Einzeltraining, um ihn auf einem gewissen Level zu halten. Das ist für Arenz natürlich undankbar und ein Handicap gegenüber den anderen. Aber trotzdem kann man ihn jederzeit bringen. Ich erinnere z.B. an ein Förderspiel vor dem RWO-Heimspiel, in dem er einen rabenschwarzen Tag erwischte. Trotzdem war er gegen Oberhausen im Kader und ich wechselte ihn nach 25 Minuten aus taktischen Gründen ein. Am Ende machte er noch das 4:4! Damit habe ich ihm bewiesen: Junge, du bist trotz der für dich erschwerten Bedingungen Bestandteil der Mannschaft! Das weiß er aber auch, er hat ja auch noch einen längerfristigen Vertrag. Von daher ist es völlig legitim, wie es zurzeit abläuft. Damit ist Arenz abgehakt.
Limbasan war lange verletzt, er muss erstmal zusehen, dass er den Anschluss wieder schafft. Es ist ja Wahnsinn, er hat fast ein halbes Jahr ausgesetzt. Dementsprechend beißt er sich wieder ran.
Kai Nakowitsch unterliegt den Mechanismen eines jungen Spielers. Er ist gerade erst 20 geworden, und auch wenn es nicht seine erste Seniorensaison ist: Entwicklung geht nicht immer stetig nach oben, sondern man geht auch mal durch Täler durch, gerade wenn man noch ein junger Mann ist. Mit solchen Schwankungen müssen junge Spieler leben, dass ist Teil des Entwicklungsprozesses. Nakowitsch war am Anfang der Saison dabei und hat auch gute Spiele gemacht, er ist dann in der Mitte der Hinrunde durch eine Verletzung aus der Mannschaft rausgerutscht. Das ist auch Pech, das man ab und zu hat. Am Ende des Tages liegt es aber an dem Jungen selbst, was bietet er dem Trainer an? Ist er gerade gut drauf, dann werde ich einen Teufel tun und ihn nicht berücksichtigen.
Marco Beier sitzt häufig nicht auf der Bank, weil man bei der Zusammensetzung der Bank berücksichtigen muss, dass möglichst alle Positionen abgedeckt sind, was für vielseitige Spieler spricht. Zudem ist für seine Position mit Mario Neunaber noch jemand dazugekommen. Allerdings war das kein brutal geglücktes Experiment, denn Mario hat auch früher schon auf der rechten Verteidigerposition gespielt, aber in seiner Vita war er lange Jahre als Innenverteidiger gesetzt und die rechte Position war nur ein Plan B. Dementsprechend war ich abgesichert für den Fall, dass rechts hinten etwas passiert, da war nicht zwingend Beier Ersatzspieler für Dombrowka. Für Beier ist es im Gegensatz zu Nakowitsch das erste Herrenjahr und er weiß auch, dass das erste Jahr ein absolutes Lehrjahr ist. Der Junge geht dabei mit einer sensationellen Einstellung zu Werke, er versucht jede Trainingseinheit, jeden Einsatz, jedes Förderspiel zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln. Er hat das Herz wirklich am richtigen Fleck und es ist nur eine Frage der Zeit, bis mit dem Jungen zu rechnen ist. Er macht mir Spaß!
Jawattdenn.de:
In den früheren Jahren konnten solche Entwicklungsprozesse noch mit hochwertigen Spielen in der Oberliga gefördert werden, was jetzt nicht mehr möglich ist. Wie wichtig ist aus ihrer Sicht für die Entwicklung der Spieler das Auffinden eines Kooperations-Partners für die jungen Spieler, die noch nicht dicht an der Stammelf der Regionalliga-Mannschaft stehen?
Marc Fascher:
Das macht Sinn, gerade bei A-Jugend-Spielern, die noch nicht so weit sind wie Marco Beier. Sie könnten dann ein Jahr in der Oberliga ihre Entwicklung fortsetzen. Aber auch hier möchte ich nochmal betonen, dass Marco Beier fester Bestandteil der Mannschaft ist, auch wenn es natürlich ein Unterschied ist, ob man in einem Freundschaftsspiel, wo es um "nothing" geht, oder an der Hafenstraße, wo es um Punkte geht, aufläuft. Kann ein Spieler auch dann seinen Mann stehen? Mein Gefühl sagt mir: Ja, den Beier kriegen wir dorthin, weil er im Kopf klar ist. Wir sprechen aber über Entwicklung: Der eine braucht eben noch ein Jahr und deswegen würde eine Kooperation absolut Sinn machen.
Jawattdenn.de:
Welche Erkenntnisse gewinnen sie aus den Förderspielen?
Marc Fascher:
Die Förderspielen bringen eine sehr gute Erkenntnis, was den Nachwuchs anbelangt. Dabei muss man berücksichtigen, dass ca. 80% der A-Jugendspieler dem Jungjahrgang angehören, das heißt, sie können im nächsten Jahr auch noch in der A-Jugend spielen. Wenn wir ehrlich sind, werden diese Spieler erst im übernächsten Jahr interessant für uns. Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe Kai Nakowitsch. Man kann also nicht erwarten, dass wir fünf Spieler am Ende der Saison hochziehen und dementsprechend haben wir bei den Förderspielen mit Gegnern angefangen, die von der Ligenzugehörigkeit relativ weit unten anzusiedeln sind. Wir wollen solche jungen Leute nicht verheizen, es geht erstmal darum, einen Prozess des Beschnuppern und Kennenlernens zwischen A-Jugend und Regionalligamannschaft anzukurbeln. Dazu hat Jürgen Lucas seine Spielphilosophie, ich habe meine - wobei wir gar nicht so weit auseinanderliegen - und deshalb gehen wir alles erstmal langsam an. Wir haben erst zwei Förderspiele absolviert, was an der Gesamtsituation liegt. Sowohl wir als auch die A-Jugend sind sehr ambitioniert, da haben die Meisterschaftsspiele Priorität. Die Mannschaften müssen am Wochenende funktionieren und nicht unter der Woche in Förderspielen. Die macht man, wenn es passt. Jürgen Lucas und ich haben einen guten Draht, wir tauschen uns ständig aus. Die A-Jugendspieler sind auch bei uns schon das eine oder andere Mal im Training dabei. Wir versuchen die jüngeren Jahrgänge sukzessive heranzuführen, aber wir müssen die Kirche noch im Dorf lassen. Klar hätten wir das eine oder andere Förderspiel mehr gemacht, wir wollen auch das Niveau der Gegner noch steigern, aber die Jungs sind auch so schon sehr weit.
Jawattdenn.de:
Schauen wir in die Zukunft: Es wartet ein Westschlager, ausverkauftes Stadion, alle freuen sich darauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man vor so einem Spiel die Mannschaft noch motivieren muss. Halten sie das Spiel in Aachen für ein Schlüsselspiel bezüglich der weiteren Rückrunde?
Marc Fascher:
Ich freue mich, dass sie das ansprechen. Das ist eine tolle Konstellation, das Rahmenprogramm ist bundesligareif mit Fernsehübertragung, ausverkauftem Haus usw. Aber wir haben nach Aachen noch 14 Rückrundenspiele. Klar geht es auch um drei Punkte, aber ich bin weit davon entfernt daraus ein Endspiel zu machen, das über den Aufstieg entscheidet. Es hat eine gewisse Wichtigkeit, ich möchte das Spiel auch nicht kleiner reden als es ist, aber anschließend kann noch so viel passieren...
Jawattdenn.de:
Welche Mannschaften sind aus Ihrer Sicht neben Rot-Weiss die stärksten Teams in dieser Liga?
Marc Fascher:
Ich denke, dass es die Mannschaften sind, die jetzt auch vorne stehen. Alemannia Aachen, aber auch Borussia Mönchengladbach II. Franz Wunderlich hat kürzlich einmal angemerkt, dass niemand über die Gladbacher spricht, obwohl die richtig Qualität haben und schon gar nicht zu unterschätzen, sondern ernst zu nehmen sind. Viktoria Köln und Oberhausen sind ebenfalls dabei und zum Glück gehören wir auch in diesen Topf. Auch Verl ist in guter Verfassung. Es reicht vielleicht nicht für einen Platz ganz oben, aber die kommen direkt dahinter. Einer von den genannten wird es werden.
Beim Testspiel gegen Fortuna Köln meinte Kölns Trainer Uwe Koschinat zu mir, dass diese Saison noch härter als die letzte sei. Eigentlich seien es im letzten Jahr nur Köln und Lotte gewesen und jetzt wäre es ein Hauen und Stechen um den ersten Platz. Man kann das auch an den aktuellen Testspielen sehen. Die Regionalliga West hat einige gute Ergebnisse eingefahren, was die Qualität der Liga unterstreicht.
Jawattdenn.de:
Dazu zählen sicher auch unsere Testspiele. Gibt es denn Spieler, die Sie in der Vorbereitung positiv überrascht haben?
Marc Fascher:
Marco Beier macht mir richtig Freude, weil ich bei ihm einen Sprung sehe. Ich will nicht so weit gehen, ihn auf ein Podium zu setzen, aber es ist auffällig positiv bei ihm. Ich kenne die Jungs ein halbes Jahr und es ist weiterhin so, dass sie alle Gas geben, was mich als Trainer sehr freut. Es ist als Trainer dankbar, wenn du so ein Auftaktspiel hast. Da muss ich gar nicht viel sagen, weil alle heiß auf dieses Spiel sind.
Jawattdenn.de:
Bei den Spielern wird es im Sommer wahrscheinlich keinen so großen Umbruch geben, wie im letzten Sommer, oder steht das noch in den Sternen?
Marc Fascher:
Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund für einen großen Umbruch, deswegen läuft es eher auf gezielte Verstärkungen heraus.
Jawattdenn.de:
Ihre Vita ist sehr interessant. Sie waren Trainer in Siegen, Jena, Rostock, Münster und jetzt in Essen. Man kann Ihnen also nicht vorwerfen, den leichtesten Weg zu gehen. Ist das Zufall oder versuchen Sie verstärkt bei Traditionsvereinen zu arbeiten?
Marc Fascher:
(lacht) Ja, solche Vereine reizen mich. Es hat nicht immer nur schöne Seiten, aber bei diesem Schwarz-Weiß-Denken weißt du immer, woran du bist. Mit der goldenen Ananas kann ich nichts anfangen. Die negativen Seiten habe ich hier beispielsweise beim Schalke-Spiel zur Kenntnis genommen, das geht nicht spurlos an einem vorbei. Das muss man einordnen können. Auf der anderen Seite ist es ein Gänsehautfeeling, wenn hier die Hütte voll ist. Ich bin Fußball durch und durch und es gibt nichts schöneres, als vor einer so tollen Kulisse arbeiten zu können. Wenn man dann ein bisschen Erfolg hat, macht es das umso schöner.
Jawattdenn.de:
Ist Rostock emotional heftiger als Essen?
Marc Fascher:
Ich möchte es mal so ausdrücken. Beide Vereine sind sehr emotional.
Jawattdenn.de:
Haben Sie sich ein dickes Fell zugelegt, wenn es mal nicht läuft?
Marc Fascher:
Das muss man ja. Man muss es einschätzen können, weil man sonst nicht zu solchen Vereinen gehen sollte. Für mich ist es eher Motivation, deswegen komme ich damit gut klar.
Jawattdenn.de:
Wie war das denn in Jena? Sie wurden in einer aussichtslosen Situation geholt, schaffen dennoch den Klassenerhalt und werden dann durch Ihren Vorgänger ersetzt. War das für Sie überraschend oder haben Sie gemerkt, dass da irgendetwas nicht läuft?
Marc Fascher:
Überraschend? Das war ein Schock! Als ich mitbekommen habe, dass es nach dem Motto geht: Vielen Dank, das war es jetzt! Da habe ich gedacht, man will mich verarschen. Als ich die Mannschaft übernommen habe, war sie eigentlich schon tot. Man darf auch nicht vergessen, wie bei Rot-Weiss Essen in der Insolvenz, dass da auch Arbeitsplätze dranhängen. Es werden nicht alle entlassen, aber die Sparmaßnahmen treffen meistens Menschen, wie den Zeugwart oder Geschäftsstellenmitarbeiter. Besonders kurios ist, dass mein Vorgänger auch mein Nachfolger wurde. Ein Zeugwart wollte mich trösten und sagte mir, dass ich der achte Trainer in drei Jahren war.
Man muss sich die Entlassung also nicht so zu Herzen nehmen. Aber ich finde es trotzdem schade, weil Jena auch ein Traditionsverein ist, mit dem man den nächsten Schritt hätte gehen können. Fußball ist manchmal verrückt.
Jawattdenn.de:
Vor der Saison wurden Sie bereits medial in eine Schublade gesteckt. Man hatte mitunter den Eindruck, dass Sie Verfechter von Mauerfußball wären. Für wie sinnvoll halten Sie solch ein Schubladendenken?
Marc Fascher:
Das rührt noch aus der Emdener Zeit. Man muss sich als Trainer auf die Gegebenheiten einstellen, also, was man als Trainer für eine Mannschaft vorfindet. Da Emden finanziell nicht auf Rosen gebettet war, existierten wir von Spielern, die eine zweite Chance gesucht haben, weil sie es woanders nicht geschafft haben. Wir hatten also nicht diese Torjäger, die andere Vereine haben. Das bedeutet, dass man hinten dichthalten musst, wenn du vorne höchstens mal ein oder zwei Tore schießt. So entsteht so etwas, auch wenn es der Situation geschuldet war.
Es gibt aber die Fußballweisheit: Vorne werden Spiele entschieden und hinten Meisterschaften. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich das genauso sehe, denn meistens gewinnen Mannschaften Meisterschaften oder steigen auf, die wenig Gegentore bekommen. Ich habe ein Problem damit offensiv in ein Spiel zu gehen, sodass man fünf Tore schießen muss, um die Gegentreffer auszugleichen. Das klappt auch nicht immer. Wir stehen aber nicht vor dem Strafraum wie eine Handballmannschaft, um unser Tor zu verteidigen.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.
Das Interview führten Michael Jaskolla und Hendrik Stürznickel