16.05.2014

„RWE muss sich noch attraktiver machen!“ Interview mit Sportvorstand Dr. Uwe Harttgen

von Redaktion

Bereits vor der 'Sprechstunde in Melches Hütte' hatten wir Gelegenheit, den neuen Sportvorstand Dr. Uwe Harttgen zu interviewen. Hier nochmal alle News zu den Umstrukturierungen und Plänen für die Zukunft aus erster Hand.

Sportvorstand Dr. Uwe HarttgenJawattdenn.de:
Hallo Herr Harttgen, vielen Dank, dass sie sich Zeit für uns genommen haben. Was haben sie seit ihrem Amtsantritt bei Rot-Weiss Essen bereits über Jawattdenn.de erfahren?

Dr. Harttgen:
Ich weiß, dass es sich um eine Fanseite handelt, bin aber ehrlicherweise noch nicht dazu gekommen, mich im Detail damit zu befassen. Wie ist die Idee für die Seite entstanden?

Jawattdenn.de:
Entstanden ist die Seite aus der Idee heraus, dass der Verein in sportlich mageren Zeiten medial weniger vertreten ist und man das ein wenig ändern wollte. Wir sind eine Seite von Fans für Fans und versuchen, die im Umfeld des Vereins existierenden Meinungen, Emotionen usw. aufzugreifen, zu sammeln und sachlich aufzuarbeiten und erhalten auch glücklicherweise heute die Gelegenheit, mit dem Vorstand Sport darüber zu sprechen.

Wie muss man sich den Arbeitsablauf eines Sportvorstandes vorstellen? Oder konkret: Wie sah ihre letzte Arbeitswoche aus?

Dr. Harttgen:
Die Saisonvorbereitung ist natürlich für mich eine besonders arbeitsintensive Phase. Vornehmlich geht es dabei natürlich um die Kaderzusammenstellung. Das bedeutet eine Menge Gespräche mit Beratern und Spielern, sowohl aus dem aktuellen Kader, als auch mit potentiellen Neuzugängen. Immer noch nicht abgeschlossen sind außerdem die Teamgespräche. Es gibt also noch einige Mitarbeiter, mit denen ich noch kein persönliches Gespräch führen konnte. Das möchte ich möglichst schnell nachholen. Genauso wie ein Austausch mit den Fans. Diesbezüglich machen wir am Donnerstag in Melches Hütte ja immerhin einen Anfang.

Jawattdenn.de:
Nachdem lange Zeit die Personalie Wrobel im Fokus der Emotionen stand, spaltet nun das Thema „U23“ das Fanlager…

Dr. Harttgen:
Dabei geht es doch bei unserem getätigten Schritt um mehr, als nur die Abschaffung der U23. Wir haben hier nun einmal als Rot-Weiss Essen die große Problematik, dass die sehr talentierten Spieler häufig schon in der C- oder B-Jugend in den Nachwuchsbereich der großen Bundesligisten wechseln und deswegen muss RWE sich noch attraktiver machen, um diese jungen Nachwuchsspieler bereits frühzeitig langfristig zu binden.

Jawattdenn.de:
Für einen 15-Jährigen, der ein Angebot eines Bundesligisten hat, spielt die Existenz oder Nicht-Existenz einer U23-Mannschaft aber vermutlich erstmal keine Rolle. Wie will man diese Spieler dann halten? Mit finanziellen Argumenten?

Dr. Harttgen:
Wenn man junge Spieler langfristig halten möchte, müssen wir insgesamt attraktiver werden. Das beinhaltet eine umfassende und individuelle Ausbildung, in der wir auch Aspekte abseits des Fußballs berücksichtigen. Zudem verkleinern wir durch die enge Verzahnung der Mannschaften den Sprung vom Jugend- in den Seniorenbereich.

Jawattdenn.de:
Oftmals ist es schwierig, Talente so frühzeitig zu erkennen. Sie selbst waren ein „Spätstarter“, und bei uns spielten schon Profis wie Kerim Avci erst einige Jahre in der Oberliga, bis es mit 23 zur Leistungsexplosion kam. Sehen Sie diesbezüglich keine Gefahr, dass uns Talente „durch die Lappen“ gehen?

Dr. Harttgen:
Wir sind in fortgeschrittenen Gesprächen mit einem Kooperationsverein, in dem entsprechende Talente Spielpraxis und Erfahrung im Seniorenbereich sammeln können. Es ist zwar im Fußball so, dass es durchaus Talente gibt, die durch das Raster rutschen, dies steht aber in keinem Verhältnis zur Weiterführung der U23. Außerdem verpflichten wir selbst Talente in diesem Alter von den Regionalliga-Teams der Bundesligisten.

Jawattdenn.de:
Nach der Insolvenz hatte uns die U23 gerettet…

Dr. Harttgen:
Natürlich hat die U23 einen Beitrag geleistet, dass der Aufstieg sofort gelungen ist. Aber es macht doch diesbezüglich in unserer aktuellen Situation keinen Sinn, dies als Argument zu verwenden. Wir wirtschaften hier seriös und nachhaltig, da können wir unsere Entscheidungen für die eigene Weiterentwicklung nicht von dem doch sehr unrealistischen Szenario einer erneuten Insolvenz abhängig machen.

Doc II bei der Arbeit - Vertragsunterzeichnung mit Sven KreyerJawattdenn.de:
Ein weiterer Vorteil der U23 ist doch, dass man bei personellen Engpässen Spieler hochziehen kann, die mit der Mannschaft auch schon trainiert und gespielt haben, wie zur Zeit Ivancicevic, Denker oder Arenz. Braucht man ohne ein Nachwuchsteam nicht einen größeren Kader für die Erste Mannschaft?

Dr. Harttgen:
Nicht unbedingt, denn in einem solchen Fall kann man bereits auf die Kräfte der A-Jugend zurückgreifen und man zeigt den Nachwuchsspielern so, dass wir es ernst meinen mit der Ausbildung. So könnten A-Jugendliche bereits recht früh an den Herrenfußball herangeführt werden.

Jawattdenn.de:
Wir wissen von Nachwuchsspielern, die der Existenz einer starken U23 eine große Bedeutung zumessen, weil sie dann die für junge Spieler wichtigen Einsatzzeiten bekommen können: Setzen sie sich nicht auf Aufhieb oben durch, so sammeln sie nur eine Liga tiefer Spielpraxis unter Wettkampfbedingungen. Wie wollen sie diese Spieler überzeugen, nach Essen zu wechseln bzw. hier zu bleiben?

Dr. Harttgen:
Für Spieler, die Talent haben, die sich aber in der Herrenmannschaft nicht direkt durchsetzen können, haben wir mit einem entsprechenden Kooperationsverein die Möglichkeit, die Spieler zu verleihen, mit dem Vorteil, dass man ihn nach jeder Halbserie zurückholen kann. Hinzu kommen die Fördertrainingseinheiten und –spiele, durch die die Spieler in unserem Blickfeld bleiben.

Jawattdenn.de:
Warum erfahren die U23-Spieler, wie man vom Spieler Bartsch in der Reviersport erfahren konnte, nur aus der Presse, dass es Überlegungen gibt, die zweite Mannschaft abzuschaffen?

Dr. Harttgen:
Es gibt viele Akteure, die in der Presse über sportpolitische Entscheidungen diskutieren, wir müssen jedoch überlegen, wie wir den Verein ausrichten. Es gab Diskussionen und dazu wurde ich von der Presse befragt, weil es dort jemand gehört hat. Darauf antworte ich dann wahrheitsgemäß. Von Vereinsseite verkünden wir aber erst etwas, wenn wir vereinsintern zu einer Entscheidung gekommen sind.

Jawattdenn.de:
Momentan hat man ohnehin das Gefühl, dass sich verschiedene Parteien genötigt sehen, über den Verein in der Presse zu reden. So konnte man zuletzt Kritik von Holger Lemkes Manager am Vorgehen des Vereins lesen, Waldemar Wrobel erfuhr leider auch über die Presse von seiner Beurlaubung und danach kam es zu dem Missverständnis, dass angeblich Marc Fascher seinen Co-Trainer nach Essen holt. Ist so etwas das normale Hintergrundrauschen einer Umbruchphase?

Dr. Harttgen:
Das in einer solchen Phase viel geschrieben und vermutet wird, ist doch ganz normal, wenn auch in der Intensität in Essen vielleicht etwas extremer, als in anderen Städten.

Neuer Sportvorstand und neuer TrainerJawattdenn.de:
Holger Lemke ist nun der erste Spieler, der den Verein verlassen muss…

Dr. Harttgen:
Das ist so nicht richtig...

Jawattdenn.de:
Zumindest ist er der erste Spieler, von dem in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass er den Verein verlassen muss.

Dr. Harttgen:
Der Spieler wollte frühzeitig wissen, wie seine Vertragssituation ist und wir haben ihm mitgeteilt, dass wir nicht mehr mit ihm planen.

Jawattdenn.de:
Wie ist denn überhaupt der Stand der Dinge bezüglich der Planung für die kommende Saison?

Dr. Harttgen:
Wir führen derzeit in der Mannschaft Gespräche über Vertragsverlängerungen, wir sprechen aber auch mit interessanten Kandidaten von anderen Vereinen. Ein paar Spieler konnten wir schon überzeugen, allerdings muss man auch betonen, dass wir weiterhin bei parallelen Angeboten von Zweit- und Drittligisten wenige Argumente liefern können.

Jawattdenn.de:
Hat man denn in der Vierten Liga eine Chance sportlich mit den finanzstarken Clubs aus Lotte und Köln mitzuhalten?

Dr. Harttgen:
Wir haben als Rot-Weiss Essen schon einiges zu bieten. Es entsteht momentan eine Stimmung, dass sich in Essen etwas bewegt. Diese Stimmung wird auch vom Umfeld, dem Verein, und den Spielern registriert.

Jawattdenn.de:
Ist RWE in der Lage, einen aktuellen Zweitligaspieler zu verpflichten und kann man demnächst mit weiteren Vollzugsmeldungen rechnen?

Dr. Harttgen:
Grundsätzlich nicht. Auch bei einem Drittligaspieler sollten wir im Normalfall keine Chance haben, auch wenn wir in Essen natürlich auch nicht nur mit Knöpfen zahlen. Es wird aber keine finanziellen Experimente geben. Man kann sagen, der Verein ist finanziell nicht auf Rosen gebettet, aber wir zahlen im Ligadurchschnitt dennoch nicht schlecht.
Vollzugsmeldungen gibt es, wenn es soweit ist. Wir werden uns bis zu der Unterschrift des jeweiligen Spielers mit Wasserstandsmeldungen zurückhalten.

Jawattdenn.de:
Einige Kritiker haben den Eindruck, dass mit Ihnen zwar Professionalität Einzug gehalten hat, diese aber einhergeht mit einer eher kühlen Personalpolitik.

Dr. Harttgen:
Schade, wenn dieser Eindruck bei manchen Personen wirklich entstanden sein sollte. Aber Fakt ist doch, dass wir vor einem gewissen Umbruch stehen. Dieselben Kritiker haben doch vor meiner Einstellung radikale Änderungen gefordert. Ich bin als Vorstand Sport verpflichtet worden und damit habe ich die Aufgabe, die sportliche Situation zu analysieren und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn etwas nicht gut läuft, muss ich es ändern, und das ist natürlich zwangsläufig nicht immer angenehm für die beteiligten Personen. Es ist aber nötig zum Wohle des Vereins.

Jawattdenn.de:
Sie kannten den wohlklingenden Namen Rot-Weiss Essen und fanden dann eine sportliche Situation vor, wie sie in den Spielen nach der Winterpause zu sehen war. War das ein Schock für Sie?

Dr. Harttgen:
Ich formuliere es mal so: Es war ein Schnelleinstieg. In jedem Verein sind intensive Themen normal, allerdings musste man sich bei Rot-Weiss Essen sehr schnell einarbeiten. Für manche Überlegungen wäre es schön gewesen durch sportlichen Erfolg mehr Zeit zu haben. So mussten sehr zeitnah Entscheidungen gefällt werden.

Jawattdenn.de:
Wenn man sich unter den Fans umhört, hat man den Eindruck, dass sich selbst für Essener Verhältnisse eine gigantische Erwartungshaltung aufbaut. Wie gehen Sie damit um?

Pressekonferenz zur UmstrukturierungDr. Harttgen:
Es gehört zu meiner Arbeit mit diesen Erwartungen umzugehen. Allerdings muss ich ebenfalls einen gesunden Realismus verbreiten. Es gibt mindestens vier oder fünf Mannschaften, die um den Aufstieg mitspielen wollen und hier sind mögliche verstärkte Zweite Mannschaften noch gar nicht mit eingerechnet. Hinzu kommt, dass Verletzungen und sportliche Krisen nicht planbar sind und deswegen ist eine zu kühne Prognose nicht angebracht. Wir wollen, das kann ich aber sagen, oben mitspielen.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass der nächste Schritt der schwerste ist. Rasenball Leipzig hatte ungleich bessere finanzielle Voraussetzungen und benötigte Jahre, bis sie den Aufstieg aus der Regionalliga erreichten. Daran sieht man doch, wie schwierig das ist. In unserer Liga spielen ehemalige Bundesligisten und Zweite Mannschaften, die alle das gleiche Ziel haben.

Jawattdenn.de:
Sie haben es angedeutet, eine enorme Hürde stellt die aktuelle Aufstiegsregelung dar. Wissen sie ob es innerhalb des DFB Bestrebungen gibt, über diese Regelung nochmal nachzudenken?

Dr. Harttgen:
Diese gibt es, aber sind keinesfalls konkret. Klar ist jedoch, dass diese Regelung nicht im Sinne des Sports sein kann. Sie macht jegliche Möglichkeit der Planung kaputt. Selbst als ungeschlagener Meister kannst du im Aufstiegsrennen scheitern.

Jawattdenn.de:
Haben Sie denn eine eigene Idee, wie der Bereich unter dem Profifußball geregelt werden sollte, damit alle Regionalliga-Meister auch direkt aufsteigen könnten?

Dr. Harttgen:
Ich fand das frühere System mit zwei dritten Ligen sehr gut. So hat man nicht die extrem weiten Fahrten wie zurzeit in der Dritten Bundesliga. Darunter sollten vier Regionalligen installiert werden, so hätte man diese Probleme mit Auf- und Absteigern nicht mehr.

Jawattdenn.de:
Diese Konstellation mit zwei dritten und vier vierten Ligen hatte man ja schon einmal, aber aus irgendwelchen Gründen hat man das System verschlimmbessert. Ist es denn für Regionalligavereine möglich, überhaupt auf irgendeine Art und Weise Druck auf den DFB auszuüben?

Dr. Harttgen:
Mit dem Rückzug einiger Zweiter Mannschaften wird eine Neuordnung des Amateurbereichs auf jeden Fall reeller. Es führt aus meiner Sicht nichts dran vorbei, dass ein Klub für eine Meisterschaft auch mit dem Aufstieg belohnt werden muss.

Jawattdenn.de:
Wie sieht eigentlich der Aufgabenbereich von Damian Jamro aus, der sich mit Ihrer Verpflichtung sicherlich verändert hat?

Dr. Harttgen:
Dies haben wir noch nicht endgültig geklärt. Wir müssen zunächst schauen, wer in Zukunft welche Aufgabenbereiche übernimmt und wie wir uns in der kommenden Saison aufstellen. Hierbei sind wir noch mitten im Entscheidungsprozess.

Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Harttgen!

Das Interview führten Michael Jaskolla und Hendrik Stürznickel